BT-Drucksache 17/5640

Situation, Zielsetzungen und Indikatoren der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Europa und Deutschland

Vom 20. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5640
17. Wahlperiode 20. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Heidrun
Dittrich, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne Ploetz, Ingrid
Remmers, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Situation, Zielsetzungen und Indikatoren der Bekämpfung von Armut und sozialer
Ausgrenzung in Europa und Deutschland

Die Europäische Union hat multidimensionale Indikatoren zur Beschreibung so-
zialer Exklusion entwickelt, die so genannten Laeken-Indikatoren. Der Euro-
päische Rat nahm auf seiner Tagung in Laeken im Dezember 2001 ein erstes
Paket von 18 gemeinsamen statistischen Indikatoren für soziale Eingliederung
an, welche es erlauben, die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Verwirk-
lichung der gemeinsamen Ziele der Europäischen Union auf vergleichbare Weise
zu überwachen. Bei diesen Indikatoren handelt es sich um ein einheitliches
Ganzes, das die sozialen Belange der Europäischen Union in ausgewogener
Weise abdecken soll. Sie umfassen wichtige Aspekte der sozialen Eingliederung
(finanzielle Armut, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung). Damit wird die
Mehrdimensionalität des Phänomens Armut und soziale Ausgrenzung verdeut-
licht. Als Indikatoren wurden z. B. die Armutsgefährdungsquote (60 Prozent des
nationalen mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommens), Ungleichheit der
Einkommensverteilung, relative Armutsrisikolücke, Langzeitarbeitslosigkeit und
Bevölkerung in erwerbslosen Haushalten festgelegt. Das erste Paket von 18 Indi-
katoren wurden in der Folge erweitert, so z. B. um die Erfassung der
Armutsgefährdungsquote in Verbindung mit der Erwerbsintensität und dem
Wohnbesitzstatus, die Erfassung der Armutsrisikoschwelle und der Einkom-
mensarmut in Arbeit (vgl. Ian Dennis/Anne-Catherine Guio: Armut und soziale
Ausgrenzung in der EU nach Laeken Teil 1, 2003; Heinz-Herbert Noll: Indika-
toren und das ,Europäische Sozialmodell‘: Zur Entwicklung eines ,European
System of Social Indicators‘, 2005; Peter Krause/Daniel Ritz: EU-Indikatoren
zur sozialen Inklusion in Deutschland, 2006).

Der Europäische Rat in Barcelona (März 2002) betonte, „dass die Bekämpfung
von Armut und sozialer Ausgrenzung von großer Bedeutung ist.“ Er ersuchte die
Mitgliedstaaten, „in ihren nationalen Aktionsplänen Ziele festzulegen, um die
Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen bis 2010
erheblich zu senken.“ Die Europäische Kommission hat im März 2010 die Stra-
tegie „EUROPA 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integra-
tives Wachstum“ vorgestellt und dabei folgendes in 2020 zu erreichendes Ziel

definiert: „Die Zahl der Europäer, die unter den nationalen Armutsgrenzen le-
ben, sollte um 25 % gesenkt werden, was 20 Millionen Menschen aus der Armut
befreien würde“. Dabei ist die „nationale Armutsgrenze […] definiert als
60 Prozent des nationalen verfügbaren medianen Äquivalenzeinkommens in
jedem Mitgliedstaat.“ (Mitteilung der Kommission: EUROPA 2020: Eine Stra-
tegie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, Brüssel, 3. März
2010, S. 13).

