BT-Drucksache 17/6130

Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6130
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista Sager, Ekin Deligöz,
Katja Dörner, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Tabea Rößner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verpflichtet, Gleichberechtigung durch
geeignete Maßnahmen zu fördern und Benachteiligungen zu verhindern. Die
Bundesregierung steht somit in der Verantwortung, bei öffentlich finanzierten
Kultureinrichtungen und öffentlich geförderten Projekten die Gleichstellung
von Frauen im Kulturbetrieb zu unterstützen und dafür die notwendigen Grund-
lagen wie die Aktualisierung von statistischem Material zu schaffen.

Die letzte umfangreiche Studie „Frauen in Kunst und Kultur II“, die der Deut-
sche Kulturrat für die Kultusministerkonferenz erarbeitet hat, umfasst den Zeit-
raum von 1995 bis 2000 und untersucht den Anteil weiblicher Kreativer an der
individuellen Künstlerförderung sowie die Besetzung von Leitungsfunktionen
an Kultureinrichtungen durch Frauen.

Die Studie belegt, dass im erfassten Zeitraum nur 3 Prozent der Intendanzen an
Staats- und Landestheatern mit Frauen besetzt waren. Lediglich jedes vierte
Kunstmuseum und 27 Prozent der Filmförderinstitutionen wurden von einer
Frau geleitet. In Bereichen der klassischen Musik war der Frauenanteil insge-
samt am niedrigsten: So lag beispielsweise der Frauenanteil unter den Dirigen-
tinnen und Dirigenten bei nur 1 bis 2 Prozentpunkten. Auch die finanzielle und
soziale Situation der freiberuflichen Bildenden Künstlerinnen wurde insgesamt
schlechter bewertet als die der männlichen Kollegen. Beispielsweise gingen nur
32 Prozent der Preise und Stipendien an Bildende Künstlerinnen. Bezüglich der
allgemeinen Entwicklung im Bereich der Situation von Frauen im Kulturbetrieb
stellt der Deutsche Kulturrat zum Abschluss der Studie „Frauen in Kunst und
Kultur II (1995 bis 2000)“ zusammenfassend fest: „Eine nennenswerte Steige-
rung der Partizipation von Frauen an den Führungspositionen in der Kultur ist
für den Betrachtungszeitraum 1995 bis 2000 nicht zu konstatieren. Blickt man
auf die künstlerischen Sparten im Einzelnen, so stehen einigen positiven Ent-
wicklungen mindestens ebenso viele negative gegenüber.“

Über das Jahr 2000 hinaus existieren bis auf die jährlichen Veröffentlichungen

der Durchschnittseinkommen der bei der Künstlersozialkasse versicherten
Künstlerinnen und Künstler und Publizistinnen und Publizisten keine umfassen-
den Erhebungen zur Situation von Frauen in allen Sparten des Kulturbetriebs.
Die Studie „Frauen in Kunst und Kultur II“ stellt die letzte umfassende Unter-
suchung auf diesem Gebiet dar.

Aktuellere Einzelstudien und Medienberichterstattungen über Gleichstellung
im Kulturbetrieb zeigen, dass sich die Missstände nicht wesentlich verbessert

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haben. Bis heute sind Frauen in allen künstlerischen Sparten nicht im gleichen
Maße vertreten wie ihre männlichen Kollegen. In der März-Ausgabe 2011 der
Zeitschrift „Theater heute“ wird unter dem Titelthema „Mehr Frauen ins Thea-
ter“ berichtet, dass der Anteil der Regisseurinnen in Deutschland lediglich bei
ca. 29 Prozent liegt. Nur 34 der insgesamt 472 Stücke, die innerhalb der letzten
46 Jahre beim Berliner Theatertreffen vertreten waren, wurden von Frauen
inszeniert. In den letzten zehn Jahren waren trotz steigender Tendenz nur elf
von hundert der Theateraufführungen beim Berliner Theatertreffen Inszenie-
rungen von Regisseurinnen.

