BT-Drucksache 17/7561

Humanitäre Katastrophe und politisch-militärische Interessen in Somalia

Vom 31. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7561
17. Wahlperiode 31. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Humanitäre Katastrophe und politisch-militärische Interessen in Somalia

Seit mehr als 20 Jahren werden die Menschen in Somalia infolge militärischer
Interventionen und Bürgerkriege in dieser geopolitisch bedeutenden Region mit
einer humanitären Katastrophe konfrontiert, die sich in diesem Jahr weiter ver-
schärft hat. Nach Angaben der Vereinten Nationen droht 750 000 Somalis der
Hungertod, wovon mehr als 400 000 Kinder betroffen sind. Die strukturellen
Ursachen von Hunger, Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Beschränkungen im
Zugang zu Nahrungsmitteln in Somalia sind keinesfalls klimatisch, sondern
politisch bedingt. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig von westlichen Banken,
Hedgefonds und institutionellen Anlegern, wie Pensionsfonds, Staatsfonds und
Versicherungen, verursachten Wirtschaftskrise trägt die Bevölkerung Somalias
eine wesentliche Last der ausgelösten Verwerfungen, die bereits durch die glo-
bale Finanzpolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank
in den 70er-Jahren gegenüber Afrika eingeleitet wurden. Durch verstärkten Zu-
griff auf Agrarrohstoffe als Instrument der Spekulation auf den Finanzmärkten
werden die gravierenden Konsequenzen dieser Politik noch weiter verschärft.
Die Nahrungsmittelpreise stiegen in diesem Zusammenhang in Somalia stark
an, so dass die Preise für Getreide heute 240 Prozent über dem Jahresdurch-
schnitt von 2009 liegen. Auch der industrielle Fischfang vor den Küsten Soma-
lias, der den dortigen Fischern jede Grundlage ihrer Existenz genommen hat, hat
einen massiven Anteil an dem Ausmaß der derzeitigen Katastrophe. Viele
Menschen sehen sich angesichts der von westlichen Reedereien überfischten
Küstengewässer gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch Piraterie zu erwirt-
schaften. Die militärische Bekämpfung der Erscheinungsformen dieser sozialen
Verwerfungen führt zu einer weiteren Verschärfung der humanitären Lage.

Da die Übergangsregierung nur eine sehr begrenzte Kontrolle ausübt und sich in
einer militärischen Auseinandersetzung mit der al-Shabaab befindet, kann und
will sie keine flächendeckende humanitäre Hilfe für die Bevölkerung Somalias
leisten oder gewährleisten. Ähnliches gilt für die internationale Gemeinschaft,
welche die al-Shabaab als terroristisch einstuft und offen Kampfhandlungen ge-
gen diese unterstützt. Teilweise wurden Hilfsmaßnahmen in den von al-Shabaab
kontrollierten Gebieten von den USA, der AMISOM und der sog. Übergangs-
regierung aktiv unterbunden (siehe www.irinnews.org/report.aspx?reportID=

93783, www.crisisgroup.org/en/regions/africa/horn-of-africa/somalia/better-us-
response-to-somalia-famine.aspx). Auch die Deutsche Welthungerhilfe e. V. be-
zeichnete die Hungerkatastrophe als ein „Gelegenheitsfenster“, um die Legitimi-
tät der al-Shabaab weiter zu schwächen und diese „Schwäche“ für eine „Lösung
des Konfliktes“ zu nutzen (siehe www.entwicklung-hilft.de/fileadmin/upload/
PDF/Welthungerhilfe-Brennpunkt_D%C3%BCrre_Horn_von_Afrika.pdf).
20 andere Hilfsorganisationen hingegen wandten sich am 21. September 2011

Drucksache 17/7561 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

mit einem offenen Brief gegen ihre Instrumentalisierung für politische Zwecke
und forderten einen „dramatischen Wechsel des Ansatzes“ der internationalen
Gemeinschaft gegenüber Somalia: „Das humanitäre Imperativ, Menschenleben
zu retten, muss über jedes politische Interesse gestellt werden“ (www.oxfam.ca/
news-and-publications/news/joint-somalia-letter-2001-09-21). In diesem Zu-
sammenhang riefen sie alle beteiligten Konfliktparteien auf, „sich unverzüglich
für einen vollständigen Waffenstillstand in Somalia einzusetzen“.

