BT-Drucksache 17/6975

Aktuelle Lage von Asylsuchenden in Griechenland

Vom 12. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6975
17. Wahlperiode 12. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, Andrej Hunko,
Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.

Aktuelle Lage von Asylsuchenden in Griechenland

Trotz der Unterstützung durch die Europäische Union und erster Schritte zur
Reform des griechischen Asylsystems steht der Umgang Griechenlands mit
Asylsuchenden weiter in der Kritik. Am 29. August 2011 meldeten die „Ärzte
ohne Grenzen“, dass in den Auffanglagern im Nordosten Griechenlands die
medizinische Versorgung infolge der Budgetkürzungen des Gesundheitsminis-
teriums seit einem Monat komplett weggefallen war. In einem Bericht vom
April 2011 wurden von „Ärzte ohne Grenzen“ bereits die schlimmen hygieni-
schen Zustände und die Überfüllung in den Aufnahmeeinrichtungen in Ferrai,
Tichero, Soufli und Fylakio für eine Reihe von psychischen Erkrankungen bei
den Insassen verantwortlich gemacht. In der letztgenannten Einrichtung in
Fylakio zündeten die Migranten Anfang September, mutmaßlich aus Protest
gegen die unmenschliche Art ihrer Unterbringung, ihre Matratzen an (http://
clandestinenglish.wordpress.com/2011/09/04/revolt-in-fylakio-detention-center/).

Während die EU-Hilfen zum Aufbau eines effizienten und richtlinienkonformen
Asylsystems ebenso wie die Unterstützung durch das EU-Asylunterstützungs-
büro nur wenig zu greifen scheinen, wird massiv auf die Abschottung der
griechisch-türkischen Grenze hingearbeitet. Von Oktober 2010 bis März 2011
fand der erste Einsatz eines FRONTEX-Soforteinsatzteams am Evros statt, da-
ran schloss sich eine gemeinsame Operation mit dem Namen „Poseidon (Land)“
an. Anfang August 2011 wurde bekannt, dass die griechische Armee einen sie-
ben Meter tiefen und 30 Meter breiten Graben im Hinterland der Grenze baut.
Auch wenn der primäre Zweck dieses Bauwerks militärisch sein soll, wird damit
jedenfalls als Nebeneffekt eine massive Barriere gegen irreguläre Migrantinnen
und Migranten geschaffen. Die Grenzsicherungsmaßnahmen haben immer wie-
der auch tödliche Folgen. Wahrscheinlich am 24. August war ein Mensch er-
schossen worden, als von griechischer Seite aus auf ein Gummiboot geschossen
wurde, das zur Überfahrt über den Evros genutzt werden sollte (http://euro-
police.noblogs.org/2011/08/turkish-press-frontex-kills-migrant-at-evros/).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Migrantinnen und Migranten haben nach Kenntnis der Bundesre-

gierung seit Beginn des Jahres die türkisch-griechische Landgrenze über-
schritten (bitte nach Monaten auflisten)?

2. Wie viele Personen stellten im gleichen Zeitraum einen Antrag auf interna-
tionalen Schutz, wie viele Anträge wurden in diesem Zeitraum in erster
Instanz entschieden und mit welchem Ergebnis (bitte nach Monaten und
nach den fünf wichtigsten Herkunftsländern differenziert auflisten)?

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3. Wie viele Anträge auf internationalen Schutz wurden im Jahr 2010 in zwei-
ter Instanz entschieden, und mit welchem Ergebnis (Differenzierung wie
oben)?

4. Wie viele der knapp 50 000 Asyl-„Altfälle“ wurden mittlerweile bearbeitet
bzw. entschieden, und mit welchem Ergebnis?

5. Wie viele Polizeibeamte aus Deutschland sind derzeit in Griechenland ein-
gesetzt, um die griechischen Behörden bei der Kontrolle der Außengrenzen
zu unterstützen, mit welchen Aufgaben und bei welchen Behörden?

Wie viele Beamte sind darüber hinaus angeboten, werden aber derzeit nicht
in Anspruch genommen?

6. Im Rahmen welcher Operationen der Europäischen Agentur für die opera-
tive Zusammenarbeit an den Außengrenzen (kurz: FRONTEX) werden der-
zeit deutsche Behördenmitarbeiter in Griechenland und in der FRONTEX-
Zentrale in Warschau eingesetzt, welches Einsatzgerät kommt zum Einsatz,
und bis wann sind die einzelnen Operationen und Projekte geplant?

7. Wie viele Beamte und Einsatzmaterial sind den griechischen Behörden im
Zusammenhang mit der Grenzkontrolle angeboten worden, die bislang
nicht in Anspruch genommen worden sind?

8. War der in der Vorbemerkung genannte Einsatz, bei dem ein Migrant ums
Leben kam, Teil einer laufenden FRONTEX-Operation, und wenn ja, wel-
cher, und Beamte aus welchen Mitgliedstaaten der EU waren an diesem
Einsatz beteiligt?

9. Steht der Einsatz von Schusswaffen, um einen Grenzübertritt zu verhindern
(zur Abschreckung, um Transportmittel unbrauchbar zu machen etc.), nach
Ansicht der Bundesregierung mit den geltenden rechtlichen Rahmenbe-
stimmungen für FRONTEX-Einsätze im Einklang?

10. Wie viele Behördenmitarbeiter aus Deutschland sind derzeit in Griechen-
land, um die griechischen Behörden beim Aufbau eines funktionierenden
Asylsystems zu unterstützen, und was konkret tun sie?

Wie viele dieser Mitarbeiter deutscher Behörden tun dies in Erfüllung ge-
meinsamer EU-Aktivitäten?

