BT-Drucksache 17/6153

Für eine gerechte und entwicklungsförderliche internationale Rohstoffpolitik

Vom 9. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6153
17. Wahlperiode 09. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Eva Bulling-Schröter, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich,
Ulla Lötzer, Niema Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine gerechte und entwicklungsförderliche internationale Rohstoffpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Juni 2010 veröffentliche der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)
sein Strategiepapier „Für eine strategische und ganzheitliche Rohstoffpolitik“.
Der BDI beklagt darin die „beträchtlichen Beschränkungen des Rohstoffzu-
gangs“ und fordert die Bundesregierung und die Europäische Kommission auf,
„den politischen Beschränkungen der Rohstoffsicherheit entgegenzuwirken und
die Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa so zu gestalten, dass Un-
ternehmen ihren Rohstoffbezug selbstständig sicherstellen können.“ In der Kon-
kretisierung seiner Forderungen geht es dem BDI allerdings keineswegs nur um
Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa. Vielmehr fordert er dazu auf,
Rohstoffsicherheit auch durch gravierende strukturpolitische Eingriffe in Dritt-
ländern herzustellen. So fordert der BDI, den rohstoffexportierenden Ländern
die Erhebung von Exportzöllen und -steuern zu untersagen. Der BDI schlägt vor,
zur Durchsetzung dieser Forderung die Verhandlungen über Wirtschafts- und
Kooperationsabkommen zu nutzen und geht sogar soweit, den Abbau von Ex-
portbeschränkungen als Bedingung für die Gewährung von Handelspräferenzen
im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) der EU zu fordern. Im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollten die Investitionsbedingungen
für deutsche und europäische Investoren im Rohstoffsektor verbessert und ent-
wicklungspolitische Maßnahmen mit Investitionsvorhaben deutscher und euro-
päischer Unternehmen verknüpft werden.

Die Bundesregierung folgt in ihrer im Oktober 2010 veröffentlichten Roh-
stoffstrategie (Bundestagsdrucksache 17/3399) den Vorschlägen des BDI. Die
Rohstoffstrategie der Bundesregierung, die in enger Zusammenarbeit mit der
deutschen Wirtschaft (im Rahmen des „Rohstoffdialogs“) entwickelt wurde, soll
„durch die Schaffung politischer, rechtlicher und institutioneller Rahmenbedin-

gungen ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, international wettbewerbsfähigen
Rohstoffversorgung der deutschen Industrie“ leisten.

Die Rohstoffstrategie der Bundesregierung zielt auf die vollständige Liberalisie-
rung des globalen Handels mit Rohstoffen und den Abbau investitionssteuernder
Instrumente in den Rohstoffländern. Auch die BDI-Forderung nach Verknüp-
fung des Zugangs zum APS mit dem Abbau von Exportbeschränkungen für
Rohstoffe greift die Rohstoffstrategie der Bundesregierung auf.

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Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit setzt sich die Rohstoffstrategie
das Ziel, in den Partnerländern ein „investitionsfreundliches Klima [zu schaf-
fen], von dem auch die deutsche Wirtschaft profitieren kann.“ In sogenannten
Rohstoffpartnerschaften mit Entwicklungsländern sollen „außen-, wirtschafts-
und entwicklungspolitische Zielsetzungen eng miteinander verzahnt“ werden.

Die Bundesregierung verweist im Übrigen unter Hinweis auf die Zuständigkeit
der Europäischen Union (EU) für Handelspolitik und Investitionsschutz auf die
Rohstoffinitiative der EU. Die EU will bilateral im Rahmen von Freihandels-,
Assoziierungs- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sowie multilateral auf
der Ebene der Welthandelsorganisation den Abbau von Exportbeschränkungen
(Exportzölle, Quoten etc.) und den verstärkten Schutz von Direktinvestitionen
aus der EU in den Rohstoffländern durchsetzen.

Die Partnerländer im Süden, die mit der EU in Verhandlungen über Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen oder andere Handelsabkommen stehen, widersetzen
sich den Verhandlungszielen der EU und verteidigen ihre ordnungspolitischen
Spielräume. Rohstoffexportierende Schwellen- und Entwicklungsländer wen-
den Exportzölle und -beschränkungen erfolgreich an, um Staatseinnahmen zu
generieren, Einfluss auf die Preisbildung zu nehmen, nationalen Unternehmen
einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und die Entwicklung binnenwirt-
schaftlicher Wertschöpfungsketten zu ermöglichen. Die partielle Drosselung des
Rohstoffabbaus kann zu einer wirtschaftlichen Diversifizierung beitragen. In-
strumente der Steuerung und Begrenzung von ausländischen Direktinvestitio-
nen, mit denen rohstoffreiche Länder ihre eigene Industrie gegenüber konkurrie-
renden Investoren aus dem Ausland schützen und ihre wirtschaftliche
Entwicklung entsprechend der eigenen entwicklungspolitischen Prioritäten len-
ken, haben in vielen Schwellenländern beträchtlich zu deren wirtschaftlichem
Aufstieg beigetragen.

Gewinnung und Vermarktung von Rohstoffen rufen vielfach soziale Verwerfun-
gen hervor und sind oft von Gewalt begleitet, erzeugen in den Rohstoffländern
Konflikt- und Kriegssituationen oder heizen solche an, wie es in der Demokra-
tischen Republik Kongo oder in Nigeria seit vielen Jahren zu beobachten ist. Um
Rohstoffe werden Kriege geführt, wie im Irak, in Afghanistan oder gegenwärtig
in Libyen.

