BT-Drucksache 17/7585

Aufenthalt von verurteilten Attentätern des Sivas-Massakers in Deutschland

Vom 4. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7585
17. Wahlperiode 04. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Memet Kilic, Ekin Deligöz, Claudia Roth (Augsburg), Ingrid
Hönlinger, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufenthalt von verurteilten Attentätern des Sivas-Massakers in Deutschland

Am 2. Juli 1993 haben islamistische Extremisten bei einem pogromartigen
Brandanschlag 35 Menschen (davon zwei Hotelangestellte) getötet, die zu
einem alevitischen Kulturfestival zu Ehren von Pir Sultan Abdal nach Sivas
(Türkei) zusammenkamen.

Unter den Opfern, die an diesem Kulturfestival teilgenommen haben, befanden
sich Kinder, Frauen und Männer, unter ihnen Intellektuelle, Künstler, Dichter,
und Journalisten:

Muhibe Akarsu, Muhlis Akarsu, Gülender Akça, Metin Altıok, Mehmet Atay,
Sehergül Ates¸, Behçet Aysan, Erdal Ayrancı, Asım Bezirci, Belkıs Çakır, Serpil
Canik, Muammer Çiçek, Nesimi Çimen, Carina Cuanna, Serkan Dog ˘an, Hasret
Gültekin, Murat Günes¸, Gülsüm Karababa, Ug ˘ur Kaynar, Asaf Koçak, Koray
Kaya, Meneke Kaya, Handan Metin, Sait Metin, Huriye Özkan, Yes ¸im Özkan,
Ahmet Özyurt, Nurcan S ¸ahin, Özlem S ¸ahin, Asuman Sivri, Yasemin Sivri,
Edibe Sulari und √nci Türk – sie alle starben bei dem o. g. Brandanschlag.

Der Bundesregierung ging 2006 von elf in der Bundesrepublik Deutschland
lebenden Personen aus, die am Brandanschlag von Sivas am 2. Juli 1993 betei-
ligt gewesen sein sollen (siehe Bundestagsdrucksache 16/2324):

● Eine Person konnte mangels individuell zurechenbarer Tathandlung nicht,
wie von der Türkei gewünscht, ausgeliefert werden.

● Eine Person wurde als Asylberechtigte anerkannt und konnte somit nicht an
die Türkei ausgeliefert werden.

● Zwei weitere, das Sivas-Massaker betreffende, Auslieferungsverfahren waren
2006 aber noch anhängig.

● Der Bundesregierung lagen 2006 zudem noch sechs, auf das Massaker von
Sivas bezogene, türkische Fahndungsersuchen vor. Allerdings konnten diese
wegen des unbekannten Aufenthaltsorts der Tatverdächtigen nicht voll-
streckt werden (Angaben gemäß den Bundestagsdrucksachen 16/994 und
16/2324).
Nach öffentlich bekannt gewordenen Informationen sollen am 4. Oktober 2011
drei in Deutschland wohnhafte Personen, die am Sivas-Massaker beteiligt
waren, beim Überqueren der deutsch-polnischen Grenze in Polen festgenom-
men worden sein, die verdächtigt werden (bzw. bereits verurteilt sind), sich am
Sivas-Massaker beteiligt zu haben. Unbekannt ist, ob und wo diese Personen
sich weiter in Haft befinden.

Drucksache 17/7585 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Leben nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland derzeit Personen,
die in der Türkei wegen des Sivas-Massakers bereits verurteilt worden sind,
sich diesem Urteil aber durch Flucht entzogen haben, und wenn ja, wie
viele?

2. Leben nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland derzeit Personen,
die verdächtigt werden, an dem Sivas-Massaker beteiligt gewesen zu sein,
und wenn ja, wie viele?

3. Wie viele der in den Fragen 1 und 2 genannten Personen sind in Deutschland

a) als asylberechtigt bzw. als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlings-
konvention anerkannt,

b) unter einem humanitären Schutzstatus gemäß § 25 Absatz 3 bis 5 des
Aufenthaltsgesetzes,

c) geduldet im Sinne von § 60a des Aufenthaltsgesetzes bzw.

d) bleibeberechtigt im Sinne von § 104a des Aufenthaltsgesetzes?

4. Hat die Bundesregierung die türkischen Behörden jemals von sich aus über
den Aufenthalt von Verurteilten/Tatverdächtigen des Sivas-Massakers in
Deutschland bzw. deren Aufenthaltsstatus informiert?

Wenn ja, wann, und in wie vielen Fällen?

Wenn nein, warum nicht?

5. Welche Staatsangehörigkeit(en) besitzen die in den Fragen 1 und 2 genann-
ten Personen (bitte aufschlüsseln)?

6. Haben diese Personen bei der Asylantragstellung in Deutschland angegeben,
dass ihnen vorgeworfen wird, an dem Sivas-Massaker teilgenommen zu
haben?

7. Wie viele Auslieferungsersuchen hat die Türkei bislang an Deutschland
bezüglich der Überstellung von Verurteilten/Tatverdächtigen des Sivas-
Massakers gerichtet?

a) Wie viele wurden wann, aus welchen Gründen, und mit welchem Ergebnis
beendet (bitte unter Angabe des Jahres der Rechtskraft aufschlüsseln)?

b) Wie ist der Stand der im Jahr 2006 noch anhängigen Auslieferungsfälle
(Bundestagsdrucksache 16/2324)?

c) Sind seit dem Jahr 2006 weitere Auslieferungsfälle hinzugekommen?

8. Wie viele gegen Tatverdächtige/Verurteilte des Sivas-Massakers gerichtete
internationale Haftbefehle (INTERPOL) liegen der Bundesregierung vor?

a) Wie viele Fahndungsersuchen der Türkei liegen der Bundesregierung
vor?

b) Wie viele Haftbefehle konnte die Bundesregierung vollstrecken?

c) Was ist aus den sechs Fahndungsersuchen aus dem Jahr 2006 geworden?

d) Sind seit 2006 in dieser Sache weitere türkische Fahndungsersuchen an
die Bundesregierung gerichtet worden, und wenn ja, wie viele, und mit
welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7585

9. Kann die Bundesregierung die Festnahme von drei Personen, die am Sivas-
Massaker beteiligt waren, am 4. Oktober 2011 an der deutsch-polnischen
Grenze bestätigen?

a) Kann die Bundesregierung bestätigen, dass diese Personen in Deutsch-
land wohnhaft/polizeilich gemeldet waren?

b) Kann die Bundesregierung an dieser Stelle darüber Auskunft geben,
welche Staatsangehörigkeit diese Personen bzw. welchen Aufenthalts-
status sie in Deutschland besitzen?

c) Kann die Bundesregierung bestätigen, dass gegen eine/mehrere dieser
Personen ein auf das Sivas-Massaker bezogener Haftbefehl vorlag?

d) Kann die Bundesregierung bestätigen bzw. Auskunft darüber geben, ob
bzw. wo diese Personen inhaftiert sind?

e) Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob seitens der Türkei gegen
eine/mehrere dieser Personen ein Auslieferungsersuchen gestellt worden
ist, und wenn ja, wann, und gegen wie viele Personen?

f) Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob eine/mehrere dieser Per-
sonen inzwischen haftverschont worden ist/sind, und wenn ja, wie viele?

Berlin, den 4. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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