BT-Drucksache 17/5951

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum G8-Gipfel am 26./27. Mai 2011 in Deauville

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5951
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Heike Hänsel, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Dorothee Menzner,
Niema Movassat, Richard Pitterle, Paul Schäfer (Köln), Sabine Stüber,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum G8-Gipfel am 26./27. Mai 2011 in Deauville

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. und 27. Mai 2011 treffen sich in Deauville die Regierungschefs der G8-
Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada,
Russland, USA). Auf den Gipfeltreffen der G8 sollen regelmäßig Verabredun-
gen von globaler Tragweite getroffen werden. Über die alljährlichen Gipfel-
treffen hinaus koordinieren die G8 die Politik der Mitgliedstaaten in wirtschaft-
lichen, sozialen und politischen Fragen. Die G8 haben ihr Themenspektrum
während der letzten Jahre stetig erweitert. Sie treffen Absprachen im Kampf ge-
gen den Terrorismus und zur Abwehr von Flüchtlingen, zum Klimaschutz, zur
Entwicklungs- und Schuldenproblematik und zu Energiefragen.

Parallel dazu wurden die G20-Gipfel einberufen, um die Folgen der weltweiten
Wirtschafts- und Finanzkrise zu bearbeiten. Die mächtigsten Staaten maßen
sich einmal mehr die Regelungskompetenz in Fragen des Weltwirtschafts- und
Weltfinanzsystems an. Zwar werden im Rahmen der G20 über die G8 hinaus
Schwellenländer hinzugezogen. Die Entwicklungsländer, die ebenfalls unter
der gegenwärtigen Krise leiden, bleiben aber nach wie vor von Verhandlungen
ausgeschlossen. Anstatt alle Betroffenen zu hören, wurden auf dem G20-Tref-
fen erneut die Mitverursacher der Krise, wie die multilateralen Organisationen
Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank, mit deren Lösung beauf-
tragt.

Die Bilanz ist verheerend: Weder eine generelle Regulierung der Finanzmärkte
noch das Verbot von besonders gefährlichen Finanzprodukten oder eine Ein-
dämmung der Spekulation wurden bisher umgesetzt. Der Schwerpunkt der
nationalen Antikrisenmaßnahmen lag darauf, den Fortbestand von privaten
Kreditinstituten zu sichern. Die Verursacher der Krise werden bis heute nicht an
den Kosten beteiligt, Steueroasen bleiben geöffnet, das Schattenbankensystem

von Hedgefonds über OTC-Derivate bis hin zu Leerverkäufen blüht weiterhin,
die Schaffung eines grenzüberschreitenden Finanzaufsichtssystems liegt in
weiter Ferne.

Bei der Bekämpfung der globalen Leistungsbilanzungleichgewichte kam es
nach Widerständen insbesondere aus Deutschland nur zu einem sanktionsfreien
Indikatorensystem, auf dessen Grundlage der IWF unverbindliche Handlungs-
empfehlungen aussprechen wird. Die nationalen Konjunkturprogramme oder

Drucksache 17/5951 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

-maßnahmen werden weiterhin nicht international koordiniert, stattdessen wur-
den einseitig im Rahmen von sogenannten Rettungsprogrammen des IWF in
Lateinamerika, Ost- und Südeuropa brutale Kürzungen von Sozialausgaben an
die Vergabe von Krediten geknüpft. Die Bundesregierung ist Vorreiterin bei der
schädlichen Sanierung von öffentlichen Haushalten durch Lohn- und Aus-
gabenkürzungen zu Lasten der sozial Benachteiligten.

Die Klima- und Umweltkrise bleibt auf der globalen Ebene unbearbeitet. Die
Klimakonferenz der Vereinten Nationen von Cancún konnte sich im letzten Jahr
weder auf konkrete Minderungsziele einigen noch klare Anpassungsmechanis-
men für den Süden verabschieden. Der russische Präsident Dmitri Medwedew
hat für den G8-Gipfel eine Initiative für eine neue internationale Konvention zur
atomaren Sicherheit angekündigt. Mit der Forderung nach neuen Auflagen für
den Bau und Betrieb von Atomanlagen soll eine Sicherheit suggeriert werden,
die es jedoch nur geben kann, wenn die Reaktoren stillgelegt und zurückgebaut
werden und keine neuen errichtet werden.

