BT-Drucksache 17/7447

Militärische Eskalationspolitik der Türkei gegenüber der Republik Zypern als Gefährdung für den Mittelmeerraum

Vom 21. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7447
17. Wahlperiode 21. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Militärische Eskalationspolitik der Türkei gegenüber der Republik Zypern
als Gefährdung für den Mittelmeerraum

Die geopolitische Lage der Republik Zypern hat enormen Einfluss auf die Rah-
menbedingungen für die uneingeschränkte Ausübung ihrer Souveränität und sie
setzte in der Vergangenheit das Land immer wieder der Gefahr ausländischer
Einmischungsversuche aus. Seit 37 Jahren kämpft die zypriotische Bevölkerung
um die Wiederherstellung der demokratischen Selbstbestimmungsrechte, die
durch den Staatsstreich der griechischen Militärjunta und der Putschisten auf
Zypern sowie der darauffolgenden militärischen Invasion der Türkei erdrückt
wurden. Die Angriffe auf die demokratischen Selbstbestimmungsrechte stellten
zugleich die Verwirklichung des von der NATO erarbeiteten Plans zur Verhinde-
rung einer linken Erneuerung in der Region nach dem Zweiten Weltkrieg dar
(Gladio, Stay-behind-Organisation der NATO). Hauptleidtragende dieser Ent-
wicklung sind nach wie vor die in der Republik Zypern lebenden Menschen. Be-
mühungen der Republik Zypern um eine friedliche Beendigung des Konfliktes
wurden bereits dreimal mit der Drohung eines Kriegsausbruchs zwischen
NATO-Mitgliedstaaten seitens der Türkei vereitelt (siehe International Crisis
Group, Europe Briefing Nr. 64 vom 19. Juni 2011).

Während die gegenwärtige Regierung und der Präsident der Republik Zypern,
Dimitris Christofias, ernsthafte Bemühungen zu einer friedlichen Beilegung
des sog. Zypernkonfliktes unternehmen, versucht die Türkei jüngst erneut mit
militärischen Drohungen und einer Instrumentalisierung ihrer Beitrittsverhand-
lungen mit der Europäischen Union (EU) alle Verhandlungsbemühungen zu
sabotieren. Die Türkei nutzt vor diesem Hintergrund auch die gegenwärtig
stattfindenden Erkundungen nach Erdöl- und Erdgasvorkommen in den zyprio-
tischen Küstengewässern, um durch eine erneute Eskalation des Zypernkonflik-
tes die EU und die internationale Gemeinschaft zu einer Anerkennung des seit
1974 von ihr völkerrechtswidrig besetzten Teils der Republik Zyperns zu nöti-
gen. Diese türkische Eskalationsstrategie befördert auch rassistische und neo-
faschistische Tendenzen auf Zypern, die sich gegen ein friedliches Zusammen-
leben von griechischen und türkischen Zyprioten richten. Die Zusammenarbeit
zypriotischer Neofaschisten der E.LA.M mit deutschen Neonazis der NPD

zeigt die internationale Tragweite dieses Gefahrenpotentials (siehe Bundestags-
drucksache 17/6968).

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6669, Antwort zu Frage 1 angege-
ben, sie wisse nichts über einen Bericht des Rechtsausschusses der Parlamen-
tarischen Versammlung des Europarates vom Februar 2011, in dem die Gültig-
keit der Verträge der Garantiemächte Zyperns (Griechenland, Türkei und Groß-

