BT-Drucksache 17/7079

Neue Erkenntnisse über international agierende Spitzel

Vom 21. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7079
17. Wahlperiode 21. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Ulla Jelpke, Harald Koch,
Niema Movassat, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Neue Erkenntnisse über international agierende Spitzel

In der Ausgabe 35/2011 der Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ berichtet der
Journalist Dinu Gautier in seinem Artikel „Vom Pausenplatz direkt zum Geheim-
dienst“ über einen Schüler, der vom Schweizer Staatsschutz für eine Spitzeltätig-
keit gewonnen wurde. Im dem dem Artikel vorangegangenen Interview berich-
tete der zum Zeitpunkt der Anwerbung 19-Jährige, er sei von einer Mitschülerin
angesprochen worden, Informationen aus der linksextremen Szene zu beschaf-
fen. Laut Dinu Gautier war der junge Mann zunächst vom Staatsschutz des Kan-
tons Genf geführt und dann vom Inlandgeheimdienst (damals Dienst für Analyse
und Prävention, DAP, heute Nachrichtendienst des Bundes, NDB) übernommen
worden.

Der Spitzel sollte zunächst das Netzwerk „Attac“ infiltrieren, um darüber
schließlich Kontakt zu international vernetzten antikapitalistischen Gruppen zu
bekommen: Er beteiligte sich an Vorbereitungssitzungen für Proteste gegen den
Gipfel der Welthandelsorganisation 2005, gegen die jährlichen Treffen des Welt-
wirtschaftsforums in Davos und den G8-Gipfel in Heiligendamm. Im besonde-
ren Fokus stand demnach das Netzwerk „DISSENT!“. Neben Hintergrundinfor-
mationen lieferte der Spitzel zudem Informationen aus Demonstrationen heraus.
Hierfür war er mit einem eigenen Handy ausgestattet worden, mit dem er mit
seinen Auftraggebern Kontakt hielt.

Wie der Schweizer Informant waren auch der im Oktober 2010 aufgeflogene
britische Polizeispitzel Mark Kennedy sowie zahlreiche weitere britische Poli-
zisten beim G8 in Heiligendamm aktiv. Im Interview mit der Tageszeitung
„Daily Mail“ hatte Mark Kennedy erklärt, seine Mission sei gewesen, den von
ihm ausgeforschten Aktivistinnen und Aktivisten Beschuldigungen nach Ver-
einigungsparagraphen anzuhängen, um sie vor der Justiz mit schwereren An-
schuldigungen zu behelligen und damit ihre Kriminalisierung zu erleichtern.

Gemäß den Auskünften des Schweizer Informanten gegenüber der „WOZ“ war
in Heiligendamm eine beträchtliche Zahl von Angehörigen ausländischer
Dienste präsent: „Franzosen waren da, die Schweizer waren da, usw. Jeder hatte
seine Informanten.“

Diese Aussage steht im Kontrast zu früheren Antworten der Bundesregierung

auf Kleine Anfragen (Bundestagsdrucksachen 17/4333 und 17/5736), in denen
die Bundesregierung weder im öffentlichen noch im nichtöffentlichen Teil der
Antwort über Spitzel aus der Schweiz oder Frankreich Auskunft gab. Sofern die
Bundesregierung nicht über deren Anwesenheit informiert gewesen war, liegt
ein Bruch völkerrechtlicher Verträge vor, nach denen die Anwesenheit ausländi-
scher Hoheitsträger angekündigt und genehmigt werden muss. In einem „Me-
morandum of Understanding“ wird dann unter anderem geregelt, dass die Spit-

Drucksache 17/7079 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zel Berichte an deutsche Polizeibehörden liefern müssen und keine Straftaten
begehen dürfen. Dennoch hatte sich der britische Polizist Mark Kennedy an
Blockaden in Rostock beteiligt und in Berlin eine Brandstiftung begangen. Die
Bundesregierung erklärte hierzu, dass sie keine Strafverfolgung anstrengen
wolle und die Straftat lediglich „mit den zuständigen Stellen auf britischer Seite
erörtert“ habe.

Die Berliner Senatsbehörde für Inneres hatte zudem auf der Konferenz der Lan-
desinnenminister im Juni 2011 in Frankfurt beantragt, den Einsatz ausländischer
Polizeispitzel durch entsprechende Verordnungen in den Landespolizeigesetzen
zu vereinfachen.

Nebulös bleibt indes die Arbeit ausländischer Spitzel, die für die Privatwirt-
schaft arbeiten. „DER SPIEGEL“ hatte im Februar über Undercover-Polizisten
berichtet, die sich „in privater Runde“ darüber beschwerten, dass Unternehmen
„weit mehr Spitzel in den Netzwerken hätten als sie selbst“ (www.spiegel.de/
wirtschaft/unternehmen/0,1518,745704,00.html). Unter anderem wurde offen-
kundig, dass auch der deutsche Kraftwerksbetreiber E.ON Vertrieb Deutschland
GmbH eine Sicherheitsfirma auf britische Umweltaktivistinnen und -aktivisten
ansetzte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schweizer Behörden sind nach Kenntnis der Bundesregierung mit
dem Führen von verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern betraut?

