BT-Drucksache 17/8261

Ausbeutung der Ressourcen der durch Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara

Vom 21. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8261
17. Wahlperiode 21. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Annette Groth, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Ausbeutung der Ressourcen der durch Marokko völkerrechtswidrig besetzten
Westsahara

Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben sich
am 12. Juli 2011 für eine Verlängerung des EU-Fischereiabkommens mit Ma-
rokko ausgesprochen. Dieses ermöglicht 120 Schiffen aus der EU den Fischfang
vor den Küsten Marokkos. Im Gegenzug leistet die EU jährliche Zahlungen von
36,1 Mio. Euro. Mit diesem Abkommen wurde zerstörerische industrielle Fische-
rei der EU nicht nur in den Gewässer Marokkos weitergeführt, sondern vor allem
auch in denen der Westsahara, der letzten Kolonie in Afrika, die seit 1975 völ-
kerrechtswidrig durch Marokko besetzt ist.

Das Europaparlament (EP) hat nun diese Verlängerung des Fischereiabkom-
mens zwischen der EU und Marokko mit 326 gegen 296 Stimmen abgelehnt.
Als Begründung wurde angegeben, dass die Interessen der Bevölkerung der
Westsahara nicht ausreichend berücksichtigt werden und besser geschützt wer-
den müssen. Bereits im Vorfeld hatten sich sowohl der Entwicklungs- als auch
der Haushaltsausschuss des EP für die Ablehnung „dieses schlechtesten aller Fi-
schereiabkommen“ ausgesprochen (http://zeokwestsahara.wordpress.com/2011/
12/10/die-abstimmung-ist-auf-mittwoch-den-14-dezember-verschoben/). Ledig-
lich im Fischereiausschuss ist es einer Interessengruppe in letzter Minute gelun-
gen, die ablehnende Haltung ihres Berichterstatters ins Gegenteil zu verkehren.

Die EU und die Bundesregierung sind mit ihrer Unterstützung des Fischerei-
abkommens mit dem autoritären Regime in Marokko gescheitert. Nach wie vor
will jedoch die Bundesregierung das EU-Fischereiabkommen mit Marokko
aufrechterhalten, obwohl es offensichtlich ist, dass die sahrauische Bevölke-
rung in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara weder den Mehrwert ihrer
Ressourcen erlangt noch ein Äquivalent dafür erhält. Damit ignoriert die Bun-
desregierung geltende Bestimmungen des humanitären Völkerrechts sowie
elementare Prinzipien und Regeln des allgemeinen Völkerrechts. Bereits 2002
stellte der UN-Untergeneralsekretär und Vorsitzender im Büro für Rechtsfragen
der UN, Hans Corell, die Rechtswidrigkeit der EU-Fischereiabkommen mit
Marokko fest. Der Juristische Dienst des Europaparlaments vertrat 2009 in

einem Rechtsgutachten ebenfalls die Rechtsauffassung, dass der Fischfang im
Rahmen eines partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der EU und
Marokko, weder in Konsultation mit der sahrauischen Bevölkerung der West-
sahara stattfindet noch die Bevölkerung die Einnahmen aus der Verwertung
ihrer eigenen reichen Fischbestände erhält. Trotz Anfragen der Europäischen
Kommission hat Marokko dafür jedoch keine akzeptablen Zahlen vorlegen
können. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hätte Klarheit schaf-

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fen können. Ein Antrag im EP, der die Klärung der völkerrechtlichen Fragen
des Fischereiabkommens vom EuGH zum Ziel hatte, wurde jedoch am 29. Sep-
tember 2011 abgelehnt. Für die Überprüfung des Fischereiabkommens stimm-
ten aber von den deutschen Abgeordneten lediglich die Fraktion DIE LINKE.
und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschlossen. Nur ihnen war of-
fensichtlich an einer völkerrechtlichen Klarheit gelegen.

Nachweise der marokkanischen Regierung, dass die Einnahmen auch der loka-
len Bevölkerung bzw. den Sahrauis in der Westsahara zugute kämen, sind bis
heute nicht geführt worden. Erst am 13. Dezember 2010 stellte die marokkani-
sche Regierung die von der Europäischen Kommission angeforderten Informa-
tionen über die Verwendung der Gelder aus dem partnerschaftlichen Fischerei-
abkommen zur Verfügung. Obwohl eine „umfassende und abschließende Ana-
lyse dieser Informationen und Aussagen dazu, inwieweit Rückflüsse aus dem
Abkommen auch der Bevölkerung in der Westsahara zugute kommen, bis zur
Abstimmung über die Verlängerung des ‚Protokolls zur Festlegung der Fang-
möglichkeiten und der finanziellen Gegenleistungen‘ zum Fischereipartner-
schaftsabkommen EU–Marokko durch die EU-Kommission nicht vorgelegt
werden konnten, hat sich Deutschland bei dieser Abstimmung enthalten“ (siehe
Antwort der Bundesregierung zu Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/5556).
Damit belohnte die Bundesregierung die Verzögerungstaktik der marokkani-
schen Seite durch die Verlängerung des Abkommens um ein Jahr.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit hält es die Bundesregierung derzeit angesichts der völkerrechts-
widrigen Besetzung der Westsahara und der schweren Menschenrechtsverlet-
zungen, die durch die marokkanischen Sicherheitskräfte begangen wurden,
aber auch darüber hinaus, grundsätzlich bei den Westsahara-Gesprächen für
kontraproduktiv, dem UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vorzule-
gen, der den Export von Waffen nach Marokko untersagt (siehe Antwort der
Bundesregierung zu den Fragen 4 bis 6 auf Bundestagsdrucksache 17/5556)?

2. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass es im Rat der
Europäischen Union Initiativen gibt, den Export von zur internen Repression
verwendbarer Ausrüstungen durch die EU-Mitgliedstaaten nach Marokko
zu sanktionieren, wie dies gegenüber Côte d’Ivoire (Verordnung des Rates
2010/656/GASP), Guinea (2010/368/GASP), Iran (2010/413/GASP), Libyen
(2011/204/GASP), Myanmar/Birma (2010/232/GASP), Simbabwe (2011/101/
GASP) bereits geschehen ist?

3. Aus welchen Gründen will die Bundesregierung selbst keine Initiative er-
greifen, den von der internen Repression (potentiell) betroffenen Menschen
in der Westsahara aber auch in Marokko in dem Sinne zu helfen, den Export
von zur internen Repression verwendbarer Ausrüstungen durch die EU-Mit-
gliedstaaten nach Marokko zu sanktionieren?

4. Inwieweit sind nach Auffassung der Bundesregierung der Abbau und Abtrans-
port von in der Westsahara gewonnenen Rohstoffen, die nach Artikel 154 Haa-
ger Langkriegsordnung von 1907 sowie Artikel 33 IV Genfer Konvention aus-
drücklich verboten sind, ein Straftatbestand, den es strafrechtlich auch nach
dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch zu verfolgen gilt, oder lediglich als
„politisch sensiblen Sachverhalt“ (siehe Antwort der Bundesregierung zu den
Fragen 7 und 8 auf Bundestagsdrucksache 17/5556)?

5. Inwieweit ist für die Bundesregierung die mögliche Beteiligung deutscher
Unternehmen am illegalen Abbau und Abtransport von in der Westsahara
gewonnenen Rohstoffen ein „politisch sensibler Sachverhalt“ (siehe Ant-

wort der Bundesregierung zu den Fragen 4 bis 6 auf Bundestagsdrucksache
17/5556), und worin besteht dieser konkret?

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6. Warum hat die Bundesregierung, sofern sie die Auffassung teilt, es handele
sich bei dem Abbau und dem Abtransport von in der Westsahara gewonne-
nen Rohstoffen um einen Straftatbestand, den es strafrechtlich zu verfolgen
gilt, bislang keine Initiativen und konkreten Maßnahmen auf bundesdeut-
scher und EU-Ebene ergriffen, um die Beteiligung deutscher bzw. EU-Un-
ternehmen strafrechtlich zu verfolgen und die Raubabbaupraxen zu sank-
tionieren?

7. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Ziel des EU-Fi-
schereiabkommen mit Marokko „in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zur
Erhaltung der Fischereiressourcen und ihres Nutzens für die Fischereiwirt-
schaft der Partnerländer [beizutragen]“ sowie die Förderung einer auf „Nach-
haltigkeit ausgerichtete[n] Fischereipolitik, zur Verbesserung der Situation
der lokalen Fischerei“ etc. (siehe Antwort der Bundesregierung zu Frage 10 auf
Bundestagsdrucksache 17/1521), verfehlt wurde, wenn bereits jetzt 5 von 11
Fischbeständen in Marokko überfischt sind (www.euractiv.de/ressourcen-
und-umwelt/artikel/verlangerung-des-eu-marokko-fischereiabkommens-
skandals- 005613)?

8. Inwieweit ist der Bundesregierung der Bericht über das EU-Fischereiabkom-
men mit Marokko bekannt, der im Auftrag der Europäischen Kommission
angefertigt worden ist, von dem die Nachrichtenagentur „Reuters“ am 8. Juni
2011 berichtete und in dem festgestellt wird, dass die EU von diesem Ab-
kommen bislang nicht habe profitieren können und die EU einen zu hohen
Preis zur Unterstützung ihrer Fischereiflotte bezahlt habe, weil die EU seit
dem Inkrafttreten des Abkommens 2007 jährlich 36,1 Mio. Euro an Marokko
gezahlt habe, die Einnahmen aus der Fischerei vor Marokko und der durch
Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara jedoch jährlich etwa
6 Mio. Euro weniger betragen hätten, und teilt die Bundesregierung diese
Einschätzung (bitte begründen)?

