BT-Drucksache 17/8142

Strategie der Europäischen Union zum Horn von Afrika

Vom 13. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8142
17. Wahlperiode 13. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Niema Movassat, Annette Groth, Paul
Schäfer (Köln), Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Strategie der Europäischen Union zum Horn von Afrika

Mit den Ratsschlussfolgerungen vom 14. November 2011 hat sich die Euro-
päische Union (EU) einen abgestimmten strategischen Rahmen für ihre Politik
gegenüber den Staaten am Horn von Afrika gegeben – definiert als die Mitglied-
staaten der Inter-Governmental Authority for Development (IGAD): Äthiopien,
Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan, Uganda.

Den übergeordneten Rahmen für die Zusammenarbeit mit diesen Staaten setzen
das Abkommen von Cotonou und der 10. Europäische Entwicklungsfonds
(EDF), die Verhandlungen der EU mit den IGAD-Staaten über Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen und zunehmend die Gemeinsame Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik (GSVP), die in der Strategie als das am schnellsten wachsende
Feld des EU-Engagements am Horn von Afrika beschrieben wird.

Der Rat formuliert in seinen Schlussfolgerungen die Absicht, am Horn von
Afrika den Aufbau demokratischer staatlicher Strukturen und die Lösung ak-
tueller Konflikte zu unterstützen sowie Wirtschaftswachstum, Armutsminde-
rung und regionale Zusammenarbeit zu befördern.

Insbesondere aber will die EU auf die sicherheitspolitischen Gefahren, die ihrer
Ansicht nach vom Horn von Afrika ausgehen – genannt werden Piraterie,
Terrorismus und „irreguläre Migration“ –, reagieren und ihre Politik in der
Region mit den Zielen der Europäischen Sicherheitsstrategie in Übereinstim-
mung bringen.

Die EU führt in der Region derzeit zwei militärische Operationen durch: die
Operation EU NAVFOR (bekannter als Operation ATALANTA) zur militäri-
schen Bekämpfung der Piraterie und die EU Trainings Mission (EUTM) in
Uganda zur Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte. Darüber hinaus sind
europäische und andere Staaten militärisch unter anderem im Rahmen der
UN- Militärmissionen UNAMID und UNMISS im Sudan bzw. Südsudan in der
Region präsent. Darüber hinaus unterstützt die EU den Aufbau afrikanischer
Sicherheitsstrukturen. Aus dem EDF werden die Afrikanische Friedensfazilität
und Maßnahmen der maritimen Sicherheit im Indischen Ozean finanziert.

Die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika, von der Millionen Menschen be-
troffen sind und die zu umfangreichen Fluchtbewegungen geführt hat, die anhal-

tend krisenhafte Sicherheitslage sowie zwischenstaatliche und innerstaatliche
Konflikte in der Region werden in den Ratsschlussfolgerungen zwar benannt,
aber in keine Beziehung zu Erfolg oder Misserfolg der bisherigen EU-Politik
und zur Rolle anderer internationaler Akteure in der Region gestellt, obwohl
diese erheblich zur aktuellen Situation beigetragen haben. Im Gegenteil: Die
Ratsschlussfolgerungen setzen auf eine Verstärkung bisheriger Ansätze. Sie lau-

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fen auf die weitere Militarisierung und die Fortsetzung der neoliberalen EU-
Handels- und Entwicklungspolitik hinaus.

Aktuelle Entwicklungen am Horn von Afrika, insbesondere die Hungerkatastro-
phe in Somalia, aber auch der Einmarsch kenianischer und mutmaßlich auch
äthiopischer Truppen in Somalia, die anhaltenden Kämpfe im Sudan und im
Südsudan, der anhaltende Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien, schwelende
Konflikte in Uganda und Kenia und zwischen den Staaten der Region lassen je-
doch eine grundsätzliche Neuausrichtung der EU-Politik als dringend geboten
erscheinen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern erkennt die Bundesregierung in der Hungerkatastrophe am Horn
von Afrika und in den anhaltenden Konflikten in und zwischen einigen Län-
dern der Region auch ein Versagen der internationalen Gemeinschaft und
insbesondere der Europäischen Union?

2. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass der Strategische Rahmen für das
Horn von Afrika eine angemessene Antwort auf die sozialen, ökonomischen
und ökologischen Katastrophen darstellt, mit denen die Region konfrontiert
ist, unter denen Millionen Menschen zu leiden haben und die auch das Er-
gebnis politischer Weichenstellungen auf internationaler Ebene sind (bitte
begründen)?

3. Inwiefern kann die Bundesregierung Kritik daran nachvollziehen, dass die
EU auf diese Fragestellungen vor allem mit sicherheitspolitischen Antwor-
ten reagiert, aber keine Neuausrichtung in der Entwicklungs- und Handels-
politik gegenüber der Region anbietet?

