BT-Drucksache 17/822

Rückschiebungen nach Griechenland sofort aussetzen

Vom 25. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/822
17. Wahlperiode 25. 02. 2010

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel,
Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/449 –

Rückschiebungen nach Griechenland sofort aussetzen

A. Problem

Die Antragsteller nehmen Bezug auf die erneute Aussetzung der Abschiebung
eines Asylsuchenden nach Griechenland im Rahmen des EU-Verteilungssys-
tems (Dublin-II-Verordnung) durch das Bundesverfassungsgericht, das seine
Entscheidung insbesondere darauf stütze, dass nach ernst zu nehmenden Quel-
len die ordnungsgemäße Registrierung als Asylsuchender in Griechenland un-
möglich sein könnte. Im Hauptsacheverfahren werde das Gericht seine Recht-
sprechung zur deutschen Drittstaatenregelung überprüfen. Die Bundesregierung
soll mit dem Antrag daher aufgefordert werden, Rückschiebungen nach Grie-
chenland im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens sofort bis zur Hauptsache-
entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszusetzen und die Prüfung der
Asylanträge im Rahmen des Selbsteintritts im nationalen Asylverfahren durch-
zuführen.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Drucksache 17/822 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/449 abzulehnen.

Berlin, den 9. Februar 2010

Der Innenausschuss

Wolfgang Bosb ach
Vorsitzender

Helmut Brandt
Berichterstatter

Rüdiger Veit
Berichterstatter

Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Josef Philip Winkler
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/822

Bericht der Abgeordneten Helmut Brandt, Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Ulla Jelpke und Josef Philip Winkler

1. Überweisung
Der Antrag auf Drucksache 17/449 wurde in der 19. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 28. Januar 2010 an den In-
nenausschuss federführend und in der 22. Sitzung des Deut-
schen Bundestages am 10. Februar 2010 nachträglich an den
Rechtsausschuss, den Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe und den Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse
Der Rechtsausschuss hat in seiner 7. Sitzung am 24. Februar
2010 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des An-
trags empfohlen.
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
hat in seiner 8. Sitzung am 24. Februar 2010 mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stim-
men der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN empfohlen, den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat in seiner 7. Sitzung am 24. Februar 2010 mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen
die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

3. Beratungen im federführenden Ausschuss
Der Innenausschuss hat den Antrag auf Drucksache 17/449
in seiner 5. Sitzung am 9. Februar 2010 abschließend bera-
ten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ablehnung empfoh-
len.

Die Fraktion der CDU/CSU hebt hervor, dass es sich bei den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um
Eilentscheidungen handele, die nach summarischer Prüfung
getroffen worden seien. Dem Ergebnis der vom BVerfG vor-
genommenen Risikoabwägung, dass bis zur endgültigen Ent-
scheidung zunächst ein Bleiberecht für die betroffenen Asyl-
suchenden in Deutschland bestehen solle, werde zugestimmt.
Würde hingegen dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gefolgt, wäre eine Rückschiebung nach Griechen-
land faktisch dauerhaft ausgeschlossen, unabhängig davon,
wie das BVerfG im Hauptsacheverfahren entscheiden werde.
Es sei insoweit zu betonen, dass der Rechtsschutz durch die
Verwaltungsgerichte und durch das BVerfG hinreichend ge-
wahrt werde und dass das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) verantwortungsbewusst mit der Situa-
tion umgehe. Im Jahr 2009 habe das Bundesamt in ca. 700 Fäl-
len von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht, was
aufzeige, dass in jedem Einzelfall geprüft werde, ob eine
Rückschiebung möglich sei. Dem Antrag könne daher nicht
gefolgt werden.
Die Fraktion der SPD verweist auf die im Rahmen der
Delegationsreise des Innenausschusses nach Griechenland

gewonnenen Erkenntnisse und betont, dass es den nach Grie-
chenland rücküberstellten Flüchtlingen dort zwar nicht
schlechter gehe als den übrigen Asylsuchenden und Flücht-
lingen. Es gehe ihnen aber auch nicht besser. Es gebe in
Griechenland weder ein geordnetes Asylverfahren noch eine
hinreichende Fürsorge in Bezug auf Gesundheit, Unterkunft
und Verpflegung. Die Betroffenen seien mehr oder weniger
sich selbst überlassen. Vor dem Hintergrund der außer-
ordentlichen Belastung Griechenlands durch ca. 150 000
Flüchtlinge pro Jahr sei es nicht vertretbar, in Anwendung
des Dublin-II-Übereinkommens noch weitere Asylsuchende
aus Deutschland dorthin zurückzuüberstellen. Die SPD-
Fraktion werde dem Antrag daher zustimmen.

