BT-Drucksache 17/753

Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 129, § 129a und § 129b Strafgesetzbuch in den Jahren 2008 und 2009

Vom 17. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/753
17. Wahlperiode 17. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Neskovic, Petra Pau,
Jens Petermann, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 129, § 129a und § 129b Strafgesetzbuch
in den Jahren 2008 und 2009

Der seit August 1976 bestehende § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) (Mit-
gliedschaft, Werbung und Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“)
ist ebenso wie der § 129 StGB („kriminelle Vereinigung“) und § 129b StGB
(„terroristische Vereinigung im Ausland“) schon lange umstritten. Strafvertei-
diger-Vereinigungen, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen fordern seit Jahren
die ersatzlose Abschaffung dieses Strafparagrafen.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum Komplex Strafverfahren wegen „linksterroristischer“ und hiermit in un-
mittelbaren Zusammenhang stehender Straftaten (inkl. Unterstützung und Wer-
bung) in den Jahren 2008 und 2009.
1. a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden

(aufgeschlüsselt nach Jahren) wegen derartiger Taten entweder vom
Generalbundesanwalt eingeleitet oder von den einleitenden Länder-
Staatsanwälten an diesen abgegeben?

b) In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch) nach
§ 129a StGB ermittelt?

c) In wie vielen Verfahren wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch)
nach § 129a StGB ermittelt?

d) In wie vielen Fällen hiervon lautete der Vorwurfjeweils „Unterstützung“
einer terroristischen Vereinigung bzw. „Werbung“ für eine terroristische
Vereinigung?

e) Wie viele der von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Verfahren wur-
den später wieder an die Länder-Staatsanwaltschaften abgegeben?

f) Wie viele der in den Fragen 1 a bis 1 d Beschuldigten waren

aa) jünger als 20 Jahre,

bb) zwischen 20 und 30 Jahre alt,
cc) zwischen 30 und 40 Jahre alt,
dd) älter als 40 Jahre?

g) In wie vielen dieser Fälle erfolgte aa) Ein Versuch der
Anwerbung bzw. des Einsatzes von V-Leuten?

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bb) Ein Versuch zur Gewinnung von Kronzeugen gegen die Beschuldig-
ten?

cc) Die Überwachung der Telekommunikation oder Post der Beschuldig-
ten und ihr Umfeld?

h) Wie viele Personen, Telekommunikationsanschlüsse bzw. (elektronische)
Postadressen waren von den unter Frage 1g Doppelbuchstabe cc genann-
ten Maßnahmen betroffen (bitte aufschlüsseln)?

i) Wie viele Hausdurchsuchungen fanden im Rahmen dieser Ermittlungs-
verfahren statt, wie viele Haushalte/Personen waren davon betroffen, und
was wurde beschlagnahmt?

2. In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Personen insgesamt Untersu-
chungshaft verhängt,

a) davon mit Haftgrund (§ 112 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO),
b) mit Haftgrund nach § 112 Absatz 3 StPO?
c) Wie lange dauerte jeweils die Untersuchungshaft (Monate/über ein Jahr)?

d) Wie viele der Betroffenen wurden später freigesprochen, zu Geldstrafe,
zu Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung
(Jahre/Monate) verurteilt?

e) Wie viele der Betroffenen in den Fragen 2a bis 2d waren

aa) jünger als 20 Jahre alt,
bb) 20 bis 30 Jahre alt,

cc) 30 bis 40 Jahre alt,
dd) über 40 Jahre alt?

3. a) In wie vielen Fällen kam es zur Einstellung der Ermittlungsverfahren
durch die Staatsanwaltschaft insgesamt?

b) In wie vielen Fällen davon waren jeweils ausschließlich bzw. auch nach
§ 129a StGB geführte Verfahren betroffen?

c) Wie viele dieser Verfahren fußten jeweils auf dem Vorwurf der Mitglied-
schaft, Unterstützung oder Werbung (bitte aufschlüsseln nach den in den
Fragen 1 und 2 genannten Arbeitsgruppen)?

4. a) In wie vielen Fällen erfolgte insgesamt Anklage?
b) Gegen wie viele Angeklagte wurde Anklage erhoben?

c) In wie vielen Fällen gegen wie viele Angeklagte wurde jeweils
aa) nur nach § 1 29a StGB angeklagt,

bb) auch nach § 129a StGB angeklagt?
d) Wie viele Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils betrafen in den

beiden letztgenannten Kategorien jeweils die Kategorie Mitgliedschaft,
Unterstützung, Werbung?

5. a) In wie vielen Fällen wurden die Anklagen zugelassen und das Hauptver-
fahren eröffnet?

b) Mit welchen Abweichungen, insbesondere bezüglich des Vorwurfs nach
§ 129a StGB?

c) In wie vielen Fällen kam es aus welchen Gründen zu gerichtlichen Ein-
stellungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/753

6. a) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind ergangen (unterschie-
den nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?

b) Wie viele Freisprüche gab es?
c) Wie viele Verurteilungen erfolgten insgesamt?

aa) Wie viele Verurteilungen erfolgten jeweils nur oder auch nach
§ 129a StGB?

bb) Wie viele der unter Frage 6a Doppelbuchstabe aa genannten Verur-
teilungen erfolgten jeweils wegen Mitgliedschaft, Unterstützung,
Werbung?

d) Bei wie vielen dieser Verurteilungen wurde Geldstrafe verhängt?

e) Wie häufig wurde Jugendstrafe wegen welcher Strafnormen verhängt?
f) Wie viele Freiheitsstrafen wurden wegen welcher Strafnormen ver-

hängt?
aa) Wie hoch war die Strafdauer?
bb) In wie vielen Fällen davon mit Bewährung?

g) In wie vielen Fällen führte verminderte Schuldfähigkeit zu einer Straf-
milderung?

h) Wie verteilten sich die in den Urteilen festgestellten Deliktgruppen pro-
zentual entsprechend der Unterscheidung in Blath/Hobe: „Strafverfah-
ren gegen linksterroristische Straftäter und ihre Unterstützer (1971 bis
1979/80)“, Bonn 1984, S. 8 ff. (Anschläge, gruppenbezogene Handlun-
gen, Unterstützungshandlungen)?

