BT-Drucksache 17/7884

Deutsch-Französische Initiative zur Bekämpfung der Euro-Krise und zur Regulierung der Finanzmärkte starten

Vom 23. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7884
17. Wahlperiode 23. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Richard Pitterle, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Eva
Bulling-Schröter, Harald Koch, Ralph Lenkert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner,
Michael Schlecht, Sabine Stüber, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht und der
Fraktion DIE LINKE.

Deutsch-französische Initiative zur Bekämpfung der Euro-Krise und zur
Regulierung der Finanzmärkte starten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach einem Jahr Diskussion hat das Europäische Parlament am 28. September
2011 das sechs Rechtsakte umfassende Maßnahmenpaket über die „wirtschafts-
politische Steuerung“ der Europäischen Union (EU) angenommen.

Diese neuen Bestimmungen sind nicht nur ein nicht hinzunehmender Angriff
auf die Grundprinzipien der Demokratie, weil sie die Völker und Parlamente an
der Ausübung ihrer Souveränität hindern, sondern sie stellen auch eine neue
Stufe in der Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die Logik der Finanz-
märkte dar. Die bislang vorherrschende Strategie der Kürzungspolitik ist sozial
ungerecht und ökonomisch gescheitert. Vielmehr ist eine grundlegende Neuord-
nung des Finanzwesens überfällig, wie sie zuletzt von tausenden Teilnehmerin-
nen und Teilnehmern der weltweiten Proteste unter dem Motto „Occupy Wall
Street“, „Occupy Frankfurt“ und vielen anderen unüberhörbar eingefordert
wurde.

Was heute als Staatsschuldenkrise der Eurostaaten bezeichnet wird, ist in Wirk-
lichkeit ein Scheitern der Europäischen Währungsunion. In ihrer heutigen Form
ist die Währungsunion grundsätzlich falsch angelegt, weil sie den einheitlichen
Rahmen einer gemeinsamen Währung nicht mit einem Mindestmaß an politi-
scher Koordination verknüpft. Statt sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
auf wesentliche Eckpunkte für den gemeinsamen Währungsraum zu verständi-
gen, ist die Staatenkonkurrenz eines ihrer zentralen Leitmotive. Der vertraglich
festgehaltene Wettbewerbsdruck führt somit zu einem Unterbietungswettbe-
werb bei Steuern, Lohnkosten und Sozialstandards. Einen Wettbewerb – das ist
allgemein bekannt – können aber nicht alle gewinnen. Er lebt davon, dass es
Gewinner und Verlierer gibt. Wenn Staaten mit sehr unterschiedlichen Voraus-
setzungen, wie z. B. Deutschland und Griechenland, nach denselben Regeln ge-

geneinander antreten, ist das Ergebnis vorhersehbar.

Es sind insbesondere die deutsche Bundesregierung und die Deutsche Bundes-
bank, die sich in der EU vehement dagegen wehren, dass alle Staaten der Wäh-
rungsunion auf eine politische Koordination verpflichtet werden. Stattdessen
verfolgten die deutschen Bundesregierungen seit Mitte der 90er-Jahre nach in-
nen eine repressive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, um ihre europäischen

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„Partner“ zu unterbieten und ihnen Marktanteile abzunehmen. Besonders unter
der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung wurde durch den Sozialabbau der
Agenda 2010 („Hartz IV“) und durch den Ausbau des Niedriglohnsektors stark
dazu beigetragen, dass hierzulande seit Beginn der Europäischen Währungs-
union die Reallöhne im Gegensatz zu allen anderen Eurostaaten gesunken sind.
Innerhalb der Logik der Staatenkonkurrenz in der EU wird das dann als Wett-
bewerbsvorteil bezeichnet. Tatsächlich aber profitieren von dem enormen
deutschen Exportüberschuss nur die exportorientierten Unternehmen, Banken,
Finanzinstitute und deren Aktionäre. Die deutschen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, Rentnerinnen und Rentner und Erwerbslosen mussten den Gürtel
immer enger schnallen, damit in Deutschland so billig produziert werden
konnte. Unsere europäischen Partnerländer haben dadurch Marktanteile und
Arbeitsplätze verloren. Um den deutschen Export, und damit ihren Import,
finanzieren zu können, mussten sie sich immer mehr im Ausland verschulden.
In den letzten fünf Jahren hat Deutschland gegenüber den anderen EU-Staaten
knapp 600 Mrd. Euro an Leistungsbilanzüberschüssen erzielt. Das bedeutet,
dass der deutsche Exportboom und die wachsenden Schuldenberge in Griechen-
land, Portugal und anderen EU-Staaten zwei Seiten derselben Medaille sind.