Die intervenierenden Staaten haben trotz ihres nunmehr 20 Jahre andauernden
Engagements in Somalia weder Stabilität noch rechtstaatliche Strukturen auf-
bauen können, teilweise Ansätze solcher Strukturen sogar aktiv untergraben
(vgl. www.pambazuka.org/en/category/features/75805). Zunehmend greifen sie
zu Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung, um ihre politischen Gegner aus-
zuschalten. Mit Hilfe von Drohnen führt die US-Armee immer wieder gezielte
extralegale Tötungen aus. Der US-amerikanische Geheimdienst CIA unterhält
in Somalia in der Nähe des Aden Adde International Airport von Mogadishu
Geheimgefängnisse, in welchen ohne rechtsstaatliche Verfahren oder die Betei-
ligung der Gerichte u. a. Äthiopier und Kenianer verhört werden. An den dort
stattfindenden Verhören sollen neben US-amerikanischen auch französische
Sicherheitsbeamte beteiligt sein. Mitarbeiter der CIA sollen in dem Geheim-
gefängnis darüber hinaus somalische Sicherheitskräfte in Antiterrorabwehr aus-
bilden (siehe www.thenation.com/article/161936/cias-secret-sites-somalia).

Die Ausbildung somalischer Rekruten durch die europäische Mission EUTM
droht den Konflikt in Somalia weiter zu eskalieren und auf die Nachbarstaaten
Äthiopien und Kenia sowie Uganda auszuweiten.

Am 17. Oktober 2011 marschierte das von britischen und US-amerikanischen
Militärberatern ausgebildete kenianische Militär zur Bekämpfung der al-Shabaab
völkerrechtswidrig in Somalia ein. Es wird massiv durch französische und ame-
rikanische Militärhilfe hierbei unterstützt (siehe „Frankreich hilft Kenia in So-
malia“, FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 26. Oktober 2011). Der
Konflikt droht damit sich auf Kenia und Uganda auszuweiten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Regionen in Somalia wurden nach Kenntnissen der Bundesregierung
durch internationale Hilfslieferungen seit 2008 bis heute mit Nahrungs-
mitteln und in welcher Höhe versorgt (bitte die betreffenden Gebiete und ihre
Reichweite auf einer Karte von Somalia einzeichnen)?

2. Durch welche Kräfte wurden die mit Nahrungsmitteln versorgten Regionen
zum Zeitpunkt der Lieferung oder des Versuches, solche Lieferungen durch-
zuführen, kontrolliert (bitte nach Datum, Gebiet, Volumen und Herkunft der
Hilfslieferungen sowie die Zugehörigkeit der Kräfte, welche die Lieferung
durchführten, auflisten)?

3. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die Behinderung land-
wirtschaftlicher Aktivitäten der nahe der äthiopischen und der kenianischen
Grenze ansässigen Bevölkerung durch zuvor von ausländischen Sicherheits-
kräften ausgebildete Milizen?

4. Besteht eine Kooperation zwischen den durch die EUTM oder die USA
ausgebildeten Sicherheitskräften bei der Auslieferung der internationalen
Nahrungsmittelhilfe?

a) Mit welchen Sicherheitskräften arbeiten die ausgebildeten Kräfte vor Ort
zusammen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7561

b) Welche Regionen hat, im Kontext der Ausbildung von Sicherheits-
kräften, die in Frage 1 genannte Nahrungsmittelhilfe umfasst?

c) Was sind nach Einschätzung der Bundesregierung die größten Hinder-
nisse bei der Auslieferung, dem Zugang und der Logistik der Nahrungs-
mittelhilfe in den für Frage 1 zutreffenden Regionen?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Korruption und persön-
liche Bereicherung bei der Verteilung von Nahrungsmittel durch

a) Kräfte, die der somalischen Übergangsregierung unterstehen und

b) Kräfte, die der al-Shabaab angehören?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Meinungsverschieden-
heiten innerhalb der al-Shabaab und unterschiedliche Umgangsweisen der
al-Shabaab in Bezug auf ihr Verhältnis zu internationalen Hilfsorganisatio-
nen?

7. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass der Vorwurf der al-Shabaab,
einzelne humanitäre Organisationen, die finanzielle Unterstützung durch
Deutschland, die EU und die internationale Gemeinschaft erhalten, würden
ihre humanitäre Arbeit mit missionarischen Zielen begründen oder ver-
binden, in einigen Fällen zutreffend ist?

8. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass der Vorwurf der al-Shabaab,
einzelne humanitäre Organisationen, die finanzielle Unterstützung durch
Deutschland, die EU, die USA oder die internationale Gemeinschaft erhal-
ten, würden ihre humanitäre Arbeit mit Geheimdienstaufklärung und einer
engen Zusammenarbeit mit militärischen Strukturen der USA (AFRICOM)
bzw. der EU verzahnen, in einigen Fällen zutreffend ist?

9. Welche Vorfälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Angehörige
der al-Shabaab humanitären Organisationen Zugang zur notleidenden Be-
völkerung gewährt oder verwehrt haben (bitte nach Ort, Datum und jeweils
mit Namen der betreffenden Hilfsorganisation auflisten)?

10. Welche der betroffenen humanitären Organisationen stehen in Kontakt mit
der Bundesregierung, und welche werden von ihr finanziell, logistisch oder
auf sonstige Weise unterstützt?

11. Warum haben nach Auffassung der Bundesregierung einige humanitäre
Organisationen von der al-Shabaab Zugang zur notleidenden Bevölkerung
zugesichert bekommen (www.irinnews.org/report.aspx?reportID=93333),
und welche der betreffenden humanitären Organisationen wurden oder
werden von der Bundesregierung finanziell, logistisch oder auf sonstige
Weise unterstützt?

12. Welche politischen und tatsächlichen Hindernisse – außer der Zustimmung
der lokalen al-Shabaab-Führer – sind der Bundesregierung bekannt, die
einen Zugang zur notleidenden Bevölkerung erschwert oder behindert
haben?

13. Welche Vorfälle sind der Bundesregierung bekannt, bei denen humanitären
Hilfsorganisationen der Zugang zu notleidender Bevölkerung durch

a) Kräfte, die der somalischen Übergangsregierung unterstehen und

b) Kräfte, die der AMISOM angehören

verwehrt wurde?

Drucksache 17/7561 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

14. Welche Initiativen hat die Bundesregierung unternommen oder an welchen
war sie beteiligt, um

a) gegenüber der somalischen Übergangsregierung, den USA oder der
AMISOM sowie

b) gegenüber der al-Shabaab

einen besseren Zugang humanitärer Organisationen zur notleidenden Be-
völkerung zu gewährleisten?

15. Hat die Bundesregierung irgendwelche Initiativen ergriffen oder unter-
stützt, um während der Hungerkatastrophe einen Waffenstillstand in Soma-
lia zu erwirken, und wenn ja, welche?

16. Sind der Bundesregierung entsprechende Initiativen anderer Akteure be-
kannt, und wenn ja, welche?

17. Welche diplomatischen Beziehungen und informellen Kontakte unterhalten
die Bundesregierung und die Europäische Union zur al-Shabaab oder loka-
len Kommandeuren?

18. Besitzt die Bundesregierung Kenntnisse über geplante politische Verhand-
lungen mit der al-Shabaab?

19. Plant die Bundesregierung sich für Verhandlungen mit der al-Shabaab ein-
zusetzen?

Wenn nein, warum nicht?

20. Wie begründet die Bundesregierung die vergleichsweise engen Beziehun-
gen zwischen ihr, der Europäischen Union und dem Nationalen Übergangs-
rat in Libyen zu einem Zeitpunkt, als dieser noch einen deutlich geringeren
Anteil am libyschen Territorium kontrollierte, als ihn die al-Shabaab in
Somalia kontrolliert?

21. In welchen Fällen und nach welchen Kriterien rechtfertigt nach Auffassung
der Bundesregierung eine humanitäre Notlage diplomatische Kontakte mit
einer demokratisch nicht legitimierten Regierung?

