BT-Drucksache 17/8334

Erfassung rechtsextremer Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten

Vom 17. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8334
17. Wahlperiode 17. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Nicole Gohlke, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Petra Pau, Jens
Petermann, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Erfassung rechtsextremer Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten

Bei der Erfassung rechtsextremer Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten gibt es
offenbar einen erheblichen Graubereich. In seinem Jahresbericht 2009 nennt
der Wehrbeauftragte 122 Verdachtsfälle auf rechtsextreme Betätigungen inner-
halb der Bundeswehr, von denen sich rund drei Viertel bestätigt haben.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hingegen geht Medienberichten vom
Frühjahr dieses Jahres zufolge von „jährlich ca. 660 Verdachtsfällen“ aus.
Meist handele es sich dabei um junge Soldaten, „die in ihrer Freizeit zum Bei-
spiel durch szenetypische Bekleidung, rechtsextremistische Musik oder das
Skandieren von Parolen auffallen.“ (FOCUS ONLINE, 27. Mai 2011).

Die Zahlen des Wehrbeauftragten basieren auf Meldungen des Bundesministe-
riums der Verteidigung, das seinerseits von den jeweiligen Dienststellen bzw.
Kommandeuren unterrichtet wird. Gemeldet werden dabei ,alle Verdachtsfälle
auf „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ (§§ 84 bis 90b des Straf-
gesetzbuchs – StGB) und die „Betätigung gegen die freiheitliche demokra-
tische Grundordnung durch Soldaten“ (§ 8 des Soldatengesetzes)‘ (vgl. Vorbe-
merkung der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/1266). Der MAD
verfügt über weitere Informationsquellen und gelangt durch diese in Kenntnis
weiterer Verdachtsfälle. Eine Rücksprache der Fragesteller mit dem Büro des
Wehrbeauftragten konnte den Verdacht nicht ausräumen, dass es Fälle rechtsex-
tremistischer Betätigungen von Soldaten gibt, die dem Wehrbeauftragten nicht
bekannt werden. Dies betrifft offenbar vor allem solche Vorfälle, die sich
außerhalb des Dienstes ereignen.

Gemeldet werden nach Kenntnis der Fragesteller ausschließlich Fälle von
„klassischem“ Rechtsextremismus. Die Fragesteller hatten indes bereits in ih-
rer Vorbemerkung zur Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/1266 auf
die Notwendigkeit hingewiesen, „sich mit den politischen ‚Graubereichen‘
deutschnationaler, völkischer und nationalkonservativer Spektren zu beschäf-
tigen. Solchen Graubereichen und Querverbindungen kommt für die Heraus-

bildung informeller Netzwerke und der Akzeptanzbildung rechtsextremisti-
scher Auffassungen eine wichtige Funktion zu.“

Hier ist insbesondere der Bereich des Rechtspopulismus zu nennen, in dem eine
zunehmende rassistisch konnotierte antimuslimische Hetze festzustellen ist.
Die Akteure entsprechen nicht dem „vertrauten“ rechtsextremistischen Erschei-
nungsbild. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Akteure (zu denen bei-
spielsweise, aber nicht nur, die Organisation Politically Incorrect gehört) gegen

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elementare demokratische Prinzipien verstoßen und zudem ein wichtiges Feld
für Radikalisierungsprozesse darstellen.

Zu den zentralen, gemeinsamen Topoi deutschnationaler, aber auch rechtsex-
tremer Kräfte gehören zudem die Leugnung der deutschen Kriegsschuld und
die Glorifizierung der Wehrmacht. Auch wenn damit keine Strafgesetze ver-
letzt werden, müssen solche Einstellungen erhebliche Zweifel an der Eignung
eines Soldaten für den Dienst in einer der Demokratie verpflichteten Streitkraft
wecken. Dennoch erfährt der Wehrbeauftragte hiervon nichts, sofern die Wehr-
machtsverherrlichung nicht mit Verstößen gegen die §§ 84 bis 90b StGB ein-
hergeht (Bundestagsdrucksache 16/1266).

Eine bedenkliche Nähe zur Wehrmacht ist in der Bundeswehr immer wieder
festzustellen, trotz mehrfacher Bekundungen der Bundesregierung, die Wehr-
macht könne als Ganzes keine Tradition begründen. Kooperationen mit ge-
schichtsrevisionistischen Vereinigungen wie etwa dem Kameradenkreis der
Gebirgstruppe gehören ebenfalls auf den Prüfstand.