Dass das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland fast vollständig von der
Außenwirtschaft abhängt, liegt also auch an der durch Lohndumping erheblich
geschwächten deutschen Binnennachfrage. Deutschland ist sehr stark auf die
Binnennachfrage seiner europäischen Nachbarn angewiesen, mit denen es
75 Prozent seines Exportüberschusses erzielt. Jetzt erweckt aber Dr. Angela
Merkel den falschen Eindruck, den gesamten EU-Raum mit der Übertragung
„deutscher Erfolgsrezepte“, wie der Schuldenbremse, der Flexibilisierung der
Löhne oder der Rente mit 67 retten zu können. Die Folge dieser politischen
Maßnahmen, die die Binnennachfrage in allen Eurostaaten schwächen würde,
wäre eine noch schwerere Krise der gesamten Eurozone. Es wäre ein Weg, der
gerade die steuerlichen und sozialen Rückschritte fördert, die der Ursprung für
die steigende Staatsverschuldung und den explosionsartigen Anstieg der
Ungleichgewichte in der EU sind.

Die Bezeichnung „Staatsschuldenkrise in der Eurozone“ ist noch aus einem
weiteren Grund völlig irreführend: Die meisten Staaten Europas und die USA
haben sich in den vergangenen Jahren stark verschulden müssen, um den
Zusammenbruch ihrer Finanzsysteme zu verhindern und durch Stützungs-
programme den Kollaps ihrer Realwirtschaften abzuwenden. Dafür tragen sie
insofern erhebliche Mitverantwortung, weil sie durch ihre Politik der Deregulie-
rung, durch die Umverteilung von unten nach oben und durch die Beförderung
der kapitalgedeckten Alterssicherung überhaupt erst die Bedingungen dafür
geschaffen haben, dass Groß- und Schattenbanken die Welt an den Rand des Ab-
grunds spekulieren konnten.

Offensichtlich hat die deutsche Bundesregierung aus der Krise wenig gelernt.
Statt die zentralen Krisenursachen, nämlich die Leistungsbilanzungleich-
gewichte und die ruinöse Wettbewerbspolitik in der EU, anzugehen, werden die
hilfesuchenden EU-Mitgliedstaaten zu einer brutalen Kürzungspolitik gezwun-
gen, die sie in Verarmung und Rezession treibt.

Statt in Deutschland endlich die Abwärtsspirale bei den Löhnen und Sozialtrans-
fers zu beenden und die Binnenwirtschaft zu beleben, werden die Krise und die
Staatsverschuldung als Vorwand für neue Haushaltskürzungen und gefährliche
Sparprogramme genutzt. Statt die Finanzmärkte endlich scharf zu regulieren
und als antidemokratischen Machtfaktor in die Schranken zu weisen, wird ihre
Vormundschaft noch gestärkt.

Der europäische Rettungsschirm, der im Sommer 2010 aufgespannt wurde,

hätte ein Wendepunkt in der Geschichte der EU werden können. Aber da der
Rettungsschirm an marktradikale Reformen und Sparprogramme gebunden ist,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7884

sind seine Kredite ein Rettungsring aus Blei: Infolge der Sparpakete brach die
griechische Wirtschaft 2010 um real 4,5 Prozent ein, Arbeitslosigkeit und
öffentliche Verschuldung stiegen weiter an.

