BT-Drucksache 17/7628

Ausfuhren von Kleinwaffen und Produktionsanlagen zur Herstellung von Kleinwaffen

Vom 8. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7628
17. Wahlperiode 08. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge
Höger, Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln),
Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Ausfuhren von Kleinwaffen und Produktionsanlagen zur Herstellung
von Kleinwaffen

Die am häufigsten eingesetzten Waffen in den größeren Konflikten der 90er-
Jahren waren Kleinwaffen und leichte Waffen. Seit 1990 sind in diesen Kon-
flikten durch Kleinwaffen und leichte Waffen rund vier Millionen Menschen
ums Leben gekommen und über 18 Millionen Menschen wurden gezwungen,
ihr Heim oder ihr Land zu verlassen. Die Verfügbarkeit von Kleinwaffen und
leichten Waffen ist ein wesentlicher Faktor für die Entstehung und Ausweitung
von Konflikten und für den Zusammenbruch staatlicher Strukturen (Strategie
der Europäischen Union zur Bekämpfung der Anhäufung von Kleinwaffen und
leichten Waffen und dazugehöriger Munition sowie des unerlaubten Handels
damit, 13. Januar 2006, S. 2).

Durch die geschätzten rund 875 Millionen weltweit im Umlauf befindlichen
Gewehre, Maschinenpistolen und Pistolen (Small Arms Survey 2010) werden
laut Angaben von UNICEF mehr Menschen getötet, als durch alle anderen
Waffen. Kleinwaffen sind die Massenvernichtungswaffen der heutigen Kon-
flikte (www.unicef.de/download/i_0068_kleinwaffen.pdf). Bei einer durch-
schnittlichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren stellt ihre massenhafte
Verbreitung aber nicht nur heute, sondern auch zukünftig ein unkalkulierbares
Risiko und ernsthaftes Problem für den Frieden, die Sicherheit und die soziale
Stabilität vieler Staaten und Gesellschaften dieser Welt dar.

Deutschland ist nicht nur insgesamt weltweit der drittgrößte Waffenexporteur
(Stockholm International Peace Research Institute, Jahrbuch 2010), sondern
zählt auch bei den Klein- und Leichtwaffen aller Art zu den bedeutendsten
Lieferanten (Small Arms Survey 2010). Prominentester deutscher Hersteller
von Kleinwaffen ist die Heckler & Koch GmbH in Oberndorf a. N.

Aber nicht nur die Waffen werden in Drittländer verkauft, sondern auch ganze
Waffenfabriken zur Herstellung von Kriegswaffen verlassen mit Genehmigung
der Bundesregierung das Land, obwohl die Bundesregierung wiederholt in den
Rüstungsexportberichten erklärt hat: „Bei der Ausfuhr von Technologie und
Herstellungsausrüstung werden grundsätzlich keine Genehmigungen im Zu-
sammenhang mit der Eröffnung neuer Herstellungslinien für Kleinwaffen und
Munition in Drittländern erteilt.“ (vgl. z. B. Rüstungsexportbericht der Bundes-
regierung 2009, S. 11). So baut die Heckler & Koch GmbH gegenwärtig in
Saudi-Arabien eine Produktionsanlage zur Herstellung des Sturmgewehrs G36
auf. Die Anlage hat mittlerweile die Produktion aufgenommen und Saudi-
Arabien bietet die Waffe bereits international zum Verkauf an.

Drucksache 17/7628 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche neuen Exporte von Technologie- bzw. Fertigungsunterlagen zur
Herstellung von Kleinwaffen, leichten Waffen und dazugehöriger Munition
sind zwischen 2003 und heute wann in welches Land genehmigt worden
(bitte unter Angabe des Waffen- bzw. Munitionstyps)?

2. Welche Erwägungen waren ausschlaggebend dafür, dass die Bundesregie-
rung im Rüstungsexportbericht für das Jahr 2009 sowie den vorherigen
Berichten hervorgehoben hat, dass bei der Ausfuhr von Technologie und
Herstellungsausrüstung grundsätzlich keine Genehmigungen im Zusam-
menhang mit der Eröffnung neuer Herstellungslinien für Kleinwaffen und
Munition in Drittländern erteilt werden?