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britannien), die im Zuge der Unabhängigkeit Zyperns 1960 geschlossen wurden,
in Frage gestellt wird. Sie vertrat in ihrer Antwort sogar die Auffassung, dass die
Bundesrepublik Deutschland als Nicht-Vertragspartei dieses Vertrages „mithin
durch diesen Vertrag nicht gebunden“ sei und ihr weder die „Auslegung des
Garantievertrags obliegt“ noch sie einen „Einblick in die Entstehungsgeschichte
und die spätere Übung der Vertragsparteien des Garantievertrags“ habe (siehe
Bundestagsdrucksache 17/6669, Antwort zu den Fragen 2 bis 10). Diese Auffas-
sung, sich de facto nicht inhaltlich mit völkerrechtlichen Abkommen wie den
Garantieverträgen zur Unabhängigkeit der Republik Zypern befassen zu müssen
bzw. ihren Inhalt nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, ist schon allein deshalb
fragwürdig, weil die Republik Zypern wie die Bundesrepublik Deutschland ein
Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ist. Diese Auffassung widerspricht
aber auch dem Grundgesetz, denn es geht hier nicht um eine innerstaatliche An-
wendung der Garantieverträge, sondern um ihre völkerrechtliche Anerkennung
im zwischenstaatlichen Bereich. Ihr obliegt die Kenntnisnahme und Auslegung
bestehender völkerrechtlicher Verträge im Rahmen der Pflege der Beziehungen
zu auswärtigen Staaten.

Das mangelnde Interesse an einer Klärung bezüglich des Vorhandenseins oder
Fehlens einer rechtlichen Geltung der Garantieverträge für die Bundesregierung
ist auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil davon auch die Rechtsgrundlage für
die Benutzung der britischen Sovereign Base Areas (SBAs) durch Bundeswehr-
soldaten bei der Verlegung nach Afghanistan ausschlaggebend ist. Wenn die
Bundesrepublik Deutschland eine völkerrechtliche Auslegung nicht durchführen
und mithin auch eine völkerrechtlich verbindliche Rechtsgrundlage nicht vor-
weisen kann, müsste sie die Nutzung dieser Militärbasen durch Angehörige der
Bundeswehr sofort unterbinden und sich gegen eine Nutzung durch ihre Verbün-
deten in Missionen der Vereinten Nationen, der EU und der NATO aussprechen.

Fragwürdig ist auch die Haltung der Bundesregierung zur völkerrechtswidrigen
Praxis der Türkei, internationale Verträge wie das Ankara-Protokoll nach Belie-
ben umzusetzen und von sachfremden Forderungen gegenüber der Republik
Zypern abhängig zu machen. Denn anders als von der Bundesregierung sugge-
riert, hängt die Verpflichtung zur Umsetzung des Ankara-Protokolls nicht von
zyprischen Zugeständnissen und deren Kompromissbereitschaft gegenüber der
türkisch-zyprischen Gemeinschaft im völkerrechtswidrig türkisch besetzten
Teil der Republik Zypern ab. Dieses Verhalten der Bundesregierung erweckt
den Anschein, die gegenwärtige Teilung der Republik Zypern sei Folge der
„Isolierung der türkisch-zyprischen Gemeinschaft“ und nicht umgekehrt, die
völkerrechtliche Isolierung des türkisch besetzten Teils der Republik Zypern
eine Folge der völkerrechtswidrigen und das Gewaltverbot der UN-Charta
missachtenden Militärinvasion in Zypern durch die Türkei. Die Tatsache, dass
die Bundesregierung eine derartige Auffassung gerade zu einem Zeitpunkt ver-
tritt, da sie den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat führte, wirft ein besonderes Licht
auf ihre Rolle in der Eskalation der sicherheitspolitischen Lage im östlichen
Mittelmeer, insbesondere gegenüber der Republik Zypern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung inzwischen den Bericht des Rechtsausschusses der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom Februar 2011 zur
Kenntnis genommen, in dem die Gültigkeit der Verträge der Garantiemächte
Zyperns (Griechenland, Türkei und Großbritannien) in Frage gestellt werden,
welche im Zuge der Unabhängigkeit Zyperns 1960 geschlossen wurden?

Wenn ja, welche rechtlichen Schlussfolgerungen für ihre Position gegenüber
den Konfliktparteien im Zypernkonflikt zieht die Bundesregierung aus dem

genannten Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarates?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7447

2. Vertritt die Bundesregierung auf der Grundlage ihrer rechtlichen Einschät-
zung die Auffassung, dass die Garantieverträge, die von den Garantie-
mächten Zyperns (Griechenland, Türkei und Großbritannien) im Zuge der
Unabhängigkeit Zyperns 1960 geschlossen wurden, nach wie vor rechts-
verbindlich sind?

