BT-Drucksache 17/7741

Umstände der Rückführung von Gebeinen von Opfern deutscher Kolonialverbrechen nach Namibia und die Entschuldigungs- und Versöhnungsfrage

Vom 14. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7741
17. Wahlperiode 14. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Yvonne
Ploetz, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Umstände der Rückführung von Gebeinen von Opfern deutscher
Kolonialverbrechen nach Namibia und die Entschuldigungs- und
Versöhnungsfrage

Am 30. September 2011 wurden seitens der Berliner Charité 20 Totenschädel
von Opfern des deutschen Vernichtungsfeldzugs gegen die Völker der Herero,
Nama und Damara in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika an die
Vertreter/innen der Nachfahren dieser Opfer übergeben. Dies geschah im
Rahmen der Reise einer namibischen Delegation, die sich vom 26. September
2011 bis 3. Oktober 2011 in Berlin aufhielt. Sie setzte sich im Kern aus Ver-
treterinnen und Vertretern der Opfergruppen der Herero und Nama zusammen
und wurde vom namibischen Minister für Jugend, Nationale Dienste, Sport und
Kultur Kazenambo Kazenambo geleitet. Unter den Mitreisenden befanden sich
neben den Chiefs auch Parlamentsabgeordnete, Regierungsbeamte und der Ar-
beitgeberpräsident.

Der Großteil der Fachhistoriker/-innen analysiert den Vernichtungsfeldzug des
deutschen Kaiserreichs gegen die Herero, Nama und Damara zwischen 1904
und 1908 als ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Insofern ist die Rück-
führung von geraubten Gebeinen aus dieser Zeit untrennbar mit der Frage
nach einer offiziellen Anerkennung als Völkermord und einer offiziellen
Entschuldigung seitens der Bundesregierung als Rechtsnachfolgerin des Deut-
schen Kaiserreichs für das den Herero, Nama und Damara zugefügte Leid
verbunden.

Am 28. September 2011 organisierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus acht
deutschen Nichtregierungsorganisationen eine Podiumsdiskussion zum Thema
„Zeugen des deutschen Völkermords in Namibia“ im Berliner Haus der Kul-
turen der Welt (www.africavenir.org/de/projektkooperationen/restitution-nam-
gebeine.html). Zu dieser wurden sowohl die namibische Delegation eingeladen,
als auch Vertreter der Bundesregierung und aller im Deutschen Bundestag vertre-
tenen Parteien. Allerdings verweigerten Bundesregierung (Auswärtiges Amt,
Kulturstaatsminister) und Koalitionsparteien die Teilnahme an dieser Diskussion.

Der Einladung gefolgt waren Bundestagsabgeordnete der SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und DIE LINKE.

Trotzdem die Bundesregierung die „historische und moralische Verantwortung
Deutschlands“ gegenüber Namibia und die daraus resultierenden Sonder-
beziehungen stets betont, wurden weder der namibische Kulturminister noch
die Delegation bei Ankunft oder während ihres Aufenthalts in Berlin von offi-
zieller deutscher Seite empfangen. Auch entsandte die Bundesregierung keinen

Drucksache 17/7741 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Vertreter, um an dem am 29. September 2011 angesetzten Gedenk- und
Versöhnungsgottesdienst in der St. Matthäuskirche unter Leitung von Bischof
Dr. Zephania Kameeta beizuwohnen. Die Übergabezeremonie am 30. Septem-
ber 2011 wurde von der Berliner Charité und nicht der Bundesregierung orga-
nisiert und durchgeführt. Als Konsequenz dieses diplomatischen Faux Pas
weigerte sich Kulturminister Kazenambo Kazenambo, die Totenschädel als
Vertreter der namibischen Regierung aus den Händen der deutschen Landesins-
titution Charité in Empfang zu nehmen. Dies übernahm schließlich die anwe-
sende Vertreterin des namibischen Nationalmuseums.

