BT-Drucksache 17/6401

Colonia Dignidad

Vom 1. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6401
17. Wahlperiode 01. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Michael Leutert,
Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Colonia Dignidad

Der deutsche Arzt Hartmut Hopp, oftmals als die rechte Hand Paul Schäfers – des
Chefs der berüchtigten Deutschen-Siedlung Colonia Dignidad (CD) – bezeich-
net, hat sich chilenischen und deutschen Medienberichten zufolge unter Umge-
hung einer Ausreisesperre der chilenischen Justiz in die Bundesrepublik
Deutschland geflüchtet. Die 1961 von dem Deutschen Paul Schäfer gegründete
CD (offiziell „Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad), heute Villa
Baviera (VB), war bis vor kurzem ein auslandsdeutsches, festungsartig ausge-
bautes Siedlungsareal in Chile. In der CD, in der noch immer ca. 280 Menschen
leben sollen, wurden jahrzehntelang schwerste Menschenrechtsverletzungen be-
gangen. Regimegegner wurden systematisch gefoltert und ermordet, deutsche
und chilenische Kinder systematisch jahrzehntelang und tausendfach sexuell
misshandelt und missbraucht.

Hartmut Hopp, der in der Führungsriege der CD die Rolle des „Außen-
ministers“ einnahm, stand kurz vor einem Haftantritt. Wegen seiner Beteiligung
am systematischen sexuellen Missbrauch in der CD war Hartmut Hopp im
Januar 2011 in zweiter Instanz zu fünf Jahren Haft verurteilt worden und ledig-
lich bis zur rechtskräftigen Bestätigung des Urteils durch den Obersten Ge-
richtshof unter Auflagen auf freiem Fuß. Weiterhin steht er in Chile wegen Bil-
dung einer kriminellen Vereinigung und in einem weiteren Verfahren wegen
der Entführung und Ermordung von drei chilenischen Diktaturgegnern vor Ge-
richt. Eine Haftstrafe wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz (Fund eines
umfangreichen Kriegswaffenarsenals in der CD) hat er bereits verbüßt. Hart-
mut Hopp war in der CD für das „Chemielabor“ zuständig, in dem in Zusam-
menarbeit mit dem „Chemiker“ des chilenischen Geheimdienstes Eugenio
Berríos Gift- und Nervengase hergestellt worden sein sollen. Hartmut Hopp
wird auch im Verfahren um den Mord mit Nervengiften am ehemaligen chile-
nischen Präsidenten Eduardo Frei Montalva erwähnt (vgl. z. B. Ciperchile,
23. Mai 2011). Die chilenische Justiz hat nach Informationen von „AFP“
(24. Mai 2011) einen internationalen Haftbefehl gegen Hartmut Hopp erlassen.
Acht weitere Mitglieder aus der ehemaligen Führungsriege der CD, darunter

u. a. Gerhard Mücke, der ehemalige Sicherheitschef der CD, Gisela Seewald,
die ehemalige Leiterin des Krankenhauses der CD sowie das ehemalige Mit-
glied der Leibstandarte Adolf Hitler, Kurt Schnellenkamp, wurden am 23. Mai
2011 u. a. wegen Fluchtgefahr verhaftet und in ein Hochsicherheits- und ein
Frauengefängnis in der Hauptstadt Santiago gebracht. Zwei weitere gesuchte
Personen stellten sich nach Angaben der „taz“ (26. Mai 2011) mittlerweile den
Behörden.

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Der 66-jährige Hartmut Hopp sei nach Deutschland geflüchtet, um seinen Haft-
strafen in Chile zu entgehen. Chile verurteilt Angeklagte nicht in Abwesenheit,
sondern stellt bei Abwesenheit des Angeklagten das Verfahren (zeitweise) ein.
Hartmut Hopp verlässt sich darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland
eigene Staatsbürger nicht ausliefert. Er ist nicht das einzige Mitglied der CD,
das diese gesetzliche Regelung ausnutzt. Die chilenische Zeitung „La Segunda“
berichtete am 27. Mai 2011, dass sich in den letzten Jahren insgesamt zehn Mit-
glieder der CD, die von der chilenischen Justiz flüchtig sind, in die Bundes-
republik Deutschland abgesetzt haben. Prominentester Justizflüchtling neben
Hartmut Hopp war dabei der Finanzchef der Sekte Albert Schreiber, der, ohne
dass gegen ihn in Deutschland Anklage erhoben worden war, 2007 in Krefeld
verstarb. Die deutsche Justiz hatte eine Auslieferung nach Chile abgelehnt.
Albert Schreiber war, neben anderen Anschuldigungen, im Verdacht an massi-
ven Geldwäschedelikten der CD beteiligt gewesen zu sein. Seine Familien-
angehörigen, die teilweise auch justizflüchtig sind, leben heute noch in der Um-
gebung Krefelds. Auch Hartmut Hopp soll in den letzten Wochen Krefeld auf-
gesucht haben, da viele ehemalige CD-Mitglieder dort die Sekte „Freie Volks-
mission Krefeld“ von Missionar Ewald Frank besuchen. Ewald Frank hatte
nach Inhaftierung Paul Schäfers mehrfach die CD besucht und dort um Anhän-
ger geworben, woraufhin er von Chile mit einer Einreisesperre belegt wurde.

