BT-Drucksache 17/6976

Inselbahnhof Lindau

Vom 12. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6976
17. Wahlperiode 12. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Klaus Ernst, Heike Hänsel, Thomas Lutze, Ulrich Maurer,
Kornelia Möller, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Alexander Süßmair,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Inselbahnhof Lindau

Die Debatte um den Erhalt des Lindauer Hauptbahnhofs – ein auf der Insel Lin-
dau liegender Kopfbahnhof – hat sich in jüngerer Zeit zugespitzt. Die Deutsche
Bahn AG (DB AG) will bis Ende 2011 eine Entscheidung über den Erhalt die-
ses Bahnhofs oder seinen Ersatz durch einen neuen Bahnhof im Stadtteil Reutin
(auf der Bahnstrecke Richtung Bregenz) herbeiführen. Im Lindauer Stadtrat
und den dortigen Medien kursieren Überlegungen nach einem Bürgerentscheid
über diese Frage in der Stadt Lindau. Am 14./15. Oktober 2011 findet in Lindau
ein verkehrspolitischer Kongress zu dem Thema und zu Parallelen zwischen
der Bahnhofsproblematik in Stuttgart und in Lindau statt.

Die DB AG, die Bayerische Landesregierung und die Stadt Lindau verkündeten
am 28. April 1997, den Inselbahnhof Lindau aufgeben und einen neuen Lindauer
Hauptbahnhof im Lindauer Stadtteil Reutin errichten zu wollen. Das Bahnge-
lände auf der Insel sollte verkauft und auf dem Bahnhofsgelände möglicher-
weise ein Kongresszentrum gebaut werden. Einen Hintergrund bildeten dabei
die damaligen „21er-Projekte“ der Bahn und die Bahnprivatisierung. Ein Zu-
sammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 lag nahe, zumal zum damaligen Zeit-
punkt in Frankfurt (Frankfurt 21) und München (München 21) vergleichbare
Projekte zur Umwandlung von Kopfbahnhöfen und zur Bebauung des dann frei
werdenden Geländes vorlagen.

In Lindau, wie bei den genannten Projekten in den anderen Städten, entwickelte
sich in der Folgezeit gegen das Vorhaben der Aufgabe des Inselbahnhofs erheb-
licher Widerstand, der vor allem von der 1998 neu gegründeten „Aktions-
gemeinschaft Inselbahnhof“ und der Bunten Liste Lindau – aber auch von Mit-
gliedern von CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – getragen wurde
und wird. Im Jahr 1998 sprachen sich in einer Umfrage 74 Prozent der Lindauer
für den Beibehalt des Inselbahnhofs aus. Im selben Jahr fand in Lindau der
Kongress „Bock auf Bahnhof“ statt. Im November 1998 wurde das vom Stadt-
rat beauftragte Gutachten der „Gesellschaft für fahrgastorientierte Verkehrspla-
nung“ in Nürnberg veröffentlicht, in dem der Erhalt und Umbau des Inselbahn-

hofs empfohlen wurde.

Im März 2004 veranstaltete die Bahnexpertengruppe „Bürgerbahn statt Börsen-
bahn – BsB“ die Tagung „150 Jahre Ludwig Süd-Nord-Bahn – Lasst die Kirche
im Dorf und den Bahnhof auf der Insel“. Zum selben Zeitpunkt wurde das
Buch „Inselkrimi Bahnhof Lindau“ vorgestellt. Durch die vielfältigen Aktivitä-
ten konnte der noch in den 1990er-Jahren geplante Abriss des Inselbahnhofs
zunächst verhindert werden.