Lediglich zur Übergabe der 20 Totenschädel am 30. September 2011 erschien
die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, um als Gast eine
Rede im Namen der Bundesregierung zu halten (www.auswaertiges-amt.de/DE/
Infoservice/Presse/Reden/2011/110930-StMPieper-Rede-HereroNama.html).
Bei dieser Rede ließ die Bundesregierung abermals eine Chance ungenutzt, die
begangenen Gräueltaten als solche zu benennen und sich offiziell dafür zu ent-
schuldigen. Ohne sich die folgenden Reden des namibischen Kulturministers
und der Oberhäupter der Herero und Nama anzuhören, verschwand Staatsminis-
terin Cornelia Pieper nach ihrer eigenen Rede sofort durch eine Hintertür und
provozierte hierdurch einen Eklat.

Durch ihr Verhalten vermied die Bundesregierung nicht nur den Dialog mit der
namibischen Seite, sie verweigerte ihn sogar mehrfach aktiv. Auch ein dring-
licher Brief des außenpolitischen Sprechers der Fraktion DIE LINKE. Wolfgang
Gehrcke an den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Werner Hoyer, nach
einem Treffen zwischen Delegationsmitgliedern und Mitgliedern der Fraktion
DIE LINKE. am 29. September 2011 blieb unbeantwortet und ohne Wirkung. Im
Nachgang wird nun versucht, die Ereignisse umzudeuten und der namibischen
Seite die Schuld am diplomatischen Debakel zu geben. So sagte der deutsche
Botschafter Egon Kochanke bei der Ankunft der Gebeine in Namibia: „There
were private programmes organised by German civil society and minority parties
in parliament who are in the opposition and you can not expect that the German
government is represented there (…) if you want to have real reconciliation and
cooperation, then the only way is working with the German government instead
of working with those you think are your friends.“ (New Era, 5. Oktober 2011:
www.newera.com.na/article. php?articleid=40998).

Am 3. November 2011 wies der namibische Außenminister Utoni Nujoma die
mehrfach seitens der Bundesregierung wiederholte Aussage zurück, dass die
„namibische Regierung (…) die Frage der Wiedergutmachung bisher nicht im
Rahmen eines offiziellen Dialogs gegenüber der Bundesregierung thematisiert“
habe und dass sie „sich der Bundesregierung gegenüber die vom namibischen
Parlament mit Entschließung vom Oktober 2006 unterstützten Entschädigungs-
forderungen der Herero nicht zu eigen gemacht“ hätte (Antwort der Bundes-
regierung zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 17/6227 und zu Frage 4 auf
Bundestagsdrucksache 17/6813). In der namibischen Presse heißt es: „The
Namibian Government has not failed to take ownership oft the demand for com-
pensation for the 1904 to 1908 genocide (…) Nujoma said the matters of the ge-
nocide and reparations have been discussed on several occasions during Speaker
Theo-Ben Gurirab’s visit to Germany in 2007 (…) Government has also met
with consecutive German ambassadors to Namibia to pursue the inter-parlia-
mentary dialogue forum, but to no avail. Nujoma said he himself has also on
numerous occasions tried to raise the reparation issues on his visits to Germany.
(…) ‘The Namibian Government believes that national reconciliation can be
hindered significantly if the issues are not addressed in the comprehensive
manner. This is primarily because omitting this relevant chapter of our history
may lead to future tensions between Namibians and German nationals as well as

domestically with German-speaking Namibians’, said Nujoma.“ (The Nami-
bian, 3. November 2011: www.namibian.com.na/index.php?id=28&tx_ttnews

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7741

[tt_news]=89520&no_cache=1) Das Auswärtige Amt bekräftigte zeitgleich zu
diesen Aussagen die hierzu im Widerspruch stehende Aussage: „Die Bundes-
regierung ist sich mit der namibischen Regierung darin einig, dass die Schädel-
Rückführung nicht politisch und emotional für die Unterstützung der Forderung
nach Anerkenntnis eines Völkermords seitens der Bundesregierung und daraus
abgeleiteter Wiedergutmachungsansprüche instrumentalisiert werden darf.“
(Auswärtiges Amt: „Sachstand: Rückgabe der Herero-Schädel an Namibia“,
November 2011).

