BT-Drucksache 17/7848

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht durch Einführung der Sonneborn-Regelung

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7848
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, Dr. Dagmar
Enkelmann, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel und
der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht
durch Einführung der Sonneborn-Regelung

A. Problem

Wahlen sind das konstituierende Merkmal einer Demokratie. Das Wahlrecht ist
„das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“ (BVerfG, Urteil
vom 23. Oktober 1951 – 2 BvG 1/51 = BVerfGE 1, S. 14, 33). Diametral zu
diesen unbestrittenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes steht des-
sen nunmehr 50-jährige ständige Rechtsprechung im Hinblick auf den Rechts-
schutz bei allen im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung
von Wahlen getroffenen Entscheidungen. „In Wahlangelegenheiten gilt der
Satz, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahl-
verfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechts-
behelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können“
(BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1960 – 2 BvQ 6/60 = BVerfGE 11,
(329 ff.); zuletzt BVerfG, Beschluss vom 24. August 2009 – 2 BvQ 50/09).
Nach der bisherigen Ausgestaltung des Bundeswahlgesetzes bedeutet dies, dass
gerichtlicher Rechtsschutz erst nach Durchführung der Wahl gewährt wird. In
den Fokus des öffentlichen Interesses rückte dieses Problem bei der Wahl zum
17. Deutschen Bundestag, als der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz,
Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (Die Partei) unter ihrem
Vorsitzenden Martin Sonneborn durch den Bundeswahlausschuss die Anerken-
nung als politische Partei versagt blieb. Die besondere Rechtslage hat jedoch
auch international Aufmerksamkeit erregt. Zu dieser Wahl schickte die Organi-
sation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erstmalig in der
Geschichte Wahlbeobachter nach Deutschland. In dem Abschlussbericht der
OSZE vom 14. Dezember 2009 wird nachdrücklich empfohlen, zumindest
einige grundlegende Entscheidungen, wie die Anerkennung von Vereinigungen
als Parteien oder die Kontrolle von ablehnenden Entscheidungen zu Kreiswahl-
vorschlägen und Landeslisten, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle vor der
Wahl zuzuführen (OSCE/ODIHR, „Election Assessment Mission Report –

Elections to the Federal Parliament (Bundestag), 27. September 2009“, S. 21).
Die mahnenden Worte der OSZE sowie die der verfassungsrechtlichen Litera-
tur zu diesem Thema wurden im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes nicht berücksichtigt.

Drucksache 17/7848 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

B. Lösung

Der Empfehlung der OSZE folgend, werden gegen die ablehnende Entschei-
dung des Bundeswahlausschuss über die Anerkennung von Vereinigungen als
Parteien, § 18 Absatz 2, 4 Nummer 2 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG), der
Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht sowie gegen ablehnende Entschei-
dungen von Kreiswahlvorschlägen durch die Landeswahlausschüsse, § 26 Ab-
satz 2 BWahlG, oder von Landeslisten durch den Bundeswahlausschuss, § 28
Absatz 2 BWahlG, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Bund, Länder und Gemeinden werden durch die Änderung nicht mit Kosten be-
lastet.

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Artikel 1
Änderung des Bundeswahlgesetzes

Das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das
zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geän-
dert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 49 wie
folgt gefasst:

„§ 49 Anfechtung und Rechtsweg“.

2. In § 19 wird das Wort „sechsundsechzigsten“ durch das
Wort „achtundfünfzigsten“ ersetzt.

3. Die §§ 26 und 28 werden wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 Satz 1 wird das Wort „achtundfünfzigs-
ten“ durch das Wort „fünfzigsten“ ersetzt.

b) In Absatz 2 Satz 5 wird das Wort „zweiundfünfzigs-
ten“ durch das Wort „vierundvierzigsten“ ersetzt.

c) In Absatz 3 wird das Wort „achtundvierzigsten“
durch das Wort „zweiunddreißigsten“ ersetzt.

4. § 29 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird das Wort „vierunddreißigsten“
durch das Wort „fünfundzwanzigsten“ ersetzt.

b) In Absatz 2 wird das Wort „dreißigsten“ durch das
Wort „einundzwanzigsten“ ersetzt.

c) In Absatz 3 wird das Wort „sechsundzwanzigsten“
durch das Wort „siebzehnten“ ersetzt.

