BT-Drucksache 17/7955

Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport

Vom 29. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7955
17. Wahlperiode 29. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Martin Gerster, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Petra
Ernstberger, Gabriele Fograscher, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Christel Humme,
Johannes Kahrs, Lars Klingbeil, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Caren Marks,
Thomas Oppermann, Sönke Rix, Axel Schäfer (Bochum), Brigitte Zypries,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Sport steht für Werte wie Fairness, Toleranz und gegenseitigen Respekt. Zu
den herausragenden gesellschaftlichen Leistungen des Sports gehört seine
Fähigkeit, Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft,
Kultur oder Glaubensrichtungen zu bauen.

Damit erfüllt der Sport eine wichtige soziale Funktion und trägt auch zum Ab-
bau von Vorurteilen bei. Und dennoch gibt es gerade auch im Nationalsport
Fußball Ausgrenzungen und verbale Diskriminierungen aufgrund der sexuellen
Orientierung. Vermutlich aus Angst vor möglichen negativen Reaktionen gibt
es weder in der Ersten noch in der Zweiten Bundesliga einen aktiven Spieler,
der sich offen zu seiner Homosexualität bekannt hat. Bei den Bundesligaspiele-
rinnen verhält es sich ähnlich. Mit Ausnahme zweier Bundesligatorhüterinnen
verhält es sich bei den Bundesligaspielerinnen ebenso.

Homosexualität ist noch immer ein Tabuthema im Sport. Daher hat sich der
Sportausschuss des Deutschen Bundestages auf Initiative der SPD-Fraktion am
13. April 2011 in einer öffentlichen Anhörung mit dem Thema „Homosexuali-
tät und Sport“ befasst. Ziel der Anhörung war es, zum einen Impulse für die
Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu geben und zum anderen von den Exper-
ten Empfehlungen zum Handlungsbedarf in Politik und Gesellschaft zu erhal-
ten. Dabei zeigte sich, dass die Probleme nur gemeinsam von Politik und den
autonomen Sportorganisationen gelöst werden können. Der Bund muss hierbei
als Impulsgeber für Diskussionen und Veränderungen auftreten.

Die Möglichkeit, sich offen zu seiner sexuellen Identität zu bekennen, ist Aus-
druck des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Ab-
satz 1 des Grundgesetzes (GG). Eine solche Entwicklung soll jedem Bürger
und jeder Bürgerin frei von Furcht vor Diskriminierung offen stehen. Daher

tritt der Deutsche Bundestag mit Nachdruck dafür ein, dass auch im Sport die
Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit sich die Aktiven im Breiten-
wie im Spitzensport offen zu ihrer sexuellen Identität bekennen können.

Erfreulicherweise findet dieses Thema in den letzten Jahren nicht nur in den
Medien mehr Beachtung. So fand beispielsweise im Mai 2010 dazu eine erste
große Ausstellung unter dem Titel „Gegen die Regeln“ im Berliner Rathaus

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statt. Darin wurden über 100 homosexuelle Sportlerinnen und Sportler präsen-
tiert. Die Ausstellung deutete darauf hin, dass ein öffentliches Bekenntnis zur
Homosexualität in Individualsportarten eher anzutreffen sei als bei Mann-
schaftssportarten.

Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes e. V. (DFB), Dr. Theo Zwanziger,
hat sich des Themas angenommen und berichtet von homosexuellen Fußball-
spielern der Breitensportebene, die von ihren Vereinskameraden anerkannt
seien. Im Profifußball sähe es jedoch anders aus: Ein öffentliches Bekenntnis
zur Homosexualität wird als enormes Risiko für die Karriere wahrgenommen
und unterbleibt daher.

Die einzige deutsche Ausnahme bei den Männern ist Marcus Urban, ehemali-
ger DDR-Jugendnationalspieler und Profi von FC Rot-Weiß Erfurt e. V, der
sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. Dieser offenbarte sich 2007,
14 Jahre nach dem Ende seiner Karriere, und veröffentlichte 2008 eine Auto-
biographie unter dem Titel „Versteckspieler“. Zusammen mit Wissenschaftlern
baut er nun ein Netzwerk zur Unterstützung homosexueller Sportler, Trainer,
Funktionäre und Fans auf, das Betroffene beim Umgang mit ihrer sexuellen
Identität in der täglichen Praxis beraten will und sich zunehmenden Zuspruchs
erfreut.

Eines der größten Hemmnisse für ein öffentliches Bekenntnis zur Homosexua-
lität wird in der voraussichtlich negativen Reaktion der Fan-Gemeinde gesehen.
Aber auch in der Fan-Gemeinde gibt es positive Entwicklungen. 2001 gründe-
ten sich der „Hertha-Junxx e. V“ als erster schwuler Fan-Club in Berlin. Zur
Fußball-WM 2006 schlossen sich 17 deutsche mit drei schweizer und einem
spanischen schwul-lesbischen Fan-Club zu internationalen Vereinigung „Queer
Football Fanclubs“ zusammen. Noch heute nimmt Deutschland im Bereich
schwul-lesbischer Fan-Clubs in Europa eine Führungsposition ein.