Drucksache 17/5640 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs wurde die von der EU-
Kommission vorgelegte Strategie „EUROPA 2020“ gebilligt. Allerdings wurde
nunmehr bezüglich der Armutsbekämpfung folgendes Kernziel festgelegt: „För-
derung der sozialen Eingliederung, insbesondere durch die Verringerung der
Armut, mit dem Ziel, mindestens 20 Millionen Menschen aus der Gefahr von
Armut und Ausgrenzung zu befreien.“ Wobei nun für die Armutspopulation gilt:
„Diese Population ist definiert als die Zahl der Personen, die der Gefahr von
Armut und Ausgrenzung nach drei definierten Indikatoren (von Armut; mate-
rielle Entbehrung; Erwerbslosenhaushalt) ausgesetzt sind. Es steht den Mit-
gliedstaaten frei, ihre nationalen Ziele auf der Grundlage der am besten geeig-
neten Indikatoren, unter Berücksichtigung ihrer nationalen Gegebenheiten und
Prioritäten, zu bestimmen.“ (European Council: Conclusions, Brussels,17 June
2010, page 12). In einer Veröffentlichung der Bundesregierung heißt es dagegen
zum Beschluss des EU-Rates vom 17. Juni 2010 hinsichtlich der Indikatoren zur
Beurteilung der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung: „Die Zahl
der Menschen, die unter der nationalen Armutsgrenze leben, soll um 20 Millio-
nen sinken.“ (Bundesregierung: Magazin zur Europapolitik 7/2010). Auf eine
Schriftliche Frage zu den Armutsindikatoren der EU-2020-Strategie antwortete
am 26. Mai 2010 Staatssekretär Andreas Storm beim Bundesministerium für
Arbeit und Soziales (Bundestagsdrucksache 17/1879), dass die Armutsrisiko-
quote als alleinige Zielgröße zur Messung von Fortschritten auf dem Gebiet der
Bekämpfung der Armut ungeeignet sei, sich die Bundesregierung auf die Be-
kämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit als wesentliche Ursache von Armut kon-
zentrieren will und sich auf EU-Ebene daher für einen solchen weiteren Indika-
tor einsetzen will. Allerdings betonte der Staatssekretär, dass diese Diskussion
um die Zielgrößen im Rahmen der EU-2020-Strategie „keine Auswirkung auf
die Verwendung der Armutsrisikoquote als Indikator im nationalen und inter-
nationalen Zusammenhang“ hat. „Relative Einkommensarmut wird neben einer
Reihe anderer Indikatoren weiterhin für die Messung und Feststellung von Ar-
mut und sozialer Ausgrenzung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht
verwendet und im internationalen Vergleich betrachtet.“

In der Europäischen Union wird als ein Indikator für eine erfolgreiche Bekämp-
fung von Armut und Ausgrenzung dasjenige Einkommen gewertet, das über der
jeweiligen nationalen Armutsrisikogrenze liegt (relative Einkommensarmut).
Festgestellt wird, dass Erwerbstätigkeit keineswegs eine Garantie ist, Armut zu
überwinden. (vgl. The social protection committee: Growth, jobs and social pro-
gress in the EU. A contribution to the evaluation of the social dimension of the
Lisbon Strategy, Brüssel 2009, S. 5)

Am 9. Oktober 2008 wurde im Europäischen Parlament mit großer Mehrheit
(mit 540 Stimmen gegen 57 Ablehnungen und 32 Enthaltungen) der „Bericht
über die Förderung der sozialen Integration und die Bekämpfung der Armut,
einschließlich der Kinderarmut, in der (EU 2008/2034 INI)“ von Gabriele Zim-
mer, Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke
(GUE/NGL), DIE LINKE., angenommen. (vgl. www.europarl.europa.eu/oeil/
FindByProcnum.do?lang=en&procnum=INI/2008/2034). Die deutschen Euro-
paabgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE., der SPD und
ein großer Teil der Europaabgeordneten der CDU und CSU haben diesem Be-
richt ebenfalls zugestimmt.

Festgestellt wird in diesem mit großer Mehrheit angenommenen Bericht, „dass
die Sozialhilfeniveaus in den meisten Mitgliedstaaten bereits unterhalb der Ar-
mutsschwelle liegen“. Der Europäische Rat wird daher vom Europäischen Par-
lament aufgefordert, „eine EU-Vorgabe für Mindesteinkommenssysteme und
beitragspflichtige Einkommenssysteme […] zu vereinbaren, die eine Einkom-
mensstützung in Höhe von mindestens 60 % des nationalen Medianäquivalenz-

