BT-Drucksache 17/6762

Zur Situation in den Handwerkskammern

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6762
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Diether Dehm, Dr. Barbara Höll, Jens
Petermann, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Situation in den Handwerkskammern

Seit Jahren gibt es Kritik an der Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Han-
delskammern. Zum einen erscheint der Eingriff in das Grundrecht der Vereini-
gungsfreiheit gegenüber dem erhofften Nutzen unverhältnismäßig, zum anderen
bleibt die Praxis deutlich hinter den Zielsetzungen der Selbstverwaltung zurück.

Auch die Handwerkskammern geraten zunehmend in den Fokus dieser Kritik.
Dabei spielt u. a. eine Rolle, dass die Beiträge zu den Handwerkskammern, die
i. d. R. ohnehin deutlich höher liegen als in den Industrie- und Handelskam-
mern, weiter steigen. Bei den Industrie- und Handelskammern sinken sie hinge-
gen überwiegend. Auch Demokratiedefizite bei den Wahlen, die Aufgabe der
Vertretung des Gesamtinteresses der Mitglieder und die mangelnde Transparenz
der Handwerkskammern, was Geschäftsführergehälter, Aufwandsentschädigun-
gen, Bilanzen und Wahlabläufe angeht, sorgen zunehmend für Unmut unter den
Mitgliedern der Handwerkskammern.

Die Handwerksordnung (HwO) wird zwar von den Ländern als eigene Angele-
genheit verwaltungsmäßig vollzogen, jedoch obliegt es nach Artikel 84 Absatz 3
des Grundgesetzes der Bundesregierung (BReg), die Aufsicht darüber auszu-
üben, dass die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Recht gemäß ausfüh-
ren. Es ist mithin Aufgabe der Bundesregierung, zu überprüfen, ob und inwie-
weit Mängel bei der Anwendung der geltenden Rechtslage bestehen. Als Mittel
kommen, neben der Entsendung eines Beauftragten (Absatz 3), „allgemeiner
Ansicht nach [auch] das Recht auf Auskunft und Information sowie ein Unter-
suchungsrecht als verfassungsrechtlich zugestandene Aufsichtsmittel der BReg“
(Dittmann, in: Sachs, Grundgesetz, Artikel 84, Rn. 28) in Betracht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung das aktuelle Beitragsniveau in den Hand-
werkskammern, insbesondere im Vergleich mit dem Beitragsniveau der In-
dustrie- und Handelskammern?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Beitragsentwicklung in den Hand-
werkskammern in den letzen fünf Jahren, insbesondere im Vergleich mit der
Beitragsentwicklung in den Industrie- und Handelskammern?
3. Wie beurteilt die Bundesregierung die finanzielle Lage der Handwerkskam-
mern angesichts steigender Beiträge, Informationen über strukturell defizi-
täre Haushalte (Hamburg) und gleichzeitig teurer Projekte wie „Hand-
werk.de“ und die 50-Millionen-Kampagne?

Drucksache 17/6762 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie haben sich die Beschäftigtenzahlen in den Handwerkskammern in den
letzten 15 Jahren entwickelt (bitte nach hauptamtlich Beschäftigten, bezahlt
Beschäftigten und ehrenamtlich tätigen Personen aufschlüsseln)?

Wie beurteilt die Bundesregierung diese Entwicklung?

5. Wie hoch war bundesweit jeweils in den Jahren 2008, 2009 und 2010 die
Zahl der Handwerksbetriebe, gegen die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
wegen nicht gezahlter Kammerbeiträge eingeleitet wurden?

6. Wie oft wurde seit Inkrafttreten der Handwerksordnung am 24. September
1953 in deutschen Handwerkskammern gewählt?

7. Wie oft fanden diese Wahlen als sogenannte Friedenswahlen statt (bitte nach
dem Bereich der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer aufschlüsseln)?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass mehrfach Handwerkskammern als
Wahltermin für die gesetzlich vorgeschriebene Briefwahl einen einzelnen
Sonntag festgelegt haben?

Wie beurteilt die Bundesregierung die Bestimmung eines einzelnen Sonn-
tags als Wahltermin für eine Briefwahl unter dem Gesichtspunkt der Durch-
führbarkeit einer regulären Wahl?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Festlegung eines einzel-
nen Sonntags als Wahltermin für die gesetzliche Briefwahl ein starkes Indiz
ist, dass die Führung der jeweiligen Handwerkskammer schon bei der Ver-
öffentlichung der Wahlbekanntmachung wie selbstverständlich vom Entfal-
len der streitigen Wahl ausgeht?

9. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Möglichkeit der „Friedens-
wahl“, entsprechend § 20 Anlage C der HwO?

Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der Verzicht auf Wahlen dem
Demokratieprinzip widerspricht, weil auch bei einer Wahl ohne tatsächliche
Wahlmöglichkeit die Wahlbeteiligung immerhin die Legitimation und den
Rückhalt, den das gewählte Gremium genießt, offenbart?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass in einer demokratischen Ge-
sellschaft als Mindeststandard gilt, dass auch in den Handwerkskammern
Wahlergebnisse vollständig dokumentiert und veröffentlicht werden, so wie
dies bei Wahlen in Bundes-, Landes- und Kommunalparlamenten üblich ist?

Ist der Bundesregierung bekannt, dass dies in den Handwerkskammern sel-
ten praktiziert wird, und wie verhält sich die Bundesregierung hierzu?

11. Wird nach Ansicht der Bundesregierung die Arbeitnehmerseite durch die
Handwerkskammern verlässlich informiert (gerade auch im Hinblick auf
die Wahlen) – angesichts der Tatsache, dass Verlautbarungen und amtliche
Bekanntmachungen der Handwerkskammer über die Zeitung „Das Hand-
werk“ erfolgen, die als Einzelexemplar lediglich an die Unternehmerseite
versandt wird?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass sich in der Besetzung der Kammer-
gremien in keiner Weise das Verhältnis von Arbeitnehmern zu Arbeitgebern
innerhalb der gesamten Kammermitglieder widerspiegelt?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach Veröffentlichung der
Geschäftsführergehälter entsprechend ähnlicher Verpflichtungen, z. B. für
die Vorstände der gesetzlichen Krankenkassen?

Ist der Bundesregierung bekannt, dass dies in den Handwerkskammern
nicht der Fall ist, und wie verhält sich die Bundesregierung hierzu?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6762

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach Veröffentlichung der
Aufwandsentschädigungen und von Aufsichtsratsmandaten (insbesondere
für Präsidenten und Vizepräsidenten)?

Ist der Bundesregierung bekannt, dass dies in den Handwerkskammern
nicht der Fall ist, und wie verhält sich die Bundesregierung hierzu?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach Veröffentlichung der
Bilanzen?

Ist der Bundesregierung bekannt, dass dies in den Handwerkskammern häu-
fig nicht stattfindet, und wie verhält sich die Bundesregierung hierzu?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach Veröffentlichung der
aufgestellten und beschlossenen Haushaltspläne?

Ist der Bundesregierung bekannt, dass dies in den Handwerkskammern
nicht stattfindet, und wie verhält sich die Bundesregierung hierzu?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass teilweise Handwerkspräsidenten
ihre Selbständigkeit aufgeben und als Präsidenten im Amt verharren (z. B.
Hildesheim)?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Urteil des Bundesver-
waltungsgerichtes (BVerwG, 8 C 20.09 vom 23. Juni 2010) zur Aufgabe der
Industrie- und Handelskammern, das von der Vollversammlung zu ermit-
telnde Gesamtinteresse der Mitglieder auch in Bereichen, bei denen Belange
der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, wahrzunehmen, in
weiten Teilen auch auf die Öffentlichkeitsarbeit der Handwerkskammern
Auswirkung hat?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Urteile des
Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, 8 C 20.09 vom 23. Juni 2010) und
des Verwaltungsgerichtes Stuttgart (4 K 5039/10 vom 7. April 2011) das
Verhalten der Industrie- und Handwerkskammer (IHK) Region Stuttgart,
die trotz dieser Urteile ein der IHK Stuttgart vergleichbares Werbebanner
zugunsten des Projektes „Stuttgart 21“ nicht abgehängt hat, ohne dass ein
entsprechendes Votum der Mitgliedschaft eingeholt wurde?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass die Handwerkskammern eine Zwit-
terfunktion einnehmen, indem sie einerseits die Interessenvertretung ihrer
Mitglieder wahrnehmen und andererseits als Körperschaften des öffentli-
chen Rechts hoheitliche Aufgaben übernehmen und regulierende Aufgaben
tätigen?

21. Über welche Kontrollinstrumente und Einflussmöglichkeiten verfügt die
Bundesregierung hinsichtlich der selbstverwaltenden Handwerkskammern,
und wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der zahlreichen Skandale
die Hinlänglichkeit ihrer Kontrollinstrumente und Einflussmöglichkeiten?

22. Hat es konkrete Fälle gegeben, in denen die Bundesregierung in Bezug auf
den Vollzug der Handwerksordnung durch die Länder von ihrem Recht der
Bundesaufsicht nach Artikel 84 Absatz 3 des Grundgesetzes Gebrauch ge-
macht hat (wenn ja, bitte beispielhafte Benennung drei dieser Fälle jeweils
unter Angabe des Bundeslandes, der Aufsichtsmaßnahmen durchführenden
Personenkreise sowie Art – Auskunft, Information, etc.–, Umfang und
Dokumentation der ergriffenen Aufsichtsmaßnahmen)?

23. Wie schätzt die Bundesregierung die Akzeptanz der Handwerkskammern

unter den Mitgliedern ein?

Drucksache 17/6762 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Sieht die Bundesregierung aufgrund der angesprochenen Missstände ge-
setzgeberischen Handlungsbedarf?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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