BT-Drucksache 17/6315

Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6315
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ansgar Heveling, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter
Altmaier, Dorothee Bär, Dr. Reinhard Brandl, Gitta Connemann, Ingrid Fischbach,
Michael Frieser, Reinhard Grindel, Monika Grütters, Michael Kretschmer,
Dr. Günter Krings, Maria Michalk, Stefan Müller (Erlangen), Beatrix Philipp,
Christoph Poland, Johannes Selle, Erika Steinbach, Thomas Strobl (Heilbronn),
Marco Wanderwitz, Dagmar Wöhrl, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Jimmy
Schulz, Sebastian Blumenthal, Dr. Claudia Winterstein, Helga Daub, Patrick Kurth
(Kyffhäuser), Lars Lindemann, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die umfassende Verzahnung von Wissen ist ein Menschheitstraum. Das Zeital-
ter der Digitalisierung hilft, diesen Menschheitstraum Wirklichkeit werden zu
lassen. Ziel ist es, dass Wissen und Kulturgüter nicht nur digital gesichert, son-
dern auch – unter Wahrung des Urheberrechts – jedermann online über alle ge-
wünschten Informationen verfügen kann. Dazu soll die im Aufbau befindliche
Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) entscheidend beitragen. Sie ist ein Ge-
meinschaftsprojekt von Bund, Ländern und Kommunen, das am 2. Dezember
2009 vom Bundeskabinett und auf der Jahreskonferenz vom 28. bis 30. Oktober
2009 von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen wurde.

Mit der DDB wird das digitale Angebot der deutschen Kultur- und Wissenschafts-
einrichtungen sukzessive vernetzt, über ein gemeinsames nationales Portal der
Öffentlichkeit unentgeltlich zugänglich gemacht und in die Europäische Digitale
Bibliothek Europeana integriert. Im Endausbau sollen ca. 30 000 Kultur- und
Wissenschaftseinrichtungen in die DDB eingebunden sein. Die DDB wird digi-
tale Kopien von Werken aller Art (d. h. von Büchern, Bildern, Archivalien,
Noten, Musikstücken, Filmen, 3D-Aufnahmen von Skulpturen und Kulturdenk-
malen) aus Bibliotheken, Archiven, Museen und wissenschaftlichen Instituten
umfassen.
Eine breit angelegte Digitalisierung von Kulturgut und wissenschaftlichen In-
formationen ist hilfreich und notwendig: Nach Prognosen von Experten wird,
was nicht im Internet verfügbar ist, in einer Generation von der breiten Masse
nicht mehr wahrgenommen werden.

Seit 1997 wurden bereits über 100 Mio. Euro in die Digitalisierung von Kultur-
gut und wissenschaftlichen Informationen investiert, vor allem Fördermittel der
Deutschen Forschungsgemeinschaft e. V. (DFG). Die vorhandenen digitalen Be-

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stände sollen mit der DDB erstmals zentral und mit kompatiblen Standards zu-
gänglich gemacht werden. Im Übrigen gehen die Digitalisierungen von Kultur-
gut und wissenschaftlichen Informationen fortwährend weiter.

Mit der DDB sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Ver-
fügungsgewalt über das teilweise über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Erbe
auch in seiner digitalen Form in öffentlicher Verantwortung bleibt. Die Einbin-
dung von privatem Engagement, wie sie z. B. die Bayerische Staatsbibliothek
praktiziert, ist zu begrüßen: Durch ihre Öffentlich-Private Partnerschaft werden
der Bibliothek die erstellten Digitalisate kostenlos zur Verfügung gestellt und
auch die Einbindung der Metadaten in die Bibliotheksportale ermöglicht. Da pri-
vatwirtschaftliche Unternehmen jedoch nicht völlig ohne kommerzielle Interes-
sen handeln können, gilt es, bereits vorab ausgewogene Vereinbarungen zu tref-
fen, die auch das Interesse der Allgemeinheit an einer uneingeschränkten
Bereitstellung des kulturellen Erbes und der wissenschaftlichen Inhalte in digi-
taler Form berücksichtigen.