Auch die finanzielle Situation von Künstlerinnen ist nach Angaben der Künst-
lersozialkasse im Jahr 2010 nicht gleichgestellt. Männliche Künstler und Publi-
zisten hatten mit 18 931 Euro ein wesentlich höheres durchschnittliches Jahres-
einkommen, als ihre weiblichen Kolleginnen mit 14 109 Euro.

Trotz der dokumentierten Missstände erfolgte von politischer Seite bis heute
keine nennenswerte Initiative zur Verbesserung der Situation weiblicher Kultur-
schaffender. Anregungen des Deutschen Kulturrates an die Kultusministerkon-
ferenz für eine Weiterführung seiner vielzitierten Studie „Frauen in Kunst und
Kultur II“ wurden mit Verweis auf die erwartete Befassung der Enquete-Kom-
mission „Kultur in Deutschland“ mit diesem Thema begegnet. Die Enquete-
Kommission berücksichtigte die geschlechtsspezifischen Aspekte dieses The-
mengebiets jedoch nur unzureichend.

Obwohl im Kulturhaushalt 2011 5 Mio. Euro zusätzlich für Forschungsausga-
ben vorgesehen sind, betrifft keines der Vorhaben eine Untersuchung der Situa-
tion von Frauen in Kunst und Kultur.

Die berufliche Benachteiligung von Frauen ist nicht nur ungerecht, dem Kultur-
betrieb geht damit kreatives Potential verloren. Symptomatisch für das fehlende
Problembewusstsein seitens der Bundesregierung ist der Mangel an aktuellem
statistischen Material.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

– durch die Auflage einer Studie zur Situation von Frauen im Kulturbetrieb die
bisher vorliegenden Dokumentationen „Kunst und Kultur von Frauen“ sowie
„Frauen in Kunst und Kultur II – 1995 bis 2000“ des Deutschen Kulturrates
fortzusetzen, zu aktualisieren und um Handlungsempfehlungen für geeignete
Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb zu ergänzen;

– auf Grundlage der Ergebnisse gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um Chan-
cengleichheit von Frauen in den entsprechenden Bereichen des Kulturbetriebs
sowie bei den aus dem Etat des Kapitels 5 des Einzelplans 04, des Kulturhaus-
haltes des Bundes, finanzierten Institutionen, Projekten und Veranstaltungen
zu gewährleisten;

– eine Vorbildfunktion für Länder und Kommunen zu übernehmen und in die
Förderkriterien für den Etat des Kapitels 5 des Einzelplans 04 aufzunehmen,
dass die finanzierten oder bezuschussten Institutionen oder Projektträger,
insbesondere bei der Vergabe von Führungspositionen, Stipendien und
Werksaufträgen sowie der Besetzung von Orchestern und bei Ausstellungen
von Werken zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstlern, eine paritätische
Geschlechterverteilung als Zielsetzung verfolgen müssen, soweit eine an-
derweitige Geschlechterverteilung nicht durch künstlerische Vorgaben, wie
bei der Besetzung von Theater- und Filmrollen oder Tanz- und Gesangs-
ensembles, zu begründen ist.

Berlin, den 7. Juni 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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Begründung

Ob bei der Theaterregie, der Orchesterleitung, unter den Komponierenden, in
Galerien oder Kunstausstellungen – Männer sind auch im Kulturbetrieb wie in
vielen anderen Branchen des deutschen Arbeitsmarktes traditionell und sicht-
bar in der Mehrheit. Dies gilt sowohl für verwaltende Führungspositionen des
Kulturbetriebs als auch für Schöpfer neuer Werke im staatlich geförderten
Raum von Museen, Theatern oder Konzerthäusern. Obwohl weibliche Studie-
rende an den staatlichen Hochschulen für Musik nach Angaben des Deutschen
Musikrates mit rund 60 Prozent gegenüber männlichen Studenten eine deut-
liche Mehrheit bilden, sind Frauen im Berufsleben des klassischen Musik-
betriebs nur mit rund 23 Prozent vertreten. Je höher Gehalt, Ansehen oder
Funktion einer Stelle, desto geringer ist der Frauenanteil im Kulturbetrieb. In
Führungspositionen von Kultureinrichtungen sind Frauen nach wie vor unter-
repräsentiert. Dieses Missverhältnis verweist auf strukturelle Schranken beim
Zugang ins Berufsleben für Frauen im Kulturbetrieb, die aufgehoben werden
müssen.