7. a) In wie vielen Fällen wurden insgesamt Rechtsmittel eingelegt?
b) Welche Rechtsmittel wurden eingelegt?
c) Von wem (Staatsanwalt/Verteidigung) wurden die Rechtsmittel einge-

legt?
d) Mit welchem Erfolg wurden die Rechtsmittel jeweils eingelegt?

8. In wie vielen Fällen wurden Verteidiger von der Wahrnehmung der Vertei-
digung vom Gericht ausgeschlossen, und mit welcher Begründung?

9. a) In wie vielen Fällen wurden gemäß Frage 6 verurteilte Strafgefangene
mit welchem Strafmaß insgesamt vorzeitig aus der Haft entlassen?

b) Nach welchen Vorschriften bzw. aufgrund welchen Akts erfolgte die
vorzeitige Haftentlassung?

c) Nach Verbüßung welcher Strafzeit erfolgte die vorzeitige Haftentlas-
sung?

10. Welche materiellen Sachschäden, berufliche Schäden sind Betroffenen die-
ser Ermittlungsverfahren, gegen die im späteren Gang der Ermittlungen
das Verfahren entweder eingestellt wurde oder die freigesprochen wurden,
bei diesen Razzien, Observationen, Hausdurchsuchungen etc. entstanden?

11. Wie lange werden die Daten der in diesen Ermittlungsverfahren erfassten
Beschuldigten wo aufbewahrt?

12. Wie ist der Umgang mit personenbezogenen Daten aus Dateien und Datei-
verbünden, die der Verdachtsgewinnung (im Rahmen der Gefahrenabwehr)
dienen, insbesondere freigesprochene Beschuldigte betreffend?

II. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I.1 bis I.10, bezo-
gen auf den Komplex Strafverfahren wegen „rechtsterroristischer“ und hiermit
in unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten in den Jahren 2008 und
2009 (bitte nach den Jahren einzeln aufschlüsseln)?

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III. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I und II, bezogen
auf die an die Länder abgegebenen und dort fortgeführten Strafverfahren (aus-
drücklich in Kenntnis und unter Berücksichtigung der nur teilweisen Rückmel-
dungen aus den Ländern)?

IV. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I, bezogen auf Ver-
fahren gemäß § 129 StGB (kriminelle Vereinigung)
1. insgesamt,
2. politischen Inhalts, insoweit als in diesen durch die politischen Abteilungen

der Staatsanwaltschaften bzw. durch den Generalbundesanwalt ermittelt
und/oder vor einer Staatsschutzkammer verhandelt wurde?

V.
1. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I, bezogen auf die

Verfahren gemäß § 129b (kriminelle und terroristische Vereinigung im Aus-
land) jeweils?

2. Gegen welche ausländischen Gruppierungen richteten sich die Ermittlun-
gen, Anklagen und Verurteilungen in den Jahren 2008 und 2009 nach § 129b
StGB (bitte aufschlüsseln)?

3. Welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die in den Jahren 2008 und
2009 Verfahren nach § 1 29b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden,
werden von der Europäischen Union auf der Liste terroristischer Organisa-
tionen aufgeführt (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

4. Gegen welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die 2008 und 2009
Verfahren nach § 129b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden, besteht
in Deutschland ein Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz (bitte nach
Jahren einzeln aufschlüsseln)?

5. In wie vielen und welchen Fällen war die Einstufung einer ausländischen
bzw. im Ausland tätigen Organisation als terroristisch im Sinne des § 129b
StGB durch das Bundesministerium der Justiz in den Jahren 2008 und 2009
strittig (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

6. In wie vielen und welchen Fällen waren 2008 und 2009 ein Gesuch der Re-
gierung oder Justizbehörde eines anderen Landes ausschlaggebend für die
Einleitung eines Verfahrens nach § 1 29b StGB (bitte nach Jahren einzeln auf-
schlüsseln)?

7. In wie vielen und welchen Fällen haben die deutschen Ermittlungsbehörden
bei Ermittlungsverfahren nach §129b StGB in den Jahren 2008 und 2009
über den Weg des polizeilichen Informationsaustausches Erkenntnisse aus-
ländischer Sicherheitskräfte genutzt (bitte nach Jahren einzeln aufschlüs-
seln)?

VI. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund der zum Teil er-
heblichen materiellen und immateriellen beruflichen und öffentlichen Schäden
bei den Betroffenen solcher Ermittlungsverfahren und dem hohen Anteil der
mit Freispruch oder Einstellung beendeten Ermittlungen die Folgen dieser
Strafparagrafen?
Hält die Bundesregierung bei den Ermittlungen nach § 129, § 129a und § 129b
StGB den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt?

Berlin, den 17. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeigerVerlagsgesellschaft mbH, Postfach 1005 34,50445 Köln, Telefon (0221)97668340, Fax (0221)976683 44, www.betrifft-gesetze.de

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