BT-Drucksache 17/5811

Auswirkungen des Genehmigungsvorbehalts für Wohnungsauszüge bei jungen Volljährigen

Vom 12. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5811
17. Wahlperiode 12. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Nicole Gohlke, Katja Kipping, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen des Genehmigungsvorbehalts für Wohnungsauszüge bei jungen
Volljährigen

Das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze (1. SGB-II-Änderungsgesetz) vom 24. März 2006 hat für erwerbslose
junge Menschen, die volljährig und noch nicht 25 Jahre alt sind, durch ein fak-
tisches Auszugsverbot und die erweiterte Unterhaltsverpflichtung der mit ihnen
in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern(teile) die Lebensbedingungen erheb-
lich und zumeist zusätzlich belastet. Die Möglichkeit eines Auszuges wird durch
§ 22 Absatz 2a SGB II stark eingeschränkt. Die möglichen Auswirkungen der
„Verhaftung junger Volljähriger in der familiären Bedarfsgemeinschaft“ (Peter
Schruth: Zur Rechtsqualität des § 22 Absatz 2a SGB II für junge Volljährige mit
Verselbständigungsbedarf, Berlin 2008, S. 14) sind gravierend. Verschärfende
familiendynamische Konflikte, Existenzgefährdungen durch Wohnungs- oder
Obdachlosigkeit oder Schul- und Ausbildungsabbrüche infolge familiärer Kon-
flikte. Statt den Jugendlichen mehr Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Le-
ben zu ermöglichen und damit ihren Weg in die Eigenständigkeit zu fördern,
werden sie durch diese Bestimmung im elterlichen Haushalt „verhaftet“. Auf
dem Weg ins Erwachsenensein zu leistenden Entwicklungsaufgaben werden ge-
setzlich enorm erschwert. Das ist ein nicht hinnehmbarer massiver Eingriff in
das Leben von Jugendlichen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Gründe haben die Bundesregierung 2006 veranlasst, einen Genehmi-
gungsvorbehalt für Wohnungsauszüge in § 22 Absatz 2a SGB II zu veran-
kern?

2. Durch welche Studien, Sachverhalte und Kenntnisse waren die Gründe der
Bundesregierung empirisch belegt?

3. In welche Grundrechte der betroffenen Leistungsberechtigten greift die Bun-
desregierung durch das faktische Auszugsverbot für junge Erwachsene ein,
und wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Eingriffe?
4. Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtfertigung der Eingriffe in die
Grundrechte der Leistungsberechtigten im Lichte der bisherigen praktischen
Erfahrungen?

5. Plant die Bundesregierung eine Veränderung dieser gesetzlichen Regelung?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/5811 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. Wie viele Anträge auf die Genehmigung von Erstauszügen aus der elterli-
chen Wohnung wurden seit Inkrafttreten des SGB-II-Änderungsgesetzes
pro Jahr gestellt (bitte nach Bundesländern, Geschlecht und Migrationshin-
tergrund aufgeschlüsselt)?

7. Wie hoch ist der relative Anteil der bewilligten Anträge auf einen Erstaus-
zug?

Wie hoch ist die absolute Zahl der bewilligten Anträge (bitte nach Bundes-
ländern, Geschlecht und Migrationshintergrund aufgeschlüsselt)?

8. Gibt es Veränderungen im zeitlichen Verlauf in der Anzahl der gestellten
und der genehmigten Anträge?

9. Wie viele Anträge auf einen Umzug nach dem Erstauszug wurden gestellt
(bitte nach Bundesländern, Geschlecht und Migrationshintergrund aufge-
schlüsselt)?

10. Wie hoch ist der relative und absolute Anteil der bewilligten Umzugsan-
träge?

Gibt es Veränderungen im zeitlichen Verlauf in der Anzahl der gestellten
und auch der genehmigten Anträge?

11. Wie viel Zeit nimmt die Bearbeitung eines entsprechenden Antrags durch-
schnittlich in Anspruch?

12. Wer sind die Antragsteller/-innen (bitte aufgeschlüsselt nach Alter, Ge-
schlecht, Migrationshintergrund, Bundesländern, Stadt-Land)?

13. Wie viele Jugendliche hatten einen Auszug aus der elterlichen Wohnung
aufgrund des Tatbestandes

a) „schwerwiegender sozialer Grund“,

b) „zur Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt erforderlich“ und

c) „sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund“ beantragt?

14. Welche konkreten Sachverhalte sind nach Auffassung der Bundesregierung
jeweils gemeint mit

a) „schwerwiegender sozialer Grund“,

b) „zur Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt erforderlich“ und

c) „sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund“?

15. Wie vielen der Anträge wurden aufgrund der aufgelisteten einzelnen und
kombinierten Gründe jeweils stattgegeben?

Um welche Kombinationen handelte es sich gegebenenfalls?

16. In wie vielen Fällen und mit welcher Begründung wurde bei Ablehnung
eines Auszugs aus der elterlichen Wohnung gesetzlicher Widerspruch ein-
gelegt?

17. Wie oft wurde einem gesetzlichen Widerspruch gegen die Ablehnung eines
Auszugs aus der elterlichen Wohnung stattgegeben (bitte in absoluten und
relativen Zahlen)?

18. In wie vielen Fällen sind junge Erwachsene ohne vorherige Zusicherung der
Kostenübernahme durch den zuständigen Grundsicherungsträger aus der
elterlichen Wohnung ausgezogen, und in wie vielen Fällen ist die Kosten-
übernahme trotzdem bzw. nicht erfolgt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5811

19. Wie bewertet die Bundesregierung Aussagen, z. B. der Bundesarbeits-
gemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., wonach die restriktiven Auszugs-
regelungen im SGB II zu einer erhöhten Wohnungslosigkeit von Menschen
unter 25 Jahren beiträgt?

20. Für den Fall, dass die Bundesregierung keine Daten zur Beantwortung der
zuvor gestellten Fragen hat, inwieweit empfindet die Bundesregierung die
unzureichenden Informationen als Mangel, den es auf welche Art und Weise
zu korrigieren gilt, und welche andere Instanz verfügt nach Ansicht der
Bundesregierung über die entsprechenden und ausreichenden Informa-
tionen?

21. Welche öffentlichen und nichtöffentlichen Anlaufstellen gibt es für Jugend-
liche, die aus dem elterlichen Haushalt ausziehen möchten und Bedarf nach
unabhängiger Beratung haben?

22. Wie viele und welche Anlaufstellen gibt es (bitte nach Bundesländern auf-
schlüsseln)?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorschriften im Hinblick darauf,
dass junge Menschen wichtige Entwicklungsaufgaben während des Über-
gangs vom Kindes- zum Erwachsenenstatus bewerkstelligen müssen, zu de-
nen auch die Ablösung vom Elternhaus gehört?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorschriften im Hinblick darauf,
dass das Auszugsverbot familiäre Konflikte zwischen Eltern und Jugend-
lichen administrativ befördert, da ein Auszug erschwert wird?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Ungleichbehandlung, die sich daraus
ergibt, dass Jugendliche im Recht des SGB III/Bundesausbildungsförde-
rungsgesetz das Elternhaus verlassen dürfen, während das SGB II den Ver-
bleib im Elternhaus als Regelfall ansieht?

Berlin, den 12. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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