BT-Drucksache 17/6403

Aktueller Umgang und Handlungsbedarf bezüglich syrischer Staatsangehöriger und Flüchtlinge aus Syrien

Vom 30. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6403
17. Wahlperiode 30. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Petra Pau, Raju Sharma, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Katrin
Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Aktueller Umgang und Handlungsbedarf bezüglich syrischer Staatsangehöriger
und Flüchtlinge aus Syrien

Die innenpolitische Situation in Syrien eskaliert derzeit immer weiter, ein Ende
oder eine friedliche Beilegung der Auseinandersetzung zwischen dem Regime
in Damaskus und den Protestierenden ist nicht abzusehen. Mit Stand Mitte Juni
2011 sind bislang mindestens 1 300 Menschen in erster Linie durch Angriffe
von Armee und Sicherheitsdiensten ums Leben gekommen, 12 000 in Haft ge-
nommen und dort zum Teil Opfer von Folter und Misshandlung geworden. Etwa
10 000 Menschen aus den nördlichen Teilen Syriens sind in die Türkei geflohen
und dort in Auffanglagern aufgenommen worden, mindestens 5 000 sind zudem
in Nordlibanon untergekommen. Dort kam es allerdings auch zu Verhaftungen
wegen illegaler Grenzübertritte und zu Auslieferungen syrischer Grenzsoldaten,
die desertiert waren.

Angesichts dieser Situation hat das Bundesministerium des Innern das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angewiesen, keine Asylverfahren mehr
durchzuführen, solange die Lage nicht geklärt ist. Den Ländern ist vom Bundes-
minister des Innern geraten worden, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig
abzusehen (Antwort auf die Schriftliche Frage 4 der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Bundestagsdrucksache 17/5734). Nach derzeitigem Stand haben sämtliche Bun-
desländer ihre Behörden entsprechend angewiesen, derzeit keine Abschiebungen
durchzuführen. Für viele der Betroffenen bedeutet dies aber nicht das Ende ihres
prekären Aufenthalts, weil sie ausreisepflichtig bleiben, ohne zu wissen, ob sie in
absehbarer Zeit sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können – oder ohnehin
nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland bereits so weit in die hiesigen
Lebensverhältnisse integriert sind, dass sie gar nicht mehr zurückkehren wollen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Abschiebungen oder Abschiebever-
suchen nach ihrem in der Vorbemerkung genannten Rundschreiben an die
Länder?
2. Wie viele Asyl- und wie viele Asylfolgeanträge sind nach dem Schreiben an
das BAMF durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose aus Syrien ge-
stellt worden (bitte nach Erst- und Folgeanträgen und Monaten auflisten)?

3. Wie viele Asyl- und Asylfolgeanträge von syrischen Staatsangehörigen bzw.
Staatenlosen aus Syrien liegen dem BAMF derzeit vor, über die noch nicht
entschieden wurde?

Drucksache 17/6403 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
4. Wie Asylantragsteller aus Syrien, die über einen anderen Mitgliedstaat der
EU eingereist sind, sind seit Beginn des Jahres in diesen Mitgliedstaat zu-
rücküberstellt worden, und für wie viele Asylantragsteller aus Syrien wurde
ein Rücknahmeersuchen gestellt (bitte jeweils nach Monaten und Zielstaa-
ten auflisten)?

5. Welche Gerichtsentscheidungen liegen der Bundesregierung mit Bezug zu
aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen betreffend syrische Staatsangehörige
oder Staatenlose aus Syrien für die Monate April, Mai und Juni 2011 vor,
und was ist der wesentliche Tenor dieser Entscheidungen?

6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass die betroffenen
syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen aus Syrien, deren Asylver-
fahren derzeit ruht, bei einer Entscheidung über ihren Antrag Aussicht auf
Feststellung von Abschiebeschutz nach § 60 Absatz 2 des Aufenthaltsge-
setzes hätten, und wenn nein, warum nicht?

7. Haben die Betroffenen die Möglichkeit, eine Entscheidung über ihre An-
träge auf Asyl, ersatzweise Anerkennung als Flüchtling oder Feststellung
von Abschiebehindernissen, auf dem Klageweg zu erzwingen, und gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung bereits entsprechende Versuche?

8. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang eingeleitet
oder geplant, um die türkische Regierung bei ihrer Aufnahme von syri-
schen Flüchtlingen zu unterstützen?

9. Gab es von Seiten der Türkei Hilfeersuchen an die EU oder an die Bundes-
regierung, die finanzielle, technische oder logistische Unterstützung oder die
Aufnahme besonders verletzlicher Flüchtlinge (unbegleitete Minderjährige,
alleinstehende Frauen mit Kindern, Schwangere, Traumatisierte etc.) zum
Gegenstand hatten?

Wie sind diese Hilfeersuchen ggf. beantwortet worden?

10. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang eingeleitet
oder geplant, um die Regierung des Libanon bei ihrer Aufnahme von syri-
schen Flüchtlingen zu unterstützen?

11. Gab es von Seiten des Libanon Hilfeersuchen an die EU oder an die Bun-
desregierung, die finanzielle, technische oder logistische Unterstützung
oder die Aufnahme besonders verletzlicher Flüchtlinge (unbegleitete Min-
derjährige, alleinstehende Frauen mit Kindern, Schwangere, Traumatisierte
etc.) zum Gegenstand hatten?

Wie sind diese Hilfeersuchen ggf. beantwortet worden?

12. Hält die Bundesregierung die Erwartung der türkischen Regierung, dass bis
zu 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei kommen könnten, für
realistisch?

Von welchen Zahlen geht die Bundesregierung in ihren eigenen Szenarien
und Analysen aus?

13. Welche Analysen bzw. Szenarien zur Möglichkeit einer Flucht einer nen-
nenswerten Anzahl von Personen aus Syrien in die angrenzenden EU-Staa-
ten (Zypern und Griechenland) sind der Bundesregierung bekannt, und wie
soll ihrer Ansicht nach der Umgang mit solchen Asylsuchenden aussehen,
die über die Türkei in einen EU-Staat eingereist sind?

Berlin, den 30. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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