Eine ganz andere Logik muss die Wirtschafts- und Währungspolitik der EU in
Zukunft leiten: basierend auf Solidarität, der Ankurbelung der Binnennachfrage
in ganz Europa, sozialen und ökologischen Mindeststandards und auf zielgerich-
teten Schutzmaßnahmen; ein Europa, das nicht von den Interessen der Konzerne
und der Finanzlobby bestimmt wird, sondern von den Interessen der breiten
Bevölkerung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich gemeinsam mit der französischen Regierung in Verhandlungen auf der
Ebene der EU und der Eurozone dafür einzusetzen,

1. dass ein europäischer Fonds für soziale, solidarische und ökologische Ent-
wicklung aufgelegt wird. Der Fonds soll öffentliche Vorhaben zur Schaffung
und Sicherung von Arbeitsplätzen, die Entwicklung von Ausbildung und
Forschung und den Umweltschutz finanzieren und den sozialen und ökologi-
schen Strukturwandel in den verschiedenen Ländern und Regionen der EU
fördern;

2. dass etwaige staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen für europäische Ban-
ken von einer Übernahme von dauerhaften Mehrheitsbeteiligungen der Staa-
ten am Kapital dieser Banken flankiert werden und dass die Staaten als Mehr-
heitseigner dafür sorgen, dass sich die Banken wieder auf ihr Kerngeschäft,
nämlich auf die Kreditversorgung von Wirtschaft und Gesellschaft, konzen-
trieren;

3. dass eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Die Bundesregierung
soll dazu einen mit der französischen Regierung abgestimmten Gesetzent-
wurf vorbereiten, der dem deutschen und dem französischen Parlament
zugleitet wird und für beide Staaten die Einführung einer Finanztransaktions-
steuer zum 1. Januar 2012 mit Steuersätzen von 0,1 Prozent für Aktien und
Schuldverschreibungen und 0,05 Prozent für alle anderen Transaktionen mit
Finanzinstrumenten und Devisen vorsieht;

4. dass EU-weit eine Sondervermögensabgabe für natürliche Personen erhoben
wird, deren Privatvermögen mehr als 1 Mio. Euro beträgt. Diese Abgabe soll
in den 27 Ländern der Europäischen Union eingeführt werden;

5. dass Leerverkäufe ebenso wie Credit Default Swaps und der Hoch-
frequenzhandel verboten werden;

6. dass der Over-The-Counter-Handel geschlossen und die Bewertung von
Staatsanleihen durch Ratingagenturen verboten werden.

Berlin, den 23. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1
Der europäische Fonds für soziale, solidarische und ökologische Entwicklung
wird unter anderem über eine europäische Bank für öffentliche Anleihen finan-

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ziert, über die Staatsanleihen der EU-Staaten bei der Europäischen Zentralbank
eingereicht werden und dadurch eine Möglichkeit der Staatsfinanzierung zu den
Konditionen der Geschäftsbanken geschaffen wird. Diese Bank ist daher ein
wichtiges Instrument, um die Finanzierung der Nationalstaaten nicht länger von
der Willkür und dem Wohlwollen der internationalen Finanzmärkte abhängig zu
machen.

Zu Nummer 3

Natürlich ist eine möglichst weltweite Einführung der Finanztransaktionssteuer
wünschenswert. Die derzeit laufenden Bemühungen, die Finanztransaktions-
steuer auf EU- bzw. Eurozonen-Ebene einzuführen, müssen unbedingt unter-
stützt werden. Dieser Prozess kann durch eine bilaterale Vorabeinführung der Fi-
nanztransaktionssteuer im kommenden Jahr in Deutschland und Frankreich
beschleunigt werden. Kriterium für die Erhebung der Finanztransaktionssteuer
wäre dann, wie bei dem von der Europäischen Kommission vorgelegten Vor-
schlag, der steuerliche Wohnsitz bzw. Geschäftssitz des Auftraggebers und nicht
der Ort, an dem die Transaktionen durchgeführt werden. Die Erträge dieser
Steuer sollen zur Hälfte für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern im
Rahmen von Programmen zur Armutsbekämpfung verwandt werden.

Zu Nummer 4

Da sich das Vermögen der Millionäre in der EU im Jahr 2010 auf ca. 8 000 Mrd.
Euro belief, würde eine entsprechende Abgabe alleine in der Eurozone Einnah-
men von vielen Milliarden Euro darstellen, mit denen die Mitgliedstaaten der
EU ihr Defizit in beträchtlicher Weise reduzieren könnten.

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