Chilenischen Medien zufolge haben Ende Mai 2011 chilenische christdemokra-
tische Politiker, die auf Deutschlandbesuch waren, im Gespräch mit der Bun-
deskanzlerin, Dr. Angela Merkel und dem Präsidenten des Deutschen Bundes-
tages, Dr. Norbert Lammert, den Fall Hartmut Hopp thematisiert und um eine
tatkräftige Mithilfe der Bundesregierung bei der Festnahme und Auslieferung
von Hartmut Hopp nach Chile gebeten. Die Senatorin Ximena Rincón erklärte
nach dem Gespräch mit Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert gegenüber
chilenischen Medien: „Wir haben dem Präsidenten des deutschen Parlaments
die Wichtigkeit, die dieser Fall für unser Land hat, dargelegt. Hopp ist nicht
irgendein [Justiz-]Flüchtling, er ist eine der Führungspersonen eines Geländes,
auf dem ein Folterzentrum betrieben wurde. Wir vertrauen darauf, dass die
Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihres Eintretens für die Gerechtigkeit
und die Einhaltung der Menschenrechte Hopp auffinden und festnehmen wird,
falls er sich tatsächlich auf deutschen Staatsgebiet aufhält; dies wird es uns
ermöglichen, den Prozess wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, in
dessen Rahmen er angeklagt ist, zu Ende zu führen.“ (vgl. EL MERCURIO,
online, 25. Mai 2011).

Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt seit 1985 im Fall Colonia Dignidad und
spätestens seit der Bundestagsanhörung im Unterausschuss für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe am 22. Februar 1988 auch gegen Hartmut Hopp. Meh-
rere Opfer der CD haben bei der Staatsanwaltschaft Bonn Anzeige erstattet.
Diese Ermittlungen, im Rahmen derer bereits Dutzende von Zeuginnen und
Zeugen vernommen worden sind, haben bislang zu keiner Anklageerhebung
geführt.

Die kriminelle Führung der CD, die nachweislich Kontakte zur rechtsextremen
chilenischen Gruppierung „Patria y Libertad“ hatte, unterstützte den Putsch des
chilenischen Militärs unter Führung von General Augusto Pinochet am 11. Sep-
tember 1973. Dabei sollen unter Ausnutzung zollrechtlicher Vorteile Waffen
und Munition von Deutschland über den Seeweg illegal nach Chile einge-
schleust worden sein, welche sowohl innerhalb des Komplexes wie auch durch
die „Patria y Libertad“ Verwendung fanden. Die Kolonie wurde während der
Militärdiktatur zu einem von fünf geheimen chilenischen Militärstützpunkten,
die mit Hilfe des ehemaligen deutschen Wehrmachtsoffiziers und National-
sozialisten Hans-Ulrich Rudel eingerichtet worden sein sollen, um im Kriegs-

fall einen militärischen Gegenschlag gegen Argentinien führen zu können (vgl.
Kleine Anfrage der Fraktion der PDS auf Bundestagsdrucksache 14/7549). Das

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mit unterirdischen Bunkern, Kommandozentralen und einem umfassenden ge-
heimen Warn- und Überwachungssystem ausgestattete Folterzentrum war auch
eine Operationsbasis des Pinochet-Geheimdienstes „Dirección de Inteligencia
Nacional“ (DINA). Außer Folterungen erlitten die dort gefangen Gehaltenen
Zwangsarbeit und verbrecherische medizinische Versuche, unter anderem mit
Giftgas, an dessen Herstellung und Schmuggel die CD direkt beteiligt gewesen
sein soll. Nach Angaben von Gerhard Mücke wurden auf dem Gelände der
Kolonie 22 Regimegegner ermordet und anschließend deren Leichen verbrannt.
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der PDS (zu Frage 11 auf
Bundestagsdrucksache 14/7867) wies die Bundesregierung darauf hin, dass am
20. September 2000 die chilenische Polizei eine Razzia auf dem Gelände der
Colonia Dignidad durchgeführt habe. Anschließend hätten Polizei und Justiz
öffentlich mitgeteilt, dass bei der Razzia festgestellt wurde, dass das Anwesen
nicht nur über einen umfangreichen Überwachungsapparat verfüge, sondern
„auch eine als ‚Geheimarchiv‘ bezeichnete Dokumentensammlung sicherge-
stellt worden sei“.

Nach Recherchen von Gero Gemballa, der mehrere Bücher zur CD verfasst hat,
stellte die CD ein institutionalisiertes Geflecht aus deutschen, chilenischen und
internationalen Wirtschafts- und Geheimdienstinteressen, Waffenschieberei
und aktiver Komplizenschaft bei der Liquidierung von Gegnern des Pinochet-
Regimes dar. Insbesondere das ehemalige Mitglied der Waffen-SS Gerhard
Mertins, der zusammen mit SS-Standartenführer Otto Skorzeny 1963 im
schweizerischen Vevey die Exportfirma MEREX AG gründete und jahrelang
deutsche Waffen ins Ausland exportierte, spielte dabei eine entscheidende
Rolle. 1978 gründete Gerhard Mertins den „Freundeskreis Colonia Dignidad“,
der die schon damals durch Foltervorwürfe in Verruf geratene deutsche Sied-
lung im Süden von Chile unterstützte und dem verschiedene bundesdeutsche
Politiker angehört haben sollen.

