BT-Drucksache 17/7638

Ratingagenturen besser regulieren

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7638
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, Peter
Aumer, Ralph Brinkhaus, Olav Gutting, Manfred Kolbe, Patricia Lips, Dr. h. c. Hans
Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Stefan Müller (Erlangen), Eduard Oswald,
Norbert Schindler, Dr. Frank Steffel, Christian Freiherr von Stetten, Anje Tillmann,
Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Björn
Sänger, Dr. Birgit Reinemund, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Frank Schäffler,
Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Ratingagenturen besser regulieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ratingagenturen haben wesentlich zur Verschärfung der Finanz- und Wirt-
schaftskrise beigetragen. Sie haben die sich verschlechternde Wirtschafts- und
Marktlage nicht früh genug erkannt und in ihren Ratings berücksichtigt. Das gilt
vor allem für den Bereich komplexer Verbriefungsprodukte. Aber auch die Nut-
zer von Ratings haben sich zu sehr allein auf die Bewertungen der Ratingagen-
turen verlassen, ohne ihren Investitionsentscheidungen eine eigene ausreichende
Bewertung der Risiken zu Grunde zu legen.

Ratings sind und bleiben für viele Marktteilnehmer nützlich und notwendig,
haben aufgrund der Expertise der Agenturen eine wichtige Orientierungsfunk-
tion als zweite Meinung. Ratings wirken sich erheblich auf die Märkte aus, sind
Grundlage für das Vertrauen von Anlegern und Verbrauchern. Eine effiziente
Regulierung und Aufsicht des Ratinggeschäfts ist daher unverzichtbar. Rating-
aktivitäten müssen im Einklang mit den Grundsätzen der Integrität, Transpa-
renz, Rechenschaftspflicht und guter Unternehmensführung durchgeführt wer-
den. Die in der Europäischen Gemeinschaft verwendeten Ratings müssen unab-
hängig, objektiv und von hoher Qualität sein.

In einem ersten Schritt wurde in der EU mit der am 7. Dezember 2009 in Kraft
getretenen Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen (Ratingver-
ordnung) der Grundstein für die Regulierung, Beaufsichtigung und Registrie-
rung von Ratingagenturen gelegt. Allerdings wurden darin nicht alle grundle-
genden Probleme abgehandelt. Die von der Europäischen Kommission eingelei-

tete Überprüfung bestimmter Aspekte des derzeitigen Regulierungsrahmens für
Ratingagenturen ist daher zu begrüßen.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die laufenden Arbeiten zur Regulierung der
Ratingagenturen auf globaler, internationaler und europäischer Ebene.

Drucksache 17/7638 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Rahmen der von der Europäischen Kommission eingeleiteten Über-
prüfung bestimmter Aspekte des derzeitigen Regulierungsrahmens für Rating-
agenturen dafür einzusetzen,

1. die Verknüpfung regulatorischer Vorgaben mit externen Ratings zu vermin-
dern,

2. Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die einen umfassenden Wettbewerb
im Ratingmarkt ermöglichen,

3. die Transparenz von Ratinggrundlagen und den Zugriff auf Daten für die
Bewertung von Finanzinstrumenten und Schuldnern zu verbessern, um die
Qualität von Ratings besser vergleichen zu können,

4. mögliche Interessenkonflikte aufgrund von Vergütungsmodellen oder Ge-
sellschafterstrukturen zu minimieren,

5. eine effektive Aufsicht durch die zuständige Behörde zu gewährleisten und

6. einheitliche zivilrechtliche Haftungsregelungen sicherzustellen.

Berlin, den 9. November 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

Begründung

Gesetzliche Ratingabhängigkeit

Im Zusammenhang mit der erneuten Überarbeitung der Ratingverordnung soll-
ten auch Maßnahmen zur Umsetzung der vom Financial Stability Board ent-
wickelten und beim G20-Gipfel im November 2010 in Seoul indossierten allge-
meinen Leitlinien zur Verringerung des blinden Vertrauens auf externe Ratings
ergriffen werden. Die feste Verankerung von externen Ratings in Standards und
Regulierungsvorschriften hat zu einer übermäßigen, zum Teil auch mechanisti-
schen Orientierung vieler Marktteilnehmer an externen Ratings und – damit ver-
bunden – zu einer Vernachlässigung der eigenen Sorgfaltspflichten der Markt-
teilnehmer geführt. Dadurch können abrupte Änderungen externer Ratings pro-
zyklische Tendenzen im Finanzsystem verstärken und systemische Störungen
verursachen.

