BT-Drucksache 17/8228

Asylrechtlicher Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen und der Einschränkung der sexuellen Vielfalt

Vom 16. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8228
17. Wahlperiode 16. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Sevim Dag˘delen,
Nicole Gohlke, Jens Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Asylrechtlicher Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen und der Einschränkung
der sexuellen Vielfalt

Die Fraktion DIE LINKE. hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode
mit einer Kleinen Anfrage (Bundestagsdrucksache 16/1824) auf die äußerst re-
striktive Praxis von Behörden und Gerichten bei der Anerkennung des Schutz-
bedarfs homosexueller Asylsuchender aufmerksam gemacht. Obwohl die Men-
schen- und Bürger(innen)rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexu-
ellen, Transgendern und Intersexuellen Menschen (LSBTTI), ihre Rechte auf
freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und sexuelle Selbstbestimmung in vielen
Ländern massiv verletzt werden, wird ihnen in Deutschland eine Anerkennung
als schutzbedürftige Flüchtlinge häufig versagt.

Einer der Gründe hierfür ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem
Jahr 1988 (9 C 278/86), auf das sich Verwaltungsgerichte auch heute immer
noch beziehen und mit dem nur eine „irreversible“ Homosexualität im Sinne
einer „unentrinnbaren schicksalhaften Festlegung auf homosexuelles Verhalten“
als asylrechtlich relevant erachtet wurde. Zudem müssten drohende Strafen
„offensichtlich unerträglich hart und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt
schlechthin unangemessen“ sein. „Die im Iran bestehenden Verbote einver-
ständlicher homosexueller Betätigung unter Erwachsenen“ bezweckten hinge-
gen „als solche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral“, ähnlich wie dies
in Deutschland bis 1969 auch der Fall gewesen sei. Auch der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte (EGMR) habe in einem Urteil vom 22. Oktober
1981 festgestellt, dass „eine gewisse Regelung des männlichen homosexuellen
Verhaltens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EGMR in einer demokratischen Gesell-
schaft zum Schutze der Moral notwendig sein könne“. Das Verwaltungsgericht
(VG) Leipzig merkte hierzu allerdings, ein Vierteljahrhundert später, in einem
Urteil vom 29. August 2005 (A 6 K 30060/03, S. 12) an, dass die Rechtspre-
chung des EGMR „zeitbezogen und unter dem Vorbehalt der Fortentwicklung
des innerstaatlichen Rechts der Europarechtsstaaten“ auszulegen sei; im konkre-
ten Einzelfall kam es dennoch zu einer Asylablehnung, da „Homosexuelle ihre
Veranlagung somit vielfach zumindest unter Geheimhaltung leben können“.
Auch in anderen Gerichtsurteilen wurden und werden beabsichtigte Abschie-

bungen homosexueller Flüchtlinge damit gerechtfertigt, dass diese sich im Her-
kunftsland möglichst „bedeckt“ halten könnten, um einer drohenden Verfolgung
zu entgehen.

Seit dem Inkrafttreten der so genannten Qualifikationsrichtlinie der EU (2004/
83/EG des Rates vom 29. April 2004) im Oktober 2006 sind solche Ablehnungs-
muster eigentlich nicht mehr tragbar. Denn in Artikel 10 Absatz 1d der Richt-
linie wird die sexuelle Ausrichtung als Verfolgungsmerkmal („je nach den Ge-

Drucksache 17/8228 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gebenheiten im Herkunftsland“) ausdrücklich benannt, und nach Artikel 9 Ab-
satz 2 der Richtlinie stellt jede diskriminierende „gesetzliche, administrative,
polizeiliche und/oder justizielle Maßnahme“ sowie jede „diskriminierende
Strafverfolgung oder Bestrafung“ eine zu berücksichtigende Verfolgung dar,
wenn sie z. B. auf die sexuelle Ausrichtung der Betroffenen abzielt.