4. Inwiefern leitet die Bundesregierung aus der Hungerkatastrophe am Horn
von Afrika den Auftrag ab, die europäische Handels- und Investitionspolitik
grundlegend zu verändern und entwicklungsförderlich auszurichten und
insbesondere gegen Nahrungsmittelspekulation und Landnahme vorzu-
gehen?

5. Wie verteilen sich die in den Ratsschlussfolgerungen genannten EU-Mittel
für humanitäre Hilfe in Höhe von 760 Mio. Euro auf die Länder, die die EU-
Strategie zum Horn von Afrika umfasst, in welchem Zeitraum wurden sie
aufgewendet, und aus welchem Etat bzw. welchen Etats?

6. Wie stellt sich die Bundesregierung die in der Strategie als Ziel formulierte
„Implementierung der EU-Menschenrechtspolitik“ und die „Förderung von
Respekt für Verfassungsnormen, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und
Gleichberechtigung“ durch die EU am Horn von Afrika konkret vor?

7. Welche Ansatzpunkte sieht die Bundesregierung für die in den Ratsschluss-
folgerungen formulierte Absicht der EU, in den Ländern des Horns von
Afrika eine unabhängige Zivilgesellschaft zu fördern?

8. Wie analysiert die Bundesregierung die den Konflikten am Horn von Afrika
zugrundeliegenden Ursachen, die die EU angehen möchte?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle soziale, politische und öko-
nomische Situation in Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan,
Südsudan, Uganda und die Beziehungen zwischen diesen Staaten (bitte ein-
zeln aufführen)?

10. Welche konkreten Maßnahmen und Initiativen hat die EU seit der Entschlie-
ßung des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2007 in den Bereichen Ent-
wicklungspartnerschaft, politischer Dialog, Umgang mit und Antwort auf

Krisen und Wirtschaftspartnerschaften in Äthiopien, Dschibuti, Eritrea,

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Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan, Uganda ergriffen (bitte nach Ländern
und jeweiligen Bereichen aufführen)?

11. Inwiefern unterscheidet sich der Strategische Rahmen der EU im Hinblick
auf den Umgang mit dem Horn von Afrika von der Entschließung des Eu-
ropäischen Parlaments vom 10. Mai 2007, und aufgrund welcher Erkennt-
nisse bzw. Evaluation wurden Veränderungen vorgenommen?

12. Welche Rolle sollen die IGAD und die Afrikanische Union (AU) nach Auf-
fassung der Bundesregierung bei der Bewältigung der in den Schlussfolge-
rungen aufgeführten Probleme der Region spielen, und welche Form der
Unterstützung soll die IGAD hierfür von der EU bekommen?

13. Inwiefern sind die IGAD und die AU in die Entwicklung des strategischen
Rahmens einbezogen worden bzw. wurde sie konsultiert und welche Maß-
nahmen für eine künftige Zusammenarbeit wurden vereinbart bzw. sind ge-
plant?

14. Was müsste nach Ansicht der Bundesregierung getan werden, um die Her-
stellung von Sicherheit in Sudan und Südsudan zu unterstützen, dies vor
dem Hintergrund ungeklärter Fragen, die sich aus der Teilung des Landes
ergeben und der anhaltenden Konflikte zwischen den beiden Staaten?

15. Was müsste nach Ansicht der Bundesregierung getan werden, um die Her-
stellung von Sicherheit in Somalia zu unterstützen, dies vor dem Hinter-
grund der Regionalisierung des Konflikts, unter anderem durch den Ein-
marsch kenianischer und äthiopischer Truppen?

16. Welchen Stellenwert nehmen nach Auffassung der Bundesregierung Sicher-
heitssektorreformen in den einzelnen Staaten am Horn von Afrika, und in
welchem Verhältnis stehen sie zu den in den Ratsschlussfolgerungen aufge-
führten Zielen und Maßnahmen (bitte einzeln aufführen)?

17. In welchen Staaten am Horn von Afrika unterstützten die EU bzw. einzelne
Mitgliedstaaten der EU mit welchen Maßnahmen solche Sicherheitssektor-
reformen, und wie bewertet die Bundesregierung deren bisherigen Erfolg
(bitte unter Angabe der einzelnen Maßnahmen, der Länder in, denen sie
durchgeführt werden und der Länder, die sie durchführen)?

18. Welchen Beitrag in welchen Sektoren sollen nach Ansicht der Bundesregie-
rung Projekte der Öffentlich Privaten Partnerschaft zur sozialen und ökono-
mischen Entwicklung der Region leisten, und was veranlasst die Bundes-
regierung zu der Annahme, dass dieser unter Entwicklungsexperten äußerst
umstrittene Ansatz ausgerechnet am Horn von Afrika erfolgsversprechend
sein könnte?

19. An welchen konkreten Maßnahmen bei der Entwicklung des Berbera-Kor-
ridors will sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entwicklungszusam-
menarbeit beteiligen, und welche Rolle sollte ihrer Meinung nach die
deutsche Wirtschaft dabei – etwa beim Aufbau handelsbezogener Infra-
struktur – spielen?