22. Über welche demokratische Legitimation verfügt, nach Auffassung der
Bundesregierung, die somalische Übergangsregierung?

23. Wie weit reicht nach Auffassung der Bundesregierung der Einfluss der
somalischen Übergangsregierung außerhalb der Hauptstadt Mogadischu
(bitte auf einer Karte von Somalia einzeichnen)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfolge der somalischen Übergangs-
regierung in den Bereichen Sicherheit, Wohlfahrt und demokratische Legi-
timität?

25. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass im September 2011 türkische
Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer bei der Auslieferung von
Nahrungsmitteln festgenommen wurden?

a) Was waren die rechtlichen, politischen oder tatsächlichen Gründe für
diese Festnahmen?

b) Welche Sicherheitskräfte haben die Festnahmen durchgeführt?

c) Mit welchen ausländischen Sicherheitskräften kooperieren die diese
Festnahmen durchführenden Kräfte, bzw. wurden diese zuvor durch
ausländische Sicherheitskräfte (EUTM, USA u. a.) ausgebildet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7561

26. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass ausländische Hilfsorganisatio-
nen in Somalia von der somalischen Übergangsregierung daran gehindert
werden, materielle Hilfe in die von der al-Shabaab kontrollierten Gebiete
zu liefern?

a) Wenn ja, wie wird dies rechtlich, politisch und tatsächlich begründet?

b) Welche Kriterien werden vor Ort von der internationalen Gemeinschaft
bzw. der somalischen Übergangsregierung oder den jeweiligen politi-
schen und militärischen Kräften für den Zugang zur oder den Empfang
von humanitärer Hilfe aufgestellt?

c) Welche Kriterien werden vor Ort von der internationalen Gemeinschaft
bzw. der somalischen Übergangsregierung oder den jeweiligen politi-
schen und militärischen Kräften für die Tätigkeit ausländischer Hilfs-
organisationen aufgestellt?

27. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um die Versorgung
der Menschen aller Regionen in Somalia auch außerhalb eines Umkreises
von 20 Kilometer um die Hauptstadt Mogadishu zu gewährleisten (bitte auf
einer Karte von Somalia nach Datum, Region, Hilfsmittelvolumen,
Kooperationspartner und Beteiligung von bewaffneten Sicherheitskräften
auflisten)?

28. Hat die Bundesregierung in der Vergangenheit militärische oder polizeiliche
Beratung, Ausbildung oder Ausstattung an das kenianische Militär geleistet,
bzw. plant die Bundesregierung eine solche Zusammenarbeit in Zukunft,
und kann die Bundesregierung ausschließen, dass solche Sicherheitskräfte
völkerrechtswidrig an Militärinterventionen auf dem Staatsgebiet Somalias
eingesetzt werden könnten oder wurden?

29. Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass die USA in Somalia
Geheimgefängnisse oder andere Einrichtungen für die Aufnahme von
Gefangenen unterhalten?

a) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Haftbedingun-
gen in diesen Einrichtungen?

b) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Verhörmetho-
den in diesen Einrichtungen?

c) Gibt es Hinweise, dass bei den Verhören Waterboarding oder eine
andere Art von Folter im Sinne der UN-Antifolterkonvention oder der
Europäischen Antifolterkonvention angewendet wird?

d) Auf welcher rechtlichen und tatsächlichen Grundlage wurden die Insas-
sen in diese Gefängnisse gebracht?

e) Wie viele strafrechtliche Verfahren wurden gegen die Insassen dieser
Einrichtungen eingeleitet, und mit welchem Ausgang?

f) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über eine Teilnahme
deutscher oder anderer europäischer Beamter an Verhören in diesen
Einrichtungen?

30. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der US-Geheimdienst CIA
Verhöre in somalischen Gefängnissen durchgeführt hat oder immer noch
durchführt?

Drucksache 17/7561 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

31. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, im Hinblick darauf, dass die
USA mit Hilfe von Drohnen in Somalia gezielte extralegale Tötungen
durchführen?

a) Auf welcher rechtlichen Grundlage werden diese Drohneneinsätze
durchgeführt?

b) Hat die Bundesregierung Bemühungen unternommen, um die Aus-
führung gezielter extralegaler Tötungen durch Drohnen zu stoppen?