Dennoch gibt es auch aktuell immer wieder ablehnende Urteile mit höchst frag-
würdigen Begründungen: So hielt das VG Augsburg einem homosexuellen
Flüchtling aus Syrien (nach dessen – vom Gericht bestrittenen – Angaben) mit
Urteil vom 11. April 2011 (Au 6 K 09.30189) entgegen, dass das strafrechtliche
Verbot homosexuellen Geschlechtsverkehrs in Syrien (Gefängnisstrafe bis zu
drei Jahren) nicht auf „eine bestimmte sexuelle Veranlagung als solche“ abziele,
„sondern lediglich bestimmte sexuelle Praktiken zum Schutz der öffentlichen
Moral“ unter Strafe stelle, „so dass schon von daher der Verfolgungscharakter
zu verneinen“ sei. Und weiter: „Bei der angedrohten Freiheitsstrafe von bis zu
drei Jahren kann auch nicht von einer unmenschlichen Strafe gesprochen wer-
den“, denn es drohe keine „schwere Leibes- oder Todesstrafe“. Dem Betroffe-
nen, der angegeben hatte, wegen homosexueller Kontakte mit einem Soldaten in
der Militärzeit 43 Monate in Arrest gewesen zu sein, wurde vom Gericht entgeg-
net, „dass der syrische Staat in seinen Streitkräften aus Sicherheitserwägungen
die vom Kläger genannten homosexuellen Aktivitäten nicht duldet und daher
auch in der Lage sein muss, dies ggf. zu unterbinden, wie im Fall des Klägers
geschehen“. Im „privaten Bereich“ könne der Betroffene seine Homosexualität
hingegen leben, auch wenn dies zu Diskriminierungen durch Verwandte führe –
was asylrechtlich aber wiederum irrelevant sei.

Das VG Regensburg befand in einem Urteil vom 7. Oktober 2011 (RN 5
K 11.30261), dass es nach Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie zwar nicht
mehr auf eine „Unentrinnbarkeit“ aus der Homosexualität ankomme. Es sei aber
„nicht Aufgabe des Asylrechts, die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland in anderen Staaten durchzusetzen“. Auch stelle der „Zwang, sich
entsprechend den in Nigeria herrschenden sittlichen Anschauungen zu verhal-
ten, für denjenigen, der sich ihm beugt, keine politische Verfolgung im asyl-
rechtlichen Sinne dar“. Die „aus hiesiger Sicht nicht hinnehmbaren Umstände“
müsse der Betroffene in Nigeria hinnehmen. Für den Betroffenen sei „es zumut-
bar, seine homosexuelle Veranlagung und Betätigung nicht nach außen hin be-
kannt werden zu lassen, sondern auf den Bereich seines engsten persönlichen
Umfeldes zu beschränken“.

Eine lesbische Asylsuchende aus Uganda wurde vom VG München in einem Ur-
teil vom 15. Juni 2011 (M 25 K 10.31238) darüber belehrt, dass „eine homo-
sexuelle Betätigung bei zurückhaltendem Verhalten keine Übergriffe zur Folge“
habe. Zwar gebe es in Uganda unstrittig „ein homosexuellenfeindliches Klima“,
parlamentarische Bemühungen für die Einführung der Todesstrafe bei „schwe-
rer Homosexualität“ seien aber nicht weiter behandelt worden und die mögliche
lebenslange Haftstrafe wegen Homosexualität werde in der Praxis nicht ange-
wandt.

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte mit Beschluss vom
23. November 2010 (13 A 1013/09.A) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
die Fragen zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit der Qualifikationsrichtlinie
vereinbar sei, homosexuelle Flüchtlinge darauf zu verweisen, ihre „sexuelle Aus-
richtung im Heimatland im Verborgenen auszuleben und nach außen nicht
bekannt werden zu lassen“ bzw. inwieweit „spezielle Verbote zum Schutz der
öffentlichen Ordnung und Moral bei der Auslegung und Anwendung“ der Richt-
linie beachtlich seien. Mit Datum vom 15. Februar 2011 wurde dieser Vorlage-
beschluss aufgehoben, nachdem dem Betroffenen ein Flüchtlingsstatus gewährt

wurde, weil der Europäische Gerichtshof ihn auf seiner Website namentlich ge-
nannt und dessen Homosexualität damit öffentlich gemacht hatte.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8228

Eine europarechtliche Klärung könnte allerdings insofern erfolgen, als auch das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Beschluss vom 9. Dezember 2010
(10 C 19/09) dem EuGH Fragen dazu vorlegte, ob es europarechtskonform sei,
Asylsuchenden aufzuerlegen, auf eine öffentliche religiöse Betätigung zu ver-
zichten, um eine Verfolgung zu umgehen. Das BVerwG wies darauf hin, dass im
Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung der britische Supreme Court mit Ur-
teil vom 7. Juli 2010 entschieden hat, dass Homosexuelle nicht auf eine „dis-
krete Praktizierung“ ihrer sexuellen Orientierung verwiesen werden dürfen.