Bonitätseinschätzungen der Ratingagenturen allein reichen nicht als Entschei-
dungsgrundlage aus. Ratings sollten lediglich Ausgangspunkt oder Ergänzung
eigener, unabhängiger Analysen von Investoren sein, die einer Regulierung un-
terliegen. Insbesondere größere Institute sollten bei der Berechnung der Kapital-
unterlegung für Kreditrisiken verstärkt auf interne Risikobewertungsmodelle
zurückgreifen, die seitens der Aufsicht genehmigt und damit als vertrauenswür-
dig und zuverlässig eingestuft wurden.

Marktteilnehmer sollten insbesondere in strukturierte oder andere Finanzinstru-
mente nicht investieren, wenn sie nicht die zugrunde liegenden Kreditrisiken
selbst bewerten können, alternativ dazu sollten sie die höchste Risikogewich-
tung anwenden. Auch das Eurosystem (Europäische Zentralbank und die natio-
nalen Zentralbanken) sollte die eigenen Bezugnahmen auf externe Ratings fort-
laufend kritisch überprüfen und gegebenenfalls weiter einschränken. Die Kom-

mission sollte dabei den möglichen Einsatz alternativer Instrumente zur Berech-
nung der Kapitalunterlegung für Kreditrisiken sorgfältig bewerten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7638

Wettbewerb im Ratingmarkt

Da der Ratingmarkt nur von einer kleinen Anzahl von Ratingagenturen domi-
niert wird, ist ein Mehr an Wettbewerb im Ratingmarkt grundsätzlich wün-
schenswert. Die Ratingverordnung dürfte den Wettbewerb bereits fördern.
Allerdings sollten auch weitere Möglichkeiten überprüft werden: Um den Wett-
bewerb zu stärken, sollte die Kommission daher eine detaillierte Folgenabschät-
zung und eine Machbarkeitsstudie zur Schaffung einer unabhängigen, privat-
wirtschaftlich finanzierten und organisierten Europäischen Ratingagentur
durchführen, die als Vollanbieter alle wichtigen Ratingklassen (Staaten, Finanz-
institute, Unternehmen, strukturierte Finanzinstrumente) abdeckt. Allerdings
hat nur eine vom Staat unabhängige Ratingagentur Aussicht, vom Markt akzep-
tiert zu werden und würde gewährleisten, dass für alle gleiche Wettbewerbs-
bedingungen bestehen. Darüber hinaus sollte die Kommission auch die Mög-
lichkeiten für die Einrichtung eines privatwirtschaftlich initiierten europäischen
Netzwerks kleinerer und mittlerer Ratingagenturen bewerten. Ein derartiges
Netzwerk könnte einen wichtigen Beitrag für mehr Wettbewerb im Ratingsektor
liefern. Das gleiche gilt für die Möglichkeit privater Investoren, vorhandene
Ratingverbundsysteme der Finanzbranche zu nutzen. Ein erhöhter Wettbewerb
darf jedoch nicht zu einem „Rating-Shopping“ und zu niedrigeren Standards
führen. Zudem sollten Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs die Gütesie-
gelproblematik nicht noch weiter verstärken. Gleichzeitig darf es nicht zu Miss-
brauch marktbeherrschender Agenturen kommen, indem beispielsweise Ratings
einzelner Unternehmen vertraglich davon abhängig gemacht werden, dass ver-
bundene Unternehmen oder bestimmte Vermögenswerte und Vertragspartner
von der gleichen Agentur geratet werden müssen. Der Markteintritt neuer Ra-
tingagenturen darf nicht unterlaufen, sondern muss erleichtert werden.

Verbesserte Transparenz

Ratingverfahren und die verwendete Datenbasis müssen transparent sein, damit
einerseits die Arbeit der Ratingagenturen objektiv bewertet werden kann, ande-
rerseits aber auch jeder Investor im Rahmen seines Risikomanagements zu einer
eigenen Bewertung der betreffenden Finanzinstrumente oder Schuldner kom-
men kann. Daher sollte die Europäische Kommission prüfen, wie die Transpa-
renz der Informationen, die den Ratings insbesondere strukturierter Finanz-
instrumente zugrunde liegen, unter Berücksichtigung von Datenschutzaspekten
am besten ausgeweitet werden kann, damit Anleger Risiken angemessen bewer-
ten und ihren Sorgfaltspflichten nachkommen können.