Die Bundesregierung sieht jedoch ihre Verantwortung für die Gleichstellung
von Frauen im Kulturbetrieb nicht beim Bundesbeauftragten für Kultur und
Medien, sondern beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend angesiedelt. Dies zeigen die Antworten der Bundesregierung auf die
Schriftlichen Fragen vom 16. Februar 2011. In zwei Schriftlichen Fragen an die
Bundesregierung nach konkreten Maßnahmen der Bundesregierung zur Förde-
rung von Frauen in Kunst und Kultur, bzw. nach Unterstützung des Bundes von
Projekten oder Stiftungen mit diesem Ziel, konnte die Bundesregierung ledig-
lich auf die Förderung eines einzigen Projektes mit frauenspezifischem Hinter-
grund verweisen: Das „Performance Archive“, gefördert durch die Kulturstif-
tung des Bundes. Generell konzentriere sich die Projektförderung im Bereich
des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien „freilich in erster Linie an künst-
lerischen und kulturellen Gesichtspunkten“.

Aus dem Kulturetat 2011 werden quasi keine Maßnahmen zur gezielten Förde-
rung von Künstlerinnen unterstützt. Kein Bundesministerium kennt jedoch die
branchenspezifischen Arbeitsbedingungen des Kulturbetriebs auf Bundesebene
besser als der Beauftragte für Kultur und Medien. Bei einem Querschnittthema
wie Gleichstellung ist selbstverständlich neben dem zuständigen Bundesminis-
terium auch der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien als Fachressort in der
Pflicht, durch die Vergabe von Projekt- und Forschungsmitteln im Kultur-
bereich, Grundlagen zur Gleichstellung von Frauen in Kunst und Kultur zu
schaffen.

Deshalb muss die Geschlechterperspektive in der Kulturpolitik und insbeson-
dere im Bereich der Kunst- und Kulturförderung stärker berücksichtigt werden.
Dafür benötigen wir als ersten Schritt aktuelle umfassende Statistiken zur Lage
der Frauen im Kulturbetrieb. Ein geschlechtsspezifisches Wissen über die sozia-
len Rahmenbedingungen der Kunstschaffenden, die Besetzung von Führungs-
positionen und Gremien sowie die Vergabe von Stipendien und anderen Förder-
maßnahmen, sind notwendige Grundlagen für kulturpolitische Entscheidungen.
Ein detaillierter Überblick auf die Situation von Frauen in den einzelnen Sparten
kann zudem Hinweise liefern, inwiefern Chancengerechtigkeit für Künstlerin-
nen in den unterschiedlichen Bereichen durch politische Maßnahmen erhöht
werden kann.

Kunst- und kulturschaffende Frauen sollen unsere Gesellschaft gleichermaßen
durch ihren künstlerischen Ausdruck, ihr Denken und Fühlen bereichern kön-
nen. Dafür müssen sie die gleichen Chancen erhalten wie ihre männlichen Kol-
legen, um ihr künstlerisches Schaffen öffentlich sichtbar zu machen, Anerken-

nung und Wertschätzung zu erhalten und auf diesem Wege die kulturellen Pro-
zesse in unserer Gesellschaft mitzuprägen. Diskriminierung kann und darf nicht

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mit künstlerischer Freiheit gerechtfertigt werden. Kulturpolitik ist Gesell-
schaftspolitik und wirkt, so bekräftigte es der Schlussbericht der Enquete-Kom-
mission „Kultur in Deutschland“, „durch Kunst und Kultur beeinflussend und
prägend auf die Grundorientierungen des gesellschaftlichen Lebens ein.“ Auch
im 100. Jahr des Internationalen Frauentages ist es noch ein weiter Weg zur
Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Eine geschlechtersensible Kul-
turpolitik ist dringend erforderlich, um die Potentiale von Künstlerinnen
adäquat fördern zu können.

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