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Zwischen 2005 und 2010 verstärkte die DB AG den Druck zur Aufgabe des
Inselbahnhofs weiter. Sie unterließ die eigentlich erforderlichen Ersatz- und
Erhaltungsinvestitionen in das bestehende Bahnhofsgebäude und in den Bahn-
anlagen auf der Insel und zur Insel (Bahndamm). In die gleiche Richtung wirk-
ten ständig verlängerte Zeiten mit geschlossenen Schranken bei den Bahnglei-
sen, die zwischen Festland und Insel im Stadtgebiet liegen, sodass die Zeiten
mit uneingeschränktem Zugang zur Insel für den Autoverkehr massiv reduziert
wurden. Die von Management der DB AG und der Stadt Lindau geführten Ver-
handlungen kamen nicht vom Fleck.

Am 30. Mai 2011 verkündeten zwei Vertreter der DB AG Bayern gegenüber
dem Lindauer Stadtrat zur Überraschung aller, die Bahn halte zwar am Projekt
Reutin fest, wolle diese Entscheidung aber nicht (mehr) gegen den Willen der
Stadt Lindau durchsetzen. Die Stadt müsse binnen kurzer Zeit – bis November
2011 – eine Entscheidung fällen. Begründet wurde dieser plötzliche Zeitdruck
damit, dass die Bahn ab 2012 in ein elektronisches Lindauer Stellwerk und die
Elektrifizierung der Bahnstrecke München über Memmingen nach Lindau
investieren wolle. Zudem erklärte die DB AG auf der Lindauer Bürgerver-
sammlung vom 7. Juli 2011, dass ihrer Erkenntnis nach der rund 500 Meter
lange Eisenbahndamm vom Stadtteil Aeschach zum Stadtzentrum auf der Insel
saniert werden müsse.

Die Wende bei der DB AG kann im Zusammenhang mit der neuen Situation
beim Projekt Stuttgart 21 gesehen werden, gegen das der Widerstand anhält.
Auch in Lindau wird das Thema Inselbahnhof voraussichtlich zu einem bestim-
menden Moment bei den kommenden Wahlen: im Februar 2012 sind Lindauer
Oberbürgermeisterwahlen.

Die DB AG plant bis zum Jahr 2017 die Elektrifizierung der Strecke München–
Geltendorf über Memmingen bis Lindau. Die dort verkehrenden Eurocity-Züge
München–Lindau–Zürich sollen danach von heute täglich acht Zugbewegungen
auf dann täglich 18 Zugbewegungen gesteigert werden, wie die DB AG auf der
Lindauer Bürgerversammlung vom 7. Juli 2011 erklärte. Der Bundesverkehrs-
wegeplan 2003 geht zusätzlich davon aus, dass die Zahl der täglich dort verkeh-
renden Güterzüge infolge davon von heute drei Zügen auf dann 18 tägliche Züge
gesteigert werde.

Zuletzt schlug das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur,
Verkehr und Technologie am 5. August 2011 unter finanziellen und planerischen
Vorbehalten als eventuellen Kompromiss vor, in Lindau-Reutin einen Bahnhalt
für Nahverkehrszüge der ÖBB-Personenverkehr AG und in die Schweiz sowie
für die Eurocity-Züge (wieder) zu eröffnen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung in die Pläne zur Aufgabe respektive Neugestaltung
des bestehenden Hauptbahnhofs in Lindau involviert?

Wenn ja, welche Haltung verfolgt sie hinsichtlich der bestehenden alternati-
ven Projekte (Erhalt und Modernisierung des Inselbahnhofs versus Neubau
eines Hauptbahnhofs in Reutin)?

2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zeitgewinne für Reisende ein, die
auf der Verbindung Zürich–München verkehren, wenn der Hauptbahnhof
Lindau von der Insel auf das Lindauer Festland und dort in den Stadtteil
Reutin verlegt wird?

3. Wie hoch sind die Zeitverluste einzuschätzen, die diejenigen Fahrgäste erlei-
den, die als Ziel ihrer Bahnfahrt die Insel Lindau haben und die im Fall der

Verlegung des Lindauer Hauptbahnhofs nach Reutin dort umsteigen und mit
Bus, Taxi oder eventuell mit einem Nahverkehrszug auf die Insel fahren
müssen?