Wir verweisen als weitere Einleitung auf die Vorbemerkungen der Kleinen An-
fragen vom 30. Mai 2011 und 3. August 2011 (Bundestagsdrucksachen 17/6011
und 17/6754). Die in der Antwort auf die erste Kleine Anfrage (Bundestags-
drucksache 17/6011) zum Ausdruck gebrachte Tendenz der Bundesregierung,
auf konkrete Fragen nur allgemein, ausweichend oder gar nicht zu antworten,
hat sich in der Antwort auf die zweite Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache
17/6754) noch verschärft. Deshalb übermittelte die Parlamentarische Geschäfts-
führerin der Fraktion DIE LINKE. am 14. September 2011 eine Beschwerde an
das Auswärtige Amt. Die Antwort vom 29. November 2011 durch die Staats-
ministerin Cornelia Pieper fiel abermals nicht befriedigend aus. Auch deshalb
stellen wir nun diese erneute Kleine Anfrage.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Woraus leitet sich nach Ansicht der Bundesregierung qualitativ das „Beson-
dere“ der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands gegen-
über Namibia ab, im Unterschied zu anderen ehemaligen deutschen Kolo-
nien wie beispielsweise Togo und Ghana (Togoland), Tanzania, Ruanda und
Burundi (Deutsch-Ostafrika) und Kamerun?

2. Inwiefern teilt die Bundesregierung die im einstimmig angenommenen
Beschluss vom 16. Juni 2005 (Plenarprotokoll 15/181) zum Antrag der Frak-
tionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP mit dem
Titel „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den
Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und
Armeniern beitragen“ (Bundestagsdrucksache 15/5689) enthaltenen Aus-
sagen bezüglich des Völkermords an den Armeniern:

a) „Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Orga-
nisationen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als
Völkermord. Die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs, die Repu-
blik Türkei, bestreitet bis heute entgegen der Faktenlage, dass diesen Vor-
gängen eine Planmäßigkeit zugrunde gelegen hätte bzw. dass das Mas-
sensterben während der Umsiedlungstrecks und die verübten Massaker
von der osmanischen Regierung gewollt waren“?

b) „Diese fast vergessene Verdrängungspolitik des Deutschen Reiches zeigt,
dass dieses Kapitel der Geschichte auch in Deutschland bis heute nicht
befriedigend aufgearbeitet wurde“?

3. Inwieweit bestreitet oder stimmt die Bundesregierung zu, dass der Ver-
treibung und Vernichtung der Herero, Nama und Damara durch deutsche
Kolonialtruppen eine Planmäßigkeit zugrunde gelegen hat bzw. dass das
Massensterben während der Vertreibungen und in deutschen Konzentra-
tionslagern und die verübten Massaker von der deutschen Reichsregierung
gewollt waren?

Drucksache 17/7741 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung zahlreicher Historike-
rinnen und Historiker und internationaler Organisationen, die die damaligen
Vorgänge bezüglich der Vertreibung und Vernichtung der Herero, Nama und
Damara durch deutschen Kolonialtruppen als Völkermord bezeichnen, so
wie es auch die Bundesministerin a. D. Heidemarie Wieczorek-Zeul in ihrer
Rede vom 14. August 2004 in Namibia tat: „Die damaligen Gräueltaten
waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde“?

5. Teilt die Bundesregierung die unterschiedliche Bewertung des Deutschen
Bundestages der osmanisch-türkischen Gräueltaten an den Armeniern und
der deutschen Gräueltaten an den Herero, Nama und Damara insofern, dass
dieser erstere als Völkermord bezeichnet und anerkennt und letztere bis-
lang nicht als Völkermord bezeichnen oder anerkennen will (vgl. Ableh-
nung des Antrags „Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen
Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika“, Bundestags-
drucksache 16/4649)? Wenn ja, warum und wie begründet sie dies?

6. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es im Hinblick
auf die grausame und menschenverachtende Kolonialpolitik des Deutschen
Kaiserreichs, ebenso wie im Falle des Völkermords an den Armeniern, eine
fast vergessene Verdrängungspolitik des Deutschen Reiches und seiner
Nachfolgestaaten gibt und dieses Kapitel der Geschichte in Deutschland
bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet wurde?

7. Warum hat Staatsministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011 im
Rahmen ihrer in der Berliner Charité gehaltenen Rede keine offizielle
Entschuldigung seitens der Bundesregierung für die durch das Deutsche
Kaiserreich zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika verübten
Gräueltaten, die gemeinhin als Völkermord gelten, ausgesprochen?

8. Inwieweit kommt eine offizielle Entschuldigung seitens der Bundesregie-
rung bezogen auf die Gräueltaten deutscher Kolonialtruppen an Herero,
Nama und Damara aus Gründen der damit möglicherweise verbundenen
Entschädigungsforderungen und -verpflichtungen nicht in Frage?

9. Käme für die Bundesregierung eine offizielle Entschuldigung für die
deutschen Verbrechen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika
dann in Frage, wenn sich die namibische Regierung und die Opfergruppen
der Herero, Nama und Damara verpflichten würden, keine Entschädi-
gungsforderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, deren Insti-
tutionen und deutschen Unternehmen zu stellen?

10. Treffen die Aussagen des namibische Außenministers Utoni Nujoma vom
3. November 2011 zu, dass die Fragen des von einigen Historikern bezeich-
neten Völkermords und von Reparationen im Rahmen mehrerer Gelegenhei-
ten während des Deutschlandbesuchs von Parlamentspräsident Dr. Theo-Ben
Gurirab 2007 diskutiert wurden und er selbst mehrfach versucht habe, die
Wiedergutmachungsfragen während seiner Deutschlandbesuche anzuspre-
chen (vgl. The Namibian, 3. November 2011: www.namibian.com.na/index.
php?id=28&tx_ttnews[tt_news]= 89520&no_cache=1)?

11. Wie sind diese Ausführungen des namibischen Außenministers Utoni
Nujoma vom 3. November 2011 in Einklang zu bringen mit der dazu im
Widerspruch stehenden mehrfach bekräftigten Aussage der Bundesregie-
rung, die „namibische Regierung hat sich bisher die Reparationsforderun-
gen nicht zu eigen gemacht“ und „die Frage der Wiedergutmachung bisher
nicht im Rahmen eines offiziellen Dialogs gegenüber der Bundesregierung
thematisiert“ (vgl. Antworten zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 17/
6227 und zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 17/6813)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7741

12. Zu welchen Anlässen, bei welchen Treffen und zu welchen Zeitpunkten
wurden die Fragen von Völkermord und Reparationen mit Vertretern der
namibischen Regierungen seit 2004 seitens der namibischen oder deut-
schen Regierungen thematisiert oder besprochen, und was waren die
genauen Inhalte dieser Gespräche, vor allem im Hinblick darauf, dass sich
die Bundesregierung nach eigener Aussage „in einem regelmäßigen Dialog
mit der namibischen Regierung über sämtliche Aspekte der Beziehungen
zwischen Deutschland und Namibia“ befinde (vgl. Antwort zu Frage 7 auf
Bundestagsdrucksache 17/6813)?

13. Was genau wurde im Hinblick auf die Fragen von Völkermord und Repara-
tionen mit dem namibischen Parlamentspräsidenten Dr. Theo-Ben Gurirab
während seines Deutschlandbesuchs 2007 besprochen, und mit welchem
Ergebnis, nachdem die namibische Nationalversammlung in einem einstim-
migen Beschluss 2006 die Gräueltaten als Völkermord anerkannt und Ver-
handlungen über Wiedergutmachung und einen offiziellen Dialog zwischen
beiden Ländern hierüber gefordert hat?

