BT-Drucksache 17/7295

Rolle und Förderung der Migrationsberatung für erwachsene Einwandererinnen und Einwanderer und des Modellprojekts "individuelle Integrationsvereinbarungen"

Vom 11. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7295
17. Wahlperiode 11. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Ingrid Hönlinger
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rolle und Förderung der Migrationsberatung für erwachsene Einwandererinnen
und Einwanderer und des Modellprojekts „individuelle Integrations-
vereinbarungen“

Seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 fördert der Bund gemäß
§ 45 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes die so genannte Migrationsberatung für
erwachsene Einwandererinnen und Einwanderer (MBE), um diese Menschen
bei der sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration zu unterstützen.

Für die Arbeit der MBE hat die Bundesregierung spezielle Förderrichtlinien er-
lassen (GMBl. 2010 Nr. 13, S. 260 ff.).

Aufgabe der MBE ist demzufolge die bedarfsorientierte Einzelfallberatung
(Case Management). Hierzu gehören Sondierungsgespräche, Sozial- und Kom-
petenzanalysen sowie die Erstellung und Umsetzung individueller Förderpläne.
Daneben gehört zu ihren Aufgaben die bedarfsorientierte sozialpädagogische
Begleitung während des Integrationskurses sowie eine aktive Öffentlichkeits-
arbeit. Schließlich fällt die aktive Mitarbeit in kommunalen Netzwerken bzw.
die Mitwirkung bei der interkulturellen Öffnung der Regeldienste und der Ver-
waltungsbehörden in ihren Aufgabenbereich (vgl. 2.4.1 und 2.4.2 der Förder-
richtlinie).

Um diese Aufgaben zu erfüllen, bedarf es einer möglichst engen Verzahnung der
örtlichen Integrationsakteure, also der Integrationskursträger, der Ausländer-
behörden, der Arbeitsagenturen bzw. Leistungsbehörden nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie der Anbieter sozialer und gesundheitlicher
Dienstleistungen mit den MBE.

Dem Schwerpunktpapier des Bundesministeriums des Innern (BMI) zum Bun-
deshaushalt 2012 zufolge (S. 253) konnten 2010 insgesamt 512 Personalstellen
bei den MEBs finanziert werden. Der Beratungsschlüssel solle bei 1:60 liegen;
die Beratung solle sich zu 44 Prozent an Integrationskursteilnehmer richten.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Dr. Maria
Böhmer, startete im April 2011 einen Modellversuch, bei dem 18 Monate lang
an 18 Standorten in zwölf Bundesländern der Abschluss möglichst verbind-
licher, individueller Integrationsvereinbarungen erprobt werden sollte. Diese
Vereinbarungen sollen Folgendes beinhalten:

● eine individuelle Kompetenzanalyse der Einwanderinnen und Einwanderer;

● den jeweiligen Unterstützungsbedarf (Spracherwerb, Aus- und Weiterbil-
dung, Kinderbetreuung etc.) sowie

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● die Vermittlung von Angeboten zum Spracherwerb bzw. Unterstützung bei
der Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsab-
schlüsse.

Im Kern soll innerhalb dieses Modellprojekts ein individuelles Case Manage-
ment erprobt werden, was die MBE de facto seit vielen Jahren bereits erfolg-
reich leisten.

Die angestrebte Verbindlichkeit möchte die Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
erreichen, indem beide Seiten die Integrationsvereinbarung unterschreiben, so
dass also auch die Einwandererin bzw. der Einwanderer schriftlich zusagt,
ihr/ihm gewährte Angebote auch zu nutzen.

