BT-Drucksache 17/7049

Zur sozialen und gesellschaftlichen Integration von HIV-positiven Menschen

Vom 20. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7049
17. Wahlperiode 20. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Inge Höger, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Zur sozialen und gesellschaftlichen Integration von HIV-positiven Menschen

In der Bundesrepublik Deutschland leben nach Angaben des Robert Koch-Ins-
tituts etwa 70 000 Menschen mit dem HI-Virus. Die durch die Aidshilfen und
die Selbsthilfeorganisationen geschaffenen Strukturen haben zu außerordent-
lichen Erfolgen in der Prävention geführt, so dass in der Bundesrepublik
Deutschland nur etwa 3 000 Personen jährlich neu positiv auf HIV getestet
werden. Ein im europäischen Vergleich sehr niedriger Wert. Zudem haben die
medizinischen Erfolge HIV/Aids zu einer nicht heilbaren, aber behandelbaren
Erkrankung gemacht, die den Betroffenen ein Leben mit annähernd normaler
Lebenserwartung ermöglicht. Daraus folgt, dass deutlich mehr Menschen mit
der Infektion leben, als zu Beginn der Epidemie und ihre Zahl kontinuierlich
ansteigt. Aber die HIV-Infektion birgt die Gefahr der Stigmatisierung, da sie
überwiegend schwule Männer betrifft.

Die Infektion kann zu erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen führen,
deshalb ist ein Teil der HIV-positiven Menschen nur bedingt erwerbsfähig. Der
Abbau der sozialen Sicherungssysteme hat zu einer Verarmung vieler Men-
schen geführt. Dies betrifft besonders Menschen, deren Erwerbsfähigkeit ein-
geschränkt ist, wie bei vielen Menschen mit HIV/Aids. Diese können sich dann
„selbst elementare Dinge wie Seh- und Hörhilfen, Bekleidung oder Haushalts-
geräte nicht leisten.“, wie Dr. Ulrich Heide, geschäftsführender Vorstand der
Deutschen AIDS-Stiftung, am 14. Juli 2011 berichtete.

Doch immerhin gehen etwa zwei Drittel der Menschen mit HIV einer Beschäf-
tigung nach. Innerhalb ihrer Beschäftigungsverhältnisse können sie mit Diskri-
minierungen konfrontiert sein (http://blog.aidshilfe.de/2011/04/29/fakten-zum-
arbeiten-mit-hiv/).

Obwohl HIV-Positive der Rechtslage nach in Teilbereichen geschützt sind,
z. B. vor der Weitergabe von Informationen zum HIV-Status durch den
Betriebsarzt an den Arbeitgeber auch bei Einstellungsuntersuchungen
(www.asu-arbeitsmedizin.com/gentner.dll/325806_MzI1ODI5.PDF?UID=
7C38C4BDC9C51BA63B3EF2BC8B984AE31D285C3D0F3635AF79), müs-

sen sie sich die Frage stellen, ob sie am Arbeitsplatz offen mit der Infektion
umgehen und sich damit gegenüber den Kolleginnen und Kollegen bzw. dem
Arbeitgeber „outen“, da die gesellschaftliche Stigmatisierung einen offenen
Umgang erschwert.

Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit sind HIV-Positive
durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt: „Dieser
Diskriminierungsschutz bezieht sich auch auf Behinderungen, die durch die

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Folgen einer HIV-Infektion entstanden sind“ (in: Bericht zum Aktionsplan zur
Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung Juni
2011; S. 6; s. auch S. 52). Doch das Berliner Arbeitsgericht hat die Kündigung
eines 24-jährigen Chemielaboranten aufgrund seines Status als HIV-Positiver
in der Probezeit für rechtens erklärt, obwohl nach medizinischen Erkenntnissen
ein Übertragungsrisiko für Kolleginnen und Kollegen nicht ernsthaft erwogen
werden kann. Das AGG schütze den Arbeitnehmer nach Ansicht des Gerichts
nicht vor der Kündigung. (www.aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/deutsche-
aids-hilfe-kritisiert-entscheidung-des-berliner-arbeitsgerichts-entlass).