Informationen über Staatsfinanzen sind für Investoren ähnlich gut zugänglich
wie für Ratingagenturen. Hier ist die Problematik asymmetrischer Informatio-
nen daher wesentlich geringer ausgeprägt als bei Ratings bspw. strukturierter
Finanzinstrumente. Die aktuelle Ratingverordnung enthält bereits Anforderun-
gen, wonach Ratingagenturen ihre Modelle, Verfahren und grundlegenden An-
nahmen für Ratings transparent machen müssen, so dass abweichende Sonder-
regelungen für Staatenratings am Markt kaum zielführend sein dürften. Viel-
mehr dürften die geltenden Vorschriften auch in diesem Bereich zu einer Verbes-
serung des Monitoring, der Qualität, Integrität und Transparenz führen. Zudem
dürften Maßnahmen zur Verringerung der Bezugnahme auf externe Ratings und
zur Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Ratings zur Verhinde-
rung von sog. Klippeneffekten mittelfristig auch in Bezug auf Staatsanleihen-
ratings wirken und damit negative Effekte in Zusammenhang mit Rating-
entscheidungen verringern. In erster Linie sind die Staaten aufgefordert, durch
zeitnahe und belastbare Veröffentlichung ihrer Fiskalposition für mehr Klarheit
für alle Marktteilnehmer zu sorgen.

Drucksache 17/7638 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Interessenkonflikte aufgrund von Vergütungsmodellen oder Gesellschafter-
strukturen

Obwohl die geltende EU-Regulierung verschiedene Vergütungsmodelle für
Ratings ermöglicht, herrscht in der Ratingbranche die Praxis vor, dass Emitten-
ten die Ratings für ihre Schuldtitel selbst in Auftrag geben und bezahlen. Der
Gefahr von Interessenkonflikten sollte durch angemessene Transparenz und
regulatorische Maßnahmen begegnet werden, ohne dabei ein bestimmtes Zah-
lungsmodell vorzuschreiben. Um die Anfälligkeit von Ratings für Interessen-
konflikte einzuschränken, sollte die Kommission auf der Grundlage ihrer Kon-
sultation Vorschläge für alternative Zahlungsmodelle vorlegen, welche Nutzer
und Emittenten einbeziehen und dabei die mögliche Anwendung des Modells
des zahlenden Investors sowie seinen Vor- und Nachteilen besondere Aufmerk-
samkeit einräumen.

Interessenkonflikte können sich auch aufgrund der Gesellschafterstruktur von
Ratingagenturen ergeben. Im Rahmen der Organisation der Agenturen und
durch die Kontrolle der Aufsicht ist sicherzustellen, dass Missbräuche aufgrund
möglicher Eigeninteressen von Gesellschaftern, die gleichzeitig Investoren sind,
verhindert werden.

Effektive Aufsicht

Durch die Verordnung (EU) Nr. 513/2011 vom 11. Mai 2011 wurde die alleinige
Zuständigkeit für die Registrierung und Beaufsichtigung von Ratingagenturen
auf die neue europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (Euro-
pean Securities and Markets Authority) übertragen. Mit dieser europäischen
Aufsichtsbehörde wird eine konsistente und EU-weit einheitliche Anwendung
der Vorschriften für Ratingagenturen gewährleistet. Bei zunehmender Regulie-
rungsdichte im Bereich der Ratingagenturen sollten die Aufsichtsstrukturen re-
gelmäßig überprüft werden, um die Effizienz der Aufsicht sicherzustellen.

Zivilrechtliche Haftungsregelungen

Ratingagenturen sollten für die einheitliche und ordnungsgemäße Anwendung
der ihren Ratings zugrunde liegenden Methodik rechenschaftspflichtig sein,
insbesondere gegenüber den betroffenen Emittenten von Finanzinstrumenten,
Investoren und Kreditnehmern. Daher sollte geprüft werden, ob eine zivilrecht-
liche Haftung der Ratingagenturen bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz in den
nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten einheitlich und klar veran-
kert werden kann. Die letztendliche Verantwortung für die Investitionsentschei-
dungen muss aber bei den Finanzmarktteilnehmern verbleiben. Eine Haftung
sollte so ausgestaltet sein, dass sie nicht das blinde Vertrauen der Marktteilneh-
mer auf die „Richtigkeit“ des Ratings fördert.

Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen

Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP sind sich bewusst, dass die Wirksamkeit
der Finanzmarktregulierung im Rahmen internationaler Abstimmung erhöht
werden kann. Aufgrund des globalen Charakters des Ratingdienstleistungs-
sektors ist daher eine globale Herangehensweise sowohl bei der Regulierung
von Ratingagenturen als auch bei der Verringerung des blinden Vertrauens auf
externe Ratings notwendig, um gleiche Rahmenbedingungen zu wahren, regu-
latorische Arbitrage zu vermeiden und die Märkte offen zu halten. Es ist den-
noch zielführend, auf europäischer Ebene alle Ansätze möglichst frühzeitig um-
zusetzen, die einer besseren Kontrolle von externen Ratings und deren Wirkung
dienen.

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