2. Mit welchen Behörden in der Schweiz haben deutsche Polizeien in den letz-
ten fünf Jahren zum Austausch verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler zu-
sammengearbeitet, bzw. arbeiten sie gegenwärtig zusammen (bitte wegen der
geänderten Kompetenzverteilung etwa des DAB/ NDB in der Schweiz nach
Jahren aufgeschlüsselt auflisten)?

3. Inwiefern haben deutsche Behörden bezüglich der polizeilichen Vorbereitun-
gen, insbesondere des Austauschs verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler,
für den WTO-Gipfel 2005 (WTO: Welthandelsorganisation) und die jähr-
lichen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos in den letzten fünf Jahren
zusammengearbeitet?

a) Haben verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler deutscher Bundesbehörden
bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung auch von Landesbehörden an-
lässlich besagter Gipfeltreffen in der Schweiz operiert?

b) Haben Bundesbehörden oder nach Kenntnis der Bundesregierung Landes-
behörden oder ausländische Behörden verdeckte Ermittlerinnen und
Ermittler bzw. sog. Vertrauenspersonen in Personenzusammenschlüssen
platziert, die in Deutschland zu Protesten gegen die besagten Gipfel mo-
bilisierten?

4. Ist der Bundesregierung von Schweizer Behörden mitgeteilt worden, dass
verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler oder Vertrauenspersonen im Auftrag
der Schweizer Polizei bzw. Geheimdienste anlässlich des G8-Gipfels 2007 in
Deutschland tätig werden?

a) Auf welchen Zeitraum erstreckte sich die angefragte Genehmigung der
Operation, und wie wurde diese von deutschen Stellen beschieden?

b) Welche Behörde hatte diese erforderliche Genehmigung für den Einsatz
des Schweizer Staatsbürgers beantragt?

c) Welche Genehmigungen zur Nutzung technischer Hilfsmittel wurden für
den Einsatz beantragt?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung, dass der damals in Deutschland einge-

setzte Spitzel, der zu diesem Zeitpunkt erst 21 Jahre alt war, zuvor an einer
Schule angeworben wurde?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7079

5. Kann die Bundesregierung die Aussage des Spitzels bestätigen, beim G8-
Gipfel 2007 sei eine große Zahl weiterer verdeckter Ermittlerinnen und Er-
mittler oder Vertrauenspersonen ausländischer Behörden anwesend gewe-
sen („Franzosen waren da, die Schweizer waren da, usw. Jeder hatte seine
Informanten“)?

a) Wie viele Verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler bzw. Vertrauensperso-
nen aus der Schweiz waren beim G8-Gipfel in Heiligendamm einge-
setzt?

b) Wie viele Verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler bzw. Vertrauensperso-
nen aus Frankreich waren beim G8-Gipfel in Heiligendamm eingesetzt?

6. Bezieht die in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des
Abgeordneten Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/5736) genannte Anzahl internationaler
verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler beim G8-Gipfel 2007 auch bezahlte
Informantinnen und Informanten mit ein, die ansonsten nicht im Polizei-
oder Nachrichtendienst tätig sind?

7. Ist der Bundesregierung von Schweizer Behörden mitgeteilt worden, dass
verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler oder Vertrauenspersonen im Auftrag
der Schweizer Polizei bzw. Geheimdienste anlässlich des NATO-Gipfels
2009 in Deutschland tätig werden?

a) Auf welchen Zeitraum erstreckte sich eine etwaige angefragte Genehmi-
gung der Operation, und wie wurde diese von deutschen Stellen beschie-
den?

b) Welche Behörde hatte diese erforderliche Genehmigung für den Einsatz
des Schweizer Staatsbürgers beantragt?

c) Welche Genehmigungen zur Nutzung technischer Hilfsmittel wurden für
den Einsatz beantragt?

8. Mit welchen britischen Behörden arbeiten deutsche Stellen bezüglich des
Führens oder der Auswertung verdeckter Ermittlungen zusammen, nach-
dem der National Public Order Intelligence Unit (NPOIU) wegen mehrerer
Skandale diese Kompetenz entzogen worden ist?

9. Welche weiteren Konsequenzen zog die Bundesregierung aus der bislang
nicht strafrechtlich verfolgten Brandstiftung des britischen Polizisten Mark
Kennedy, außer diese „Angelegenheiten mit den zuständigen Stellen auf
britischer Seite erörtert“ zu haben?

a) Welche „zuständigen Stellen auf britischer Seite“ waren hiermit ge-
meint?

b) Wie ist die „Erörterung“ von britischer Seite aufgenommen bzw. beant-
wortet worden?

c) Welche Initiative wird die Bundesregierung zur Strafverfolgung des Ex-
Polizisten ergreifen, sofern sie erfährt dass dieser sich in Deutschland
aufhält?

d) Falls sie in jenem Fall keine Initiative ergreifen möchte, wie wird sie
dann sicherstellen, dass die in Deutschland begangenen Straftaten des
Ex-Polizisten geahndet werden?