Sowohl Chile als auch Deutschland haben sich jahrzehntelang mit der Aufklä-
rung und Aufarbeitung dieser Menschenrechtsverbrechen sehr schwer getan.
Während dies im Fall Chiles mit der Zusammenarbeit des chilenischen Staates
und der Colonia Dignidad bei Folter, Mord und Waffenhandel während der
Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) zumindest teilweise erklärt werden kann,
liegen die Gründe für die äußerst zurückhaltende Haltung deutscher Behörden
noch weitgehend im Dunklen. Dies liegt nicht zuletzt an der Weigerung von
Auswärtigem Amt (AA) und Bundesnachrichtendienst (BND), Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten Zugang zu
Hunderten von Aktenordnern, die in den Archiven, Geheimarchiven und in den
Referaten der jeweiligen Behörde aufbewahrt werden, Zugang zu gewähren.
Die Opfervereinigung „Not- und Interessengemeinschaft der Geschädigten der
Colonia Dignidad“ hat in den letzten 23 Jahren vielfach die Bundesregierung
zur vollständigen Aufklärung und Aufarbeitung der Verbrechen der CD auf-
gefordert und sich in einem offenen Brief an den Bundesminister Dr. Guido
Westerwelle, im Dezember 2010 für eine Aktenfreigabe für die wissenschaft-
liche Aufarbeitung des Falls CD eingesetzt.

Mehrere Wissenschaftler und Journalisten haben in den letzten Jahren Akten-
einsicht zum Themenkomplex CD beim AA und beim BND beantragt. Bislang
wurde nur ein sehr geringer Teil des Aktenmaterials von AA und BND zur Ein-
sicht freigegeben (seitens des BND nur 22 Seiten, seitens des AA lediglich
Aktenbestände die älter als 30 Jahre sind). In Rahmen zweier Klageverfahren
beim Berliner Verwaltungsgericht eines Wissenschaftlers auf Akteneinsicht
beim AA zur Colonia Dignidad auf Grundlage von Bundesarchivgesetz und In-
formationsfreiheitsgesetz argumentiert das AA, dass eine Akteneinsicht nicht
möglich sei, da die deutsch-chilenischen Beziehungen möglicherweise irrepa-

rabel geschädigt werden könnten durch eine Freigabe des Aktenmaterials zur
wissenschaftlichen Auswertung. Auch sprächen umfangreiche Geheimhal-

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tungs- und Datenschutzgründe gegen eine wissenschaftliche Aufarbeitung des
Themenkomplexes CD, die ohnehin nicht im amtlichen Interesse der Bundes-
regierung liege.

In der Bundestagsdebatte am 15. November 2001 über den fraktionsübergrei-
fenden Antrag „Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad“ (Bundestagsdruck-
sache 14/7444) erklärten alle Fraktionen (einschließlich der CDU/CSU, die den
Tenor des Antrags ablehnte und sich enthielt), „die Notwendigkeit, dieses ge-
meinsame dunkle Kapitel deutsch-chilenischer Vergangenheit intensiv aufzuar-
beiten und schnellstmöglich darauf hinzuwirken, dass die Verantwortlichen zur
Rechenschaft gezogen werden und den Opfern möglichst bald eine Schadens-
gutmachung zukommt.“ (Abgeordneter Klaus-Jürgen Hettrich, CDU/CSU).

Der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph Zöpel, erklärte
in der Debatte für die Bundesregierung, dass sich diese schon seit den 60er-
Jahren mit der CD beschäftige. Oberste Priorität gelte der Hilfe für die Opfer, zu
der neben Angeboten der konsularischen Betreuung für die Angehörigen der CD
auch nicht näher konkretisierte Vorkehrungen für eine Hilfestellung für Aus-
stiegswillige gehören sollten. Der Staatsminister betonte, „dass ein nachhaltiges
deutsches Interesse an der Ahndung der auf chilenischem Boden an deutschen
Staatsbürgern begangenen Straftaten fortbesteht“ und die Bundesregierung ihr
Möglichstes tue, „um die chilenischen Bemühungen zu unterstützen, Paul
Schäfer habhaft zu werden und seinen Opfern zu helfen.“

Am 16. Mai 2002 verabschiedete der Deutsche Bundestag einen Antrag zu
Hilfsmaßnahmen für die Opfer der CD, in dem das große Leid der Kolonie-
bewohner anerkannt und angekündigt wird, dass der Deutsche Bundestag alles
in seiner Macht Stehende tun werde, „damit die fortwährenden schwerwiegen-
den Menschenrechtsverstöße innerhalb der Colonia Dignidad wirksam abge-
stellt werden.“ In dem Antrag wurde die Bundesregierung aufgefordert, sich für
die Einrichtung einer Arbeitsgruppe in Chile mit deutscher Beteiligung einzu-
setzen, die ein Strategiepapier zur Lösung des Problems der CD erstellen sollte.
Zu den geforderten Maßnahmen gehörten außerdem eine psychologische Be-
treuung der Koloniebewohner, die sich aus der Abhängigkeit von der kriminel-
len Führungsgruppe der CD lösen und die Schaffung eines Fonds für Hilfsmaß-
nahmen für Koloniebewohner.