Sowohl PRO ASYL als auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland
kritisieren den Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen (www.lsvd.de/
852.98.html), die oben aufgeführte Rechtsprechung ebenso wie beschönigende
Lageberichte des Auswärtigen Amts. Weiterhin beklagt der Verband die Deu-
tung einer nachträglich vorgebrachten Homosexualität als unglaubwürdiges
Vorbringen, überhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer („irre-
versiblen“) Homosexualität (etwa durch Gutachten auf eigene Kosten) sowie die
Nichtberücksichtigung eines „Coming out“ im Asylland als „selbstgeschaffener
Nachfluchtgrund“.

Die Kritik wird schließlich wissenschaftlich untermauert durch eine aktuelle
ländervergleichende Studie („Fleeing Homophobia“, www.asyl.net/fileadmin/
user_upload/redaktion/Dokumente/1111FH-DE.pdf). Von den Betroffenen zu
verlangen, ihre sexuelle Orientierung im Herkunftsland zu verbergen, bedeute
eine Verneinung des fundamentalen Charakters von Menschenrechten in Bezug
auf diese Personen. Auf die Geltung der Menschenrechte könne man schlechthin
nicht verzichten. Die meisten der Empfehlungen dieser Studie (S. 13) werden in
der deutschen Asylpraxis nicht umgesetzt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Ländern steht derzeit Homosexualität unter Strafe bzw. werden
bi-, trans- und intersexuelle Menschen bzw. Transgender etwa durch Straf-
androhung für ein bestimmtes sexuelles Verhalten in ihren Menschenrechten
verletzt (bitte genau benennen: Freiheitsstrafe bis zu welcher Höhe oder gar
Todesstrafe für welches „Vergehen“), in welchen Ländern wird in der Praxis
oder entsprechend internen Vorgaben des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) unabhängig von der Frage einer solchen Strafbarkeit
von einer Verfolgung bzw. Diskriminierung Homosexueller ausgegangen,
und in Bezug auf welche Länder wird in der Praxis oder entsprechend inter-
nen Vorgaben des BAMF bereits deshalb (d. h. unabhängig vom Einzelfall-
vorbringen) ein Schutzstatus bzw. subsidiärer Schutz zuerkannt, soweit eine
geltend gemachte Homosexualität als wahr unterstellt wird, wie es etwa in
Italien bei entsprechender Kriminalisierung von Homosexualität im Her-
kunftsland der Fall ist?

2. In wie vielen Fällen wurde in den Jahren 2010 und 2011 eine drohende Ver-
folgung aufgrund der Homosexualität oder anderer Einschränkungen der
sexuellen Vielfalt von LSBTTI von Asylsuchenden im Asylverfahren geltend
gemacht (bitte nach Geschlecht und Herkunftsländern differenzieren), und
wie viele dieser Personen wurden deshalb anerkannt (bitte nach Schutzstatus
differenzieren; falls das BAMF immer noch nicht über entsprechende Daten
verfügt, wird zumindest eine Einschätzung erbeten)?

3. Inwieweit und mit welcher Begründung hält das BAMF in der Praxis bzw.
entsprechend internen Anweisungen auch nach Inkrafttreten der Qualifika-
tionsrichtlinie an der Rechtsauffassung fest, wonach

a) es zumutbar sei, die Homosexualität im Privaten bzw. im Verborgenen zu

leben, um eine drohende Verfolgung zu vermeiden, und welche entspre-

Drucksache 17/8228 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

chenden Grundsätze gelten derzeit im Umgang mit religiösen Überzeu-
gungen bzw. Praktiken,

b) eine besondere Schwere der befürchteten Verfolgung wegen Homosexua-
lität erforderlich sei,

c) Maßnahmen und Strafen zur Durchsetzung einer als „öffentliche Moral“
bezeichneten Normierung vermeintlich „erlaubter“ Sexualität an sich
nicht asylrechtsrelevant seien,

d) eine „Irreversibilität“ der homosexuellen „Veranlagung“ bzw. der vom
körperlichen Geschlecht abweichenden sexuellen Identität nachgewiesen
bzw. glaubhaft gemacht werden müsse

(bitte getrennt nach den Unterfragen und in Auseinandersetzung mit der Qua-
lifikationsrichtlinie, der Literatur hierzu und den in der Vorbemerkung ge-
nannten Vorlageentscheidungen an den EuGH beantworten und entspre-
chende interne Vorgaben und Leitsätze der Behördenpraxis benennen)?

