BT-Drucksache 17/6459

Die aktuelle Situation im Lager Ashraf (Irak)

Vom 5. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6459
17. Wahlperiode 05. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thomas Nord, Jan van Aken, Christine Buchholz, Wolfgang
Gehrcke, Andrej Hunko, Niema Movassat, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und
der Fraktion DIE LINKE.

Die aktuelle Situation im Lager Ashraf (Irak)

Seit dem 1. Januar 2009 steht das Lager Ashraf-Irak unter der Kontrolle des
irakischen Militärs. Mittels Ultimatum fordert die irakische Regierung die
Bewohner auf, das Lager bis Ende des Jahres 2011 zu verlassen. Es existieren
vier Entschließungen des Europäischen Parlaments, welche die Rechte der
Bewohner Ashrafs anerkennen. Darin werden in Ashraf lebende Menschen als
„geschützte Personen“ nach dem IV. Genfer Abkommen ausgewiesen. Zudem
fordert das EU-Parlament die irakische Regierung auf, von jedweder Maß-
nahme Abstand zu nehmen, die das Leben und die Sicherheit der Lagerbewoh-
ner gefährden würde. Konkret appelliert besonders die Entschließung vom
24. April 2009 vor dem Hintergrund einer Streichung der „People’s Muhjahedin
of Iran“ von der Terrorliste der EU, an die irakischen Staatsorgane, keine
Zwangsumsiedlungen, Abschiebungen, Ausweisungen oder Rückführungen der
Bewohner Ashrafs vorzunehmen (2010/C 184 E/13).

Dessen ungeachtet, drangen irakische Sicherheitskräfte am 8. April 2011 ge-
waltsam in das Lager ein. Diese militärische Aktion kostete 34 Bewohnerinnen
und Bewohnern Ashrafs das Leben. Laut der Internationalen Liga für Men-
schenrechte erlitten zudem mehr als 300 Personen zum Teil schwere Verletzun-
gen.

Am 20. April 2011 bedauerte der Beauftragte der Bundesregierung für Men-
schenrechte und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, in einer Presseerklärung,
dass bei dem gewaltsamen Eindringen irakischer Sicherheitskräfte in das Lager
Ashraf Menschen ums Leben kamen. Er forderte die irakische Regierung auf,
eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge einzuleiten und mit Verantwor-
tungsgefühl und Augenmaß bei der Auflösung der Lagerstrukturen und der
Herstellung der vollständigen staatlichen Souveränität vorzugehen. Damit er-
weckt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung den Eindruck, als
billige die Bundesregierung die Auflösung des Lagers.

Andere Institutionen, darunter Amnesty International, appellieren an die iraki-
schen Behörden, weitere Versuche, die Bewohner Ashrafs umzusiedeln oder
gewaltsam zu vertreiben, nicht fortzuführen. Internationale Menschenrechts-
organisationen, wie der UN-Menschenrechtsrat (United Nations Human Rights
Council) oder die Internationale Liga für Menschenrechte verurteilen das Vor-
gehen der irakischen Sicherheitskräfte. Im Europarat spricht man von einem
„Verbrechen gegen das Völkerrecht“ (Schriftliche Erklärung 476/2011-04-16).
Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine
Ashton, forderte die irakische Regierung auf, „sich des Gebrauchs der Gewalt

Drucksache 17/6459 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zu enthalten und die Menschenrechte der Bewohner des Lagers zu respektie-
ren“ (8859/11, Presse 101/2011-04-09).

Unabhängig von der Entstehung und Entwicklung des Lagers Ashraf, sowie
weiterer politischer Aspekte im Zusammenhang mit seiner Existenz, muss in
dieser Situation, insbesondere unter Beachtung des Ultimatums und des bishe-
rigen Vorgehens der irakischen Regierung, davon ausgegangen werden, dass
Leben und Gesundheit der etwa 3 400 Bewohner und Bewohnerinnen bedroht
sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum verurteilt der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, nicht das gewaltsame Vorgehen des
irakischen Militärs am 8. April, wie es der UN-Menschenrechtsrat getan
hat, sondern drückt allein sein „Bedauern“ der Todesfälle aus?

2. Weshalb schließt sich Markus Löning nicht dem Appell Catherine Ashtons
an und fordert die irakische Regierung auf, sich der Gewalt zu enthalten
und die Menschenrechte der Lagerbewohnerinnen und Lagerbewohner zu
respektieren?

3. Warum fordert Markus Löning die Lagerführung Ashrafs zum Gewalt-
verzicht auf, richtet jedoch keinen gleichwertigen Appell an die irakischen
Behörden?

4. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, damit die
irakische Regierung eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzt,
die den Vorfall vom 8. April 2011 aufklärt?

5. Auf Basis welcher Informationen kommt der Beauftragte der Bundesregie-
rung zu der Annahme, dass die Lagerführung verletzten Bewohnerinnen
und Bewohnern den Zugang zu medizinischer Versorgung vorenthält?

6. Auf welche Erkenntnisse stützt sich der Beauftragte der Bundesregierung
für Menschenrechte bei seiner Aussage, dass die Lagerführung Bewohne-
rinnen und Bewohnern das Recht vorenthalte, Ashraf zu verlassen (wir bit-
ten um eine vollständige Liste der Berichte mit Quellenangabe)?

7. Billigt die Bundesregierung die Auflösung des Lagers Ashraf?

8. Wie schätzt die Bundesregierung die Folgen für in Ashraf lebende Exil-
iranerinnen und -iraner und deren Familien ein, sollte es zur Auflösung
des Lagers nach Ablauf des Ultimatums durch das irakische Militär kom-
men?

9. Welche Maßnahmen haben Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers bei
einer Rückkehr in den Iran zu befürchten?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis über den Aufenthalt von Personen im
Lager Ashraf mit deutschem Pass oder von Personen, die einmal in
Deutschland gelebt haben?

Wenn ja, welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um für die
Sicherheit, der in Ashraf lebenden Personen mit deutschem Pass bzw. von
Personen, die einmal in Deutschland gelebt haben, Sorge zu tragen?

11. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung bislang unternommen,
um eine Lösung des Problems zusammen mit europäischen Partnern und/
oder den USA zu erreichen?

12. Steht die Bundesregierung zum Zweck der Lösung im Austausch mit der
iranischen Regierung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6459

13. Initiiert oder beteiligt sich die Bundesregierung an einer Lösung auf euro-
päischer Ebene?

Wenn ja, wie?

14. Ist die Bundesregierung bereit, Flüchtlinge aufzunehmen oder Aufnahme-
länder finanziell zu unterstützen, wenn es zu einer Auflösung des Lagers
kommt?

Berlin, den 5. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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