20. Wie reagiert die Bundesregierung auf die erheblichen Zweifel afrikanischer
Regierungen und Zivilgesellschaften – auch aus den IGAD-Staaten – daran,
dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die die EU mit Staaten und
Staatengruppen in der Region abschließen will, tatsächlich zur regionalen
Integration dort beitragen?

21. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Afrikanische Friedensfazili-
tät weiterhin aus dem EDF finanziert werden soll (bitte begründen)?

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22. Welche Maßnahmen innerhalb der in den Ratsschlussfolgerungen angespro-
chenen „maritimen Sicherheit“ werden aus dem EDF finanziert, wie hoch
ist das Volumen, und wie lassen sich diese Maßnahmen mit den Entwick-
lungszielen der EU vereinbaren?

23. Welche Maßnahmen zur „maritimen Sicherheit“ leisten nach Auffassung
der Bundesregierung einen konkreten Beitrag zu den in den Ratsschlussfol-
gerungen formulierten Zielen Frieden, Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und
verantwortlicher Regierungsführung in den IGAD-Staaten, insbesondere in
Somalia (bitte einzeln begründen)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung den Einmarsch kenianischer und äthio-
pischer Truppen in Somalia im Hinblick auf die regionale Stabilität und die
Chancen auf eine Beendigung des Bürgerkriegs in Somalia, auch vor dem
Hintergrund, dass Äthiopien wenig Interesse an einem stabilen somalischen
Staat hat, solange es von seiner Rolle als Verbündeter des Westens im soma-
lischen Konflikt profitiert und Kenia seit längerer Zeit Milizen im nördli-
chen Grenzgebiet ausrüstet, um eine Pufferzone zu schaffen?

25. Wie bringt die Bundesregierung das in den Ratsschlussfolgerungen ge-
nannte Prinzip der neutralen, unparteiischen und unabhängigen humanitä-
ren Hilfe in Einklang mit der einseitigen Unterstützung der somalischen
Übergangsregierung TFG, die sich auch in der regionalen Verteilung huma-
nitärer Hilfsgüter widerspiegelt?

26. Welche Einflussmöglichkeiten auf die Staaten am Horn von Afrika sowie
auf Drittstaaten, die am Horn von Afrika engagiert sind, wie z. B. die USA,
sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die Durchsetzung der vom Rat
formulierten Schlussfolgerungen?

27. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die in den Schlussfolgerungen
des Rates formulierten Ziele und Maßnahmen im Einklang mit den Zielen
und Maßnahmen der Militäroperation Operation Enduring Freedom zur Be-
kämpfung des Terrorismus stehen (bitte begründen)?

28. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz von Drohnen durch die USA
in Somalia im Hinblick auf das in der EU-Strategie formulierte Ziel, Frieden
und Stabilität in der Region zu erreichen?

29. Welche Staaten und Organisationen sind an dem geplanten multilateralen
Global Counter-Terrorism Forum (GCTF) beteiligt, und was ist die Kern-
aufgabe dieses Gremiums?

30. Welche Strategien und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung werden in
der Arbeitsgruppe Horn von Afrika im Rahmen des GCTF beraten, und
welche Initiativen hat die Bundesregierung, die den Co-Vorsitz dieser
Arbeitsgruppe innehat, dort eingebracht (bitte einzeln aufführen)?

31. Wie rechtfertigt die Bundesregierung das Festhalten an der Unterstützung
der somalischen Übergangsregierung (TFG) durch die EU vor dem Hinter-
grund, dass die TFG als politisch zerstritten und korrupt gilt, de facto nicht
zum Staatsaufbau beiträgt und weder in der Lage ist, in den von ihr kontrol-
lierten Gebieten Sicherheit herzustellen, noch eine Grundversorgung der
Bevölkerung mit Strom und Wasser zu gewährleisten und Leistungen in
Sektoren wie Bildung und Gesundheit aufzubauen?

32. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz der AMISOM vor dem Hin-
tergrund, dass die Strategie der offensiven Kriegsführung der AMISOM-
Truppe bereits mehrmals zur Eskalation der Gewalt in Somalia beigetragen
hat?

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33. Beziehen die Bundesregierung und die EU in ihre Strategie für Somalia Ge-
spräche bzw. Verhandlungen mit der al Shabaab mit ein, und wenn nicht,
welche alternativen Strategien verfolgen die Bundesregierung und die EU,
um den humanitären Zugang zur notleidenden Zivilbevölkerung in den von
der al Shabaab kontrollierten Gebieten sicherzustellen?

34. Inwiefern ist es Teil der Strategie für Somalia der Bundesregierung und der
EU, angesichts eines fehlenden Zentralstaats mit den autonomen Regionen
Somaliland und Puntland enger zusammenzuarbeiten?

35. Welche Strategie verfolgen die Bundesregierung und die EU, um den Zu-
strom an Waffen und Munition über Flug- und Seehäfen einzudämmen?

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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