3. Wie ist die Erklärung der Bundesregierung, keine Genehmigungen im
Zusammenhang mit der Eröffnung neuer Herstellungslinien für Kleinwaf-
fen und Munition in Drittländern zu erteilen, vereinbar mit dem Export von
Technologien und Fertigungsunterlagen zur Eröffnung einer neuen Her-
stellungslinie für das Sturmgewehr G36 der Heckler & Koch GmbH im
Drittland Saudi-Arabien?

4. Wann wird die neue Herstellungslinie in Saudi-Arabien voraussichtlich in
der Lage sein, das Sturmgewehr G36 serienmäßig herzustellen, und für
welche Jahresproduktion ist die Fabrik ausgelegt?

5. Ist die Herstellungslinie zur Produktion des Sturmgewehrs G36 in Saudi-
Arabien auf die Lieferung von Komponenten aus Deutschland angewiesen,
oder wird der Hersteller das Sturmgewehr künftig unabhängig von deut-
schen Zulieferungen, d. h. eigenständig, produzieren können?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit des saudischen Herstel-
lers, die für die Produktion des Sturmgewehrs G36 notwendigen Zuliefe-
rungen aus Deutschland auf dem Weltmarkt zu kaufen bzw. in einigen Jah-
ren selbst herzustellen?

7. Basieren die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 4 bis 6 auf
eigener Expertise oder auf den Angaben der Heckler & Koch GmbH?

8. Bedarf die Beschäftigung von Fachkräften von der Heckler & Koch GmbH
mit spezifischem Wissen über die Herstellung von G36-Sturmgewehren in
der saudischen Produktionsstätte für das Sturmgewehr G36 einer besonde-
ren Genehmigung durch die Behörden der Bundesregierung, und wenn
nicht, ist das abstellende deutsche Unternehmen verpflichtet, zumindest
zuständige deutsche Behörden über diesen Know-how-Transfer zu infor-
mieren?

9. Unterliegt die Aus- und Fortbildung von saudischem Fachpersonal zur Her-
stellung von G36-Sturmgewehren an der saudischen Produktionsstätte oder
bei der Heckler & Koch GmbH in Oberndorf a. N. durch Angestellte von der
Heckler & Koch GmbH einer Genehmigungspflicht durch die Behörden der
Bundesregierung, und wenn nicht, ist das aus- bzw. fortbildende deutsche
Unternehmen verpflichtet, zuständige deutsche Behörden darüber zu infor-
mieren?

10. Ist die Bundesregierung den Presseberichten über mutmaßliche Angebote
von in Saudi-Arabien gefertigten G36-Sturmgewehren auf Messen in Dritt-
staaten und im Internet wie zugesagt nachgegangen (Bundestagsdrucksache
17/6894, August 2011), und falls ja, welche Erkenntnisse hat sie dabei ge-
wonnen?

11. Wie viele G36-Sturmgewehre und Teile hierfür wurden bislang insgesamt
von Deutschland nach Saudi-Arabien ausgeführt (bitte unter Angabe der
Exportjahre)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7628

12. Welche langfristigen Risiken für Frieden und Sicherheit sieht die Bundes-
regierung bei der Vergabe von Lizenzen für Herstellungslinien von Klein-
waffen in Drittländern?

13. Wie bewertet die Bundesregierung rückblickend die Entscheidung, Iran un-
ter der Herrschaft Mohammad Reza Schahs den Aufbau einer Produktions-
anlage zur Herstellung des Sturmgewehrs G3 ermöglicht zu haben im Hin-
blick auf die Kontrollmöglichkeiten der Bundesregierung hinsichtlich der
Verbreitung dieser Waffe, und welche Schlussfolgerungen sind aus den
Erfahrungen mit dieser Lizenzvergabe gezogen worden?

14. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Iran G3-Sturm-
gewehre aus eigener Herstellung in den neunziger Jahren während der Bal-
kankriege nach Bosnien geliefert hat?

15. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die sudanesischen
Janjaweed mit iranischen Sturmgewehren G3 ausgerüstet sind?

16. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Iran G3-Sturm-
gewehre aus eigener Herstellung an Somalia unter der Herrschaft Siad
Barres geliefert hat, und dass diese Gewehre noch heute im somalischen
Bürgerkrieg eingesetzt werden?

17. Wurde die Bundesregierung jemals über einen Export von im Iran in
Lizenz gefertigten G3-Sturmgewehren in ein Drittland von der iranischen
Regierung informiert, und wie viele solcher Exporte wurden von der Bun-
desregierung genehmigt (bitte unter Angabe des Jahres und des Empfän-
gerlandes)?

18. Ist die Bundesregierung weiterhin der Auffassung (Rüstungsexportbericht
der Bundesregierung 2001, S. 11), dass der Nachbau von G3-Sturmgeweh-
ren in Iran illegal ist, und worauf begründet sie diese Einschätzung?

19. Wie bewertet die Bundesregierung rückblickend die Entscheidung, Pakis-
tan im Jahr 1963 kostenfrei die Nachbaurechte für das Sturmgewehr G3
überlassen zu haben im Hinblick auf die Kontrollmöglichkeiten der
Bundesregierung hinsichtlich der Verbreitung dieser Waffe, und welche
Schlussfolgerungen sind aus den Erfahrungen mit dieser Lizenzvergabe ge-
zogen worden?

20. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Pakistan G3-Sturm-
gewehre aus eigener Herstellung an Sri Lanka geliefert hat, und dass diese
Gewehre schließlich im Bürgerkrieg gegen tamilische Separatisten einge-
setzt wurden?

21. Wurde die Bundesregierung jemals über einen Export von in Pakistan in
Lizenz gefertigten G3-Sturmgewehren in ein Drittland von der pakistani-
schen Regierung informiert, und wie viele solcher Exporte wurden von der
Bundesregierung genehmigt (bitte unter Angabe des Jahres und des Emp-
fängerlandes)?

22. Ist die Bundesregierung weiterhin der Auffassung (Rüstungsexportbericht
der Bundesregierung 2001, S. 11), dass der Nachbau von G3-Sturmgeweh-
ren in Pakistan illegal ist, und worauf begründet sie diese Einschätzung?

23. Hat die Bundesregierung jemals auf die pakistanische Regierung dahinge-
hend eingewirkt, dass diese ihre eigenproduzierten G3-Sturmgewehre nicht
mehr auf Messen wie der DSEi (Defence & Security Equipment Internatio-
nal) in London anbietet bzw. den weltweiten Verkauf der G3-Sturmgewehre
insgesamt beendet?

Drucksache 17/7628 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

24. Verfügt die Bundesregierung über weitere Informationen, in welchen ande-
ren bewaffneten Konflikten G3-Sturmgewehre aus Pakistan oder Iran auf-
getaucht sind, und wenn ja, um welche Konflikte handelt es sich?

25. Hat die Bundesregierung jemals auf die türkische Regierung dahingehend
eingewirkt, dass diese ihre eigenproduzierten Sturmgewehre G3 nicht mehr
auf Messen wie der DSEi in London anbietet bzw. den weltweiten Verkauf
der G3-Sturmgewehre insgesamt beendet?

26. In welchen Ländern wird die Maschinenpistole MP 5 in Lizenz produziert,
in welchen Ländern geschieht dies nach Kenntnis der Bundesregierung
ohne Lizenz?

27. In welchen Jahren genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Tech-
nologie- oder Fertigungsunterlagen, Fertigungsmaschinen oder Kompo-
nenten zur Herstellung der Maschinenpistole MP5 an welche Länder?