Mit Blick auf Katastrophen wie den Einsturz des Kölner Stadtarchivs oder den
Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar soll im Rahmen der DDB sicher-
gestellt werden, dass das Kulturerbe und wissenschaftliche Informationen min-
destens in digitaler Form für künftige Generationen gesichert werden und unter
Wahrung des Urheberrechtes verfügbar bleiben. Neben der weltweiten Vernet-
zung von Wissen ist deshalb die Bewahrung unseres kulturellen Erbes Ziel der
Digitalisierung von Kulturgut.

Allerdings ist bisher erst ein geringer Teil des kulturellen Erbes und der wissen-
schaftlichen Informationen digitalisiert oder genuin digital verfügbar. Nach den
„Empfehlungen der Drei Weisen zum Ausbau des europäischen kulturellen
Erbes im Netz“ sind laut einer Studie1 erhebliche Mittel notwendig, um das
gesamte Erbe online zu stellen. Der Deutsche Bundestag sieht nicht allein die
öffentliche Hand in der Verantwortung, sondern hält auch Kooperationen mit
privaten Unternehmen für eine Möglichkeit, die öffentlichen Einrichtungen bei
der Digitalisierung ihrer Bestände logistisch und finanziell zu unterstützen und
damit die Entwicklung zu beschleunigen. Daher ist es folgerichtig, dass die Bun-
desregierung derzeit die bestehenden Möglichkeiten prüft.

Mit Blick auf die großen Bestände an Kulturgut und wissenschaftlichen Infor-
mationen kann die Digitalisierung nur sukzessive erfolgen. Im Rahmen der
DDB müssen daher sachgerechte Prioritäten gesetzt werden (z. B. vorrangige
Digitalisierung von Werken, die sich in schlechtem Zustand befinden oder die
von besonderem Interesse für Wissenschaft und Bildung sind). Dabei sollen ge-
mäß den „Gemeinsamen Eckpunkten von Bund, Ländern und Kommunen zur
DDB“ vor allem auch Angebot und Nachfrage darüber entscheiden, was digita-
lisiert wird. Hier soll die DDB die Plattform für einen geeigneten Dialog zwi-
schen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, Nutzern und öffentlichen wie
privaten Geldgebern bieten. Die Moderation des Prozesses obliegt dem für den
Betrieb der DDB verantwortlichen „Kompetenznetzwerk DDB“, dem 13 nam-
hafte Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen aus allen Sparten angehören
(z. B. Deutsche Nationalbibliothek, Bundesarchiv, Stiftung Preußischer Kultur-
besitz, Deutsches Filminstitut – DIF e. V., Bayerische Staatsbibliothek, Bran-
denburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landes-
museum, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte). Im übergeordneten
Kuratorium sind Bund, Länder und Kommunen vertreten.
1 The Cost of Digitising Europe’s Cultural Heritage. A Report for the Comité des Sages of the European Commission. Prepared by Nick Poole,
the Collections Trust, 2010.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6315

Damit ist klar: Mit der DDB liegt ein umfassendes Digitalisierungskonzept vor,
um das kulturelle Erbe künftig soweit wie möglich online zugänglich zu ma-
chen. Mit den „Gemeinsamen Eckpunkten“ und dem Kompetenznetzwerk lie-
gen auch bereits konkrete Ideen zur Umsetzung und die erforderliche Organisa-
tionsstruktur vor. Nun gilt es, eine Digitalisierungsoffensive zu beginnen.

Zu den Herausforderungen der Finanzierung und Auswahl bei der Massendigi-
talisierung kommt hinzu, dass es sich bei einem Teil des wissenschaftlichen und
des kulturellen Erbes um urheberrechtlich geschützte Werke handelt, deren
Rechteinhaber zuweilen nicht mehr auffindbar sind, oder die vergriffen sind. Die
für die Onlinestellung solcher „verwaisten“ bzw. „vergriffenen“ Werke derzeit
noch erforderliche umfassende Rechteklärung ist faktisch schwierig oder gar
unmöglich. Kulturpolitisch ist es gleichwohl geboten, auch die Onlinestellung
dieser Werke zu ermöglichen. Die rechtlichen Voraussetzungen fehlten bislang
indes: Für die Onlinestellung „verwaister“ Werke werden diese unter angemes-
sener Berücksichtigung der Belange der Urheber im sog. Dritten Korb der
Reform des Urheberrechts nun geschaffen. Hinsichtlich der vergriffenen Werke
ist der Dialog mit den Rechteinhabern zu fördern.

