BT-Drucksache 17/742

Anspruch auf Kinderzuschlag bei verspätet gezahltem Lohn

Vom 17. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/742
17. Wahlperiode 17. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Dittrich, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Ingrid Remmers,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Anspruch auf Kinderzuschlag bei verspätet gezahltem Lohn

Ziel des Kinderzuschlags ist es, dass Eltern nicht aufgrund ihrer Kinder hilfe-
bedürftig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) werden. In-
sofern erscheint es sinnvoll, dass der Einkommensbegriff, der dem Kinder-
zuschlag zugrunde gelegt wird, sich an dem SGB II orientiert, um Brüche zu
vermeiden. Die Familienkassen greifen bei der Bescheidung des Kinder-
zuschlags auch auf das Zuflussprinzip des SGB II zurück, wenn es um die Be-
wertung von Einkommen geht. Danach werden Einkommen immer in dem
Kalendermonat angerechnet, in dem sie „zufließen“. Dies erscheint prinzipiell
sachgerecht, zumindest insofern, als es dem Kinderzuschlag widerspräche,
wenn dieser Haushalten ohne oder lediglich mit geringem Einkommen gewährt
würde, die jedenfalls zusammen mit Kindergeld und Wohngeld nicht den Be-
darf im Sinne des SGB II decken könnten.

In der Praxis ergibt sich hierdurch allerdings teilweise eine absurde Proble-
matik. Dies ist jedenfalls geschilderten Fällen von Personen zu entnehmen, die
sich aufgrund dieser „Gesetzeslücke“ an die Fraktion DIE LINKE. wandten.
Wenn eine abhängig beschäftigte Person ihr Gehalt eigentlich zum letzten
Werktag des Monats bezieht, die Überweisung aber ausnahmsweise erst zu
Beginn des Folgemonats eingeht, verliert sie den Anspruch auf den Kinderzu-
schlag für diesen Monat – zumindest ist dies die Praxis bei einzelnen Familien-
kassen. Grund ist, dass in diesem Monat dann kein Erwerbseinkommen vorlag
und somit auch die Mindesteinkommensgrenze als Anspruchsvoraussetzung
des Kinderzuschlags formal nicht erreicht wurde. Damit entfällt jeder Anspruch
auf Kinderzuschlag. Im Folgemonat, in dem nun zwei Monatsgehälter einge-
hen, wäre die Person eventuell ebenfalls nicht zuschlagberechtigt, da das Ein-
kommen in diesem Monat die Höchsteinkommensgrenze gegebenenfalls über-
steigen könnte.

Da eine zu spät eingegangene Überweisung jedoch stets erst zu Beginn des
Folgemonats festgestellt werden kann, fällt diese Person in eine rechtliche
Lücke. Rückwirkend für den abgelaufenen Monat hätte sie dem Grunde nach
Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) gehabt, da kein ausreichendes

Einkommen vorgelegen hat. Darauf verweist in den genannten Fällen auch die
Familienkasse. Diese weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass Personen in
solchen Fällen von den ARGEn abgewiesen würden. Grund hierfür scheint zu
sein, dass dieser Monat bereits verstrichen ist, eine Beantragung daher nicht
mehr möglich. Den nach Auffassung der Familienkasse zu viel erhaltenen Kin-
derzuschlag muss die Person dennoch zurückzahlen, da die Anspruchsvoraus-
setzung nicht erfüllt wird. Gleichzeitig droht der Person, dass sie im Folge-

Drucksache 17/742 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

monat weder ALG II noch Kinderzuschlag beantragen darf. Effektiv muss eine
Familie, die zwar grundsätzlich kinderzuschlagberechtigt wäre, nun bis zu zwei
Monate ohne Kinderzuschlag auskommen, was pro Kind 280 Euro ausmacht.

Das Vorgehen, sowohl der Familienkasse als auch der ARGE, erscheint vor dem
Hintergrund einer Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zur
Anrechnung von Einkommen zumindest fraglich. Danach liegen laufende Ein-
nahmen auch vor, wenn Einnahmen auf Grund der Eigenart der Entlohnung
monatlich in unterschiedlicher Höhe zufließen (z. B. Stunden- oder Akkord-
löhne). Laufende Einnahmen in monatlich unterschiedlicher Höhe können daher
für jeden Monat separat berechnet werden. Nach § 2 Absatz 3 der Arbeitslosen-
geld-II-Verordnung ist es auch zulässig, für den Bewilligungszeitraum ein
Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen, wenn bei der Entscheidung be-
kannt ist, dass das Einkommen in monatlich unterschiedlicher Höhe zufließen
wird. Dabei ist als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Monat der
Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei Teilung des Gesamtein-
kommens durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Da-
raus ergibt sich die Frage, ob die Bundesregierung die Praxis der Familienkasse
für richtig und angemessen hält oder ob diese nicht vielmehr den Sinn der
Durchführungsanweisung auch auf solche Fälle ausweiten sollte, in denen das
Einkommen unverschuldet in einem Kalendermonat zufließt, jedenfalls dann,
wenn die Betroffenen dadurch nicht erheblich bessergestellt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich die oben geschilderte Proble-
matik grundsätzlich so ergeben könnte (bitte erläutern)?

2. Könnten selbstständig Erwerbstätige, insbesondere bei unregelmäßigen Ein-
kommen, nach Auffassung der Bundesregierung von einer ähnlichen Proble-
matik betroffen sein?

3. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen der Kinderzu-
schlag nachträglich zurückverlangt wurde, da sich die Einkommenssituation
der Familie im Bewilligungszeitraum veränderte?

4. In wie vielen Fällen war der Grund für die Rückforderung eine verspätete
Lohnüberweisung, die von dem Arbeitgeber zu verantworten ist?

5. Ist es möglich, rückwirkend für einen vergangen Kalendermonat Leistungen
nach dem SGB II zu beantragen, und wenn ja, wird dann nur das Einkommen
aus diesem Kalendermonat berücksichtigt?

6. Wie viele abhängig Beschäftigte bekommen ihren Lohn zum Ende eines
Kalendermonats überwiesen, und wie häufig kommt es hierbei zu einer
verzögerten Lohnauszahlung, so dass das Einkommen erst im folgenden
Kalendermonat zufließt (wenn möglich differenzieren: abhängig Beschäftigte
generell, abhängig Beschäftigte mit Kinderzuschlag sowie erwerbstätige
Hilfeberechtigte nach dem SGB II)?

7. Würde die Bundesregierung die oben genannte Durchführungsanweisung
auch auf Fälle anwenden, in denen eine eigentlich regelmäßige Zahlung nur
wenige Tage vor oder nach dem vorgesehenen Zeitpunkt, allerdings in einem
anderen Kalendermonat bzw. Bewilligungszeitraum, eingeht (bitte begrün-
den)?

Wenn ja, sieht die Bundesregierung dann auch die Familienkasse gehalten,
sich an diese Durchführungsanweisung zu halten?

Wenn nein, wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass die Durch-
führungsanweisung entsprechend geändert wird, um auch in solchen wie

den oben geschilderten Fällen eine regelmäßige Zahlung und eine gewisse
Planbarkeit zu gewährleisten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/742

8. Sieht die Bundesregierung in dieser Frage Handlungsbedarf, und wenn ja,
welchen?

Plant die Bundesregierung, eine entsprechende Änderung im Rahmen der
ohnehin geplanten Reform des Kinderzuschlags mit aufzunehmen?

9. Ist der oben geschilderte Sachverhalt aus Sicht der Bundesregierung eine un-
komplizierte, sachgerechte und familienfreundliche Regelung (bitte begrün-
den)?

Berlin, den 17. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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