14. Was genau wurde im Hinblick auf die Fragen von Völkermord und Repara-
tionen mit dem namibischen Außenminister Utoni Nujoma während seiner
Deutschlandbesuche besprochen, zu welchen Zeitpunkten, und mit welchem
Ergebnis?

15. Was genau wurde seit dem erwähnten Beschluss der namibischen National-
versammlung in 2006 im Hinblick auf die von namibischer Seite ge-
wünschte Fortsetzung und Vertiefung des interparlamentarischen Dialogs
zwischen den deutschen Botschaftern und der namibischen Regierung be-
sprochen, zu welchen Zeitpunkten und mit welchem Ergebnis?

16. Welche Gründe gab es für die Bundesregierung, die namibische Dele-
gation, angeführt von Kazenambo Kazenambo, Minister für Jugend, Natio-
nale Dienste, Sport und Kultur in Namibia,

a) nicht offiziell durch den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin, den
Bundesaußenminister oder den Kulturstaatsminister empfangen zu las-
sen,

b) nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechend, zwischen der
Ankunft der namibischen Delegation am 26. September 2011 und der
Übergabe der Totenschädel am 30. September 2011 staatsoffiziell zu be-
grüßen, zu empfangen und sie zu einem offenen Dialog mit der Bundes-
regierung einzuladen?

17. Welche konkreten Termine haben die Bundeskanzlerin, der Bundesminister
des Auswärtigen, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung und der Kulturstaatsminister zwischen dem 26. und
30. September 2011 wahrgenommen, so dass keiner von ihnen den namibi-
schen Minister Kazenambo Kazenambo und die Delegation im Vorfeld des
30. September 2011 empfangen bzw. an der Podiumsdiskussion am
28. September 2011, am Gedenkgottesdienst am 29. September 2011 oder
an der feierlichen Übergabezeremonie am 30. September 2011 teilnehmen
konnte?

18. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass sie dem wiederholt
und mit Nachdruck vorgetragenen Bekenntnis zum schweren historischen
Erbe, der daraus resultierenden moralischen und historischen Verantwor-
tung Deutschlands gegenüber Namibia und der Sonderbeziehung zwischen

Drucksache 17/7741 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

den beiden Staaten gerecht wird, wie es die Staatsministerin Cornelia
Pieper am 30. September 2011 auch in ihrer Rede erneut betonte, wenn

a) statt eines gleichrangigen Bundesministers lediglich die Staatsministe-
rin Cornelia Pieper zur Übergabe der 20 Totenschädel im Beisein des
namibischen Ministers Kazenambo Kazenambo zur Berliner Charité
entsandt wurde,

b) der offizielle Gastgeber der Übergabezeremonie der Gebeine die Ber-
liner Charité war und damit nicht die Bundesregierung,

c) die Staatsministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011 lediglich
Zeit erübrigen konnte, um ihre eigene Rede bei der Übergabezeremonie
vorzutragen, aber nicht, um der Rede des namibischen Ministers für
Jugend, Nationale Dienste, Sport und Kultur und den folgenden Anspra-
chen der Chiefs und Sprecher der Herero und Nama zuzuhören?

19. Inwiefern hat die Bundesregierung entsprechend ihrer zuvor stets erklärten
Bereitschaft zur Kostenübernahme (siehe Antworten zu Frage 8 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/6227 und zu Frage 13 auf Bundestagsdrucksache 17/
6813) und aufgrund der „besonderen historischen und moralischen Verant-
wortung“ Deutschlands gegenüber Namibia von sich aus der namibischen
Regierung und den Opfergruppen eine Übernahme der anfallenden Reise-
und Transportkosten der Delegation und der 20 Totenschädel angeboten?