Ferner sah der Beschluss des Deutschen Bundestages vor, dass deutsche Exper-
ten die chilenischen Behörden und Justiz bei der Aufklärung des CD-Kom-
plexes unterstützen sollten. Die Interamerikanische Menschenrechtskommis-
sion (CIDH) sollte ebenso eingeschaltet werden wie die UN-Menschenrechts-
kommission und die UN-Kinderkommission. In ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage „Hilfsmaßnahmen für die Opfer der Colonia Dignidad“ (Bundestags-
drucksache 14/9818) der Fraktion der PDS berichtete die Bundesregierung über
Gespräche mit der chilenischen Regierung, in denen die in dem Antrag enthal-
tenen Vorschläge – darunter auch die Frage der Einsetzung einer Arbeitsgruppe
in Chile – thematisiert wurden und dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine
konkreten Ergebnisse vorlägen, da die Gespräche noch nicht abgeschlossen ge-
wesen seien. In ihrer Antwort zu Frage 4 der Kleinen Anfrage kündigte die
Bundesregierung an, dass sie „dem Deutschen Bundestag zu dieser Frage ent-
sprechend Teil II Nr. 6 des oben zu Frage 1 genannten Antrags innerhalb von
12 Monaten berichten“ wird. Der Beschluss vom 16. Mai 2002 sah in Teil II
Nummer 6 der Beschlussempfehlung auf Bundestagsdrucksache 14/8511 einen
entsprechenden Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag
nach zwölf Monaten vor, der für Mai 2003 angekündigt wurde.

In einem Bericht des AA zum Haushalt 2011, Einzelplan 05 (Kapitel 05 02
Titel 687 43), vom 10. Oktober 2010 zur VB, heißt es zur Begründung der im

Regierungsentwurf vorgesehenen 245 000 Euro: „Zur Sicherung des durch die
Krisenintervention Erreichten und zur dauerhaften Vermeidung eines Rückfalls

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6401

in frühere Herrschaftsmechanismen hat eine professionelle psychologische Be-
treuung der Bewohner der Villa Baviera seit 2009 beigetragen“ und weiter sei zur
„Sicherung der Überlebensfähigkeit der Villa Baviera […] eine wirtschaftliche
Konsolidierung nötig“. Um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Sekte zu
fördern habe die Bundesregierung, neben einer rechtlichen Organisationsbera-
tung durch einen bekannten chilenischen Wirtschaftsanwalt, insbesondere durch
das Heranziehen der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
(GTZ) GmbH und des Senior Experten Service (SES) Unterstützung geleistet
und wolle dies auch weiterhin tun.

Nachdem es Paul Schäfer acht Jahre gelang, sich einer Verhaftung erfolgreich zu
entziehen, wurde er am 10. März 2005 in Argentinien festgenommen und zwei
Tage später an die chilenische Staatsanwaltschaft übergeben. Im November
2004 war Paul Schäfer bereits in Abwesenheit von einem chilenischen Gericht
des sexuellen Missbrauchs von 27 Kindern für schuldig befunden worden. Im
März 2005 erhoben die chilenischen Behörden Anklage wegen Entführung im
Zusammenhang mit dem Verschwinden des Dissidenten Alvaro Vallejos und im
Dezember 2005 erfolgte eine weitere Anklage, nachdem Gisela Seewald, die
ehemalige Leiterin der Klinik der CD, gestanden hatte, Kinder mit Elektro-
schocks gequält und unnötigen „psychiatrischen Behandlungen“ unterzogen zu
haben, um sie gefügig zu machen. In der Anklageschrift wurde Paul Schäfer und
Gisela Seewald unter anderem vorgeworfen, acht Kinder deutscher Herkunft
ihren Eltern entrissen und schwer misshandelt zu haben. Am 24. Mai 2006
wurde Paul Schäfer schließlich des Missbrauchs von chilenischen Kindern in
25 Fällen für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe von 20 Jahren und
Zahlungen von insgesamt 770 Mio. Pesos (ungefähr 1,5 Mio. US-Dollar) an elf
Jugendliche verurteilt, deren Vertreter Klage eingereicht hatten. Die vom Ge-
richt verhängten Wiedergutmachungszahlungen sind bis zum heutigen Tag nicht
bei den Opfern angekommen. Zu weiteren drei Jahren Gefängnis wurde Paul
Schäfer am 14. Mai 2009 wegen Körperverletzung in acht Fällen verurteilt.
Auch in diesem Fall waren die Opfer Kinder, die Paul Schäfer zwischen 1970
und 1980 im Spital der Siedlung mit Psychopharmaka gequält hatte.

Im Alter von 88 Jahren starb Paul Schäfer am 24. April 2010 an einem Herzlei-
den in einem Gefängnishospital in Santiago de Chile.

Für die Opfer der CD hat es bislang keinerlei Entschädigungsmaßnahmen
seitens Chile oder der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die CD hat im
Rahmen einer gerichtlichen Vereinbarung Hypotheken im Wert von ca. 6 Mio.
US-Dollar zur Verfügung gestellt, die nach rechtskräftigen Gerichtsentschei-
dungen den betreffenden Opfern zufließen sollen. Dazu ist es jedoch bislang
aufgrund der langwierigen Verfahren nicht gekommen. Viele Opfer leben un-
terdessen in sehr prekären Verhältnissen und verfügen über keinerlei Mittel
oder Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen, um trotz ihrer gesundheit-
lichen Probleme und Traumatisierungen einen würdevollen Lebensunterhalt zu
bestreiten. Von den 26 Opfern, die 1996 Paul Schäfer wegen sexuellem Miss-
brauchs angeklagt hatten, sind zwei inzwischen verstorben, ohne Entschädi-
gung erhalten zu haben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie ist der aktuelle Sachstand in Bezug auf den Gesamtkomplex der CD?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die heutige CD, bzw. VB politisch, und
wie charakterisiert sie die VB bezüglich ihrer organisatorischen und ideolo-
gischen Ausrichtung und Struktur?

3. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie die Ländereien, Firmen

und sonstigen Vermögenswerte der CD unter den ehemaligen Mitgliedern
aufgeteilt wurden (falls ja, bitte aufführen)?

Drucksache 17/6401 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie viele der ehemaligen Mitglieder der CD leben heute noch in der VB,
und befinden sich darunter auch Mitglieder der ehemaligen Führungsriege
um Paul Schäfer?

Wenn ja, um wen handelt es sich dabei, welche Funktionen haben diese
heute innerhalb der VB, und wer von ihnen besitzt die deutsche Staatsbür-
gerschaft, und wer besitzt sowohl die chilenische, als auch die deutsche
Staatsbürgerschaft?

5. Wie ist nach Kenntnisstand der Bundesregierung die Bilanz der juristi-
schen Aufarbeitung der Verbrechen der CD?

Gegen welche Mitglieder der CD wurden Strafverfahren vor chilenischen
oder deutschen Gerichten aus welchen Gründen eingeleitet, und wie ende-
ten diese Verfahren, bzw. wie ist deren momentaner Stand?

6. Wieso kam es nach der Aufdeckung der Verbrechen nicht zur Auflösung
der CD, bei der dann die Vermögenswerte der Sekte eingezogen und in
einen Hilfsfonds für die Opfer der CD hätten überführt werden können?

7. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass offenbar sämtliche
Führungsmitglieder der CD, die aktuell in Chile verhaftet wurden, auf dem
Gelände der VB lebten und auch dort verhaftet wurden?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Fluchtumstände
von Hartmut Hopp, und hat sie Erkenntnisse darüber, ob und wenn ja, wer
ihm bei seiner Flucht geholfen hat?

9. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über den aktuellen Aufenthaltsort
von Hartmut Hopp und kann sie die Medienberichte bestätigen, wonach er
sich in der Bundesrepublik Deutschland, vermutlich in Krefeld, aufhält?

Hat es evtl. sogar bereits Gespräche zwischen Hartmut Hopp und deut-
schen Stellen gegeben?

Wenn ja, hat sie das den chilenischen Stellen mitgeteilt?

Wenn nein, wird sie entsprechende Ermittlungen zum Aufenthaltsort von
Hartmut Hopp einleiten?

10. Wie hat die Bundesregierung auf dass Anliegen einer Delegation chile-
nischer christdemokratischer Politikerinnen und Politiker (darunter der
Vorsitzende der PDC, Senator Walker), die Ende Mai 2011 in Berlin mit
der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel und dem Bundestagspräsidenten
Dr. Norbert Lammert zusammengekommen sind und die Bundesregierung
in diesen Gesprächen gebeten haben, die Festnahme Hartmut Hopps und
seine Überstellung an chilenische Justizbehörden zu veranlassen, reagiert?

11. Haben nach dem Untertauchen des Hartmut Hopp diesbezüglich Gespräche
mit den zuständigen chilenischen Stellen stattgefunden?

Haben die chilenischen Stellen gegenüber der Bundesregierung bereits ihre
Absicht geäußert, sie um Vollstreckungshilfe zu ersuchen, sobald das chile-
nische Urteil rechtskräftig wird?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass in der Vergangenheit
chilenische Rechtshilfeersuchen und Auslieferungsersuchen von deutschen
Justizbehörden abgelehnt wurden?

Um welche Fälle handelte es sich jeweils (bitte Fälle mit Datum und Tat-
vorwürfe auflisten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/6401

13. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass in der Vergangenheit
deutsche Rechtshilfeersuchen und Auslieferungsersuchen von chilenischen
Justizbehörden abgelehnt wurden?

Um welche Fälle handelte es sich jeweils (bitte Fälle mit Datum und Tat-
vorwürfe auflisten)

14. Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich mehrere ehemalige Mitglieder
der CD, die in Chile per Haftbefehl gesucht werden, in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten sollen?

Wenn ja,

a) um wie viele Personen handelt es sich dabei,

b) gegen wie viele dieser Personen ermitteln deutsche Behörden und ggf.
zu welchen Ergebnissen haben diese Ermittlungen geführt?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass von der chilenischen
Justiz gesuchte CD-Mitglieder sich durch Flucht nach Deutschland ihrer
strafrechtlichen Verantwortung in Chile entziehen?

16. Was wird die Bundesregierung unternehmen, damit keine Straffreiheit für
deutsche Täter, die in Chile Menschenrechtsverbrechen begangen haben
und sich nun in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, entsteht?

17. Kennt die Bundesregierung den Stand der Ermittlungen der Staatsanwalt-
schaft Bonn gegen Hartmut Hopp?

18. Kennt die Bundesregierung den Stand der Ermittlungen anderer deutscher
Staatsanwaltschaften und ggf. anderer deutscher Behörden gegen Hartmut
Hopp?

19. Hält die Bundesregierung ein deutsches Strafverfahren gegen Hartmut
Hopp, vor dem Hintergrund, dass das chilenische Urteil noch nicht rechts-
kräftig ist oder in der Bundesrepublik Deutschland evtl. nicht vollstreckt
werden sollte, für geboten, um so Straflosigkeit zu verhindern (bitte be-
gründen)?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es sich bei der CD um eine
kriminelle Vereinigung handelt/gehandelt hat, und falls ja, sollten auch
deutsche Justizbehörden in diese Richtung ermitteln?

