BT-Drucksache 17/7196

Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs

Vom 28. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7196
17. Wahlperiode 28. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, Ulla Jelpke,
Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Konsum von Drogen ist eine gesellschaftliche Alltagserscheinung. Das gilt
für legale Rauschmittel wie Alkohol und Tabak ebenso wie für illegale Drogen
wie Cannabis. Die verfassungsrechtliche Bewertung des strafrechtlichen Um-
gangs mit Cannabis-Produkten, die laut Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nicht
verkehrsfähig sind (nachfolgend „Cannabis“ genannt), war 1994 Gegenstand
eines Vorlagebeschlusses des Landgerichts Lübeck nach Artikel 100 des Grund-
gesetzes. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die entsprechenden Vor-
schriften des BtMG als verfassungskonform erachtet, doch wurde die Straf-
verfolgung bei Besitz von geringen Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch als
unverhältnismäßig beurteilt.

Als Folge der Entscheidung des BVerfG verlagerte sich die Verfolgung von
Cannabiskonsumenten vom Strafrecht zum Straßenverkehrsrecht. Einen wis-
senschaftlich fundierten Grenzwert für Cannabis-Leitsubstanzen, der die tat-
sächliche Beeinflussung der Fahrtüchtigkeit widerspiegelt, gibt es jedoch nicht.

Cannabis durch ein Verbot gesetzlich auf eine Ebene mit harten Drogen wie
Heroin zu stellen, wird seinem Gefährdungspotential nicht gerecht. Die Illega-
lisierung öffnet nicht nur der organisierten Kriminalität Entfaltungsmöglich-
keiten, auch gegen die Beimischung von gefährlichen Substanzen haben die
Konsumenten keinerlei Handhabe. Auch die Behauptung, Cannabis sei eine
Einstiegsdroge, hat sich als haltlos herausgestellt.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe (Eignung, Erforderlich-
keit, Vermeidung von unzumutbaren Belastungen) muss bei jedem Eingriff in
die Persönlichkeitsrechte überprüft werden. Das derzeitige Cannabisverbot ist
nicht geeignet, den illegalen Handel oder den Konsum von Cannabis wirksam
zu beschränken. Die Anzahl von Menschen, die Cannabis konsumieren, ist wei-
terhin hoch. Das derzeitige Verbot ist auch nicht erforderlich, da die Risiken,
die von Cannabis ausgehen, für Erwachsene analog zu den Risiken von Alko-
hol und Nikotin abschätzbar sind. Die Gefahr einer Abhängigkeit oder Tole-
ranzentwicklung wird als gering eingestuft. Demgegenüber ist die Durchset-
zung des totalen Cannabisverbots auch nach Ansicht des BVerfG nicht zumut-
bar. Es hat festgestellt, dass die Strafbarkeit des Besitzes geringer Mengen
Cannabis nur deshalb nicht unverhältnismäßig sei, weil den Strafverfolgungs-
behörden und Gerichten ermöglicht werde, von der Durchsetzung abzusehen.

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Diese Freiräume werden aber in sehr unterschiedlichem Maße genutzt. Gene-
rell gilt, dass nur die soziale Kontrolle für einen vernünftigen Umgang sorgen
kann. Für die große Mehrheit der Bevölkerung funktioniert das bei Alkohol
nicht zuletzt aufgrund der jahrhundertelangen Geschichte vergleichsweise gut,
so das BVerfG. Aber auch bei Cannabis sind entsprechende Entwicklungen zu
beobachten. Laut der Studie zur Drogenaffinität 2008 ist die Wahrscheinlich-
keit, mit Cannabis in Berührung zu kommen, in den letzten 15 Jahren deutlich
gestiegen. Trotzdem sinkt der Anteil der regelmäßigen Cannabiskonsumenten
seit Jahren.

Diese Entwicklung ist durch eine progressive Drogenpolitik zu fördern. Der
spanische Weg der Cannabis-Clubs zeigt, dass ein verantwortungsvoller und
liberaler Umgang auch unter den gegebenen Verhältnissen ermöglicht werden
kann. Spanische Gerichte haben bestätigt, dass diese Clubs lediglich zur
Deckung des persönlichen Bedarfs dienen. Sie bewegen sich im Rahmen der
internationalen Verträge und stellen eine schnell umsetzbare Möglichkeit für
einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis dar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetz-
entwurf vorzulegen, der Folgendes regelt:

1. Der Besitz von Cannabis zum Eigengebrauch wird legalisiert. Dafür ist der
Besitz von bis zu 30 g getrocknete Teile der Cannabispflanze oder äquiva-
lente Mengen anderer Cannabiserzeugnisse (z. B. Haschisch, Frischpflanzen)
von den Regelungen des BtMG auszunehmen. Der Handel mit Cannabis-
pflanzen und -produkten bleibt untersagt.