20. Welche Kosten und Aufgaben hat die Bundesregierung für die Reise der
namibischen Delegation und die Rückführung der Gebeine übernommen,
bzw. in welcher Höhe hat sich die Bundesregierung konkret an welchen an-
gefallenen Kosten im Zusammenhang mit der Delegationsreise, Übergabe
und Rückführung der 20 Totenschädel nach Namibia beteiligt,

a) für Visa, Anreise, Übernachtung, Verpflegung, Programm, das Busunter-
nehmen, die beiden Zeremonien (St. Matthäuskirche und Charité) etc.,
der Delegationsmitglieder sowie die Transportkosten der Gebeine (bitte
konkret aufgeschlüsselt in Euro und auch nach Verpackungs- und Trans-
portkosten etc. auflisten),

b) im Bereich der notwendigen Verwaltungsabläufe (z. B. die für die Über-
führung erforderlichen offiziellen Formulare und Dokumente, die be-
arbeitet werden müssen etc.)?

21. Sollte die Bundesregierung die Kosten und Aufgaben im Zusammenhang
mit der Delegationsreise und Rückführung der Gebeine nach Namibia nicht
oder nur teilweise übernommen haben, wer war für welchen Teil der Rück-
gabe verantwortlich, bzw. wer hat welchen Teil logistisch, verwaltungs-
technisch und der Kosten übernommen?

22. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass

a) die finanzielle Unterstützung der Rückführung der Gebeine und eine
würdige Übergabe- bzw. Bestattungszeremonie eine großzügige Geste
der bundesdeutschen Seite gegenüber Namibia und den Nachfahren der
Opfer ist, obwohl die Köpfe der zwischen 1904 und 1908 bei Auf-
ständen gegen die Kolonialherrschaft der Deutschen ermordeten Herero,
Nama und Damara von Deutschen nach Deutschland verbracht und für
ihre Rassenforschung benutzt worden sind,

b) es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, die kompletten Kosten für die
Rückübertragung der geraubten menschlichen Überreste seitens der
Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7741

23. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, die von Deutschland
seit der Unabhängigkeit der Republik Namibia für die Entwicklungszusam-
menarbeit bereitgestellten Mittel würden vor allem einem Appeasement
und einer Ruhigstellung gegenüber Namibia dienen, um Maßnahmen zur
Umverteilung des seit der Kolonialzeit immer noch zu 80 Prozent im Be-
sitz der weißen Minderheit befindlichen kommerziellen Farmlands zu ver-
meiden?

24. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Entschädigung für Ent-
eignung und Völkermord etwas gänzlich anderes ist als Entwicklungs-
zusammenarbeit, insbesondere weil die Festlegung der Mittelverwendung
aus einer Entschädigung im Gegensatz zur an Bedingungen und Rechen-
schaftslegung geknüpften Verwendung von Mitteln aus der Entwicklungs-
zusammenarbeit allein Sache des Empfängers ist und die Entschädigungs-
geber lediglich sicherzustellen haben, dass die Entschädigung wie vom
Empfänger gewünscht verwendet wird?

25. Welche deutschen Unternehmen waren nach Kenntnis der Bundesregierung
während der Kolonialherrschaft in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika
aktiv, und welche Kooperationen gab es zwischen diesen Unternehmen, der
deutschen Kolonialverwaltung und den deutschen „Schutztruppen“ beim
Erwerb von Land, bei der Enteignung und Vertreibung der einheimischen
Bevölkerung und bei der Zuführung, Aufsicht und Disziplinierung ein-
heimischer Zwangsarbeiter in diesen deutschen Unternehmen?