21. Ist der Bundesregierung bekannt, dass chilenische Gerichtsurteile (z. B. das
Urteil im Fall der Ermordung des DINA-Agenten Becerra) Straftaten von
CD-Mitgliedern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft ha-
ben?

Falls ja, teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die von der CD
begangenen Straftaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustu-
fen sind?

22. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Verbindungen zwischen ehe-
maligen CD-Mitgliedern und Mitgliedern der Freien Volksmission Krefeld
e. V.?

23. Welche Rolle spielt die Freie Volksmission Krefeld e.V. oder einzelne ihrer
Mitglieder nach Erkenntnissen der Bundesregierung heute in der VB, und
wie bewertet die Bundesregierung diese Rolle?

24. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Existenz von Schwarzgeld-
konten der CD in der Bundesrepublik Deutschland und/oder in anderen
Ländern?

Drucksache 17/6401 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

25. In welcher Form beschäftigte sich die Bundesregierung seit den 60er-Jah-
ren jeweils mit dem Fragenkomplex der CD (bitte chronologisch auffüh-
ren)?

26. Wie begründet die Bundesregierung, dass eine wissenschaftliche Aufarbei-
tung des Themas CD nicht in ihrem Interesse liegt?

27. Wie begründet die Bundesregierung, dass sie mögliche irreparable Schädi-
gungen der Beziehungen zu Chile befürchtet, falls Aktenmaterial des AA
zur wissenschaftlichen Auswertung freigegeben wird?

Welcher Art sind diese Schäden?

28. Welche Gründe gibt es nach Auffassung der Bundesregierung dafür, dass in
Deutschland, anders als in Chile und den USA, wo die jeweiligen Informa-
tionsfreiheitsgesetze (IFG) in der Vergangenheit zur Freigabe von Doku-
menten zum Themenbereich der CD führten, der Gesamtbestand der unter
das IFG fallenden Aktenbestände als Verschlusssache geheim gehalten
wird?

29. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung mittlerweile über eine Zu-
sammenarbeit der CD mit Organisationen der extremen Rechten?

30. Kennt die Bundesregierung die Auswertungen der am 19. September 2000
sowie am 16. Mai 2005 von der chilenischen Polizei auf dem Gelände der
CD sichergestellten und von den zuständigen Richtern als streng geheim
erklärten Dokumentensammlung („Geheimarchiv der Colonia Dignidad“),
und hat sie Erkenntnisse darüber, inwieweit das Archiv Informationen und
personenbezogene Daten enthielt, die die CD zu erpresserischen Zwecken
eingesetzt hat?

a) Wenn ja, befanden sich unter diesen personenbezogenen Daten auch
solche deutscher Staatsbürger?

b) Enthielt das Archiv auch Dokumente, die andere Straftaten (z. B. Waf-
fenschmuggel, Menschenraub, Folter, Mord, Menschenversuche etc.)
belegen, und wenn ja, führten diese Erkenntnisse zu Strafverfahren in
Chile oder der Bundesrepublik Deutschland?

c) Setzt sich die Bundesregierung bei der chilenischen Regierung dafür
ein, dass diese Aktenbestände Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lern, Opferanwältinnen und Opferanwälten und der Öffentlichkeit zu-
gänglich gemacht werden?

Wenn nein, warum nicht?

31. Ist der Bundesregierung der Antrag der Journalistin Gabriele Weber an den
BND auf Akteneinsicht in alle Unterlagen bezüglich der CD bekannt, und
kennt sie auch die Gründe für dessen Ablehnung seitens des BND?

Wenn ja, welche Gründe sind dies?

32. Welche Bestände sind heute bei den deutschen Behörden zum Thema CD
vorhanden (bitte den Aktenbestand in Seitenzahlen oder laufenden Metern
beim AA, im Bundesarchiv, dem BND, dem Bundesamt für Verfassungs-
schutz, dem Bundeskanzleramt, dem Bundesministerium der Verteidigung
und dem Bundesministerium des Innern auflisten)?

33. Trifft nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Aussage des US-Auto-
ren John Dinges zu, der in seinem Buch „The Condor Years“ (2004, S. 129)
schreibt, dass Mitglieder der CD in den 70er-Jahren Kontakte zwischen
Mitgliedern des chilenischen Geheimdienstes DINA und dem BND vermit-
telt haben?
34. Welche Beziehungen unterhielt/unterhält der BND zu Mitgliedern der CD?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/6401

35. Haben sich zu irgendeinem Zeitpunkt Mitarbeiter oder Informanten des
BND oder anderer deutscher Sicherheitsbehörden in der CD aufgehalten,
und wenn ja, wann und zu welchem Zweck?

36. Haben heutige Mitglieder des SES in Santiago de Chile Verbindungen zum
BND unterhalten?

37. Kann die Bundesregierung die Aussage des deutschen Waffenhändlers
Gerhard Mertins gegenüber der Staatsanwaltschaft Bonn im Jahr 1989 be-
stätigen, wonach er bereits zu Beginn der 70er-Jahre im Auftrag des BND
die CD besucht hat, um Informationen über sie einzuholen?

a) Falls ja, von wann bis wann bestand eine Beziehung von Gerhard
Mertins zum BND, und welche Funktion hatte Gerhard Mertins in diesem
Rahmen mit Bezug zur CD?

b) Wer war dafür aus welchen Gründen verantwortlich, und wie bewertet
die Bundesregierung aus heutiger Sicht diese Vorgänge?