28. In welche der Staaten, die bereits das Sturmgewehr G3 oder die Maschinen-
pistole MP5 fertigen, wurde der Export von Fertigungs- oder Technologi-
eunterlagen oder Fertigungsmaschinen zur Herstellung weiterer Kleinwaf-
fen genehmigt, und bei welchen wurden entsprechende Genehmigungsan-
träge abgelehnt (bitte auflisten unter Angabe des jeweiligen Waffenmodells,
des Datums der Genehmigung bzw. der Ablehnung sowie des jeweiligen
Genehmigungs- bzw. Versagungsgrunds)?

29. Ist die spanische Lizenzproduktion des Sturmgewehrs G36 bzw. der Export
von Fertigungs- und Technologieunterlagen zur Herstellung des Sturm-
gewehrs G36 nach Spanien von der Bundesregierung unter der Auflage ge-
nehmigt worden, dass Exporte des Gewehrs aus Spanien an Drittländer
grundsätzlich ausgeschlossen sind, und falls nein, welche Weiterexport-
anträge wurden bislang von Spanien bzw. vom dortigen Hersteller an die
Bundesregierung gerichtet, und wie sind diese jeweils beschieden worden
(bitte unter Angabe der G36-Version, der Stückzahl, dem Drittland, dem
Datum des Weiterexportantrags, dem finanziellen Volumens des Geschäfts
sowie der Angabe, ob das Geschäft schließlich realisiert wurde)?

30. In welchen weiteren Staaten wird das Sturmgewehr G36 in Lizenz her-
gestellt, in welche wurde der Export von Fertigungs- und Technologie-
unterlagen für das Gewehr genehmigt?

31. Mit Hilfe welcher Behörden bzw. welchem Ministerium verfolgt und kon-
trolliert die Bundesregierung die Verbreitung von im Ausland mit deut-
scher Lizenz hergestellten Kleinwaffen und leichten Waffen?

32. In wie vielen Fällen hat sich die Bundesregierung bislang wegen Verstößen
ausländischer Unternehmen und Staatsbehörden gegen Lizenzvereinbarun-
gen mit deutschen Herstellern von Kleinwaffen und leichten Waffen und/
oder Genehmigungsauflagen an welche Staaten gewendet, und mit wel-
chem Ergebnis?

33. In welchen Staaten werden derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung
deutsche Kleinwaffentypen oder leichte Waffentypen ohne Lizenz produ-
ziert, und welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung um ge-
gen die illegale bzw. nicht lizenzierte Produktion von deutschen Kleinwaf-
fen im Ausland vorzugehen?

34. Hält es die Bundesregierung für erforderlich, dass weiterhin Kleinwaffen
aus Deutschland exportiert werden können, und wenn ja, aus welchen
Gründen?

35. Welches wertmäßige Gesamtvolumen in Euro haben die von deutschen
Herstellern erteilten Lizenzen zur Fertigung von Kleinwaffen, leichten
Waffen und der zugehörigen Munition im Zeitraum von 2000 bis 2010?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7628

36. Welches wertmäßige Gesamtvolumen in Euro haben die Ausfuhrgenehmi-
gungen für Kleinwaffen und leichten Waffen im Jahr 2010 und 2011
(Januar bis September), welchen prozentualen Anteil hat dies an der ge-
samten Ausfuhr von Kriegswaffen, und welchen an der gesamten Waren-
ausfuhr der Bundesrepublik Deutschland?

37. Welche Ausfuhren von Kleinwaffen und leichten Waffen wurden mit
welchem Wert im Jahr 2010 und 2011 an die Länder Ägypten, Bahrain,
Kuwait, Saudi-Arabien, Tunesien, Oman, Jemen, Vereinigte Arabische
Emirate, Israel, Marokko, Libanon, Jordanien und Algerien genehmigt
(bitte jeweils unter Angabe des Waffentyps und nach Jahren getrennt)?

38. An welche Entwicklungsländer wurde die Ausfuhr von welchen Kleinwaf-
fen und leichten Waffen in welchem Wert im Jahr 2010 und 2011 ge-
nehmigt (bitte die „least developed countries“ gesondert aufführen)?

39. Für welche Länder wurde die Ausfuhr von G36-Sturmgewehren in wel-
chem Wert im Jahr 2010 und 2011 genehmigt?

Berlin, den 8. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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