2. Die Regelungen zu Cannabissamen sind aus den Anlagen des BtMG zu
streichen. Der Handel und Besitz von Cannabissamen und der Eigenanbau
von Cannabis zum Eigengebrauch werden damit legalisiert.

3. Cannabis-Clubs werden im Gesetz explizit als Möglichkeit genannt, den
Eigenanbau delegieren zu können. Die Clubs können für ihre Mitglieder den
Cannabiseigenanbau übernehmen und gegen Zahlung kostendeckender
Geldbeträge Cannabispflanzen zum Eigengebrauch abgeben. Cannabis-
Clubs sind eingetragene Vereine und verfolgen nicht überwiegend wirtschaft-
liche Interessen. Der Zutritt zu deren Räumlichkeiten ist ausschließlich
namentlich bekannten, volljährigen Mitgliedern vorbehalten. Für den Anbau
in Cannabis-Clubs ist durch den Vereinsvorstand die erforderliche Sach-
kunde nachzuweisen. Cannabis-Clubs unterliegen einem Werbeverbot und
müssen von Interessenten eigeninitiativ kontaktiert werden.

4. Für Cannabisprodukte gilt ein Werbeverbot.

5. Das Rauchen von Cannabis unterliegt den Nichtraucherschutzgesetzen.

6. Für den Straßenverkehr ist eine wissenschaftlich begründete zulässige
Höchstgrenze von Tetrahydrocannabiol im Blut einzuführen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen zur Suchtprävention mo-
derne Gesundheitsförderungs- und Präventionskonzepte zu initiieren, die ab
dem frühen Kindesalter persönliche Kompetenzen und die Selbstbestimmung
stärken. Diese setzen in den Lebenswelten an und berücksichtigen soziale Un-
gleichheiten.

Berlin, den 28. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7196

Begründung

Legaler Konsum von Drogen wie Alkohol und Tabak ist allgegenwärtig.
Illegale Drogen werden trotz Verbot gehandelt und konsumiert. Dabei sagt die
Einteilung in legale und illegale Drogen nichts über deren tatsächliche Gefähr-
lichkeit aus.

Nikotin und Alkohol schaden der öffentlichen Gesundheit in Deutschland mehr
als alle illegalen Drogen zusammen. Laut einer Umfrage des Europäischen Sta-
tistikamts Eurostat gaben 2009 36 Prozent der Deutschen an, mindestens ein-
mal pro Woche fünf oder mehr Gläser Alkohol hintereinander zu trinken. Etwa
2,5 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig, ca. 75 000 Menschen ster-
ben jährlich an den direkten und indirekten Folgen von Alkoholmissbrauch.
Trotz insgesamt sinkendem Alkoholkonsum steigt die Zahl von Alkoholvergif-
tungen seit Jahren an. Das „Koma-Saufen“ von Jugendlichen und die Mode-
getränke Alcopops haben zu gesetzgeberischen Konsequenzen geführt. Laut
der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. werden 35 Prozent aller Fälle
von gefährlicher und schwerer Körperverletzung unter Alkoholeinfluss durch-
geführt. Diese Tendenzen lassen Zweifel an der eingangs dargestellten Argu-
mentation des BVerfG aufkommen.

Demgegenüber stehen drei Millionen gelegentliche oder regelmäßige Cannabis-
konsumenten sowie über zwölf Millionen Menschen mit Konsumerfahrung.
Todesfälle aufgrund von übermäßigem Cannabiskonsum sind bis heute nicht
bekannt. Bei der Bewertung von gesetzlichen Einschränkungen bestimmter
Drogen sollten sowohl ihre gesundheitliche Gefährlichkeit für die Konsumenten
als auch die gesellschaftlichen Folgen im Vordergrund stehen. Die Zahlen zum
Alkohol- und Cannabiskonsum mit ihren gesundheitlichen und gesellschaft-
lichen Folgen zeigen, dass eine Ungleichbehandlung dieser Drogen aufgrund
ihrer Schädlichkeit nicht begründet werden kann.

Möglichen psychischen Schädigungen durch Cannabiskonsum, insbesondere
bei Heranwachsenden, muss begegnet werden. In dem genannten Urteil des
BVerfG wurden nicht zuletzt auch angebliche „sozialschädliche Wirkungen“
von Cannabis als „weicher Droge“ angenommen. Nach Ansicht der Antragstel-
ler beruhen solche Wirkungen, soweit sie feststellbar sind, vor allem auf der
Illegalisierung selbst. Die rechtliche Nähe zu stark suchtauslösenden Substan-
zen wie Heroin oder Amphetaminen erzwingt nicht zuletzt gemeinsame Ver-
triebs- und Erwerbswege.