Eine gesetzliche Regelung für verwaiste Werke sollte vorsehen, dass zunächst
eine sorgfältige Suche nach dem Rechteinhaber durchzuführen ist. Bleibt diese
erfolglos, so kann eine Onlinestellung der betroffenen Werke erfolgen. Wird je-
doch nachträglich doch ein Rechteinhaber bekannt, sollte er angemessen zu ver-
güten sein und das Recht haben, der Nutzung des Werks zu widersprechen. Hier-
für kann dann auf das bewährte System der Verwertungsgesellschaften
zurückgegriffen werden. Dieses System erfordert eine Regelung im Urheber-
rechtswahrnehmungsgesetz.

In diesem Zusammenhang kommt auch den technischen und materiellen Voraus-
setzungen der Langzeitverfügbarkeit digitaler Kopien besondere Bedeutung zu.
Denn um die Daten auch für die Nachwelt verfügbar zu halten, müssen sie im-
mer wieder auf neue Speichermedien und neue Systemumgebungen kopiert
werden. Die relevanten Kultureinrichtungen müssen auch digitale Werke in
ihren Beständen durch jeweils technisch oder organisatorisch zweckmäßige
Verfahren auf Dauer erhalten.

Beim Zugang zur DDB sollen modernste Wissensmanagement-Werkzeuge zum
Einsatz kommen. Sie sollen eine semantische Suche sowohl in Texten als auch
in multimedialen Inhalten wie Bildern und Filmsequenzen ermöglichen. Virtu-
elle Museumsbesuche werden ebenso möglich wie 3D-Betrachtungen einer
Skulptur oder eines Kulturdenkmals. Vor allem soll man Inhalte aus verschiede-
nen Einrichtungen, die thematisch verwandt sind, per Mausklick miteinander
verknüpfen können.

Mit einem umfassenden und attraktiven Angebot soll die DDB nachhaltig die
kulturelle Bildung fördern und neue Zielgruppen ansprechen, vor allem Kinder
und Jugendliche. Die DDB leistet die Vermittlung unseres kulturellen Erbes mit
modernsten Techniken und kann so auch eher kultur- und wissenschaftsferne
Bevölkerungsgruppen dafür interessieren. Bei einer entsprechenden Menge an
Digitalisaten wird die DDB einer Demokratisierung von Kultur und Wissen
gleichkommen.

Sie ersetzt aber keinesfalls den Besuch von Kultureinrichtungen und die Be-
trachtung der Exponate im Original. Vielmehr schafft sie gerade einen Anreiz
für einen Besuch vor Ort und ermöglicht anschließend wiederholte Nachbe-
trachtungen attraktiver Exponate über moderne elektronische Medien. Es ist ge-
plant, mit einer online abrufbaren „Kultur- und Wissenschaftslandkarte“, etwa
bei mobiler Nutzung des Internets auf Reisen, zusätzliche Anreize für den Be-
such etwa von Museen, Bibliotheken, Archiven und Kunstdenkmälern zu schaf-

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fen und mit thematisch verwandten Onlineangeboten (z. B. einem örtlichen kul-
turellen Veranstaltungskalender) zu verbinden.

Bildung und Wissenschaft werden mit der DDB verbesserte Arbeitsbedingun-
gen erhalten, indem sie einen breiten Onlinezugang zu verlässlichen Datenbe-
ständen bietet. Vorhandene wissenschaftliche Dienste sollen nach Bedarf unter
Beibehaltung ihrer Eigenständigkeit in die DDB integriert werden. Indem die
DDB mit dem Internet-Portal des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
„www.libreka.de“ und weiteren privaten Angeboten verlinkt wird, sollen die
Nutzer jeweils das komplette Spektrum an Angeboten zum jeweiligen Thema
erhalten (gemeinfreie ältere wie urheberrechtlich geschützte aktuelle Werke).

