BT-Drucksache 17/7027

Abschaffung der gesetzlichen Vermutung der "Versorgungsehe" bei Eheschließung und eingetragener Lebenspartnerschaft mit Beamtinnen und Beamten nach dem Eintritt in den Ruhestand

Vom 20. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7027
17. Wahlperiode 20. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Jan Korte, Petra Pau, Jens Petermann,
Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Abschaffung der gesetzlichen Vermutung der „Versorgungsehe“ bei
Eheschließung und eingetragener Lebenspartnerschaft mit Beamtinnen und
Beamten nach dem Eintritt in den Ruhestand

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung im Beamtenrecht benachteili-
gen ungerechtfertigt Bürgerinnen und Bürger, die eine Ehe oder eingetragene
Lebenspartnerschaft mit einer Beamtin oder einem Beamten nach deren bzw.
dessen Eintritt in den Ruhestand eingehen. Diesen Bürgerinnen und Bürgern
wird allein aus Altersgründen der Anspruch auf „Witwengeld“ verwehrt, weil
ihnen diskriminierend das Eingehen einer „Versorgungsehe“ – so der Begriff
der herrschenden Rechtsprechung – unterstellt wird.

1. § 19 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) regelt die Ansprüche des
hinterbliebenen Ehegatten auf „Witwengeld“. Gemäß Absatz 1 Nummer 2
dieser Norm ist ein Anspruch auf Witwengeld für die Fälle ausgeschlossen,
in denen „die Ehe erst nach dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand ge-
schlossen worden ist und der Ruhestandsbeamte zur Zeit der Eheschließung
die Regelaltersgrenze nach § 51 Abs. 1 und 2 des Bundesbeamtengesetzes
bereits erreicht hatte.“

2. Während nach dem Tod einer Beamtin oder eines Beamten die hinterbliebene
Lebenspartnerin bzw. der Lebenspartner, der mit dieser bzw. diesem in einer
eingetragenen Lebenspartnerschaft gelebt hat, der Anspruch auf Leistungen
der Hinterbliebenenversorgung vom Beamtenversorgungsgesetz versagt wird,
hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr mit Urteil vom 28. Oktober 2010
(Az. 2 C 47.09) diesbezüglich eine Gleichstellung mit der Ehe herbeigeführt.
Denn der Ausschluss des Lebenspartners bzw. der Lebenspartnerin im Sinne
des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft von der Gewährung
der Hinterbliebenenversorgung stelle gegenüber der Gewährung dieser Ver-
sorgungsleistung an die hinterbliebene Ehepartnerin bzw. dem Ehepartner
einer Beamtin oder eines Beamten eine unmittelbare Diskriminierung im
Sinne der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur

Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbe-
handlung in Beschäftigung und Beruf dar. Diese Richtlinie sei unmittelbar
anwendbar, da sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen
einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber
dem Staat auf diese Bestimmungen berufen könne, wenn dieser die Richtlinie
nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt
habe.

Drucksache 17/7027 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Diese Gleichstellung von hinterbliebenen Lebenspartnern einer eingetrage-
nen Lebensgemeinschaft mit hinterbliebenen Ehepartnern muss damit aber
auch zur Gleichstellung hinsichtlich ihrer Altersdiskriminierung bei einer
Partnerschaft mit einer Beamtin oder einem Beamten nach Eintritt des Ruhe-
standes führen.

3. Die rechtliche Vermutung der „Versorgungsehe“, die einzig und allein an
das Alter anknüpft, benachteiligt die Bürgerinnen und Bürger, die mit einer
Beamtin oder einem Beamten nach deren bzw. dessen Eintritt in den Ruhe-
stand die Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingehen, weil ihnen da-
mit eine Versorgungsabsicht mit der Folge der Versagung von Leistungen
unterstellt wird. Insofern handelt es sich hier um eine spezifische Form der
Altersdiskriminierung, da mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung
eine moralische, soziale und ökonomische Benachteiligung verbunden ist.
Möglichkeiten, die gewünschten Lebensentwürfe ohne Nachteile umzuset-
zen, müssen für Jede und Jeden – unabhängig vom Alter – gegeben sein.

4. Die hier relevante „Regelaltersgrenze nach § 51 Abs. 1 und 2 des Bundes-
beamtengesetzes“ trennt in der Folge allein aufgrund des Lebensalters zwi-
schen berechtigten und damit begünstigten Hinterbliebenen und denjenigen,
deren Hinterbliebene kein Witwengeld erhalten. Damit sind die Beamtinnen
und Beamten, die nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze die Ehe oder
eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen, altersdiskriminiert, weil
ihren Hinterbliebenen die Beamtenversorgung versagt wird. Sowohl die Ehe-
als auch die Lebenspartner bzw. Lebenspartnerinnen werden auch moralisch
diskreditiert, da ihnen de facto das „Erschleichen der Versorgung“ unterstellt
wird.