Trotzdem gibt es in Deutschland jedes Jahr circa 100 000 Strafverfahren gegen
einfache Cannabiskonsumenten. Diese Kriminalisierung sorgt dafür, dass ein
effektiver Jugend- und Verbraucherschutz in diesem Bereich des gesellschaft-
lichen Drogenkonsums durch den Staat verhindert wird. Dabei kann gerade
eine frühzeitige Aufklärungsarbeit (bspw. in den Schulen und Medien) dafür
sorgen, dass ein aufgeklärter Umgang mit Cannabis mögliche Suchtgefahren
vermindert, wobei hingegen die anhaltende Dämonisierung Suchtgefahren för-
dert.

Ein ernsthaftes Problem sind auch kriminelle Netzwerke, die durch die Krimi-
nalisierung des Cannabiskonsumenten und die Illegalisierung der Cannabispro-
duktion mittlerweile Millionen Euro jährlich auf dem Schwarzmarkt einneh-
men. Nur durch eine grundlegende Wende in der Sucht- und Drogenpolitik
kann diese Form der Kriminalität effektiv bekämpft und der Drogenmafia ein
schwerer Schlag versetzt werden. Die Entkriminalisierung von Cannabiskonsu-
menten und die Legalisierung des Eigenanbaus würden dabei einen ersten
wichtigen Schritt darstellen. Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rät mitt-
lerweile zu neuen Wegen in der Drogenpolitik. Dabei sollte die Verfolgung auf
die Profiteure der international operierenden Drogenkartelle gerichtet werden,
anstatt auf die strafrechtliche Verfolgung der Konsumenten von Cannabis.

Drucksache 17/7196 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Bis heute kann keine Untersuchung die Behauptung belegen, dass Repression
den Cannabiskonsum substantiell vermindert. Die Umstufung von Cannabis
in der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften
durch die Bundesregierung zur medizinischen Verwendung von Cannabis ist
zwar ein richtiger, aber nicht ausreichender Schritt. Die Umstufung hebt das ge-
nerelle Verkehrsverbot von Cannabis ausschließlich zur Produktion von canna-
bishaltigen Fertigarzneimitteln auf. Nach einer aktuellen Umfrage der TNS
Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH im Auftrag des Deutschen Hanf
Verbandes (DHV) ist eine Mehrheit der Deutschen für eine Entkriminalisierung
von Cannabiskonsumenten. Über 27 000 Bürger haben bis heute die aktuelle
Petition des DHV zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten unter-
schrieben. Trotzdem haben einige Bundesländer die Regelungen zur „geringen
Menge“ verschärft, während andere Bundesländer wie Berlin durch Hoch-
setzung der Regelung zur „geringen Menge“ für eine Entkriminalisierung der
Endverbraucher kämpfen. Die rechtliche Ermöglichung von sogenannten Can-
nabis-Clubs nach spanischem Vorbild steht zudem nicht im Widerspruch zu den
UN-Konventionen, da der Teilnehmerkreis begrenzt ist und Cannabis somit
nicht an Dritte gelangen kann.

Die Einführung gesetzlicher Rahmenbedingungen zur Gründung von Canna-
bis-Clubs wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer liberalen Drogenpolitik.
Diese sieht langfristig die komplette Legalisierung (inklusive Verkaufsmög-
lichkeiten) für Cannabis-Produkte vor (bspw. in Form von Coffeeshops). Die
Einführung von Cannabis-Clubs würde die Grundlage für den bewussten und
verantwortungsvollen Umgang mit der Droge Cannabis legen.

Der legale Anbau von Cannabis zum eigenen Gebrauch kann von den Canna-
bis-Clubs übernommen werden. Weitere Aufgabe der Clubs ist die Beratung
ihrer Mitglieder über die Wirkungen von Cannabis sowie über den richtigen
Anbau von Cannabis. Jedes Mitglied kann gegen ein kostendeckendes Entgelt
Rechte auf Cannabis zum Eigengebrauch erwerben, höchstens jedoch in der
auch für den Heimanbau erlaubten Menge. Jedes Mitglied verpflichtet sich,
Cannabis nicht weiter zu veräußern oder an minderjährige Personen weiter-
zugeben. Die Clubs sind verpflichtet, den Anbau in verantwortungsvoller
Weise durchzuführen, etwa was den Einsatz von Düngemittel angeht. Es darf
nicht mehr Cannabis angebaut werden, als für den Eigenbedarf der Clubmit-
glieder benötigt wird.

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