38. Was weiß die Bundesregierung über die Reise von Gerhard Mertins und
Manuel Contreras 1976 in den Iran (vgl. Pressebericht von Monica
Gonzalez/Ciperchile vom 6. August 2009)?

Waren deutsche Stellen über diese Reise unterrichtet oder sonst wie invol-
viert?

39. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse, in welchem Umfang die CD im
Waffenhandel und Waffenschmuggel aktiv war, mit wem sie diesbezüglich
in Geschäftskontakten stand, über welche Tarnfirmen sie den Handel ab-
wickelte und inwieweit offizielle chilenische und/oder deutsche Stellen
davon unterrichtet, bzw. involviert waren?

40. Welche Mitglieder der CD haben als NSDAP-Mitglied, Angehörige von
SA, SS, Gestapo oder an NS-Verbrechen beteiligten Wehrmachtseinheiten
eine NS-Vergangenheit?

41. Hat die Bundesregierung mittlerweile Erkenntnisse darüber, inwieweit die
CD als Anlaufstelle für NS-Verbrecher, rechte Terroristen und andere
Rechtsextremisten gedient hat, und wenn ja, wie sehen diese Erkenntnisse
aus?

42. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, inwieweit der ehemalige
Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt Walter Rauff Kontakte zur
CD unterhielt, und wenn ja, welche sind dies?

43. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, dass Walter Rauff als Berater
für die chilenische Militärregierung und den Geheimdienst DINA gearbei-
tet hat?

Falls ja, welche Kenntnisse sind das?

44. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung

a) zum Aufenthalt des ehemaligen Luftwaffenpiloten Hans-Ulrich Rudel
in der CD und zum Zweck/Inhalt seiner Beziehungen zur CD-Führung
(vgl. Bernd Wulffen, Deutsche Spuren in Argentinien, 2010),

b) zur Beratertätigkeit Hans-Ulrich Rudels für die chilenische Militärregie-
rung (vgl. Friedrich Paul Heller, 2008),

c) zu Vorgängen unter Beteiligung von Mitgliedern der CD, die mit der
Herstellung und/oder Lagerung von chemischen oder bakteriellen Waf-
fen zu tun hatten,

d) darüber, dass die CD ein geheimer Militärstützpunkt des chilenischen
Militärs war,
e) darüber, dass in der CD biologische oder chemische Waffen hergestellt
und/oder gelagert oder dort umgeschlagen wurden?

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45. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber welche Personen dem von
Gerhard Mertins gegründeten „Freundeskreis Colonia Dignidad“ angehör-
ten, und wenn ja, um wie viele Personen handelte es sich, und befanden
sich darunter auch deutsche oder chilenische Politiker?

46. Haben deutsche Unternehmen, Behörden, Politiker oder Vertreter von deut-
schen Parteien und Stiftungen die CD besucht oder sonstige Kontakte zur
Führung der CD gehalten?

Wenn ja, um wen handelt es sich, wann fanden diese Treffen oder Kontakte
statt, und zu welchem Zweck erfolgten sie?

47. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Aufenthalte Udo Pastörs,
des heutigen NPD-Fraktionsvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern, in
der CD, und wenn ja, welche sind dies?

48. Wie war es möglich, dass der deutsche Ableger der CD, der von Paul
Schäfer gegründete Verein „Private Sociale Mission e. V.“, trotz der massi-
ven Vorwürfe und Ermittlungen gegen Paul Schäfer und die CD in der
Bundesrepublik Deutschland über viele Jahre steuerbegünstigt arbeiten
konnte, und in welcher Höhe wurden dem Verein seit seiner Gründung
Steuervorteile zuteil (bitte für jedes Jahr seines Bestehens auflisten)?

49. Welche Unterstützungen haben die „Private Sociale Mission e. V.“ und die
CD in Chile darüberhinaus seit ihrer Gründung aus der Bundesrepublik
Deutschland erhalten (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Art und Höhe der
Unterstützung und jeweiligem Unterstützer)?

50. Wie waren die genauen Umstände unter denen die „Private Sociale
Mission“ ihr Gebäude in Lohmar-Heide für 900 000 DM an die Bundes-
wehr verkaufen konnte, die dort 1961 bis 1969 eine Kompanie des Wach-
bataillons der Bundeswehr einquartierte?

51. Hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag entsprechend Teil II
Nummer 6 des Beschlusses vom 16. Mai 2002 Bericht erstattet?

a) Wenn ja, wann geschah dies in welchem Rahmen und mit welchen
Beteiligten?

b) Welchen Inhalt hatte der damalige Bericht?

c) Wenn nein, warum nicht?

52. Welche Beratungen mit der chilenischen Seite über die Einrichtung einer
Arbeitsgruppe in Chile und die anderen im Antrag enthaltenen Vorschläge
haben seit dem 13. Juni 2002 stattgefunden, wann haben diese Beratungen
stattgefunden, und welche Ergebnisse und Übereinkommen wurden dabei
erzielt?

53. Wurde die unabhängige bilaterale Expertenkommission mit deutscher
Beteiligung gebildet, die ein Strategiepapier zur Lösung des Problems
erarbeiten sollte (vgl. Teil II Nummer 2 des Beschlusses vom 16. Mai
2002)?

a) Wenn ja, aus welchen Mitgliedern bestand diese Kommission, hat sie
ein Strategiepapier entwickelt, und worin bestand die vorgeschlagene
Strategie?

b) Wenn nein, warum nicht?