Die G8 betonen auch im Vorfeld des diesjährigen Gipfeltreffens ihre sogenannte
Partnerschaft mit Afrika. Jedoch verfehlen die G8-Staaten deutlich die Ein-
lösung ihrer auf vergangenen Gipfeln gegebenen Versprechen an die Länder
Afrikas südlich der Sahara (Subsahara-Afrika – SSA). Insbesondere die deutsche
Bilanz schlägt dabei negativ zu Buche: Die deutsche öffentliche Entwicklungs-
zusammenarbeit (ODA) an die SSA-Länder blieb im vergangenen Jahr gegen-
über dem in Gleneagles 2005 gegebenen Versprechen um rund 3,3 Mrd. US-
Dollar zurück.

Durch Nahrungsmittelspekulation ausgelöste Preisschwankungen und die pha-
senweise extreme Verteuerung der Nahrungsmittel gefährden die Ernährungs-
sicherheit in den ärmsten Staaten des Südens. Handelsliberalisierung, von den
Industriestaaten im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) und in bi-
regionalen Abkommen durchgesetzt, führt in den Entwicklungsländern zur
Verdrängung lokaler Produzenten von ihren Märkten und untergräbt Entwick-
lungschancen und die Ernährungssouveränität. Dazu kommt, dass die Industrie-
staaten durch ihre Biokraftstoffquoten eine zunehmende Flächenkonkurrenz in
den Ländern des Südens auslösen, in der vielfach die Produktion von Nahrung
verdrängt wird. Sogenanntes Landgrabbing – auch durch Investoren aus G8-
Ländern – ist unter anderem eine Konsequenz dieser Politik.

Die G8-Länder verknüpfen zunehmend ihre Entwicklungszusammenarbeit mit
eigenen wirtschaftlichen Interessen. Gegenüber den Ländern im Süden sollen
strukturpolitische Maßnahmen durchgesetzt werden, etwa der Abbau von
Exportbeschränkungen, verstärkter Investitions- und Patentschutz oder die
Liberalisierung öffentlicher Beschaffungsmärkte, die den Unternehmen aus den
Industriestaaten Investitionsfelder und den Zugang zu Rohstoffen eröffnen
sollen, den Regierungen im Süden jedoch entwicklungspolitische Spielräume
verschließen. Die Verarmungs- und Verelendungsspirale wird so weiter fort-
getrieben und verstärkt strukturelle Ursachen für spezifische Krankheiten sowie
armutsbedingte Probleme bei deren Vorbeugung und Bekämpfung.

Weder die G8 noch die G20 haben also die notwendigen Maßnahmen zur
Bekämpfung der Finanz-, Wirtschafts- und Energiekrise auf den Weg gebracht.
Vergrößert wurde durch die Institutionen nur das demokratische Defizit.
Grundlegende politische und ökonomische Entscheidungen werden auf die
Ebene von Absprachen zwischen Regierungen verlagert, ohne Kontrolle und
Gestaltungsmöglichkeit der nationalen Parlamente und unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Die demokratisch gewählten Parlamente werden partiell ent-
machtet. Für die Tragweite der Themen, über die die G8- und G20-Gipfel ent-
scheiden, fehlt ihnen jegliche Legitimität.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5951

Die G8 repräsentieren damit in ihrer 30-jährigen Geschichte ein großes Hinder-
nis für eine gerechte Weltwirtschaft und die Verwirklichung sozialer Rechte.
Sie verfolgen die Interessen der großen Industriekonzerne und Akteure des
Finanzsektors. Dies zeigt sich in der aktuellen Krisenbewältigung, den uner-
füllten Versprechungen für eine Regulierung der Finanzmärkte, der unzurei-
chenden Umsetzung von Klimaschutzzielen und von Zielen zur Ausweitung
der Entwicklungshilfe bzw. der Entschuldung von Ländern des Südens.

