BT-Drucksache 17/6096

Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6096
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes
Alpers, Herbert Behrens, Roland Claus, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Petra
Pau, Kathrin Senger-Schäfer, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Archiven, Bibliotheken, Museen und Sammlungen existieren Millionen von
Büchern, Kunstwerken, Filmen und weiteren Exponaten, die derzeit nur schwer
zugänglich sind. Die digitale Erschließung dieser Kultur- und Wissensgüter
bietet große Potenziale für Kultur, Bildung, Wirtschaft und Wissenschaft. Es
könnten mehr Menschen Zugang finden, die Inhalte könnten vernetzt werden.
Eine räumliche Mobilität von Nutzerinnen und Nutzern oder der Werke selbst
wäre bei digitalem Zugriff nicht mehr notwendig. Viele dieser Objekte müssen
zudem digital archiviert und konserviert werden, um nicht für immer verloren
zu gehen.

Der Konzern Google hat seit 2006 im Rahmen seiner Digitalisierungsoffensive
bereits 15 Millionen Bücher gescannt. Darunter befinden sich auch rund eine
halbe Million Bände der Staatsbibliothek München, die im Rahmen einer
Public-Private-Partnership alle urheberrechtsfreien Werke aus ihrem Bestand
digitalisieren lässt.

Die von Google gescannten Werke sind nicht mehr im Handel erhältlich, unter-
liegen jedoch zum Teil noch dem Urheberrecht. Die Firma beruft sich auf die
„Fair-Use“-Regel des amerikanischen Copyrights. Auf Druck von verschiede-
nen Verbänden vereinbarte der Konzern in einem Vergleich eine Vergütung für
die Nutzung dieser vergriffenen Werke („Google Book Settlement“). Der Ver-
gleich hielt jedoch einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, da er der Firma
eine unzulässige Monopolstellung auf dem Markt digitalisierter Werke ver-
schafft hätte.

Die Europäische Digitale Bibliothek „Europeana“ als öffentlich finanzierte Ini-
tiative wurde 2008 online gestellt und bietet Zugang zu bisher 10 Millionen
Objekten, darunter jedoch nur 1,2 Millionen Bücher. Die „Europeana“ stellt
lediglich die Plattform zur Vernetzung und zum gemeinsamen Zugang der auf
nationalstaatlicher Ebene angebotenen Exponate dar.
Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) soll ab 2011 die Digitalisierungsakti-
vitäten von 30 000 deutschen Museen, Archiven und Bibliotheken vernetzen
und Teil der „Europeana“ werden. Bund und Länder stellen 8 Mio. Euro für den
Aufbau und zukünftig 2,6 Mio. Euro für den Betrieb der Plattform zur Verfü-
gung. Zudem beteiligte sich der Bund als Finanzier der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft e. V. (DFG) an Digitalisierungsprogrammen insbesondere im Be-
reich von historischen Quellen bis zum 18. Jahrhundert mit insgesamt 100 Mio.

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Euro seit 1997. Für die Digitalisierung der Bestände aus dem 19. und 20. Jahr-
hundert stehen jedoch keine Bundesgelder zur Verfügung. Diese machen den
Großteil des Materials aus. Derzeit werden von Bund und Ländern insgesamt
etwa 30 Mio. Euro jährlich für die Digitalisierung verausgabt.

Damit hinken die öffentlichen Angebote in Umfang und im Tempo der Digitali-
sierung der privaten Initiative deutlich hinterher. Dies gilt auch für Deutschland.
Die Gründe für diesen Rückstand liegen in einer Rechtsunsicherheit bezüglich
so genannter vergriffener und verwaister Werke, in der schwierigen finanziellen
Lage der Länder und Kommunen und der von ihnen getragenen Bibliotheken
und Einrichtungen und in der mangelnden Steuerung und Koordination der
lokalen Digitalisierungsinitiativen. Um die Deutsche Digitale Bibliothek mit
Inhalt zu erfüllen und die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an dieses
Projekt nicht zu enttäuschen, ist eine umfassende gesamtstaatliche Digitalisie-
rungsstrategie notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. für den Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek ein Förderprogramm
und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, die neben der Errich-
tung der technischen Infrastrukturen vor allem die Unterstützung der Digita-
lisierung von Exponaten und Werken finanzieren. Zu unterstützen ist eben-
falls die Investition in technische Infrastrukturen und Server zum Vorhal-
ten und Sichern der Digitalisate. Dieses Programm sollte einen Rahmen von
30 Mio. Euro pro Jahr nicht unterschreiten und mit den Ländern gemeinsam
konzipiert und umgesetzt werden;

2. gemeinsam mit den Ländern und Kommunen eine Roadmap für die Digitali-
sierung des kulturellen Erbes zu entwickeln. Diese sollte beiderseitige
Selbstverpflichtungen und klare Zielmarken enthalten. In den kommenden
zehn Jahren sollten mindestens 5 Millionen der in den 30 000 Bibliotheken
und Einrichtungen vorhandenen Werke digital zugänglich gemacht werden;

3. gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz und kommunalen Spitzenver-
bänden eine Steuerungsgruppe unter Einbezug von Fachleuten aus Biblio-
theken, Hochschulen, Museen, Archiven und sonstigen Einrichtungen ein-
zuberufen, die für die Planung und Umsetzung der Roadmap zur Digitalisie-
rung des kulturellen Erbes verantwortlich ist und alle erforderlichen Schritte
einleitet;

4. im Rahmen einer Überarbeitung des Urheberrechtsgesetzes eine Regelung
zum Umgang mit vergriffenen und darunter auch verwaisten Werken vorzu-
legen, die für die Bibliotheken, Archive und Kultureinrichtungen Rechts-
sicherheit bringt und nur bei nachgewiesenen Ansprüchen eine Vergütung
für Rechteinhaber vorsieht.

Berlin, den 8. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Digitalisierung der kulturellen und wissenschaftlichen Überlieferung muss
mit Nachdruck angeschoben werden. Sie dient insbesondere der Ausweitung
und Öffnung des Zugangs zu Kulturgütern und wissenschaftlicher Information.

Onlinebibliotheken stehen unabhängig von Kapazität, Zeit und Ort jeder Bür-
gerin und jedem Bürger offen. Im Rahmen der Digitalisierung könnte die Auf-

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merksamkeit neuer, insbesondere junger Nutzerschichten auf das kulturelle und
wissenschaftliche Erbe gelenkt werden. Für den Schulunterricht, für die akade-
mische Ausbildung, für die Forschung und nicht zuletzt für die Schaffung von
Kunstwerken selbst ist ein schneller und unkomplizierter Zugriff auf die über-
lieferten Werke aus Kunst, Information und Wissenschaft eine unschätzbare
und fast unerschöpfliche Ressource. Die globale Erreichbarkeit digitaler Inhalte
könnte auch den internationalen Austausch und die Kooperation befördern. Zu-
dem ergeben sich aus der Nutzung dieser Ressource wirtschaftliche Möglich-
keiten – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.

Vorreiter der Digitalisierung von Kulturgütern ist jedoch der amerikanische
Suchmaschinenkonzern Google. Das Projekt der Google-Buchsuche hat zwar
einen fortgeschrittenen Stand des Aufbaus erreicht. Zugleich zeigen sich die
Grenzen der Strategie. Das Unternehmen hatte die Digitalisierung begonnen,
ohne eine Rechteklärung herbeizuführen oder auf eine Rechtsänderung hinzu-
wirken. Der überarbeitete Vergleich zur Widerspruchsmöglichkeit bzw. zur
Vergütung von Nutzungsrechten wurde am 22. März 2011 von einem Gericht in
New York zurückgewiesen. Das Gericht erkannte den Nutzen einer digitalen
Bibliothek an, billigte Google aber keine Monopolstellung auf diesem Markt
zu. Konkurrenten hätten kaum noch die Chance, diese Werke in gleicher Weise
zu veröffentlichen. Zugleich kristallisiert sich die Vermarktungsstrategie der
Google-Buchsuche heraus, die insbesondere durch Werbung, aber auch im
Rahmen eines angeschlossenen kommerziellen Buchvertriebs Gewinn erwirt-
schaften soll.

Die Europäische Digitale Bibliothek „Europeana“, die im Rahmen der Initiative
i2010 durch die Europäische Kommission errichtet wurde, hat seit 2008 eben-
falls einen beachtlichen Ausbaustand erreicht. Sie bleibt aber weit hinter dem
Google-Projekt zurück, insbesondere im Bereich von Büchern und Druckwer-
ken. Im Auftrag der EU-Kommission hat ein „Komitee der Weisen“ unter Betei-
ligung der Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, Dr. Elisabeth
Niggemann, im Dezember 2010 einen Expertenbericht vorgestellt, der verbes-
serte politische Rahmenbedingungen für die „Europeana“ fordert. Insbesondere
solle es für die so genannten verwaisten Werke eine schnelle rechtliche Rege-
lung geben.

Auf nationaler Ebene haben sich Bund und Länder im Dezember 2009 auf die
Errichtung der Deutschen Digitalen Bibliothek verständigt. In das Projekt sollen
auch Ergebnisse aus dem Forschungsprogramm „Neue Technologien für das
Internet der Dienste – Theseus“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie unter anderem zu semantischen Suchprozessen einfließen. Der
Aufbau der Infrastruktur wurde mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket II geför-
dert, der Betrieb soll 2,6 Mio. Euro jährlich kosten. Damit sind die Kosten für
die Erstellung der abzurufenden Inhalte jedoch nicht abgedeckt. Diese sollen in
Eigenregie und auf eigene Kosten der beteiligten 30 000 Bibliotheken, Museen
und Wissenschaftseinrichtungen erstellt werden. Damit sind vor allem die
Länder und Kommunen für die Finanzierung und die abgestimmte Steuerung in
Bezug auf Interoperationabilität und gemeinsame Standards in der Verantwor-
tung.

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