11. Wie viele EU-Mittel stehen der griechischen Regierung für dieses Jahr zur
Verfügung, die der Verbesserung des griechischen Aufnahme- und Asyl-
systems dienen, und wie viele dieser Mittel wurden bereits und zu welchem
Zweck abgerufen?

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von den Protesten im Auf-
nahme- bzw. Haftzentrum in Fylakio, wogegen richtet sich der Protest nach
Kenntnis der Bundesregierung genau, und was war die Reaktion der grie-
chischen Behörden?

13. Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren solcher und ähnlicher Pro-
testaktionen von Asylsuchenden und Migrantinnen und Migranten gegen
die Zustände im griechischen Aufnahmesystem, und wie bewertet sie
diese?

14. Hat sich die Lage im griechischen Asyl- und Aufnahmesystem nach Kennt-
nis der Bundesregierung in Umsetzung des Aktionsplans der griechischen
Regierung bereits substantiell verbessert, wenn ja, um welche Verbesserun-
gen handelt es sich dabei konkret (bitte einzeln auflisten), wenn nein, wie
bewertet die Bundesregierung dies?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6975

15. Wie ist die Einschätzung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfra-
gen zum gegenwärtigen Stand des griechischen Asylsystems, und welchen
konkreten Beitrag leistet das Unterstützungsbüro derzeit in Griechenland
mit welcher konkreten deutschen Beteiligung?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung genannten Be-
richte von „Ärzte ohne Grenzen“ zur mangelhaften bzw. sogar fehlenden
Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden in Griechenland, und welche
Konsequenzen zieht sie hieraus?

17. Geht die Bundesregierung nach derzeitiger Lage der Dinge davon aus, dass
der Überstellungsstopp für Asylsuchende, bei denen Griechenland nach der
Dublin-II-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig
ist, über das Jahr 2011 hinaus Bestand haben wird (bitte begründen)?

Wann und durch wen wird eine solche Entscheidung abschließend getrof-
fen?

18. Wie ist die in den europäischen Gremien geäußerte Einschätzung der ande-
ren EU-Mitgliedstaaten zu dieser Frage?

19. Wird die Bundesregierung für den Fall einer Wiederaufnahme von Über-
stellungen nach Griechenland dafür Sorge tragen, dass Betroffene rechtzei-
tig von einer geplanten Überstellung erfahren, um hiergegen Rechtsmittel
einlegen zu können, und wird sie entsprechend des M.S.S.-Urteils des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) solchen Rechts-
mitteln aufschiebende Wirkung beimessen (bitte ausführen)?

20. Welche Vorkehrungen, Maßnahmen und Änderungen werden in der EU an-
gedacht, geplant oder umgesetzt, um das M.S.S.-Urteil des EGMR und ins-
besondere die darin vorgeschriebene wirksame Prüfung von bei Überstel-
lungen in einen anderen EU-Staat drohenden Menschenrechtsverletzungen
und Vorgaben zur aufschiebenden Wirkung von entsprechenden Rechtsmit-
teln umzusetzen?

21. Wie viele EU-Mittel stehen der griechischen Regierung für dieses Jahr zur
Verfügung, die dem Ausbau der Grenzüberwachung und -kontrolle dienen,
und wie viele dieser Mittel sind bereits abgerufen worden?

Welche Einzelmaßnahmen (Bau von Sperranlagen, Grenzstationen, elek-
tronische Einreisekontrollen etc.) werden aus diesen Mitteln finanziert?

22. Wie viele Gewahrsamseinrichtungen für abgelehnte Asylsuchende bzw. für
ausreisepflichtige Menschen mit wie vielen Plätzen gibt es derzeit in Grie-
chenland, wie hoch ist die tatsächliche Belegung, welche Staatsangehörig-
keiten haben die Betroffenen im Regelfall, und inwieweit sollen solche
Einrichtungen noch ausgebaut werden?

23. Wie ist die Praxis von Zurückweisungen und Abschiebungen von Grie-
chenland in die Türkei, und welche Probleme oder Fortschritte gibt es bei
der Umsetzung des griechisch-türkischen Rückübernahmeabkommens?

24. Wie hoch ist insgesamt die Zahl der Zurückweisungen und Abschiebungen
von Griechenland in welche Länder, und welche Staatsangehörigen sind
hiervon vor allem betroffen?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Anfang des Jahres
publik gewordenen Plänen der griechischen Regierung, einen Teil der grie-
chisch-türkischen Grenze mit einem Zaun zu sichern, und werden dafür
ebenfalls EU-Mittel aufgewendet?

26. Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, dass die griechische Regierung

einen Panzergraben an der griechisch-türkischen Grenze errichten will?

Drucksache 17/6975 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. Wie weit ist dieses Bauvorhaben nach Kenntnis der Bundesregierung fort-
geschritten?

28. In welcher Form und mit welchem Inhalt hat die Bundesregierung gegen-
über der griechischen Regierung zu diesem Vorhaben Stellung genommen?
In welcher Form und mit welchem Inhalt haben EU-Institutionen Stellung
genommen?

Wie bewertet die Bundesregierung dieses Vorhaben?

29. Inwiefern war die Agentur FRONTEX nach Kenntnis der Bundesregierung
in diese Planungen eingeweiht, und gab es in diesem Zusammenhang eine
Abstimmung mit den von FRONTEX koordinierten Maßnahmen zur
Sicherung der griechischen Grenze gegen Migrantinnen und Migranten?

30. An welchen anderen Außengrenzen der EU gibt es nach Kenntnis der Bun-
desregierung vergleichbare künstlich geschaffene physische Barrieren
(Gräben, Zäune, Mauern, Kanäle etc.), deren Zweck die Grenzsicherung
ist?

Berlin, den 9. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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