26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aussage, die „deutsche
Kolonialvergangenheit ist und wird durch die Geschichtswissenschaft in
differenzierter Weise erforscht“ und deshalb sei die „Schaffung einer
Stiftung bzw. eines Fonds zur Aufarbeitung der deutschen Kolonial-
geschichte, der von der Bundesregierung und deutschen Unternehmen
gespeist würde (…) nicht geplant“ (Antwort zu Frage 23 auf Bundestags-
drucksache 17/6813) in einem Widerspruch dazu steht, dass der „Bundes-
regierung (…) keine eigenen Erkenntnisse (vorliegen), ob und in welchem
Umfang deutsche Unternehmen im damaligen Deutsch-Südwestafrika von
Zwangsarbeit und Enteignungen profitiert haben“ (Antwort zu Frage 9 auf
Bundestagsdrucksache 17/6813)?

27. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung konkret zu ergreifen,
um die deutsche Kolonialvergangenheit in angemessener Weise auch für
sich selbst aufzuarbeiten und in diesem Zusammenhang herauszufinden, ob
und in welchem Umfang deutsche Unternehmen im damaligen Deutsch-
Südwestafrika von Zwangsarbeit und Enteignungen profitiert haben?

28. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sie über den
durch sie herbeigeführten diplomatischen Eklat sowie durch das Aus-
bleiben einer offiziellen Entschuldigung, Meinungen besonders bei weißen
deutschstämmigen Namibiern befördert, die den von namibischer Seite
betriebenen Aufwand für die Rückführung der 20 Totenschädel für über-
trieben und die Geschichte über die intendierte und weitgehend erfolgte
Vernichtung der Herero, Nama und Damara für „aufgebauscht und
fabriziert“ halten (vgl. u. a. www.az.com.na/leserbriefe/andere-leben-am-
existenzminimum.135336.php)?

29. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Ausbleiben
der unmissverständlichen Bitte um Entschuldigung für die Gräueltaten an
den Herero, Nama und Damara auch und insbesondere den bis heute in
Namibia lebenden weißen deutschstämmigen Namibiern schadet, da ihr
Verhältnis zu und die Versöhnung mit den Nachfahren der Opfergruppen
empfindlich gestört wird – auch weil ihre Anwesenheit nicht zuletzt Folge

des Vernichtungskrieges und Landenteignung unter der deutschen Kolo-
nialherrschaft ist?

Drucksache 17/7741 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

30. In welcher Form hat sich die Bundesregierung an den von Staatsministerin
Cornelia Pieper in ihrer Rede vom 30. September 2011 in der Berliner
Charité aufgeführten, durchweg von zivilgesellschaftlichen Gruppen ini-
tiierten „Gesten, die deutlich machen, dass es uns Deutschen mit der
Bitte um Versöhnung ernst ist“ konkret beteiligt und inwiefern hat sie „die
Umbenennung von Straßen mit kolonialer Namensgebung in mehreren
deutschen Städten, die Umwidmung des Kolonial-„Ehrenmals“ in ein Anti-
kolonialdenkmal in Bremen oder zuletzt 2009 die feierliche Enthüllung des
Namibia-Gedenksteins auf dem Garnisonsfriedhof in Berlin-Neukölln“
finanziell, organisatorisch oder politisch unterstützt?

31. Inwieweit sieht die Bundesregierung in dem erwähnten 2009 feierlich ent-
hüllten Namibia-Gedenkstein auf dem Garnisonsfriedhof in Berlin-Neu-
kölln,

a) in dem in unterschiedsloser und verharmlosender Weise allgemein der
Opfer des „Kolonialkrieges“ gedacht wird, also auch der deutschen
Kolonialsoldaten, die als Täter für den Vernichtungskrieg gegenüber
den Herero, Nama und Damara verantwortlich waren, eine „Erinne-
rungs- und Versöhnungsarbeit für die während der Kolonialzeit ver-
übten Gräueltaten“ und ein Zeichen, „dass es uns Deutschen mit der
Bitte um Versöhnung ernst ist“ (vgl. Rede von Staatsministerin Cornelia
Pieper vom 30. September 2011)?

b) sowie dem unmittelbar daneben befindlichen wuchtigen Gedenkstein
für die gefallenen Berliner Kolonialsoldaten, die am Vernichtungskrieg
im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika aktiv beteiligt waren, ein Sym-
bol für die Schieflage im historischen Verständnis des deutschen Ver-
nichtungskriegs gegen die Herero, Nama und Damara und eine falsche
Gewichtung zwischen Tätern und Opfern?