Die Fragesteller erwarten, dass die Meldevorschriften innerhalb der Bundes-
wehr nach dem Massaker in Norwegen, den Diskussionen um deutschnationalen
Rechtspopulismus und das Bekanntwerden der Mordserie einer Naziterror-
gruppe überprüft werden, um den Notwendigkeiten im Kampf gegen rassis-
tische und rechtsextreme Einstellungen zu entsprechen. Dies läge auch in der
Logik der mittlerweile eingeleiteten Prüfung einer Beobachtung von „Politically
Incorrect“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie ist das Meldewesen in Bezug auf rechtsextreme Vorfälle unter Beteili-
gung von Bundeswehrangehörigen gegenwärtig geregelt?

a) Inwiefern unterscheidet sich ggf. die Erfassung/Meldung von Vorfällen,
die sich innerhalb bzw. außerhalb der Bundeswehr ereignen?

b) Inwiefern werden dabei auch rechtsextreme Aktivitäten von Zivilange-
stellten der Bundeswehr erfasst?

2. Welche Kriterien werden innerhalb der Bundeswehr angewandt, um rechts-
extreme Vorfälle als solche zu erkennen bzw. zu werten, und wie wird die
einheitliche Handhabung solcher Kriterien bei den zuständigen Vorgesetzten
sichergestellt?

3. Welche Vorkehrungen bzw. Mechanismen gibt es, um rechtsextreme Betäti-
gungen von Bundeswehrangehörigen außerhalb militärischer Liegenschaf-
ten bzw. außerhalb des Dienstes zu erfassen?

a) Ist aus Sicht der Bundesregierung vollumfänglich gewährleistet, dass
rechtsextrem motivierte Straftaten von Bundeswehrangehörigen, die
außerhalb des Dienstes begangen wurden und den zuständigen zivilen
Ermittlungsbehörden bekannt geworden sind, den militärischen Vor-
gesetzten dieser Soldaten in jedem Fall bekannt und dem Bundesministe-
rium der Verteidigung sowie dem Wehrbeauftragten gemeldet werden,
wenn ja, wie wird dies gewährleistet, und wenn nein, welche Konsequen-
zen sind aus Sicht der Bundesregierung zu ziehen?

b) Ist aus Sicht der Bundesregierung vollumfänglich gewährleistet, dass
rechtsextrem motivierte Handlungen, die nicht zu einer Verurteilung ge-
führt haben, aber dennoch eine rechtsextreme Gesinnung offenbaren, den
militärischen Vorgesetzten bekannt und dem Bundesministerium der Ver-
teidigung sowie dem Wehrbeauftragten gemeldet werden, wenn ja, wie

wird dies gewährleistet, und wenn nein, welche Konsequenzen sind aus
Sicht der Bundesregierung zu ziehen?

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4. Wie viele rechtsextreme Verdachtsfälle hat es in den Jahren 2010 und 2011
in der Bundeswehr gegeben (bitte inkl. Unterfragen jeweils getrennt beant-
worten)?

a) Wie viele hiervon haben sich bestätigt?

b) Um welche rechtsextremistischen Aktivitäten hat es sich bei den bestätig-
ten Fällen gehandelt, und wie wurden diese disziplinarisch belangt (bitte
für jeden Fall angeben)?

c) Welche dieser Fälle hatten zudem strafrechtliche Konsequenzen (bitte so-
weit möglich für jeden Fall angeben)?

d) Sind in diesen Zahlen auch rechtsextreme Aktivitäten von Zivilangestell-
ten erfasst, und wenn ja, wie viele, und wenn nein, wie viele rechtsex-
treme Aktivitäten wurden bei diesen erfasst, und um welche handelte es
sich dabei?