5. § 49 wird wie folgt geändert:

a) Der Wortlaut wird Absatz 1.

b) Folgender Absatz 2 wird angefügt:

„(2) Gegen die ablehnende Entscheidung der Aner-
kennung einer Vereinigung als Partei (§ 18 Absatz 4
Nummer 2) ist die Beschwerde an das Bundesverfas-
sungsgericht zulässig. Werden Kreiswahlvorschläge
durch den Landeswahlausschuss (§ 26 Absatz 2) oder
Landeslisten durch den Bundeswahlausschuss (§ 28

Vorschriften des achten Abschnitts der Verwaltungs-
gerichtsordnung ist nicht durchzuführen.“

Artikel 2
Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes

Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473),
das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt ge-
ändert:

1. Dem Wortlaut des § 13 Nummer 3 werden folgende
Wörter vorangestellt:

„über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundes-
wahlausschusses, mit denen die Anerkennung einer Ver-
einigung als Partei abgelehnt wird (§ 18 Absatz 4 Num-
mer 2 des Bundeswahlgesetzes) sowie“.

2. Nach § 48 wird folgender § 48a eingefügt:

㤠48a

(1) Beschwerden gegen die Entscheidungen des Bun-
deswahlausschusses, mit denen die Anerkennung einer
Vereinigung als Partei abgelehnt wird (§ 18 Absatz 4
Nummer 2 des Bundeswahlgesetzes), sind binnen einer
Frist von drei Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung
einzulegen. Die Vorschrift des § 44 gilt entsprechend.
Die Beschwerde ist innerhalb dieser Frist zu begründen.

(2) Erweist sich die Beschwerde als begründet, so
stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Ver-
einigung für den Wahltag als politische Partei anzuer-
kennen ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht kann von einer
mündlichen Verhandlung absehen, wenn von ihr keine
weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist.“

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7848

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht
durch Einführung der Sonneborn-Regelung

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Absatz 2) zurückgewiesen, ist der Verwaltungsrechts-
weg gegeben. Ein Widerspruchsverfahren nach den

dürfen in einer Demokratie einer ununterbrochenen Legiti- lich (§ 48 Absatz 1 BVerfGG-E). § 48 Absatz 3 BVerfGG-E
mationskette von den Bürgerinnen und Bürgern zu den mit
staatlichen Aufgaben betrauten Organen (BVerfG, Beschluss
vom 15. Februar 1978 – 2 BvR 134/76 – = BVerfGE 47,

trägt der Eilbedürftigkeit der Prüfung Rechnung.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Drucksache 17/7848 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Die Begründung, mit der das BVerfG „unerbittlich auf der
Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens in dem durch § 49
BWahlG bestimmten Umfang besteht“ (Klein, in: Maunz/
Dürig, Grundgesetz, Artikel 41 Rn. 57) und dadurch einen ef-
fektiven Rechtsschutz vor Durchführung der Wahl verhin-
dert, beruht auf der Annahme, dass Artikel 41 GG in Verbin-
dung mit § 48 BVerfGG gegenüber Artikel 19 Absatz 4 GG
lex specialis sei (zuletzt BVerfG, Beschluss vom
24. August 2009 – 2 BvQ 50/09 – Rn. 11). Da es daher maß-
geblich auf die Ausgestaltung der Rechtsschutzmöglichkei-
ten im Bundeswahlgesetz ankommt, ist der Gesetzgeber auf-
gefordert, diesem Zustand abzuhelfen und den Rechtsweg zu
öffnen. Die Neuregelungen, insbesondere die Überprüfung
der Anerkennung als Partei, ist aus den unter Abschnitt B be-
nannten Gründen verfassungsrechtlich geboten.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Bundeswahlgesetzes)

Zu den Nummern 1 bis 4

Die Öffnung des Rechtsweges in § 49 BWahlG-E (siehe
Nummer 5) macht es erforderlich, die konkreten Fristen, die
im BWahlG angelegt sind, zu modifizieren. Da in Zukunft
die Entscheidung über die Anerkennung einer Vereinigung
als Partei, die ablehnenden Entscheidungen zu Kreiswahl-
vorschlägen und Landeslisten einer gerichtlichen Überprü-
fung zugänglich gemacht werden, müssen an diesen Stellen
die Zeiträume zwischen Bekanntgabe der Entscheidung und
den Folgemaßnahmen, wie die Einreichung der Wahlvor-
schläge, die auch vom Status als Partei abhängig sind (ver-
gleiche die §§ 19, 20 Absatz 2, § 27 Absatz 1 BWahlG), er-
weitert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass Be-
teiligten und Gerichten ein für eine substantiierte Befassung
notwendiges Zeitfenster zur Verfügung steht.