Die Mehrheit der G8-Staaten führt derzeit im Rahmen der NATO Krieg gegen
Libyen. Dieser Krieg hat das Leid der Menschen in Libyen nach der Nieder-
schlagung demokratischer Proteste und der Entfesselung eines Bürgerkriegs
noch weiter gesteigert. Die kriegführenden NATO-Staaten maßen sich an, einen
Regimewechsel in Libyen herbeibomben zu wollen. Frankreich, das als Gast-
geber des G8-Gipfels die Partnerschaft der G8 mit Afrika besonders hervorhebt,
spielte nicht nur bei der Aggression gegen Libyen eine treibende Rolle, sondern
intervenierte in diesem Jahr auch völkerrechtswidrig militärisch in Côte
d’Ivoire. Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen G8 und Afrika-
nischer Union, etwa im Rahmen der Afrikanischen Friedens- und Sicherheits-
architektur, kann kein Beitrag zu Frieden und Entwicklung in Afrika sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen,

1. die Entscheidungsprozesse zur Neugestaltung des globalen Wirtschafts- und
Finanzsystems zu demokratisieren, indem

● die G8-Treffen abgesagt werden und bei allen zukünftigen G20-Konfe-
renzen zunächst die gleichberechtigte Teilhabe von Vertretern der Ent-
wicklungsländer gesichert wird. Die Organisation muss unverzüglich den
Vereinten Nationen (VN) übergeben werden;

● der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) die
Rolle eines Koordinators der internationalen Wirtschaftspolitik über-
nimmt und ein dauerhaftes Expertengremium einrichtet, das wissen-
schaftlichen Sachverstand in Bezug auf Finanzkrisen, Klimawandel und
Nahrungsmittelknappheit bündelt. Die Internationale Arbeitsorganisation
(ILO), die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwick-
lung (UNCTAD) und die Umwelt- und Menschenrechtsrechtsorganisa-
tionen der VN sollen gestärkt werden. IWF, Weltbank und WTO sollen
den VN-Strukturen untergeordnet und demokratisiert werden. Darüber
hinaus unterstützt der Deutsche Bundestag die Forderung, einen globalen
Wirtschaftsrat bei den VN, eine globale Steuerbehörde und eine globale
Prüfbehörde für Finanzprodukte einzurichten;

2. die Finanzmärkte effektiv unter demokratische Kontrolle zu stellen, indem

● Wechselkurse durch die Schaffung von Zielzonen zwischen den großen
Weltwährungen stabilisiert, regionale Währungsabkommen unterstützt
werden und die Leitwährungsrolle des US-Dollar durch einen supranatio-
nalen Währungskorb analog zu den Sonderziehungsrechten des IWF ab-
gelöst wird;

● eine funktionsfähige, weltweite Finanzmarktaufsicht unter dem Dach der
VN geschaffen wird: Zu ihren Aufgaben gehört zuerst die Beobachtung
systemischer Risiken und der Finanzmarktakteure. Darüber hinaus ent-
scheidet sie über das weltweite Verbot von spekulativen Finanzinstru-
menten;

● wirksame Maßnahmen gegen spekulative Geschäfte getroffen werden, so
dass Geschäfte mit hohem Kredithebel, Credit Default Swaps ebenso wie

Hedgefonds verboten und Spekulationen auf Währungen, Nahrungsmittel
und Rohstoffe beendet werden;

Drucksache 17/5951 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● eine Vereinbarung für die weltweite Einrichtung von öffentlichen Rating-
Agenturen zu treffen ist;

● eine Transaktionssteuer auf den Handel mit Wertpapieren und Devisen
zur Entschleunigung der Finanzmärkte und zur Finanzierung von Ent-
wicklungshilfe und Umweltschutz sowie Kapitalverkehrskontrollen ein-
geführt wird;

● die Schließung von Steueroasen befördert und global verbindliche
Schritte zur angemessenen Beteiligung von Banken und transnationalen
Konzernen an den Kosten der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise
beschlossen werden;

3. eine Wende zur nachhaltigen Regulierung der Weltwirtschaft einzuleiten,
indem

● die nationalen Konjunktur- und Subventionsmaßnahmen international
koordiniert werden, um einen Subventionswettlauf der Industrieländer zu
Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und der schwachen Volks-
wirtschaften vor allem im globalen Süden zu verhindern;