5. Wie viele Verdachtsfälle auf rechtsextreme Aktivitäten von Bundeswehr-
angehörigen hat der MAD in den Jahren seit 2000 pro Jahr erfasst?

a) Wie viele davon haben sich bestätigt (bitte nach Soldaten und Zivilperso-
nal differenzieren), und um welche Aktivitäten handelte es sich dabei?

b) Inwiefern wurden diese Fälle an die militärischen Vorgesetzten gemeldet
und auch dem Wehrbeauftragten bekannt, und welche Regelungen gibt es
für eine Weitergabe solcher Informationen durch den MAD bis zum
Wehrbeauftragten?

c) Aus welchen Informationen bezieht der MAD seine Kenntnis über
rechtsextreme Aktivitäten von Bundeswehrangehörigen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung aus heutiger Sicht das Problem von
Wehrmachtsverherrlichung und Kriegsschuldleugnung innerhalb der Bun-
deswehr?

a) Inwiefern hält sie es für angemessen, das interne Meldewesen dahinge-
hend zu modifizieren, dass auch Wehrmachtsverherrlichung, Kriegs-
schuldleugnung und andere pauschal positive Bezugnahme auf die Wehr-
macht gemeldet werden, weil dies unabhängig von einer etwaigen straf-
rechtlichen Relevanz nicht zum Leitbild einer demokratischen Armee
passen kann und außerdem eine Schnittmenge zu rechtsextremen Positio-
nen darstellt?

b) Wie geht die Bundeswehr mit Soldaten um, die solche Ansichten äußern,
und inwiefern unterliegen solche Soldaten einem Beförderungsstopp oder
anderen disziplinarischen Maßnahmen?

Inwiefern sind solche Soldaten von einer Verlängerung ihres Dienstver-
hältnisses ausgeschlossen?

c) Welchen Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung hier?

7. Inwiefern erwägt die Bundesregierung, ihre Kontakte zu Vereinen, deren ge-
schichtsrevisionistische Positionen die Fragesteller schon mehrfach themati-
siert haben (etwa Kameradenkreis der Gebirgstruppe e. V., Bund Bayerischer
Soldatenverbände u. v. a. m.), zu überprüfen?

8. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Diskussionen,
Absprachen oder Strategien der rechtsextremistischen Szene hinsichtlich des
Verhaltens von Rechtsextremisten in der Truppe, und wie beurteilt sie die
Notwendigkeit, diesem Thema angesichts der Mordserie der „NSU-Bande“
mehr Beachtung zu schenken?

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9. Wie beurteilt die Bundesregierung aus heutiger Sicht das Phänomen, dass
Offiziere der Bundeswehr, die während ihres Dienstes „unauffällig“ geblie-
ben sind, nach ihrer Pensionierung in rechtsextremen oder deutschnational
orientierten Verlagen publizieren, und welche Schlussfolgerungen zieht sie
daraus, etwa hinsichtlich einer Intensivierung der politischen Bildung?

10. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Ansicht, es biete „keinen Anlass zur
Besorgnis“, wenn sich 25 Prozent der Bundeswehrstudenten selbst als
nationalkonservativ bezeichnen (Bundestagsdrucksache 16/1266), oder hält
sie es angesichts der aktuellen Debatten, insbesondere um das Gewalt- und
Radikalisierungspotential rechtspopulistischer Diskurse und Organisationen
für angebracht, weiter reichende Schlussfolgerungen für die Bundeswehr zu
ziehen, und wenn Letzteres, welche Schlussfolgerungen sind dies?

11. Inwiefern geht die Bundeswehr der Frage nach, wie sehr rechtspopulisti-
sche, antimuslimische Stimmungen in der Bundeswehr verbreitet sind?

a) Inwiefern ist das Meldewesen in Blick auf rechtspopulistische, antimus-
limische Vorfälle aus Sicht der Bundesregierung überarbeitungsbedürf-
tig, und inwiefern spielt hierbei die Entscheidung des Bundesamts für
Verfassungsschutz eine Rolle, eine Beobachtung etwa von „Politically
Incorrect“ zu prüfen?

b) Inwiefern werden besonders die Einstellungen von Soldaten vor/nach
dem Afghanistaneinsatz untersucht?

c) Werden Untersuchungen vom Sozialwissenschaftlichen Institut der
Bundeswehr durchgeführt oder projektiert (bitte kurz den Forschungs-
schwerpunkt angeben)?

d) Sind in der Vergangenheit schon solche Untersuchungen durchgeführt
worden, und wenn ja, von wem, welche, und was waren die wesent-
lichen Ergebnisse?

12. Inwiefern sieht die Bundesregierung Bedarf für eine Neufassung der ein-
schlägigen Zentralen Dienstvorschrift ZDv 10/13?

Berlin, den 10. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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