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich am 1. Dezember 1994 mit der Erklä-
rung „UNAIDS – The Paris Declaration: Paris AIDS Summit“ zum GIPA-Prin-
zip (Greater Involvement of People with HIV and Aids) verpflichtet, welche
vorsieht, Betroffene in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch bei der
letzten Einberufung des Nationalen Aidsbeirats wurden erst nach kritischen
Stellungnahmen auch zwei „Aids-Aktivisten“ nominiert (www.ondamaris.de/
?p=26698).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz-
buch (SGB II) und SGB XII erhalten, bekommen Mehrbedarf wegen einer
HIV-Infektion und/oder Aids-Erkrankung (bitte nach der Art des Mehrbe-
darfs aufschlüsseln)?

2. Warum erhalten Personen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen,
deren Leistung so gering ist, dass sie zusätzliche Leistungen nach dem
SGB XII erhalten, keinen Grundfreibetrag bei einem Hinzuverdienst, wo-
hingegen Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II
einen Grundfreibetrag von 100 Euro bei einem Hinzuverdienst erhalten?

3. Wie viele Personen, die eine Erwerbsminderungsrente bekommen, erhalten
diese wegen einer HIV-Infektion oder Aids-Erkrankung?

4. Falls diese Daten nicht erhoben werden, warum sieht die Bundesregierung
keine Notwendigkeit zur Erhebung dieser Daten?

5. Ergreift die Bundesregierung Maßnahmen, damit die erhöhten Mehrkosten
chronisch kranker Menschen (z. B. Fahrtkosten zu einer HIV-Schwerpunkt-
praxis, Zuzahlungen inkl. Praxisgebühr, nichterstattungsfähige Hilfsmittel
und Arzneimittel zur Selbstmedikation, Festbetragsaufzahlungen für Arz-
neimittel, zahnmedizinische Behandlungen und sonstige Behandlungen,
Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen), die die pauschalierten Be-
träge und Mehrbedarfe nach dem SGB II und SGB XII in der Realität deut-
lich übersteigen, aufgefangen werden?

Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift bzw. ergriff die Bundesregierung
(bitte aufschlüsseln)?

6. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Menschen mit HIV
und Aids vor Verarmung zu schützen, insbesondere Menschen, die kaum
oder nicht mehr erwerbsfähig sind, damit ihre Teilhabe am sozialen und kul-
turellen Leben gewährleistet ist?

7. In welchen Berufsgruppen sieht die Bundesregierung es für geboten, dass
HIV-positive Menschen in ihrer Berufswahl und der Berufstätigkeit einge-
schränkt werden sollten (unter Berücksichtigung der Viruslast der Betroffe-
nen)?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation (insbesondere die gesund-

heitliche und soziale) von HIV-positiven Menschen in Deutschland, die
keinen Aufenthaltsstatus haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7049

9. Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, dass Arbeitgeber im Pflege-
und Gesundheitsbereich den Arbeitnehmer zu einem „freiwilligen“ HIV-
Test auffordern dürfen?

10. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen,
damit HIV-positive Menschen stärker ins Erwerbsleben integriert werden?

Wenn ja, welche sind dies?

11. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit für HIV-positive
Menschen ein Klima geschaffen wird, welches ihnen ermöglicht, offen mit
ihrer HIV-Infektion umzugehen?

12. Sieht die Bundesregierung infolge des o. g. Berliner Arbeitsgerichtsurteils
die Notwendigkeit, das AGG so zu verändern, dass auch HIV-Positive
durch das AGG geschützt werden?

Wenn nein, warum nicht?

13. Welche Maßnahmen (auch zur Veränderung der Rechtslage) wird die Bun-
desregierung ergreifen, damit Menschen mit HIV und Aids durch das AGG
geschützt werden?

14. Wie viele Personen haben sich wegen Diskriminierungen aufgrund von
HIV/Aids bei der Antidiskriminierungsstelle von 2006 bis 2011 beraten
lassen (bitte nach Anzahl und Art der Diskriminierung aufschlüsseln)?

15. In welcher Höhe fließen Bundeshaushaltsmittel der Antidiskriminierungs-
stelle in die Antidiskriminierungsarbeit für HIV-positive Menschen?

16. Welche zielgruppenspezifischen Materialen wurden für diesen Bereich ent-
wickelt?

17. Wie wird das GIPA-Prinzip in der derzeitigen Entwicklung von Strategien
im Bereich der HIV-Prävention und der Entwicklung von Integrationsstra-
tegien für Menschen mit HIV und Aids umgesetzt?

18. Welche Bundesländer haben sich zum GIPA-Prinzip verpflichtet, und wie
setzen sie dieses um (um eine Abfrage bei den Bundesländern wird ge-
beten)?

Berlin, den 20. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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