Wenn nein, warum nicht?

c) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass an militärischen oder
polizeilichen Einsätzen, bei denen auch Drohnen zum Einsatz kommen,
europäische Sicherheitsbeamte bzw. auch deutsche teilnehmen?

d) Woher stammen die in Somalia eingesetzten Drohnen und die für ihre
Herstellung benötigte Technik (bitte nach Herkunftsort und Einsatzort
auflisten)?

32. Welche Summen des European Development Fund und des Instruments für
Stabilität (IfS), welche beide u. a. dazu eingerichtet wurden, um in humani-
tären Notlagen schnelle Hilfe leisten zu können, wurden bislang für polizei-
liche und militärische Unterstützung der somalischen Übergangsregierung,
der AMISOM, EUTM und der Nachbarstaaten einschließlich Uganda be-
reitgestellt?

33. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den vorgenannten Aktivi-
täten hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit den USA in Somalia und bei
der Bekämpfung des sog. Terrors und der Piraterie in den Seegebieten um
die Arabische Halbinsel?

34. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über gezielte völkerrecht-
lich und politisch verbindliche Maßnahmen, die auf internationaler und
europäischer Ebene gegen die steigenden Nahrungsmittelpreise sowie die
Nahrungsmittelspekulation im Hinblick auf eine konkrete Beendigung der
Hungerkatastrophe in Somalia unternommen wurden?

a) Welche gezielten rechtlich und außenpolitisch verbindlichen Maß-
nahmen hat die Bundesregierung bilateral und international ergriffen,
um konkret gegen steigende Nahrungsmittelpreise in Somalia vorzu-
gehen?

b) Welche gezielten rechtlich und außenpolitisch verbindlichen Maß-
nahmen hat die Bundesregierung bilateral und international ergriffen,
um gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln durch deutsche Unter-
nehmen wie die Deutsche Bank AG, die Allianz-Tochter PIMCO und
andere vorzugehen?

c) Wird die Bundesregierung bilateral und international gezielte rechtlich
und außenpolitisch verbindliche Bemühungen ergreifen, um auf inter-
nationaler Ebene ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Spekula-
tionen auf Nahrungsmittel durchzusetzen?

Wenn nein, warum nicht?

d) Welche gezielten rechtlich und außenpolitisch verbindlichen Maß-
nahmen hat die Bundesregierung bilateral und international ergriffen,
um gegen großflächige Landnahmen und Landraub/Landgrabbing der
fruchtbarsten Böden für den Anbau von Agrarexportgütern durch deut-
sche und andere internationale Unternehmen, die in direkter Konkurrenz
zur Nahrungsmittelproduktion für den einheimischen Markt zur Her-

stellung von Ernährungssicherheit stehen, vorzugehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7561

35. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Spekulation mit
Nahrungsmitteln keine Folge mangelnder Transparenz oder Missbrauchs
der sich ansonsten vorbildlich selbst regulierenden Märkte ist, sondern eine
natürliche Konsequenz der Existenz- und der Funktionsbedingungen kapi-
talistischer Warenmärkte?

36. Welchen konkreten Zusammenhang gibt es zwischen den vermeintlichen
„klimatischen Extremen“, die in der Antwort der Bundesregierung zu
Frage 18 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6808 als Ur-
sache für die gestiegenen Lebensmittelpreise ausgegeben werden, und dem
Ausbruch der Hungerkatastrophe in Somalia?

a) Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass sich Somalia in der
Vergangenheit trotz Dürreperioden bis Mitte der 80er-Jahre selbst
versorgen konnte?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Einfluss und Inhalt
der Empfehlungen des IWF und der Weltbank seit Anfang der 70er-
Jahre auf die Nahrungsmittelproduktion Somalias und ihren Zusammen-
hang mit der Hungerkatastrophe?

37. Wie hoch ist der Umfang der Produktion von Biokraftstoffen in Somalia,
Äthiopien und Uganda und deren Beteiligung am Weltmarkt, deren erhöhte
Nachfrage in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 18 der Kleinen
Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6808 als Ursache für die gestie-
genen Lebensmittelpreise ausgegeben werden, und dem Ausbruch der
Hungerkatastrophe in Somalia?