54. Welche Vorschläge hatte die Bundesregierung der chilenischen Regierung
hinsichtlich einer personellen und technologischen Unterstützung bei der
Aufklärung des Gesamtkomplexes der CD konkret angeboten, und wie hat
die chilenische Seite darauf jeweils reagiert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/6401

55. Betrachtet die Bundesregierung die Vermögenswerte der CD als recht-
mäßig erworbenes Vermögen?

a) Falls ja, wie wird diese Auffassung begründet?

b) Falls nein, hat sie, ggf. in Zusammenarbeit mit der chilenischen Regie-
rung, Schritte unternommen, diese Vermögenswerte ihren rechtmäßigen
Eigentümern zukommen zu lassen (Stichwort Sklavenarbeit), bzw. den
deutschen und chilenischen Opfern der CD zur Verfügung zu stellen?

56. Wurde der Fonds zur Finanzierung von Hilfs- und Reintegrationsmaßnah-
men eingerichtet?

a) Wenn ja, wann geschah dies, wer war sowohl auf deutscher, als auch auf
chilenischer Seite für die Verwaltung des Hilfsfonds verantwortlich oder
in anderer Hinsicht beteiligt, und mit welchen finanziellen Mitteln wur-
den in welchem Zeitrahmen welche Hilfsmaßnahmen finanziert?

b) Wenn nein, warum nicht?

57. Wurden durch den Hilfsfonds auch die früheren chilenischen politischen
Gefangenen, die in der CD festgehalten wurden, und die Angehörigen der
„verschwundenen“ politischen Gefangenen sowie die in der CD misshan-
delten chilenischen Kinder unterstützt?

a) Wenn ja, in welchem Umfang?

b) Wenn nein, warum nicht?

58. Welche Therapieangebote hat es seit 2002 für die deutschen und chile-
nischen Opfer der CD gegeben, wer waren die jeweiligen Träger der Thera-
pieangebote, wie wurden diese finanziert und wie vielen Betroffenen
konnte so individuell geholfen werden (bitte aufschlüsseln nach Jahr,
Therapieangebot, Träger, Finanzierung, Anzahl der therapierten deutschen
und chilenischen Betroffenen)?

59. Inwieweit hat sich die Bundesregierung seit 2002 für ungehinderte Ange-
hörigenbesuche, eine unzensierte Zustellung der Post, ungehinderten Kon-
takt zur Außenwelt sowie für die Möglichkeit freiwilliger Gespräche mit
Psychotherapeuten und Sektenexperten für die Angehörigen der CD einge-
setzt?

60. Waren die zahllosen Missbrauchsfälle in der CD – Schätzungen gehen von
tausenden Vergewaltigungen Minderjähriger aus – auch Inhalt der Beratun-
gen des Runden Tischs „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und
Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im
familiären Bereich“, und wenn nein, warum nicht?

61. Wurde die von der Bundesregierung begrüßte unabhängige deutsch-chile-
nische Expertenkommission zur Aufklärung der Verbrechen eingesetzt,
und wenn ja,

a) wer war daran beteiligt,

b) von wann bis wann arbeitete sie,

c) welche Ergebnisse kamen zu Tage?

62. Hat die damalige Bundesregierung die Interamerikanische Menschen-
rechtskommission, die UN-Menschenrechtskommission und die UN-Kin-
derkommission über ihre Schritte zur Aufklärung des CD-Komplexes un-
terrichtet und um Mitwirkung gebeten?

a) Wenn ja, wie waren die Reaktionen dieser Stellen?
b) Wenn nein, warum unterblieb dies?

Drucksache 17/6401 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
63. Wieso hält die Bundesregierung die „Sicherung der Überlebensfähigkeit der
VB“ und „ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit“ durch eine logistische
und materielle Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland für nötig?

64. Welche Maßnahmen und Aktivitäten der Bundesregierung wurden zur
Sicherung der Überlebensfähigkeit der VB durchgeführt, und welche sind
für die Zukunft geplant, und welche Maßnahmen wurden und werden von
der GTZ getragen (bitte nach Jahr, Art der Maßnahme und Finanzaufwand
aufschlüsseln)?

65. Welche Beziehung hat der deutsche Unternehmensberater F. W. S., der seit
einiger Zeit die VB und ihre Firmen berät und diese auch bei von der
deutschen Botschaft veranstalteten Gesprächsrunden zur CD vertritt, zu
deutschen Behörden, und wie bewertet die Bundesregierung seine Rolle in
der VB?

Hat F. W. S. in der Vergangenheit Haushaltsmittel der Bundesregierung
(auch solche der GTZ) für seine Tätigkeit in der VB erhalten?

66. Betrachtet die Bundesregierung die auf Grundlage des Bundestagsbe-
schlusses vom 16. Mai 2002 durchgeführten Maßnahmen als ausreichend?

a) Falls ja, warum?

b) Falls nein, warum nicht?

67. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Opfern der CD, dass der
chilenische und der deutsche Staat aufgrund der direkten Unterstützung
oder des Unterlassens eines angemessenen Eingreifens gegen verbreche-
rische Handlungen seitens der CD eine Mitverantwortung an den dort
begangenen Menschenrechtsverletzungen trifft und deshalb auch angemes-
sene Aufarbeitungs- und Entschädigungsmaßnahmen einleiten sollte (bitte
begründen)?

Berlin, den 29. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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