Auch Unternehmen sollen mit der DDB einen zentralen Onlinezugriff auf kul-
turelle Bestände und wissenschaftliche Erkenntnisse erhalten. Sie können im
Einklang mit den geltenden urheberrechtlichen Bestimmungen diese gegen Li-
zenzgebühr für Produktentwicklungen nutzen oder auf Basis des umfassenden
Datenbestands der DDB attraktive kommerzielle Mehrwertdienste anbieten.
Das gilt z. B. für Schulbuchverlage, Anbieter von eLearning-Produkten sowie
Tourismus- und Medienunternehmen. Die DDB wird somit auch eine positive
Wirkung für die Wirtschaft und Arbeitsplätze in Deutschland entfalten. Die
Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wird von ihr erheblich profitieren.

In Zeiten der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs ist der welt-
weite Zugang zu Wissen ebenso wichtig wie der grenzüberschreitende Aus-
tausch von Waren und Dienstleistungen. Mit ihrem weltweit abrufbaren Online-
angebot und der Präsentation der Bestände über das Portal der Europeana bietet
die DDB auch eine angemessene Außenrepräsentation Deutschlands – kulturell,
wissenschaftlich, technologisch und wirtschaftlich. Das Vorhaben stellt somit
einen wichtigen Baustein zur Überwindung der Fragmentation des Wissens der
Menschheit dar. Derzeit stammen rund 17 Prozent der Digitalisate der Euro-
peana aus Deutschland. Deutschland ist damit gleichauf mit Frankreich führend.
Die Verstärkung der Digitalisierungsanstrengungen ist gerade auch unter dem
Gesichtspunkt der internationalen Außenrepräsentation wichtig. Wer z. B. in
einer Suchmaschine nach Werken von Goethe sucht, sollte auch aus deutschen
Bibliotheken stammende und in deutscher Sprache verfasste digitale Angebote
auffinden können. Die DDB soll zu einem Schaufenster für die Kultur- und Wis-
senschaftsnation Deutschland werden.

Sprachliche Barrieren (die DDB enthält im Wesentlichen deutschsprachige
Werke) sollen mittel- und langfristig durch Zuschaltung multilingualer Funktio-
nen, wie sie im Rahmen der Europeana vorgesehen sind, und durch Links zu
fremdsprachigen Ausgaben verringert werden.

Die DDB dient jedoch nicht nur als Mittel zur Repräsentation, sondern auch als
Basis für internationale Zusammenarbeit. Über die DDB können durch entspre-
chende Kooperationen deutscher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen mit
ausländischen Partnereinrichtungen Exponate aus fremden Kulturen zusammen-
geführt und in einer Weise zugänglich gemacht werden, dass sie in hohem Maße
der interkulturellen Verständigung dienen, im Inland wie in bilateralen und in-
ternationalen Beziehungen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:

1. den Aufbau der DDB durch Bund, Länder und Kommunen und deren Akti-
vitäten zur Digitalisierung von Kulturgut und wissenschaftlichen Informa-
tionen nachdrücklich;

2. die angestrebte logistische und finanzielle Unterstützung der Digitalisierung
durch private Unternehmen;

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3. die Benennung der Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek für
das „Komitee der Weisen“ der EU, da die Europäische Digitale Bibliothek
Europeana das Dach für die nationalen digitalen Bibliotheken bildet.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der
verfügbaren Haushaltsmittel

1. den Auf- und Ausbau der zentralen technischen Infrastruktur der DDB mit
dem Ziel voranzutreiben, die DDB möglichst bald in einer ersten Version für
die Öffentlichkeit freizuschalten und schnellstmöglich vollständig auszu-
bauen;

2. die Digitalisierung im Rahmen der DDB weiter zu intensivieren, damit kul-
turelles Erbe und wissenschaftliche Informationen sukzessive im gebotenen
Umfang online verfügbar werden;

3. zu prüfen, inwieweit zusätzliche Finanzierungsquellen, insbesondere privater
Dritter sowie auf EU-Ebene, für die DDB erschlossen werden können;

4. ein besonderes Augenmerk auf die Langzeitarchivierung zu legen, um die
digitalen Daten auch für die Nachwelt verfügbar zu halten;

5. im Dritten Korb zur Reform des Urheberrechts Regelungen zum Umgang mit
verwaisten Werken vorzusehen.

Berlin, den 29. Juni 2011

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Rainer Brüderle und Fraktion

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