Sollte sich dieses Modellprojekt bewähren, will die Integrationsbeauftragte der-
artige Integrationsvereinbarungen bundesweit verankern.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat im
Kontext des Beginns dieses Modellprojekts im Mai 2011 Empfehlungen zur
verbesserten Zusammenarbeit von MBEs sowie den Leistungsträgern nach
SGB II, den Ausländerbehörden und Integrationskursträgern herausgegeben.
Der BAGFW geht es im Kern um drei Punkte:

● Sicherstellung der Eigenständigkeit, der Unabhängigkeit und Freiwilligkeit
der Beratungstätigkeit der MBEs, so dass Ratsuchende und die MBEs das
Ziel und den Verlauf des Beratungsprozesses auch in Zukunft eigenverant-
wortlich aushandeln und vereinbaren können.

● Erhöhung der Verbindlichkeit und der Formalisierung bei der Zusammenar-
beit der MBEs mit den Integrationskursträgern, den Ausländerbehörden und
– insbesondere – mit den Leistungsträgern des SGB II (mit denen angeblich
„die größten Kooperationshindernisse“ bestehen).

● Klare Regeln zum Datenschutz: Diese sollten für die Ratsuchenden und die
beteiligten Integrationsakteure gleichermaßen klarstellen, dass die beim
behörden- bzw. trägerübergreifenden Case Management unausweisliche
Weitergabe sensibler personenbezogener Daten stets der Zustimmung der rat-
suchenden Person bedarf.

Das BMI erklärte die MBE in seinem o. g. Schwerpunktpapier (S. 253 f .) zu
„zentralen Ansprechpartnern“ des Modellprojekts der Integrationsbeauftragten.
Dennoch erfolgte keine Aufstockung der Haushaltsmittel für die MBE: Sie sol-
len (wie im Vorjahr) nur 25,3 Mio. Euro erhalten – 2 Mio. Euro weniger als
noch 2010 veranschlagt – und sogar 5 Mio. Euro weniger als die damalige rot-
grüne Bundesregierung 2005 für die MBEs bereitgestellt hatte.

Wir fragen die Bundesregierung:

Migrationsberatung für erwachsene Einwandererinnen und Einwanderer

1. In wie vielen Einrichtungen wurde/wird MBE in den Jahren 2009 bis 2011
angeboten (bitte nach Jahren, Projektträger und Ort aufschlüsseln), und wel-
ches Soll möchte die Bundesregierung 2012 diesbezüglich erreichen?

2. Wie viele MBE-Personalstellen konnten in den Jahren 2009 bis 2011 ein-
gerichtet werden (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

a) Wie viele hiervon sind Vollzeit- und wie viele Teilzeitstellen?

b) Welches diesbezügliche Soll möchte die Bundesregierung 2012 errei-
chen?

3. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2009, 2010 bzw. im ersten Halb-
jahr 2011 durch die MBEs beraten (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

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4. Umfassen die derzeitigen Förderrichtlinien auch gruppenbezogene Infor-
mations- und Beratungsangebote?

Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Wenn nein, warum nicht?

5. Nach welchem Schlüssel sollen sich die MBEs ihre personellen, zeitlichen
und finanziellen Ressourcen zwischen ihren fünf Aufgabengebieten auf-
teilen (Einzelfallberatung, sozialpädagogische Begleitung, Mitarbeit in
kommunalen Netzwerken, Mitwirkung bei der interkulturellen Öffnung,
Öffentlichkeitsarbeit), und wo ist das geregelt?

6. Hält die Bundesregierung eine Ausweitung der Mitwirkung der MBE bei
der interkulturellen Öffnung der Regeldienste und der Verwaltungsbehör-
den integrationspolitisch für wünschenswert, und wenn nein, warum nicht?

7. Wie lag der tatsächliche Beratungsschlüssel in den Jahren 2009 bis 2010?

8. Zu welchem Anteil richtet sich die Beratungstätigkeit der MBE in den Jah-
ren 2009 bis 2010 tatsächlich an Integrationskursteilnehmerinnen und -teil-
nehmer?

9. Wäre es im Hinblick auf den sog. Erreichungsgrad der MBE integrations-
politisch sinnvoll, nicht nur unmittelbare „Integrationskursteilnehmer“ zu
berücksichtigen, sondern auch solche, die – zeitlich gesehen – in einer
„Integrationskursumgebung“ von den MBEs beraten werden?