Die Fraktion der FDP betont den Handlungsbedarf auf
europäischer Ebene. Es müsse im Hinblick auf die Lasten-
verteilung bezüglich Dublin-II eine vernünftige Regelung
gefunden werden. Griechenland dürfe nicht allein gelassen
werden. Seine Grenzen müssten gesichert werden, wozu
technische Unterstützung erforderlich sei, und das abge-
schlossene Rückübernahmeabkommen mit der Türkei müsse
durchgesetzt werden. Darüber hinaus sei es dringend erfor-
derlich, in Griechenland auf ein verbessertes Asylverfahren
hinzuwirken, sowohl im Hinblick auf den Umgang mit den
Asylanträgen als auch bezüglich der Dolmetscherausstat-
tung und der Unterbringung. Im Ergebnis könne dem Antrag
aber nicht gefolgt werden, da er zu weit gehe. Die Fraktion
der CDU/CSU habe zu Recht darauf verwiesen, dass das
BAMF und die Gerichte sich in jedem Einzelfall um eine
verantwortbare, vernünftige Lösung bemühten.

Die Fraktion DIE LINKE. verweist ebenfalls auf den Be-
richt über die Delegationsreise nach Griechenland und führt
aus, es sei ein rechtsstaatlicher Skandal, dass aus Deutsch-
land weiterhin Überstellungen nach Griechenland vorge-
nommen würden, obwohl das BVerfG mehrfach Abschie-
bungen nach Griechenland gestoppt habe. Die Bundesregie-
rung dürfe die Entscheidungen des BVerfG nicht ignorieren.
Auch einige Bundesländer wie Bayern und Baden-Württem-
berg seien zu Recht der Auffassung, die Grundsatzentschei-
dung des BVerfG müsse abgewartet werden. Die Beschwer-
deführer der bisherigen erfolgreichen Eilverfahren vor dem
BVerfG gehörten gerade nicht dem Kreis besonders schutz-
würdiger Personen an, bei denen die Bundesrepublik
Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch mache.
Es handele sich demnach gerade nicht um Einzelfallent-
scheidungen. Aus den Ausführungen des BVerfG müsse man
vielmehr Schlüsse für alle Asylbewerber aus Griechenland
ziehen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärt, der
vom BVerfG vertretenen Auffassung, die Rückschiebung
von Asylsuchenden nach Griechenland auszusetzen, müsse
gefolgt werden. Das Gericht stütze sich insoweit auf ernst zu
nehmende Quellen, wonach eine ordnungsgemäße Regis-
trierung als Asylsuchender in Griechenland unmöglich sein
könnte. In diesem Zusammenhang sei auch zu betonen, dass

Drucksache 17/822 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

die Entscheidung des BVerfG gerade nicht einzelfallbezogen
sei. Vielmehr erkläre das BVerfG nicht nur die Rückführung
besonders schutzwürdiger Personen in das griechische Asyl-
verfahren, sondern gerade die anderer Flüchtlinge derzeit für
unzumutbar. Auch würden Verwaltungsgerichte in der gan-
zen Bundesrepublik mit Verweis auf die Entscheidungen des
BVerfG Rückschiebungen nach Griechenland als unrecht-
mäßig aussetzen. Die schwerwiegenden Mängel des grie-
chischen Asylverfahrens könnten nicht in Kürze behoben
werden.

Berlin, den 9. Februar 2010
Helmut Brandt
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Rüdiger Veit
Berichterstatter

Josef Philip Winkler
Berichterstatter

Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Berichterstatter

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