3. Auf welcher rechtlichen Grundlage und tatsächlichen Einschätzung bezüg-
lich des Umfanges der Souveränität der Republik Zypern nutzt die Bundes-
regierung das Staatsgebiet der Republik Zypern und die Sovereign Base
Areas (SBAs) durch die deutschen „Austauschoffiziere, die Dienst in den
britischen Streitkräften leisten und mit diesen gemeinsam nach Afghanis-
tan verlegt werden, [die] gelegentlich die britische Basis Akrotiri im Rah-
men von technischen Zwischenstopps“ nutzen (siehe Antwort zu Frage 19,
Bundestagsdrucksache 17/6669)?

4. Erkennt die Bundesrepublik Deutschland das uneingeschränkte souveräne
Recht der Republik Zypern als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen und
zugleich Mitgliedstaat der EU an, nach welchem es berechtigt ist, Erkun-
dungen nach Erdöl-und Gasvorkommen in den Küstengewässern der Repu-
blik Zypern durchzuführen?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die völkerrechtliche und politische
Dimension der jüngsten Eskalationsmaßnahmen der Türkei gegenüber der
Republik Zypern vor dem Hintergrund der Erkundung von Erdöl- und Gas-
vorkommen in den Küstengewässern der Republik Zypern?

6. Vertritt die Bundesregierung auf Grundlage ihrer rechtlichen Einschätzung
die Auffassung, dass Verträge über die Erkundung und Nutzung von Roh-
stoffen (insbesondere Erdöl- und Gasvorkommen), welche zwischen der
Türkei und dem türkisch besetzten Teil der Republik Zypern geschlossen
werden, völkerrechtswidrig sind?

7. Inwieweit hält die Bundesregierung den Abschluss des Vertrages zwischen
der Türkei und dem nicht völkerrechtsfähigen türkisch besetzten Teil der
Republik Zypern über die gemeinsame Ausbeutung der Ressourcen vor
Zypern für rechtswidrig?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die türkische
Regierung internationales Recht einhalten muss und die legitime Erkun-
dung der Erdgasvorkommen durch die Republik Zypern nicht mit den Ver-
handlungen zur Lösung der Zypernfrage verbinden darf?

9. Welche Hinweise hat die Bundesregierung auf das geschätzte Volumen der
Erdöl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer?

10. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die türkische
Regierung drei Fregatten und drei U-Boote der türkischen Kriegsmarine in
die zypriotischen Hoheitsgewässer entsandt hat (www.suedkurier.de/news/
brennpunkte/politik/Saebelrasseln-im-Mittelmeer;art410924,5128095)?

a) Welche rechtlichen und politischen Konsequenzen zieht die Bundes-
regierung oder plant die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem
Verlegen türkischer Kriegsschiffe in zypriotische Küstengewässer?

b) Inwieweit hält die Bundesregierung die Präsenz dieser türkischen
Kriegsschiffe in den Gewässern der Republik Zypern völkerrechtlich
für illegal?

11. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass Russland aus Solida-
rität mit der Republik Zypern zwei U-Boote ins Mittelmeer geschickt
hat (siehe www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/die-tuerkei-auf-

konfrontationskurs/4628518.html)?

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12. Welchen Inhalt und welche rechtliche Ausgestaltung haben militärische
Beistandsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der
Republik Zypern als EU-Mitgliedstaat falls es zu einem militärischen Kon-
flikt im östlichen Mittelmeerraum kommen sollte?

a) Beinhalten diese auch die Sicherung der durch das Grenzabkommen
zwischen der Republik Zypern und Israel festgelegten Seegrenzen?

b) Inwiefern stehen diese den Beistandsverpflichtungen gegenüber dem
NATO-Mitgliedstaat Türkei entgegen?

13. Besteht eine sicherheits- und verteidigungspolitische Strategie der Bundes-
regierung (namentlich des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums
für Verteidigung), falls es zu einer militärischen Eskalation des Konfliktes
kommen sollte?

Wenn ja, wie sieht diese aus?

14. Welche Bemühungen hat die Bundesregierung bislang auf bilateraler, euro-
päischer und multilateraler Ebene vorgenommen, um den Konflikt im öst-
lichen Mittelmeer zwischen der Republik Zypern und der Türkei friedlich
beizulegen?

Berlin, den 21. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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