Wenn ja, wie stellt sich der Erreichungsgrad dann dar?

Wäre es dann angebracht, die Förderrichtlinien entsprechend anzupassen?

Wenn nein, warum nicht?

Modellprojekt „individuelle Integrationsvereinbarungen“

10. An welchen Standorten sind MBEs welcher Trägerorganisationen in das
Modellprojekt „individuelle Integrationsvereinbarungen“ eingebunden?

11. Welchen Mehrwert verspricht sich die Bundesregierung überhaupt von ih-
rem Modellprojekt „individuelle Integrationsvereinbarungen“ im Hinblick
auf das auch bisher schon geleistete individualisierte Case Management der
MBEs?

12. Welchen organisatorischen, personellen und finanziellen Mehraufwand
kalkuliert die Bundesregierung für die MBEs, die an dem o. g. Modellpro-
jekt beteiligt sind?

13. Erhalten die an diesem Modellprojekt beteiligen MBEs entsprechend zu-
sätzliche Mittel?

Wenn ja, in welcher Höhe?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wie begründet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Mehraufwen-
dungen für das Modellprojekt „individuelle Integrationsvereinbarungen“,
dass die Haushaltsmittel für die MBEs 2012 unverändert bei 25,3 Mio. Euro
liegen sollen?

15. Wie begründet die Bundesregierung generell, dass Haushaltsmittel für die
MBE von 30,1 Mio. Euro (2005) zunächst auf 27,3 Mio. Euro (2010) auf
nur noch 25,3 Mio. Euro (2011 und 2012) abgesenkt worden sind?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der BAGFW, dass im Interesse der
Eigenständigkeit, der Unabhängigkeit und Freiwilligkeit der MBE-Be-
ratung Ausländerbehörden bzw. die Leistungsträger des SGB II die Teil-

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nahme an einer MBE-Beratung nicht erzwingen bzw. den Nichtbesuch
oder Beratungsabbruch nicht sanktionieren können sollten etwa durch die
Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. sozialrechtlicher Sanktio-
nen?

Wenn ja, was hat die Bundesregierung unternommen, um das Zusammen-
wirken der MBE insbesondere mit den Leistungsträgern des SGB II (also
der Bundesanstalt für Arbeit bzw. den ARGEN) durch verbindliche Koope-
rationsvereinbarungen zu verbessen?

Wenn nein, warum nicht?

17. Gibt es Regelungen über die Weitergabe personenbezogener Daten zwi-
schen den an einem MBE-Case-Management bzw. an dem Modellprojekt
„Individuelle Integrationsvereinbarungen“ beteiligten öffentlichen und pri-
vaten Einrichtungen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

18. Wer soll diese Integrationsvereinbarung für die öffentliche Hand unter-
zeichnen (die MBEs und/oder die Integrationskursträger, die Ausländer-
behörden bzw. die Leistungsträger des SGB II)?

19. Ergeben sich aus der Unterschrift unter diese Integrationsvereinbarung
irgendwelche Rechtsfolgen?

Wenn ja, welcher Akteur hat diesbezüglich Rechtsfolgen welcher Art zu
erwarten?

Wenn nein, wie sinnvoll ist eine letztlich symbolische Unterschrift?

20. Ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in die Durchführung die-
ses Modellprojekts eingebunden?

Wenn ja, in welcher Form (bitte ausführen)?

Wenn nein, warum nicht?

21. Wer ist zu welchen Kosten mit der Evaluierung dieses Modellprojekts be-
auftragt worden?

22. Ist es zutreffend, dass diejenigen, die die Arbeit dieses Modellprojekts eva-
luieren sollen, bereits in der Durchführungsphase an der diesbezüglichen
Beratung/(Nach)Steuerung beteiligt sind, und wenn ja, welche Konsequen-
zen hat dies für die Unabhängigkeit und Objektivität der Evaluation?

Berlin, den 11. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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