BT-Drucksache 17/598

Regional ungleicher Zugang zu Heilmitteln

Vom 29. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/598
17. Wahlperiode 29. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Harald Terpe, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Markus Kurth,
Beate Müller-Gemmeke und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Regional ungleicher Zugang zu Heilmitteln

Die gesetzliche Krankenversicherung ist dem Grundsatz verpflichtet, allen Ver-
sicherten den gleichen Zugang zu den medizinisch notwenigen Gesundheitsleis-
tungen zu ermöglichen. Dabei erfolgt die Konkretisierung der Leistungsan-
sprüche der Versicherten über Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses,
die bundeseinheitlich gelten. Diesem Grundsatz des einheitlichen Leistungs-
anspruchs scheinen die Ergebnisse des Heilmittelberichts 2009/2010 des Wissen-
schaftlichen Instituts der AOK klar zu widersprechen. Darin werden regional sehr
unterschiedliche Zugänge der Bevölkerung zu Heilmitteln festgestellt. Eine
räumlich unterschiedliche Behandlungsintensität ist bei allen Arten von Heil-
mitteln (Physio-, Ergo-, Sprachtherapie) ersichtlich und deutet auf ein sehr unter-
schiedliches Verordnungsverhalten der Vertragsärzte in den Kassenärztlichen
Vereinigungen (KVen) hin.

Bei der Physiotherapie variierten 2008 die Leistungen je 1 000 AOK-Versicherte
zwischen Sachsen (750,5), Berlin (677,4), Baden-Württemberg (625,1), Sachsen-
Anhalt (612,6), Bayern (564,4) sowie Westfalen-Lippe (233,7), Nordrhein
(314,1), Hessen (339,3). Der Bundesdurchschnitt beträgt 500. Der Unterschied
zwischen der Region mit der höchsten und der mit der niedrigsten Behandlungs-
zahl beträgt das 3,21-Fache.

Bei der Ergotherapie variierten 2008 die Leistungen je 1 000 AOK-Versicherte
zwischen Sachsen (51,6), Schleswig-Holstein (44,6), Hamburg (43,3), Saarland
(42,7) sowie Westfalen-Lippe (23,9), Hessen (24,5), Nordrhein (29,5). Der Bun-
desdurchschnitt beträgt 34. Der Unterschied zwischen der Region mit der höchs-
ten und der mit der niedrigsten Behandlungszahl beträgt das 2,16-Fache.

Bei der Sprachtherapie variieren 2008 die Leistungen je 1 000 AOK-Versicherte
zwischen Baden-Württemberg (43,9), Nordrhein (38,2), Schleswig-Holstein
(36,7), Berlin (33,9), Westfalen-Lippe (26,3) sowie Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen-Anhalt (22,7), Rheinland-Pfalz (25). Der Bundesdurchschnitt
beträgt 30,8. Der Unterschied zwischen der Region mit der höchsten und der mit
der niedrigsten Behandlungszahl beträgt das 1,9-Fache.
Die Leistungen der Ergo- und der Sprachtherapie werden besonders häufig von
Kindern in Anspruch genommen. Mehr als die Hälfte aller sprachtherapeu-
tischen Leistungen werden von Kindern zwischen dem sechsten und neunten
Lebensjahr beansprucht. Am häufigsten wird Sprachtherapie vor Abschluss der
Sprachentwicklung verordnet. Mithin entscheidet die Entwicklung der Sprach-
fähigkeit über die Bildungschancen von Kindern. Auch bei der Ergotherapie ist
ein Verordnungsgipfel bei Kindern im Grundschulalter zu verzeichnen.

Drucksache 17/598 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Diskrepanz bei den Verordnungen
der

a) Physiotherapie,

b) Ergotherapie,

c) Sprachtherapie

zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, und wie ge-
denkt sie dieser Diskrepanz entgegenzuwirken?

2. Sind der Bundesregierung morbiditätsbezogene Gründe bekannt, die erklä-
ren, warum die Heilmittelverordnungen um etwa das Zwei- bis Dreifache
zwischen den KVen mit den höchsten und den mit den niedrigsten Verordnun-
gen variieren?

Falls ja, welche sind das?

3. Welche anderen plausiblen Gründe rechtfertigen nach Ansicht der Bundesre-
gierung das unterschiedliche Verordnungsverhalten in den KVen?

4. a) Ist davon auszugehen, dass Richtgrößen das Verordnungsgeschehen maß-
geblich beeinflussen?

Falls ja, weshalb, und in welcher Form?

Falls nein, weshalb nicht?

b) Wie erklärt sich die Bundesregierung die so stark differierenden Richtgrö-
ßen?

c) Welche Richtgrößen erscheinen der Bundesregierung für die Physio-, die
Ergo- und die Sprachtherapie als notwendig und angemessen?

5. a) Sind der Bundesregierung KVen bekannt, die Vertragsärzte beim Umgang
mit den Budgetgrenzen beraten?

Falls ja, welche sind dies, und in welcher Form geht die Beratung vonstatten?

b) Sofern eine solche Beratung nicht erfolgt, weshalb nicht?

c) Werden geeignete Softwareprogramme eingesetzt, um einen besseren
Überblick über die Spielräume beim Heilmittelbudget zu haben?

Falls nein, weshalb nicht?

6. In welchen KVen sieht die Bundesregierung eine Unter- bzw. Überversorgung
in der

a) Physiotherapie,

b) Ergotherapie,

c) Sprachtherapie?

Welches Ausmaß erreicht dabei in den einzelnen KVen die Unter- bzw. Über-
versorgung in den jeweiligen Heilmittelbereichen?

7. a) Wie bewertet die Bundesregierung den regional sehr unterschiedlichen Zu-
gang von Kindern zu Sprach- und Ergotherapie?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/598

8. Gibt es, gab es oder plant das Bundesministerium für Gesundheit Aktivitäten,
damit Kinder mit einer funktionellen Sprachstörung einen besseren und ein-
heitlichen Zugang zu professionellen Leistungen der Sprachtherapie erhal-
ten?

Falls ja, welche sind dies?

Falls nein, weshalb nicht?

9. Mit welchen Maßnahmen trägt die Bundesregierung dazu bei, dass die Emp-
fehlung aus dem Bericht über die Lebenssituation junger Menschen „95 Pro-
zent aller Kinder sollen bei der Einschulung über adäquate Sprachkompe-
tenzen verfügen“ (Bundestagsdrucksache 16/12860, S. 262) für alle Regionen
im Bundesgebiet wirksam werden kann?

Berlin, den 29. Januar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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