5. Die gestiegene Lebenserwartung in unserer Gesellschaft geht mit einer Aus-
dehnung der Jahre einher, in denen eine selbstbestimmte und selbständige
Lebensführung möglich bleibt. Eheschließungen im höheren Lebensalter
sind deshalb heute keine Seltenheit mehr; das betrifft insbesondere die wach-
sende Zahl von Zweitehen. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung bei
Frauen und Männern können diese Spätehen durchaus 20 Jahre und länger
Bestand haben. Nach der derzeitigen Regelung bedeutet das, dass je nach-
dem, ob die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit einer Beamtin oder einem
Beamten kurz vor oder kurz nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze ge-
schlossen wurde, ein oder kein Anspruch auf Witwengeld begründet wird. Je
nach Konstellation erhält der eine Hinterbliebene u. U. dann über 20 Jahre
oder länger Witwengeld, während es dem anderen verwehrt wird. Diese mas-
sive Ungleichbehandlung, die an das Alter einer Beamtin oder eines Beamten
anknüpft, ist nicht zu rechtfertigen.

6. Altersdiskriminierung ist gegeben, wenn Menschen allein aufgrund ihres
höheren Lebensalters Benachteiligungen erfahren. Da die Ausschlussrege-
lung des Gesetzes bei der Hinterbliebenenversorgung einzig und allein an
das Lebensalter eines Eheschließenden bzw. eines Lebenspartners anknüpft,
muss diese Regelung als altersdiskriminierend eingestuft werden. Dies stellt
eine unzulässige Typisierung mit altersdiskriminierendem Charakter dar, da
sie nicht einmal etwas über die Tatsache aussagt, ob eine Versorgungsehe
gegeben ist oder nicht.

7. Das Grundgesetz enthält zwar kein ausdrückliches Diskriminierungsverbot
wegen des Alters. Jedoch wird im allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3
Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) generell die Gleichheit aller Menschen vor
dem Gesetz als Grundrecht festgeschrieben. Diese Verfassungsbestimmung
verbietet eine „wesentliche“ Ungleichbehandlung, die dann gegeben ist,
wenn der Unterschied zwischen den „Vergleichsobjekten“ deren unterschied-

liche Behandlung nicht rechtfertigen kann. Die Ungleichbehandlung der

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Beamtinnen und Beamten und deren Hinterbliebenen hinsichtlich des Wit-
wengeldes aufgrund einer Altersgrenze stellt eine altersdiskriminierende
Ungleichbehandlung dar, die gegen den Gleichheitssatz verstößt.

8. Das Europarecht schützt Menschen vor Altersdiskriminierungen. Das Verbot
der Altersdiskriminierung ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschafts-
rechts, der sich aus verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen sowie den
gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten herleitet (vgl. Euro-
päischer Gerichtshof – EuGH – vom 22. November 2005, Rs. C-144/04 –
Mangold). Genannt sei hier insbesondere der am 1. Dezember 2009 in Kraft
getretene Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der
ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung enthält. Aber auch der
Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) – Arti-
kel 26 – sowie die Europäische Konvention zum Schutze der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten (EMRK) – Artikel 14 – enthalten ein solches
Diskriminierungsverbot.

9. Der Europäische Gerichtshof hat das Verbot der Altersdiskriminierung zu
einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts erhoben. Die Unver-
einbarkeit der in Rede stehenden Regelung mit dem Europarecht kommt
nicht zuletzt in der sogenannten Antidiskriminierungs-Richtlinie des Rates
aus dem Jahre 2000 (Richtlinie 2000/78/EG) zum Ausdruck. Der EuGH
normierte mit seiner Entscheidung vom 22. November 2005 in der Sache
„Mangold“ (C-144/04) ein ungeschriebenes primärrechtliches Verbot der Al-
tersdiskriminierung. Das bedeutet, dass dieses Verbot in allen Politikbereichen
der EU zu berücksichtigen ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Regelungen des § 19 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und des § 22 Absatz 1
BeamtVG mit der Benachteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die eine
Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer Beamtin oder einem
Beamten im Ruhestand eingehen, aufzuheben,

2. infolgedessen erforderlich werdende Folgeänderungen im BeamtVG, dazu
ergangenen Ausführungsbestimmungen sowie anderen Bestimmungen vor-
zunehmen.

Berlin, den 20. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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