10. Welchen Fortgang nimmt die Initiative der Berliner Senatsverwaltung für
Inneres, die undurchsichtige Praxis des internationalen Austauschs verdeck-
ter Ermittlerinnen und Ermittler zukünftig zu regeln?
a) Welche polizeilichen Gremien der Ständigen Konferenz der Innenminis-
ter und -senatoren der Länder sind mit einer Prüfung von „Optimierungs-

Drucksache 17/7079 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

möglichkeiten“ zum verdeckten Einsatz ausländischer Polizeibeamtin-
nen und -beamter in Deutschland befasst?

b) Welche weiteren Arbeitsgruppen wurden hierzu eingerichtet, und welche
Bundes- und Landesbehörden nehmen daran teil?

c) In welchen Gremien bzw. auf welchen Treffen werden die Vorschläge
2011 erarbeitet oder diskutiert?

11. Welche Sitzungen der European Cooperation Group on Undercover Activi-
ties (ECG) oder von ihr beauftragte Arbeitsgruppen haben in 2011 stattge-
funden, und welche weiteren sind für 2011 und 2012 geplant?

a) Welche Punkte bzw. Themen standen auf der Tagesordnung der letzten
Sitzung?

b) Welche Darstellung der aktuellen nationalen Situation haben deutsche
Behörden, wie auf Bundestagsdrucksache 17/5736 erläutert, auf der letz-
ten Sitzung vorgenommen?

c) Welche weiteren Länder haben eine Darstellung der aktuellen nationalen
Situation auf der letzten Sitzung der ECG vorgenommen?

d) Welchen Inhalt hatte die von Deutschland und anderen Ländern jeweils
vorgetragene Darstellung der aktuellen nationalen Situation (bitte in
Stichworten)?

e) Welche rechtlichen, strukturellen und organisatorischen Entwicklungen,
Informationen zu Ausbildungsmaßnahmen sowie die Erörterung von As-
pekten der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen von Einsätzen
Verdeckter Ermittler anhand von Fallbeispielen wurden zuletzt themati-
siert?

12. Auf welche Art und Weise wurden die Enthüllungen über den Einsatz briti-
scher Spitzel in Deutschland und deutscher Spitzel in Großbritannien und
die daran anschließende öffentliche Kritik (u. a. auch in Island) an den Ein-
sätzen innerhalb der ECG thematisiert?

a) Wie wurden die etwaigen Berichte deutscher, britischer oder isländischer
Behörden in der ECG aufgenommen und bewertet?

b) Welche weiteren Schritte wurden innerhalb der ECG verabredet?

c) Auf welche Art und Weise ist die EU-Polizeiagentur EUROPOL in die
Entwicklung von „Optimierungsmöglichkeiten“ zum verdeckten Einsatz
ausländischer Polizeibeamtinnen und -beamter integriert oder erhält Be-
richte, etwa von der ECG, hierzu?

13. Inwiefern strebt die Bundesregierung an, die unter deutscher Initiative wäh-
rend der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 verabschiedete Entschließung
des Rates zur Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei
der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerkriminalität durch den
vereinfachten grenzüberschreitenden Einsatz von Verdeckten Ermittlern er-
neut voranzutreiben?

a) Inwiefern wurde diese Angelegenheit an die Arbeitsgruppe Allgemeine
Angelegenheiten oder andere vergleichbare Institutionen herangetragen?

b) Welche Anstrengungen unternimmt die gegenwärtige polnische Ratsprä-
sidentschaft zur Regelung grenzüberschreitender verdeckter Ermittlun-
gen, etwa im Bereich von „politischem Extremismus“?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7079

14. Haben Behörden der Bundesregierung jemals mit Privatfirmen bezüglich
verdeckter Ermittlungen zusammengearbeitet?

a) Ist der Bundesregierung bekannt, welche deutschen Firmen im In- und
Ausland die Arbeit verdeckter Ermittler anbieten bzw. in diesem Bereich
tätig sind?

b) Welche Erkenntnisse kann die Bundesregierung zum Einsatz privater
Spitzel für den deutschen Kraftwerksbetreiber E.ON Vertrieb Deutsch-
land GmbH beisteuern, der nach einem Bericht des „SPIEGEL“ vom
15. Februar 2011 in Großbritannien internationale Umweltaktivistinnen
und -aktivisten ausspähen ließ?

15. Welche weiteren Anstrengungen unternimmt der EU-Koordinator für die
Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung zur „Präzisierung der bei
grenzübergreifenden Überwachungen oder verdeckten Ermittlungen zu
beachtenden Regeln“, deren näheren Ausführungen laut der Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/4333
noch ausstanden und auch laut der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/5736 noch nicht erfolgte,
oder ist der Bundesregierung wenigstens bekannt, ob und wann der EU-
Koordinator für die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung eine
solche Erläuterung vornehmen wird?

Berlin, den 21. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.