BT-Drucksache 17/6100

Nutzung Sozialer Netzwerke zu Fahndungszwecken

Vom 7. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6100
17. Wahlperiode 07. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Andrej Hunko, Petra Pau,
Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Nutzung sozialer Netzwerke zu Fahndungszwecken

Soziale Netzwerke im Internet wie Facebook, LinkedIn, MySpace, Twitter oder
StudiVZ werden von Millionen Menschen genutzt. Von großem Interesse sind
solche Netzwerke auch für Polizeibehörden, um etwa die Identität unbekannter
tatverdächtiger Personen ausfindig zu machen oder das personelle Umfeld
eines Verdächtigen zu erkunden.

In einem Aufsatz der Zeitschrift „Kriminalistik“ (1/2010, S. 30) nennen die
Polizeidozenten Axel Henrichs und Jörg Wilhelm soziale Netzwerke „wahre
Fundgruben“ für „allgemeine Ermittlungs- und Fahndungszwecke“ ebenso wie
für „präventionspolizeiliche Maßnahmen“. Die Daten aus den sozialen Netz-
werken seien von „hohem taktischen Nutzen“.

In eine ähnliche Richtung hatte sich 2008 die von Dr. Wolfgang Schäuble initi-
ierte „Zukunftsgruppe“ einiger EU-Innenminister geäußert, die von einem
„digitalen Tsunami“ gesprochen hatte und hiermit keine Katastrophe meinte,
sondern „gewaltige Informationsmengen“, die sich Polizeien zukünftig zunutze
machen sollten.

Am erfolgreichsten könnten laut der Zeitschrift „Kriminalistik“ Recherchen
sein, wenn „virtuelle Ermittler“ zum Einsatz kommen. In einem im Frühjahr
2010 im Bundesministerium des Innern erarbeiteten „Konzept zur Bekämpfung
linker Gewalttaten“ wird der Einsatz „virtueller Agenten“ vorgeschlagen. Be-
amte könnten sich durch den Aufbau von Blogs in das linke Milieu einschleusen,
Diskussionen anregen und Kontakte knüpfen (www.spiegel.de/spiegel/print/
d-70500966.html).

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Klaus Jansen
forderte im Herbst 2010 „gesetzliche Befugnisse für offene und verdeckte
Ermittlungen im Internet, speziell in sozialen Netzwerken“.

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
hält es in seinem 23. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2009 und 2010 aufgrund ei-
ner „Rechtsunsicherheit, in welchem Stadium der polizeilichen Recherchen im
Internet von einem Eingriff in Grundrechte auszugehen ist“, für geboten, „Inhalt

und Grenzen derartiger Befugnisse spezialgesetzlich zu regeln“ (Bundestags-
drucksache 17/5200, S. 86).

Der Wert der erlangten Informationen könnte laut dem Artikel in der Zeitschrift
„Kriminalistik“ insbesondere dann erhöht werden, wenn sie mit Informationen
der Polizeidatenbanken und verdeckten Ermittlungen kombiniert würden. Hier-
für fehlt allerdings die rechtliche Grundlage.

Drucksache 17/6100 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Untersuchungen haben ergeben, dass Beziehungen unter Personen, Sachverhal-
ten und Dingen ein hoher Informationsgehalt innewohnt, der demnach sogar
höher liegt als abgehörte Telefongespräche. Ein Beziehungsnetz einer Gruppe
kann rekonstruiert werden, wenn nur 8 Prozent ihrer Beteiligten überwacht
werden. Die Beispiele zeigen sowohl die hohe Relevanz polizeilicher Durch-
dringung sozialer Netzwerke wie auch die Notwendigkeit der öffentlichen Auf-
klärung über neue Ermittlungsmethoden. Insbesondere muss ausgeschlossen
werden, dass Verfolgungsbehörden ein sogenanntes Data Mining betreiben, in-
dem Daten sozialer Netzwerke mit anderen Datensätzen (Open Intelligence
oder Polizeidatenbanken) verknüpft werden. Durch dieses illegale Profiling
würde sich der Informationsgehalt der fraglichen Daten beträchtlich erhöhen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung Ermittlungen in sozialen
Netzwerken zur Kriminalitätsprävention- und kriminalpolizeilichen Ermitt-
lungen bei?