Der Deutsche Bundestag lehnt eine Rohstoffpolitik, die Kriege und Bürger-
kriege fördert und vom Geist des Neokolonialismus getragen ist, strikt ab und
weist in diesem Sinne die in den am 18. Mai 2011 vorgestellten verteidigungs-
politischen Richtlinien formulierte Vorstellung zurück, der Zugang der deut-
schen Wirtschaft zu Rohstoffen und ihren Vertriebswegen sei deutsches Sicher-
heitsinteresse und im Zweifelsfalle militärisch durchzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihre Rohstoffstrategie zurückzuziehen und in einem transparenten und offe-
nen Prozess einen neuen rohstoffpolitischen Ansatz zu erarbeiten, der
– nicht den Zugriff der deutschen und europäischen Industrie auf noch mehr

Rohstoffe, die in Drittstaaten lagern oder hergestellt werden, zum Ziel hat,
– stattdessen auf die Verringerung des Ressourcenverbrauchs in Deutsch-

land und Europa ausgerichtet ist,
– in der Energieversorgung auf die dezentrale und verbrauchernahe Gewin-

nung regenerativer Energien und die Unabhängigkeit von fossilen Ener-
gieträgern setzt,

– die Empfehlungen des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte (WSK-Rechte) in ihrem 5. Staatenbericht zu Deutsch-

land umsetzt und die aus den WSK-Rechten abgeleiteten extraterritorialen
Staatenpflichten wahrnimmt,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6153

– in diesem Sinne die Achtung und den Schutz der Menschenrechte, die
Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards sowie die Ein-
dämmung der Rohstoffspekulation für im Rohstoffsektor investierende
Unternehmen aus Deutschland verpflichtend macht,

– ausschließt, dass der Handel mit Rohstoffen Gewaltkonflikte in den roh-
stofferzeugenden Ländern hervorruft, verlängert oder unterstützt und der
für den Konfliktfall vorsieht, dass ausschließlich Methoden der zivilen
Konfliktbearbeitung in den betroffenen Regionen angewandt werden,
um eine friedliche Konfliktlösung zu unterstützen,

– die Interessen der rohstoffexportierenden Entwicklungs- und Schwellen-
länder respektiert;

2. Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen in die Erar-
beitung eines solchen neuen rohstoffpolitischen Ansatzes aktiv mit einzu-
beziehen und insbesondere die von 14 unterzeichnenden Organisationen
aufgestellten „Anforderungen an eine zukunftsfähige Rohstoffstrategie“ zu
berücksichtigen;

3. davon Abstand zu nehmen, entwicklungspolitische Vorhaben an den wirt-
schaftlichen Interessen der deutschen Industrie am Zugang zu Rohstoffen
auszurichten und stattdessen eine selbstbestimmte soziale und wirtschaft-
liche Entwicklung in den Ländern des Südens, die Bekämpfung von Armut
und Hunger, die Herstellung von Ernährungssouveränität sowie den Schutz
der natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt der Zusammenarbeit zu
stellen;

4. in diesem Sinne das Konzept der Rohstoffpartnerschaften fallen zu lassen;

5. durch Technologietransfer die wirtschaftliche Diversifizierung in den von
Rohstoffexporten abhängigen Ländern zu unterstützen;

6. die Verhandlungsführung der EU-Kommission, die die Verhandlungen mit
Ländern des Südens über Wirtschaftspartnerschafts- und andere Handels-
abkommen mit Investitionsschutzabkommen verknüpft, in denen eine weit-
gehende Liberalisierung der Investitionspolitik verankert werden soll, zu-
rückzuweisen;

7. sich für ein alternatives entwicklungsförderliches Investitionsrahmen-
abkommen der EU einzusetzen und den Aufbau eines internationalen Inves-
titionsregimes für zukunftsfähige Entwicklung im Rahmen der Vereinten
Nationen aktiv zu unterstützen;

8. sich dafür einzusetzen, dass Menschenrechte, soziale Mindeststandards und
Umweltschutz sanktionsbewehrt in die Handelsabkommen der EU aufge-
nommen werden;

9. sich in der EU dafür einzusetzen, dass der Abbau von Exportzöllen und
- steuern und anderen Exportbeschränkungen nicht länger als Verhandlungs-
ziel der EU-Kommission in Verhandlungen mit Ländern des Südens über
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und andere Handelsabkommen ver-
folgt wird;

10. sich dafür einzusetzen, dass bei Verhandlungen über Wirtschafts- und Han-
delsabkommen der EU mit Ländern des Südens betroffene soziale Gruppen
angehört werden und ihre Interessen artikulieren können;

11. die Androhung zurückzunehmen, den Zugang von Ländern des Südens zum
Allgemeinen Präferenzsystem mit deren Bereitschaft zu verknüpfen, Ex-
portbeschränkungen im Rohstoffsektor abzubauen, und die entsprechenden
Formulierungen im Vorschlag der Kommission vom 10. Mai 2011 zur APS-

Reform (Artikel 19d, KOM(2011) 241 endg.) zurückzuweisen;

Drucksache 17/6153 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. sich für einen möglichst umweltverträglichen Abbau von mineralischen
Rohstoffen unter Beteiligung und zum Nutzen der lokalen Bevölkerung und
unter Wahrung ihrer Rechte einzusetzen und die entsprechenden Strukturen
dafür zu unterstützen;

13. Kompensationsmodelle wie das ecuadorianische ITT-Projekt zu unterstüt-
zen, die den Verzicht auf die Förderung von extraktiven Rohstoffen mit
Ausgleichszahlungen für dadurch entfallende Einnahmen zugunsten der
sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Länder verbinden;

14. sich gegen die Einflussnahme von Lobbyverbänden der Industrie auf die
europäische Handels-, Investitions- und Rohstoffpolitik zu verwahren und
innerhalb der EU Initiativen zur Begrenzung dieses Einflusses auf den Weg
zu bringen und zu unterstützen.

Berlin, den 9. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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