Zu Nummer 5 (Änderung § 49)

Gegen die abschließenden Entscheidungen der Landeswahl-
und des Bundeswahlausschusses hinsichtlich der Zulassung
der Kreiswahlvorschläge und der Landeslisten wird der Ver-
waltungsrechtsweg explizit eröffnet. Dieser Rechtsweg wird
von der einschlägigen Literatur ohnehin als eröffnet angese-
hen (vgl. m. w. N. Schenke, „Der gerichtliche Rechtsschutz
im Wahlrecht“, NJW 1981, 2440). Aus Gründen der Klar-
stellung wird die Notwendigkeit der Durchführung eines
Vorverfahrens i. S. von § 68 VwGO gemäß § 68 Absatz 2
Satz 1 erste Alternative VwGO ausgeschlossen.

Soweit die Anerkennung einer Vereinigung als Partei streitig
ist, wird explizit der Rechtsweg zum BVerfG zugelassen.
Staatliches Handeln und die Ausübung staatlicher Gewalt be-

tativen Demokratie u. a. durch Wahlen gewährleistet. Auf-
gabe der Parteien ist es dabei, an der politischen Willensbil-
dung der Bürgerinnen und Bürger mitzuwirken, Artikel 21 Ab-
satz 1 Satz 1 GG. Ihnen kommt eine Schlüsselfunktion als
Bindeglied zwischen Bürgerinnen und Bürger und Staat zu.
Parteien sind daher im Grundgesetz durch Artikel 21 GG in
den „Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“ mit
„verfassungsrechtlichen Status“ erhoben worden (ständige
Rechtsprechung seit BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 – 2
BvH 1/52 = BVerfGE 1, 208, 225). Aufgrund dieser heraus-
ragenden Bedeutung der Parteien für die Demokratie hat der
Verfassungsgesetzgeber Parteien eine besonders hohe
Schutz- und Bestandsgarantie eingeräumt, indem das Ent-
scheidungsmonopol über den Bestand der Partei beim
BVerfG liegt, Artikel 21 Absatz 2 Satz 2 GG. Vor diesem
Hintergrund ist es umso erstaunlicher und bedenklicher, dass
die Frage, ob eine Vereinigung überhaupt als Partei anzuer-
kennen ist, gerade in dem für die Demokratie so wesentlichen
Schlüsselakt der Wahl durch eine rein exekutive Maßnahme
ohne gerichtlichen Rechtsschutz entschieden wird. Die
OSZE weist zu Recht daraufhin, dass bereits die Bildung und
Zusammensetzung des für diese Entscheidung berufenen
Bundeswahlausschusses – der Bundeswahlleiter wird vom
Bundesministerium des Innern, § 9 Absatz 2 Satz 1 BWahlG,
ernannt, die Beisitzer aus den etablierten Parteien rekrutiert,
§ 9 Absatz 2 Satz 4 BWahlG – zu Interessenkonflikten führen
kann (a. a. O., S. 20). Nicht zuletzt kommt erschwerend
hinzu, dass die Rechtsgrundlagen für diese Feststellung einen
großen Beurteilungsspielraum eröffnen, vgl. § 2 Absatz 1
PartG, dessen Auslegung und Konkretisierung vornehmliche
Aufgabe von Gerichten ist. Zwar hat die Nichtanerkennung
als Partei nach § 18 BWahlG keine präjudizielle Wirkung auf
die sonstige Tätigkeit einer Vereinigung i. S. d. § 2 PartG als
Partei. Der Ausschluss von der Wahl steht einer Entscheidung
nach Artikel 21 Absatz 2 GG zu diesem Zeitpunkt jedoch im
Ergebnis gleich. Sie muss daher dem Bundesverfassungsge-
richt vorbehalten bleiben.

Zu Artikel 2 (Änderung des Bundesverfassungs-
gerichtsgesetzes)

Zu Nummer 1 (Änderung § 13)

Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sieht bisher ein Prü-
fungsverfahren gegen die Nichtanerkennung als Partei nicht
vor. Der Katalog der Verfahrensarten wird zunächst um ein
solches erweitert.

Zu Nummer 2 (§ 48a)

Durch diese Norm werden grundsätzliche Vorgaben für das
Prüfungsverfahren beim Bundesverfassungsgericht ge-
macht. Die engen zeitlichen Vorgaben für die Wahl und die
für das weitere Wahlverfahren notwendige Rechtssicherheit
machen kurze Antrags- und Begründungsfristen erforder-
(253 ff.)). Diese Legitimationskette wird in einer repräsen- Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
t mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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