4. Sofern von Asylsuchenden immer noch verlangt wird, sie müssten die „Irre-
versibilität“ ihrer Homosexualität glaubhaft machen oder gar durch sexual-
wissenschaftliche Gutachten „belegen“ (vgl. „Tödliche Küsse“, Süddeutsche
Zeitung vom 16. Januar 2009),

a) auf welche aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Annahmen
stützt sich das BAMF dabei,

b) inwieweit ist das damit vereinbar, dass nach aktuellem Kenntnisstand eine
nichtheterosexuelle Orientierung oder vom körperlichen Geschlecht ab-
weichende sexuelle Identität nicht als „Abweichung“ im medizinischen,
psychiatrischen oder psychologischen Sinne gedeutet werden kann und
solche Untersuchungen oder die Forderung nach entsprechenden fragwür-
digen Gutachten mithin als unzulässige Eingriffe in die Privatsphäre ge-
deutet werden müssen (vgl. die Studie „Fleeing Homophobia“, S. 55 ff.),

c) inwieweit erfolgt eine solche „Sachverhaltsaufklärung“ im Auftrag des
BAMF, in welchem Umfang werden z. B. Sachverständigengutachten zur
Klärung dieser Frage in Auftrag gegeben, bzw. inwieweit und auf welcher
Rechtsgrundlage wird den Betroffenen eine entsprechende „Nachweis-
pflicht“ auferlegt?

5. Welche Einschätzungen und Vorgaben gelten derzeit in der Praxis bzw. ent-
sprechend internen Vorgaben des BAMF im Umgang mit homosexuellen
Flüchtlingen aus Syrien, und wird insbesondere davon ausgegangen, dass „im
laizistischen Syrien […] darauf geachtet“ wird, „dass Moralvorstellungen in
einer religiösen Gruppe“ – gemeint sind religiöse Gebote im islamischen Kul-
turkreis – „nicht dazu führen, dass es zu nachvollziehbarer Diskriminierung
kommt“ bzw. dass der syrische Staat „aus Sicherheitserwägungen“ dazu „in
der Lage sein muss, […] homosexuelle Aktivitäten“ in seinen Streitkräften
„zu unterbinden“, etwa durch langjährigen Arrest (siehe das in der Vorbemer-
kung zitierte Urteil des VG Augsburg)?

6. Inwieweit sind nach Ansicht der Bundesregierung Gerichtsurteile zeitbezo-
gen und unter Berücksichtigung der Fortentwicklung der allgemeinen Wert-
vorstellungen (insbesondere über den Umgang mit Homosexualität) bzw. des
internationalen Rechts zu deuten bzw. auszulegen, und was bedeutet dies
konkret für die Anwendbarkeit

a) des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 1998,

b) des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom
22. Oktober 1981,
c) des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1957,

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mit denen in unterschiedlicher Form die Nachweispflichten und Anforde-
rungen in Bezug auf die asylrechtliche Beachtung einer Verfolgung von
Homosexualität unter Hinweis auf die herrschenden „Sittengesetze“ bzw.
die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral“ verschärft wurden (bitte dif-
ferenziert nach den jeweiligen Urteilen beantworten und ausführen, inwie-
weit die Bundesregierung davon ausgeht, dass diese angesichts des offen-
kundigen öffentlichen Wandels im Umgang mit Homosexualität nicht mehr
oder nur noch bedingt anwendbar sind)?

7. Sind der Bundesregierung neuere Entscheidungen des Bundesverwaltungs-
gerichts, des Bundesverfassungsgerichts oder auch des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte zum Thema Asyl und Homosexualität be-
kannt, aus denen eine gewandelte Auffassung zu Homosexualität und
gesellschaftlicher Moral im Allgemeinen bzw. zu Homosexualität und Asyl
im Besonderen hervorgeht, und wenn ja, welche sind dies, und was beinhal-
ten sie?