● das Problem der globalen Ungleichgewichte entschärft wird. Ungleichge-
wichte können durch die Schaffung eines Ausgleichsmechanismus nach
dem Vorbild der von John Maynard Keynes in Bretton Woods ursprüng-
lich vorgeschlagenen „International Clearing Union“ behoben werden;

● eine Abkehr von der Orientierung an Exportmärkten und stattdessen eine
Wende zur Regionalisierung und Binnenmarktorientierung eingeleitet
wird, verbunden mit regionalen Abkommen zur Förderung von sozialen
und ökologischen Standards. In diesem Sinne sind auch Maßnahmen zur
Herstellung volkswirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltiger Pro-
duktion und von Ernährungssicherheit und -souveränität zu treffen;

● der Vorrang von Umwelt- und Menschenrechtsabkommen sowie der
ILO-Abkommen vor WTO-Verpflichtungen und Wirtschaftsabkommen,
die sich an den WTO-Prinzipien orientieren (z. B. die Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staa-
ten) sicherzustellen ist. Die Doha-Verhandlungsrunde der WTO muss
endgültig für gescheitert erklärt und aufgelöst werden;

● eine Kontrolle der transnationalen Konzerne hinsichtlich ihrer Verpflich-
tung auf soziale und ökologische Standards und der Ausweitung von Mit-
bestimmungs- und Beteiligungsrechten in Angriff genommen, ein sofor-
tiger Stopp von Privatisierungen eingeleitet und ein Investitionsabkom-
men angegangen wird, mit dem Investitionen nachhaltig reguliert wer-
den;

4. die selbstbestimmte soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Süden, die
Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten, die Herstellung von Er-
nährungssouveränität sowie den Schutz der natürlichen Ressourcen in den
Mittelpunkt der internationalen Zusammenarbeit zu stellen, indem

● ein verbindlicher Plan zur Anhebung der öffentlichen Entwicklungszu-
sammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bis 2015
vorgelegt wird;

● die Bekämpfung struktureller sozioökonomischer Ursachen von Gesund-
heitsproblemen in Entwicklungsländern in den Fokus von Entwicklungs-,
Handels- und Außenpolitik gestellt wird;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5951

● davon abgesehen wird, die Entwicklungszusammenarbeit und die Gewäh-
rung von Handelspräferenzen mit der Durchsetzung handels- und inves-
titionspolitischer Forderungen an Entwicklungs- und Schwellenländer zu
verknüpfen;

● auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Maßnahmen er-
griffen werden, damit Spekulation mit Agrarrohstoffen unterbunden und
der Agrarrohstoffbereich im Interesse der Ernährungssicherheit im Rah-
men der VN, z. B. der UNCTAD, koordiniert und überwacht wird;

● die Initiativen einiger südamerikanischer Regierungen gegen die groß-
flächige Landnahme durch ausländische Investoren politisch unterstützt
werden und im Rahmen der EU-Handels- und Investitionspolitik Land-
kauf und -pacht durch EU-Unternehmen in Ländern des Südens begrenzt
und an strenge menschenrechtliche Konditionen geknüpft wird;

● zivile Konfliktprävention und zivile Krisenbearbeitung in Afrika stärker
unterstützt werden, neokolonialem Hegemoniestreben von G8-Staaten in
Afrika und einer weiteren Militarisierung der Zusammenarbeit mit Afrika
entgegengetreten wird;

● die Bundesregierung sich für die sofortige Beendigung der Bombardie-
rung Libyens durch die NATO einsetzt und Initiativen afrikanischer und
lateinamerikanischer Staaten für eine Verhandlungslösung für die Kon-
flikte in Libyen unterstützt;

5. sich gerade vor dem Hintergrund der Katastrophe in Fukushima internatio-
nal für einen Ausstieg aus der Atomenergienutzung und eine beschleunigte
Energiewende hin zu erneuerbaren Energien einzusetzen. Der Neubau von
Atomkraftwerken darf weder durch Entwicklungskredite noch durch staat-
liche Bürgschaften unterstützt werden.

Berlin, den 25. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.