BT-Drucksache 17/6545

Ausbeuterische Kinderarbeit auf nationaler und internationaler Ebene wirksam bekämpfen

Vom 7. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6545
17. Wahlperiode 07. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Christoph Strässer,
Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim),
Kerstin Griese, Wolfgang Gunkel, Dr. Barbara Hendricks, Petra Hinz (Essen),
Christel Humme, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf,
Burkhard Lischka, Caren Marks, Ullrich Meßmer, Franz Müntefering,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Dr. Sascha Raabe, Sönke Rix, Karin Roth
(Esslingen), Stefan Schwartze, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Ausbeuterische Kinderarbeit auf nationaler und internationaler Ebene
wirksam bekämpfen

Die Übereinkommen 138 und 182 der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) ächten weltweit Kinderarbeit. Dennoch besteht das Problem der ausbeu-
terischen Kinderarbeit unverändert in vielen Ländern fort. Nach aktuellen
Schätzungen der ILO arbeiten täglich weltweit 215 Millionen Kinder, davon
rund 115 Millionen unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen.
53 Millionen dieser Kinder sind jünger als 14 Jahre.

Nach wie vor gelangen Produkte, die durch ausbeuterische Kinderarbeit im
Sinne des ILO-Übereinkommens 182 entstanden sind, auf den deutschen
Markt. Dies betrifft vor allem landwirtschaftliche und industriell gefertigte Pro-
dukte (z. B. im Textilbereich, im Bergbau und in Steinbrüchen).

In den vergangenen Jahren haben viele Länder und Kommunen Maßnahmen er-
griffen, um die Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu
verhindern. Ein wichtiger Schritt war die Novellierung des Vergaberechts,
durch die soziale, ökologische und innovative Kriterien bei der Auftrags-
vergabe berücksichtigt werden können. Nach wie vor gibt es jedoch Meldungen
beispielsweise über in Deutschland verwendete Grabsteine oder Pflastersteine,
die durch ausbeuterische Kinderarbeit entstanden sind.

Die Bundesregierung muss daher weitere Maßnahmen ergreifen, um die inter-
national bestehenden Verpflichtungen wirksam umzusetzen. Deutschland muss
zudem eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen Kinderarbeit einnehmen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche nationalen und internationalen Maßnahmen hat die Bundesregierung
auf Basis der Entschließung des Bundesrates 309/10 (Beschluss) zur Verhin-
derung des Marktzugangs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit
vom 9. Juli 2010 ergriffen, und wenn nicht, warum nicht?

Drucksache 17/6545 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Hat die Bundesregierung insbesondere den unter Nummer 6 in der Ent-
schließung des Bundesrates 309/10 formulierten Prüfauftrag, inwieweit auf
Ebene der World Trade Organization künftig geeignete Maßnahmen zur
Vermeidung ausbeuterischer Kinderarbeit getroffen werden können, um-
gesetzt und dabei die Frage eines möglichen Importverbots (analog zu
dem nach Artikel XX (e) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens
– GATT – möglichen Importverbot für Produkte, die in Gefängnissen her-
gestellt sind) berücksichtigt, und was hat die Prüfung ergeben?

3. Welche Initiativen der Länder und der Kommunen sind der Bundesregie-
rung bekannt, um die Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kin-
derarbeit zu verhindern, und wie bewertet sie diese?

4. Welche Initiativen anderer Industriestaaten sind der Bundesregierung be-
kannt, um die Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kinder-
arbeit zu verhindern, und wie bewertet sie diese?

5. Wie bewertet die Bundesregierung § 97 Absatz 4 des Gesetzes gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen im Hinblick auf die Verhinderung des Marktzu-
gangs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit?

6. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um unabhängige Zerti-
fizierungen zur Verhinderung der Einfuhr von Produkten aus ausbeuteri-
scher Kinderarbeit und zur Verbesserung der Transparenz für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher voranzutreiben?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die internationale Zertifizierung
SA 8000, durch die Sozialstandards über die gesamte Produktionskette hin-
weg durchgesetzt werden sollen?

8. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Zertifizierung
SA 8000 in Deutschland und insbesondere bei deutschen Unternehmen be-
kannter zu machen?

9. Welche konkreten Maßnahmen schlägt der von der Bundesregierung einge-
setzte Runde Tisch für Verhaltenskodizes vor, um ausbeuterische Kinder-
arbeit und insbesondere die Einfuhr von Produkten aus ausbeuterischer
Kinderarbeit zu verhindern?

10. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Bekämpfung von aus-
beuterischer Kinderarbeit in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
bei, und wie äußert sich dieser Stellenwert?

11. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Recht auf Bildung bei
der Bekämpfung der Kinderarbeit zu, und warum wird dieser Aspekt im
Sinne einer Politikkohärenz weder in der aktuellen Bildungsstrategie noch
im neuen Menschenrechtskonzept des Bundesministeriums für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung thematisiert?

12. Welche Anträge wurden der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die
Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) für multinationale Unternehmen hinsichtlich Verstöße
gegen das Verbot von Kinderarbeit zur Entscheidung vorgelegt, und wie
wurde über sie entschieden?

13. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die Bekämp-
fung von Kinderarbeit auf Grundlage der revidierten OECD-Leitsätze zu
verstärken?

14. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um im Rahmen
des deutschen Netzwerks des Global Compact die Bekämpfung der Kin-
derarbeit zu verstärken?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6545

15. Wie hoch waren die Finanzmittel, die Deutschland zum International Pro-
gramme on the Elimination of Child Labour (IPEC) in den Jahren 2008,
2009, 2010 und 2011 beigesteuert hat (bitte pro Jahrgang aufzählen), und
welchen Platz nimmt Deutschland aktuell im Ranking der Geberländer ein?

16. Wie begründet die Bundesregierung ihre Position, dass die „einseitige
Einführung einer verpflichtenden Zertifizierung der Einhaltung bestimmter
bei der Herstellung eines Produkts beachteten Standards […] zu kurz“
greife (siehe Antwort auf die Schriftliche Frage 95 auf Bundestagsdruck-
sache 17/5268)?

17. Welche Probleme bestehen aus Sicht der Bundesregierung in der Praxis bei
der Identifizierung der durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellten
Produkte, und welche Lösungsansätze schlägt sie hier vor?

18. Welche Studien sind der Bundesregierung zum Thema Identifizierung der
durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellten Produkte bekannt (bitte
aufzählen)?

19. Welche Maßnahmen werden in den Bundesministerien und -behörden ver-
folgt, um die in dem „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung“
(DIN ISO 26000) aufgeführten Empfehlungen umzusetzen?

20. Ist die Prüfung der Bundesregierung, wie der „Leitfaden zur gesellschaft-
lichen Verantwortung“ bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berück-
sichtigt werden soll, abgeschlossen (siehe Antwort auf die Schriftliche
Frage 58 auf Bundestagsdrucksache 17/5268)?

Wenn ja, was hat diese Prüfung ergeben?

Wenn nein, wann ist mit dem Abschluss der Prüfung zu rechnen?

21. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die EU bezüglich ihrer Poli-
tik mit Drittstaaten – speziell ihrer Entwicklungs- und Handelspolitik –
Konsequenzen aus der Tatsache zieht, dass weltweit über 200 Millionen
Kinder arbeiten, und welche Vorschläge hat sie hierfür eingebracht?

22. Über welche Instrumente verfügt die EU zur Bekämpfung ausbeuterischer
Kinderarbeit, und welche sind die wirksamsten?

23. Ist der Bundesregierung bekannt, welche Position die EU zum Handelsver-
bot mit und zum Einfuhrverbot von Waren einnimmt, die in ausbeuteri-
scher Kinderarbeit hergestellt wurden, und kann sie die Begründung für
diese Position der EU umreißen?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die rechtliche Basis, auf der die EU
bzw. ihre Mitgliedstaaten die Einfuhr von Waren verbieten können oder
müssen, die von Kindern unter ausbeuterischen Bedingungen produziert
wurden, und in welchen Fällen hat die EU bzw. haben ihre Mitgliedstaaten
tatsächlich ein Verbot ausgesprochen?

25. Wie gelangen Waren aus Kinderarbeit in die EU, wenn eine Einfuhr sol-
cher Waren nach europäischem Vergaberecht gegen die Regeln des inter-
nationalen Arbeitsrechts verstößt, und in welchem Verhältnis sieht die
Bundesregierung das europäische Vergaberecht zum nationalen Vergabe-
recht bzw. zu jenem der Länder und Kommunen?

26. Hält die Bundesregierung es für die Bekämpfung der Kinderarbeit für sinn-
voll, wenn der für Anfang 2012 erwartete Richtlinienvorschlag über die
Modernisierung der öffentlichen Auftragsvergabe in der EU ein ausdrück-
liches Verbot der Kinderarbeit enthalten würde, und ist sie bereit, sich zur
Verdeutlichung des Problems dafür einzusetzen?

Drucksache 17/6545 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. Welche konkrete Bedeutung für ein EU-Importverbot von Waren, die von
Kindern produziert wurden, hat

a) Artikel 32 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes,

b) das ILO-Übereinkommen 182 über das Verbot und unverzügliche Maß-
nahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit,

c) Artikel 7 der Europäischen Sozialcharta,

d) Artikel 32 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union?

28. In welchen EU-Freihandelsabkommen mit Schwellen- und Entwicklungs-
ländern wurde und wird das Verbot von Kinderarbeit verankert?

29. Welche Position nimmt die Bundesregierung hinsichtlich der Verankerung
des Verbots der Kinderarbeit und der ILO-Kernarbeitsnormen im Rahmen
der aktuellen Verhandlungen des EU-Indien-Freihandelsabkommens ein,
und wie wird die Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission
sicherstellen, dass diese Sozialstandards im EU-Indien-Freihandelsabkom-
men verankert werden?

30. Wie bewertet die Bundesregierung folgende Entschließungen des Europäi-
schen Parlaments im Hinblick auf die Bekämpfung der weltweiten Kinder-
arbeit:

a) Menschenrechte, Sozial- und Umweltnormen in internationalen Han-
delsabkommen vom 25. November 2010,

b) Soziale Verantwortung von Unternehmen in internationalen Handels-
abkommen vom 25. November 2010,

c) Außenpolitische Dimension der Sozialpolitik von arbeits- und sozial-
rechtlichen Standards und soziale Verantwortung von Unternehmen
vom 8. Juni 2011?

31. Hat sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft bereits mit dem
Einfuhrverbot von in Kinderarbeit produzierten Waren befasst, und wenn
ja, zu welchem Ergebnis ist er in seiner Rechtsprechung gekommen?

32. Hält die Bundesregierung eine Regelung auf EU-Ebene zum Umgang mit
in ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellten Waren überhaupt für nötig,
und wie begründet sie ihre Position?

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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