8. Inwieweit wird in der Praxis oder in internen Anweisungen des BAMF die
Argumentation verwandt, die Verfolgung Homosexueller und anderer se-
xueller oder geschlechtlicher Minderheiten sei deshalb nicht oder nur einge-
schränkt asylrelevant, weil das deutsche Asylrecht nicht dem Zweck diene,
hiesige Grundrechtsvorstellungen oder liberalere Umgangsweisen mit sexu-
ellen Orientierungen von Minderheiten auf andere Länder zu übertragen?

9. Inwieweit wird durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen von Bediens-
teten des BAMF bzw. entsprechende Angebote an Asylrichterinnen und
- richter zum Thema Asyl und sexuelle Identität bzw. Orientierung von Asyl-
suchenden der Gefahr entgegengewirkt, dass Vorurteile gegenüber LSBTTI,
die bei Bediensteten des BAMF und Richterinnen und Richtern genauso be-
stehen dürften wie in der Gesamtbevölkerung, in der Entscheidungspraxis
negativ zum Tragen kommen?

10. Inwieweit wird bei Anhörungen und in nachfolgenden Verfahren dem Um-
stand Rechnung getragen, dass betroffene Asylsuchende oftmals erhebliche
innere Hürden überwinden müssen, um über ihre sexuelle Orientierung oder
Identität sprechen zu können – gerade gegenüber Fremden bzw. gegenüber
Bediensteten eines fremden Staates –, aus Angst oder Scham, infolge der
Verinnerlichung im Herkunftsland verbreiteter gesellschaftlicher Diskrimi-
nierungen bzw. entsprechender Homosexuellenfeindlichkeit oder auch aus
Angst, dass die eigene Homosexualität öffentlich oder den Behörden des
Herkunftslandes bekannt werden könnte?

11. Inwieweit gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung beim EuGH Bestre-
bungen oder Bemühungen dazu, die Anonymität von Klagenden zu wahren,
insbesondere wenn es um sensible Informationen zur Person wie die se-
xuelle Orientierung von Asylsuchenden geht, und inwieweit wird die Bun-
desregierung das Bekanntwerden der Homosexualität eines Asylsuchenden
infolge einer Vorlage durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfa-
len (was dazu führte, dass der Betroffene hierdurch als gefährdet angesehen
und als Schutzbedürftiger anerkannt werden musste) zum Anlass nehmen,
beim EuGH für entsprechend sensible und anonymisierte Verfahrensweisen
zu werben?

12. Inwieweit werden die Bundesregierung bzw. das BAMF die Empfehlungen
der Studie „Fleeing Homophobia“ (S. 13) im Umgang mit LSBTTI berück-
sichtigen bzw. konkret umsetzen, und inwieweit ist dies in der Praxis
womöglich bereits der Fall, insbesondere in Bezug auf die folgenden Punkte:

a) Verleihung eines Flüchtlingsstatus an LSBTTI aus Ländern, in denen die

sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (strafrechtlich) krimina-
lisiert wird,

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b) kein Verweis auf staatlichen Schutz bei nichtstaatlicher Verfolgung,
wenn LSBTTI in diesem Land kriminalisiert werden oder eine Homo-
sexuellenfeindlichkeit der staatlichen Autoritäten bekannt ist,

c) keine Aufforderung zur Verheimlichung der eigenen sexuellen Orientie-
rung bzw. Identität zur Vermeidung von Verfolgung,

d) kein Verweis auf interne Fluchtalternativen in Ländern, in denen LSBTTI
kriminalisiert werden,

e) Feststellung der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität vor al-
lem aufgrund der Angaben der Betroffenen – und nicht durch medizini-
sche oder psychologische Kategorien oder Gutachten,

f) keine automatische Ablehnung späteren Vorbringens der sexuellen Orien-
tierung bzw. Identität als unglaubwürdiges oder gesteigertes Vorbringen,

g) Bereitstellung umfassender Informationen über die Situation von LSBTTI
in allen Herkunftsländern, nicht nur in Bezug auf die Strafgesetzgebung,

h) besondere Schutzvorkehrungen für LSBTTI in Aufnahme-, Haft- und
Unterbringungseinrichtungen

(bitte zu allen Unterpunkten konkret und begründet antworten und jeweils
Ausführungen zur derzeitigen Praxis des BAMF machen)?

Berlin, den 16. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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