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4. Verfügt die Bundesregierung über Zahlen derjenigen Fahrgäste, die Lindau
im Fernverkehr durchfahren, verfügt sie über die Zahlen derjenigen Fahr-
gäste, die Lindau als Ziel bzw. Startpunkt ihrer Bahnreise haben (bitte ggf.
jeweils angeben), und über welche Zahlen verfügt sie bezüglich jener Fahr-
gäste, die in Lindau in die EC-Züge oder aus diesen in andere Züge umstei-
gen?

5. Wie bewertet die Bundesregierung eine mögliche Aufgabe des Hauptbahn-
hofs auf der Lindauer Insel vor dem Hintergrund, dass Lindau – und hier
insbesondere die Insel – für den Tourismus attraktiv ist und bisher den Vor-
teil hat, mit Schienendirektverbindungen aus vielen Regionen erreicht wer-
den zu können?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Varianten Aufgabe des Bahnhofs
auf der Insel und Beibehaltung eines Nahverkehrsbahnhofs auf der Insel
mit neuem Hauptbahnhof in Reutin im Kontext des Projekts einer Boden-
see-S-Bahn?

7. Ist die DB AG verpflichtet, bei Beibehaltung des Lindauer Hauptbahnhofes
im Stadtzentrum der Insel die Erlöse aus möglichen Immobilienverkäufen
(rund 2 Hektar des bisherigen Hauptbahnhofsgeländes auf der Insel und
rund 15 Hektar des bisherigen Güterbahnhofsgeländes im Stadtteil Reutin)
für Infrastrukturmaßnahmen in der Stadt zu verwenden?

Wenn nein, warum nicht?

8. Welche Mittel des Bundes stehen der DB AG grundsätzlich offen, wenn sie
den Lindauer Hauptbahnhof im Stadtzentrum der Insel belässt und dessen
Jugendstilgebäude von 1921 von Grund auf saniert sowie die Gleisanlagen
samt Stellwerkstechnik durch moderne Anlagen ersetzt?

Welche Mittelzusagen gibt es ggf. bereits?

9. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wonach der Bahndamm zur
Insel sanierungsbedürftig ist?

Wenn ja, welche Arbeiten müssen durchgeführt werden, und welche Kos-
ten fallen dafür voraussichtlich jeweils an?

10. Sollte ein Sanierungsbedarf des Bahndamms vorliegen, ist dies aus den der
DB AG über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vom Bund be-
reitgestellten Mittel zu finanzieren (Begründung)?

11. Kann die DB AG aus rechtlicher Sicht für die Sanierung des Bahndamms
von der Stadt Lindau eine Kostenbeteiligung verlangen?

12. Ist es technisch wie juristisch möglich, die Bahnübergänge Hasenweidweg,
Laubeggengasse, Langenweg und Bregenzer Straße mit automatischen
Schließanlagen zu versehen, die eine deutliche Verkürzung der dortigen
Wartezeiten für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer bewirken und eine
Über- oder Unterführung der Straßen überflüssig machen würden?

13. Ist es nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei Beibehaltung des Insel-
bahnhofs für die weitere Betriebsführung notwendig, die Betankungsan-
lage für Dieselloks in den Ortsteil Reutin zu verlagern, wie die DB AG am
7. Juli 2011 erklärte, und wenn ja, warum?

14. Unter welchen Voraussetzungen ist die DB AG verpflichtet, den Anwohne-
rinnen und Anwohnern in Lindau-Aeschach an dieser neu elektrifizierten
Strecke bis zum Bahnübergang Lindau-Langenweg einen Lärmschutz in
Form einer beispielsweise bis zu 3 Meter hohen beidseitigen Lärmschutz-
wand zu errichten und diese als DB AG zu finanzieren?

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15. Ist grundsätzlich die Förderung der Neuerrichtung von Haltepunkten in den
Ortsteilen Zech, Reutin und Oberreitnau aus Bundes- oder Landesmitteln
möglich?

Wenn ja, welche Förderung käme in Frage?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 9. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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