2. Welche Abteilungen bei Polizeien und Geheimdiensten des Bundes befassen
sich mit Ermittlungen in sozialen Netzwerken?

a) Wie viele Mitarbeiter sind hierzu mit welchem Aufgabenbereich beschäf-
tigt?

b) In welchen Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder Kooperationen auch mit
privaten Firmen, die sich unter anderem mit Ermittlungen in sozialen
Netzwerken wie auch verdeckten virtuellen Ermittlungen befassen, sind
welche Behörden des Bundes eingebunden?

3. Inwieweit ist es Beamtinnen und Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA)
nach geltender Gesetzeslage erlaubt, als „virtuelle Ermittler“ in sozialen
Netzwerken zu agieren (bitte die Rechtsgrundlage benennen), und welche
Einschränkungen existieren hierzu?

a) In welchen Fällen werden Ausgeforschte im Nachhinein von einer ver-
deckten polizeilichen Maßnahme in Kenntnis gesetzt, bzw. aus welchen
Gründen unterbleibt eine derartige Unterrichtung?

b) Ist die Bundesregierung in der Lage, eine Statistik oder wenigstens eine
Näherung zu liefern, wie oft digital Ausgeforschte in den letzten fünf
Jahren unterrichtet bzw. nicht unterrichtet wurden?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die vom Bundesbeauftragten für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit im 23. Tätigkeitsbericht ge-
äußerten „Zweifel, inwieweit die vom BKA angeführten Rechtsnormen
den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bei Ermitt-
lungen in sozialen Netzwerken legitimieren können“?

4. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, besondere gesetzliche Befug-
nisse für offene und verdeckte Ermittlungen in sozialen Netzwerken zu
schaffen?

a) Wenn ja, welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung?

b) Wenn nein, aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage sind offene und
verdeckte Ermittlungen in sozialen Netzwerken zulässig?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die vom Bundesbeauftragten für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit im 23. Tätigkeitsbericht emp-
fundene „Rechtsunsicherheit, in welchem Stadium der polizeilichen
Recherchen im Internet von einem Eingriff in Grundrechte auszugehen

ist“?

5. Inwieweit nutzt das BKA bereits soziale Netzwerke zu Ermittlungszwecken?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6100

a) In wie vielen Fällen waren Ermittlungen in sozialen Netzwerken aus-
schlaggebend bei der Aufklärung von Straftaten (bitte nach Jahren und
Art bzw. Phänomenbereich der Straftaten aufschlüsseln)?

b) In wie vielen Fällen waren Ermittlungen in sozialen Netzwerken aus-
schlaggebend bei der Verbrechensprävention (bitte nach Jahren und Art
bzw. Phänomenbereich der Straftaten aufschlüsseln)?

6. In wie vielen und welchen Fällen sind „virtuelle Ermittler“ des BKA be-
reits zum Einsatz gekommen?

a) Dürfen „virtuelle Ermittler“ zu Straftaten aufrufen, Texte mit strafbarem
Inhalt verfassen oder Dateien mit strafbarem Inhalt weitergeben?

b) Kann die Bundesregierung mit Sicherheit ausschließen, dass „virtuelle
Ermittler“ in der Vergangenheit jemals zu Straftaten aufgerufen oder
Texte mit strafbarem Inhalt verfasst oder Dateien mit strafbarem Inhalt
weitergegeben haben?

c) Legen „virtuelle Ermittler“ sogenannte Honigtöpfe aus, wie es etwa bei
Ermittlungen des BKA gegen die „militante gruppe“ mit dem Protokol-
lieren von Zugriffen auf der BKA-Webseite als illegale Praxis offenkun-
dig wurde?

d) In welchen und in wie vielen Fällen haben „virtuelle Ermittler“ selbst
Webseiten oder Blogs angelegt?

In welchen und in wie vielen Fällen haben „virtuelle Ermittler“ unter
falschen Identitäten Profile in sozialen Netzwerken angelegt?

e) Inwieweit wurden entsprechend den Überlegungen des „Konzepts zur
Bekämpfung linker Gewalttaten“ bereits „virtuelle Agenten“ der Sicher-
heitsbehörden in das linke Onlinemilieu eingeschleust?