9. Welche Rückschlüsse lassen sich konkret aus den seitens Marokko am 13. De-
zember 2010 der Europäischen Kommission vorgelegten Informationen zur
sozioökonomischen Wirkung des EU-Fischereiabkommens für die lokale
bzw. sahrauische Bevölkerung in der durch Marokko völkerrechtswidrig be-
setzten Westsahara durch die im Zuge der Verletzung der Souveränität des
noch immer nicht dekolonisierten Gebiets der Westsahara gewonnenen Ein-
nahmen ziehen?

10. Sofern sich aus den in den Fragen 8 und 9 erfragten Informationen keine kon-
kreten Rückschlüsse auf die angeblich positive Bedeutung der Leistungen
aus dem Abkommen für die sahrauische Bevölkerung in der völkerrechts-
widrig besetzten Westsahara ziehen lassen, welche konkreten anderen Vor-
teile rechtfertigen aus Sicht der Bundesregierung nach wie vor, dass sie sich
bei der Abstimmung über die einjährige Verlängerung des verschiedentlich
(siehe Vorbemerkung des Fragestellers) als rechtswidrig eingestuften EU-
Fischereiabkommens mit Marokko enthalten und damit eine Fortsetzung
möglich gemacht hat?

11. Inwieweit bleibt die Bundesregierung bei ihrer Auffassung, dass aus der
regionalen Aufschlüsselung der Rückflüsse deutlich wird, „dass ein be-
trächtlicher Teil davon für Maßnahmen zugunsten der Modernisierung des
Fischereisektors in der Westsahara eingesetzt wurde und damit der Bevöl-
kerung der Westsahara zugutekommt“ (siehe Antwort zu Frage 49, Plenar-
protokoll auf Bundestagsdrucksache 17/119)?

12. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Marokko auch wei-
terhin vor der Küste der Westsahara fischen darf, selbst wenn es keinen Mehr-
wert für die sahrauische Bevölkerung in der völkerrechtswidrig besetzten

Westsahara gibt bzw. sogar das Gegenteil belegt wird?

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13. Wird die Bundesregierung im Falle einer Neuauflage des EU-Marokko
Fischereiabkommens darauf drängen, dass die Gebiete vor der Küste der
Westsahara ausdrücklich ausgenommen, und wie kann dies nach Ansicht der
Bundesregierung wirkungsvoll kontrolliert werden?

14. Inwieweit hat die Bundesregierung inzwischen Kenntnis von dem bereits in
der Frage 23 auf Bundestagsdrucksache 17/5275 vom 24. März 2011 ange-
sprochenen Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Europaparla-
ments zum Entwurf des EU-Agrarvertrages mit Marokko, in dem fast analog
zum EU-Marokko Fischereiabkommen angemerkt wird, dass dieser „über
keine Informationen darüber verfügt, ob und wie das vorgeschlagene Ab-
kommen auf die Westsahara-Gebiete zur Anwendung kommen [solle] und ob
es wirklich dem Wohle der ortsansässigen Menschen dienen wird“ und zu-
dem Informationen darüber fehlen, „ob die weitere Liberalisierung dieser
Güter mit den Wünschen und Interessen der Menschen in der Westsahara in
Einklang steht“, so dass es dem Entwurf des EU-Agrarvertrages mit Ma-
rokko an Eindeutigkeit hinsichtlich der Westsahara-Frage fehle?

15. Inwieweit hält die Bundesregierung eine Prüfung der unter Frage 13 im ge-
nannten Gutachten dem Europaparlament benannten Unklarheiten für not-
wendig, bevor eine Zustimmung möglich ist, wie es das Gutachten emp-
fiehlt?

16. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Verträge der
USA als auch der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), die die Gül-
tigkeit dieser Verträge für die von Marokko völkerrechtswidrig besetzte
Westsahara explizit ausschließen, den zukünftigen Status der Westsahara
präjudizieren?

17. Inwieweit hält es die Bundesregierung für sinnvoll, in der EU darauf hinzu-
wirken, grundsätzlich bei Verträgen mit Marokko analog zur Praxis der USA
als auch der EFTA die Gültigkeit dieser Verträge für die von Marokko völ-
kerrechtswidrig besetzte Westsahara explizit auszuschließen?

18. Inwieweit wird die Bundesregierung Initiativen ergreifen, um die völker-
rechtswidrige Besetzung der Westsahara durch Marokko beenden zu helfen,
damit die EU in Zukunft wirksame Verträge mit einer souveränen Westsahara
über die Ausbeutung ihrer Fischgründe abschließen kann?

Berlin, den 20. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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