Es gibt mittlerweile in Deutschland auch eine ganze Reihe von Vereinen, in de-
nen schwule und lesbische Sportlerinnen und Sportler für sich aktiv werden. In
Deutschland kommen seit 2005 jedes Jahr ca. 60 homo- und heterosexuelle
Fußball-Teams zu dem Turnier „Respect Gaymes“ zusammen, das vom multi-
kulturellen Verein Türkiyemspor Berlin e. V unterstützt wird. Auch internatio-
nale Zusammenschlüsse und Wettkämpfe gibt es – auch über den Fußball hin-
aus. Seit 1989 ist die „European Gay & Lesbian Sport Federation“ (EGLSF)
aktiv und veranstaltet seit 1992 in Den Haag alle zwei Jahre die „European
Games“, eine Art schwul-lesbische EM in vielen Sportarten.

Die „Federation of Gay Games“ veranstaltet seit 1982 in San Francisco die
„Gay Games“. Zuletzt fand das große Breitensportturnier mit rund 30 Sportar-
ten und bis zu 15 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen im August 2010 in
Köln statt. Mangels Berichterstattung in den Medien wurde diese Werbeveran-
staltung für das Thema „Homosexualität und Sport“ in Deutschland nur regio-
nal wahrgenommen.

Dennoch gilt es, diese zahlreichen Initiativen im Sport durch Bund und Länder
zu unterstützen, um die Entwicklung hin zu einem offenen Umgang mit Homo-
sexualität voranzutreiben. Zum einen ist staatlicher Schutz vor Diskriminierung
und ggf. Strafverfolgung erforderlich, wenn öffentliche Verunglimpfungen und
Übergriffe vorkommen. Es bedarf jedoch eines breiten Ansatzes nicht nur zur
Sensibilisierung von Leistungssportlern und Profivereinen, sondern intensiver
Bemühungen im Bildungssystem und der Jugendarbeit in den Sportvereinen. In
diesem Zusammenhang deutet eine „Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu
Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball“ unter dem Titel „Hetero,
weiß und männlich? Fußball ist viel mehr“ vom Mai 2011 darauf hin, dass die
Einstellungen bei Aktiven und Funktionären in den Sportvereinen hinter dem

differenzierten und kritischen Bild in den Medien zurückbleiben.

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Erst im Zuge eines allgemeinen Wandels der Einstellungen entsteht jedoch ein
gesellschaftliches Klima, in welchem auch Spitzensportlerinnen und Spitzen-
sportler selbstbewusst – auch öffentlich – ihre Homosexualität benennen wer-
den. Aufgrund ihrer Vorbildfunktion sind offen schwule und lesbische Spitzen-
sportlerinnen und Spitzensportler wünschenswert, um den Meinungswandel in
der Gesellschaft zu befördern. Sie verdienen Rückendeckung aus Politik und
Gesellschaft, wenn sie sich zu diesem Schritt entschließen.

Neben allgemeinen Bildungsbemühungen sind in dieser Frage vor allem Akti-
vitäten der Sportvereine vor Ort nötig. Viele Vereine sind damit allein überfor-
dert und bedürfen dazu fachlicher Beratung und Unterstützung durch Sportver-
bände und Behörden von Bund und Land.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Mittel für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) im Haushalt
2012 um 2,7 Mio. Euro auf den von der großen Koalition der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP avisierten Ansatz von 5,6 Mio. Euro zu erhöhen und
durch die ADS zusätzliche Aktivitäten im Bereich der Diskriminierung auf-
grund der sexuellen Identität zu entfalten;

2. die Übertragung von positiven Erfahrungen aus der Antirassismusarbeit des
DFB und der Fanprojekte zu fördern und zu diesem Zweck insbesondere
Kooperationsvorhaben zwischen Lesben- und Schwulenverbänden sowie
Sportvereinen oder Fanprojekten zu unterstützen;

3. die Fortbildung von Trainerinnen und Trainern sowie die Entwicklung von
Ausbildungskonzepten zur Sensibilisierung für das Thema Homosexualität
zu fördern. Über den Einsatz an den Bundesleistungszentren hinaus sollten
diese Konzepte und Materialien für die Jugendarbeit von Spitzenverbänden
und Sportvereinen zur Verfügung gestellt werden;

4. eine breit angelegte Kampagne für „Vielfalt“ im Sport anzuregen und zu
fördern, die an die erfolgreichen Antirassismus-Kampagnen vom DFB und
Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) anknüpft und ebenso stark für
die Vorbeugung gegen Homophobie wirbt. Eine Zusammenarbeit mit dem
Bündnis für Demokratie und Toleranz oder der Bundeszentrale für politische
Bildung wäre hier zu prüfen;

5. in Abstimmung mit den Ländern die Bildung eines dezentralen Netzes von
Beratungsstellen der Sportverbände zu fördern, an die sich von Diskriminie-
rungen betroffene homosexuelle Sportler und Sportlerinnen wenden können;

6. wissenschaftliche Forschung über die Mechanismen von „Homophobie im
Sport“ sowie mögliche Gegenstrategien, bspw. im Rahmen der Bundes-
stiftung Magnus Hirschfeld oder des Bundesinstituts für Sportwissenschaft,
gezielt zu fördern.

Berlin, den 29. November 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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