38. Worin liegt die „Nützlichkeit“ von Warenterminbörsen, deren Funktion die
Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 18 der Kleinen Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 17/6808 „weiterhin stärken“ will, bei der Beendi-
gung der Hungerkatastrophe in Somalia?

a) Welche „nützliche“ und „förderungswürdige“ Funktion der Warentermin-
märkte, auf die sich die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 18 der
Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6808 beruft, ist beim
Ausbruch der Hungerkatastrophe vermeintlich nicht angeschlagen, wo-
durch die Hungerkatastrophe in Somalia ausgebrochen ist?

b) Welche „Störungen und Manipulationen der Agrarmärkte“, auf die sich
die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 18 der Kleinen Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/6808 beruft, haben im Unterschied zu
einer ansonsten reibungslosen Funktionstüchtigkeit dieser Märkte den
Ausbruch der Hungerkatastrophe in Somalia verursacht?

c) Welcher qualitative und quantitative Zusammenhang oder Einfluss be-
steht, angesichts der von der Bundesregierung in ihrer Antwort zu
Frage 18 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6808 ge-
äußerten Erklärungen über die Ursachen der Lebensmittelpreisschwan-
kungen, zwischen der „Verbesserung der Transparenz auf den Termin-
märkten für Agrargüter, sowohl im börslichen als auch im außerbörs-
lichen (OTC) Handel“ und einem effektiv vorhandenen oder auch nur
mittelbaren Einfluss auf den Ausbruch oder die Verhinderung einer
Hungerkatastrophe in Somalia?

d) Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch eine „Verbesse-
rung der Transparenz auf den Terminmärkten für Agrargüter“ Hunger-
katastrophen weltweit verhindert werden können, oder neigt die Bundes-
regierung angesichts der globalen Finanzkrise vielmehr zu der Ansicht,
dass die Existenz kapitalistischer Warenaustauschbeziehungen solche

Hungerkatastrophen erst möglich gemacht hat?

Drucksache 17/7561 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
39. In welcher konkreten Art und Weise haben – angesichts der von der Bun-
desregierung in ihrer Antwort zu Frage 18 der Kleinen Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 17/6808 geäußerten Erklärung, nach welcher „der
langjährige Bürgerkrieg und der weitgehende Staatszerfall in erheblichen
Maße dazu bei[getragen hat], dass die Bevölkerung der anhaltenden Dürre
schutzlos ausgesetzt ist“ – ausländische Militärinterventionen, aber auch
die Unterstützung und Ausbildung bestimmter Milizen durch die euro-
päische Mission EUTM oder die USA insbesondere in den „von der der-
zeitigen Katastrophe besonders stark betroffenen südlichen und zentralen
Landesteilen“, maßgeblichen Anteil an der Hungerkatastrophe?

40. Wie schätzt die Bundesregierung die Effektivität und den tatsächlichen Ein-
fluss der Vorschläge des Aktionsplans der G20-Agrarminister zum Abschluss
ihres Treffens am 23. Juni 2011 ein, im Hinblick auf die Beendigung der
Hungerkatastrophe in Somalia, wenn in dem Aktionsplan als zentraler
Grund für die weltweiten Preisschwankungen von Nahrungsmitteln das
Knappheitsverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ausgegeben wurde
und eine Preisstabilisierung angeblich nur durch mehr Lebensmittelproduk-
tion bzw. mehr Transparenz erreicht werden könnte, angesichts der Tat-
sache, dass bereits heute bekannt ist, dass etwa ein Drittel aller global pro-
duzierten Nahrungsmittel im Müll landet?

41. Welche Hinweise hat die Bundesregierung über die Beteiligung von deut-
schen Banken, Hedgefonds und institutionellen Anlegern wie Pensions-
fonds, Staatsfonds und Versicherungen an der Spekulation mit Nahrungs-
mitteln und ihre Auswirkungen auf die Nahrungsmittelkrise in Somalia und
Ostafrika?

Berlin, den 31. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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