7. An welchen Kooperationen im Bereich Forschung und Entwicklung von
Software zur Analyse nicht frei zugänglicher Informationen im Internet
(social networks, geschlossen Foren etc.) auf EU-Ebene sind Stellen des
Bundes beteiligt, und mit welchen Partnern?

Welchen finanziellen Umfang haben diese Kooperationen, und wie sind die
einzelnen Partner daran beteiligt?

8. In wie vielen und in welchen Fällen hat sich das BKA von Anbietern sozialer
Netzwerke Zugang zu nichtöffentlichen Profilen bzw. Nachrichten geben
lassen?

9. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass eine per Soft-
ware vorgenommene Verknüpfung der in sozialen Netzwerken aufgespür-
ter Beziehungen unter Personen und Ereignissen mit Informationen aus Po-
lizeidatenbanken und verdeckten Ermittlungen ein unzulässiges Profiling
darstellt?

10. Wie ist ein „Data Mining“ bzw. die Verknüpfung von im Internet ermittel-
ten Informationen mit anderen Datensätzen geregelt?

a) Welche Bestimmungen existieren für Polizeien und Geheimdienste des
Bundes zum Erstellen eines Personenprofils anhand im Internet ermit-
telter Informationen bzw. mit einer Verknüpfung anderer Datensätze?

b) Welche Unterschiede machen entsprechende Bestimmungen hinsicht-
lich unterschiedlicher Kriminalitätsphänomene sowie bezüglich Straf-
verfolgung und Gefahrenabwehr?

c) Welche Rolle spielt die Einbindung von Geodaten, und welche Bestim-

mungen existieren hierzu?

Drucksache 17/6100 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
d) Wie oft hat das BKA in den letzten fünf Jahren Ermittlungen geführt, in
denen die Geodaten aus sozialen Netzwerken eingeflossen sind?

e) Welche weiteren Datensätze können unter technischen Gesichtspunkten
eingebunden werden?

11. Kommt beim BKA spezielle Software zu Onlineermittlungen oder zur prä-
ventiven Aufhellung von deliktspezifischen Milieus bzw. Netzwerken zur
Anwendung, und wenn ja, welche?

a) Welche Software zu Onlineermittlungen oder Data Mining haben Bun-
desbehörden in den letzten zwei Jahren getestet?

b) Haben Bundesbehörden Software der Firmen rola Security Solutions
GmbH, HBGary, Inc., In-Q-Tel, Inc., IBM (insbesondere Criminal
Reduction Utilising Statistical History) oder TEMIS S. A. (auch zu Test-
zwecken) beschafft, und falls ja, wofür wurden diese eingesetzt?

12. Welche Aus- und Fortbildungsangebote setzen Bundesbehörden für „virtu-
elle Ermittlungen“ ein?

a) Welche Bundesbehörden haben hierzu eigene Module entwickelt, und
welchen konkreten Inhalt haben diese?

b) In welchen EU-weiten oder internationalen Institutionen oder Projekten
(auch Interpol oder CEPOL) werden Angehörige deutscher Behörden in
„virtuellen Ermittlungen“ unterrichtet?

13. An welchen Kooperationen im Bereich Forschung und Entwicklung von
Software zur Analyse nicht frei zugänglicher Informationen im Internet
(social networks, geschlossen Foren etc.) auf EU-Ebene sind Stellen des
Bundes beteiligt, und mit welchen Partnern?

Welchen finanziellen Umfang haben diese Kooperationen, und wie sind die
einzelnen Partner daran beteiligt?

14. In welchen Arbeitsgruppen, privaten oder öffentlichen Institutionen sind
Stellen des Bundes bezüglich „virtueller Ermittlungen“ innerhalb der EU
und international beteiligt oder beziehen dort ermittelte Ergebnisse, wie es
etwa „heise online“ bereits am 19. November 2008 über Interpol berichtete?

Sind der Bundesregierung Aktivitäten des US-Militärs bekannt, mittels
maschinell angelegter falscher Identitäten (sogenannte sock puppets) ge-
fälschte Mehrheitsmeinungen im Internet vorzuspiegeln (Guardian,
17. März 2011), und falls ja, welche Stellen des Bundes forschen hierzu
bzw. haben sich mit Ergebnissen anderer Forschungen befasst?

Berlin, den 7. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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