32. Inwieweit sieht die Bundesregierung in ihrer expliziten Intervention von
2009, die damals verhinderte, dass auf dem erwähnten Namibia-Gedenk-
stein weder der Begriff „Völkermord“ noch die Zahl der ermordeten afrika-
nischen Männer, Frauen und Kinder erwähnt werden, eine der „Gesten,
die deutlich machen, dass es uns Deutschen mit der Bitte um Versöhnung
ernst ist“ und eine angemessene „Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit für
die während der Kolonialzeit verübten Gräueltaten“, wie es in der Rede
von Staatsministerin Cornelia Pieper vom 30. September 2011 heißt?

33. Inwieweit sieht die Bundesregierung in den (getöteten) deutschen Kolo-
nialsoldaten, die sich an den Verbrechen wie Vertreibung, Enteignung und
Massakern mitschuldig gemacht haben, „Opfer von Krieg“?

34. Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Aussage der Staatsministerin
Cornelia Pieper: „Wir gedenken anlässlich des heutigen Rückgabeaktes der
Opfer von Krieg und Gefangenschaft“

a) nicht nur ein fragwürdiges unterschiedsloses Gedenken an Opfer und
Täter des deutschen Vernichtungskriegs in der ehemaligen Kolonie
Deutsch-Südwestafrika, sondern darüber hinaus auch eine Relativierung
der Verbrechen der Täter gegenüber den Opfern,

b) trotz des darin zum Ausdruck kommenden unterschiedslosen Geden-
kens an Opfer und Täter des deutschen Vernichtungskriegs eine Bitte
der Bundesregierung an die namibische Bevölkerung um Versöhnung
und ein Zeichen dafür, dass Deutschland und die Deutschen ihre Ver-
gangenheit kennen und für eine „Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit
für die während der Kolonialzeit verübten Gräueltaten“ eintreten, sowie
dafür, „dass es uns Deutschen mit der Bitte um Versöhnung ernst ist“

(vgl. Rede von Staatsministerin Cornelia Pieper vom 30. September
2011)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/7741

35. Welche konkreten Maßnahmen und Initiativen hat die Bundesregierung zur
Aufarbeitung der „Kolonialzeit“ und dem „Kolonialkrieg“ im ehemaligen
Deutsch-Südwestafrika ergriffen und unterstützt, und welche wird sie in
Zukunft ergreifen und unterstützen, damit diese „Teil des deutschen Be-
wusstseins und vieldiskutierter Gegenstand des gegenwärtigen politischen,
gesellschaftlichen und geschichtswissenschaftlichen Diskurses“ werden
(vgl. Rede von Staatsministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011)?

36. Woraus leitet die Bundesregierung ihre Erkenntnis konkret ab, dass „Kolo-
nialzeit und der Kolonialkrieg (…) Teil des deutschen Bewusstseins und
vieldiskutierter Gegenstand des gegenwärtigen politischen, gesellschaft-
lichen und geschichtswissenschaftlichen Diskurses“ sind (Rede von Staats-
ministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011)?

37. Sind in den kommenden Jahren weitere Repatriierungen menschlicher
Überreste namibischen Ursprungs aus deutschen Sammlungen und Archi-
ven nach Namibia vorgesehen?

Wenn ja, aus welchen Sammlungen und Archiven genau, an welchen Orten,
und zu welchen genauen oder ungefähren Zeitpunkten, und inwiefern wird
sich die Bundesregierung konkret an der kommenden sowie den dann mög-
licherweise weiter folgenden Übergaben finanziell, logistisch, politisch und
personell beteiligen?

Berlin, den 14. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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