einkommens leisten sollen“. (Europäisches Parlament 2008: Nummer 12).
Weiterhin wird in Nummer 7 des Berichts die EU-Kommission durch das Euro-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5640

päische Parlament aufgefordert, „die armutsbekämpfende Wirkung des bedin-
gungslosen Grundeinkommens für alle zu prüfen“ (ebenda). Mit diesem Bericht
wird der Europäische Rat ebenfalls aufgefordert, „eine EU-Vorgabe für Min-
destlöhne […], die eine Vergütung von mindestens 60 % des maßgeblichen
(nationalen, branchenspezifischen usw.) Durchschnittslohns gewährleistet, […]
zu vereinbaren“ (ebenda, Nummer 15).

Auch wird mit dem im Europäischen Parlament beschlossenen Bericht der EU-
Kommission vorgeschlagen, „eine gemeinsame Methode für die Berechnung
des Existenzminimums und der Lebenshaltungskosten (Korb von Waren und
Dienstleistungen) einzuführen, um vergleichbare Messgrößen für das Armutsni-
veau zu gewährleisten, und ein Kriterium für das unabdingbare sozialpolitische
Eingreifen festzulegen“ (ebenda, Nummer 9). Hier wird die ermittelte Armuts-
risikogrenze nicht allein als ausreichende Möglichkeit angesehen, um den Er-
folg einer Armuts- und Ausgrenzungsbekämpfung zu messen bzw. die Höhe des
Existenz- und Teilhabeminimums zu bestimmen.

Am 20. Oktober 2010 wurde im Europäischen Parlament dem „Bericht über die
Bedeutung des Mindesteinkommens für die Bekämpfung der Armut und die
Förderung einer integrativen Gesellschaft in Europa (2010/2039 INI)“ von Ilda
Figueiredo, Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne
Linke (GUE/NGL), Kommunistische Partei Portugals, mit einer großen Mehr-
heit von 437 Ja- zu 162 Nein-Stimmen als Entschließung des Europäischen Par-
laments zugestimmt (vgl. www.europarl.europa.eu/oeil/file.jsp?id=5845352).
Darin wird die EU-Kommission aufgefordert, mit einer Initiative die Mitglied-
staaten der EU darin zu unterstützen, armutsbekämpfende und teilhabesichernde
Mindesteinkommen einzuführen, wobei sowohl bewährte Verfahren zu berück-
sichtigen sind als auch „verschiedene Modelle des angemessenen Armut verhin-
dernden Mindest- bzw. Grundeinkommens als Maßnahme zur Armutspräven-
tion und zur Sicherung der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit für
alle Bürger“ (Nummer 34). Weiterhin werden die EU-Kommission und die EU-
Mitgliedstaaten aufgefordert „zu prüfen, wie verschiedene Modelle bedingungs-
loser und der Armut vorbeugender Grundeinkommen für alle zur gesellschaft-
lichen, kulturellen und politischen Eingliederung beitragen könnten, wobei ins-
besondere zu berücksichtigen ist, dass sie nicht stigmatisierend wirken und ge-
eignet sind, Fälle von verschleierter Armut zu vermeiden“ (Nummer 44). Es
wird dabei auch auf das große Ausmaß verdeckter Armut aufmerksam gemacht
(Nummer 37).

Ein klarer Bezug darauf, dass Mindesteinkommen als individuell garantierte
Leistung zu gestalten sind, findet sich in den Erwägungsgründen J und X des Be-
richts Ilda Figueiredo. Zudem wird die Bedeutung gesellschaftlicher Teilhabe
als Menschenrecht herausgehoben (vgl. dritter und vierter Anstrich zu Beginn
des beschlossenen Berichts) und die damit verbundene Notwendigkeit eines an-
gemessenen Einkommens sowie des Zugangs zu öffentlichen, qualitativ hoch-
wertigen Infrastrukturen und Dienstleistungen betont (Erwägungsgrund O). In
Nummer 35 wird ausdrücklich dargelegt, „dass ein angemessenes Mindestein-
kommen unverzichtbarer Bestandteil für ein würdevolles Leben der Menschen
ist und dass angemessene Mindesteinkommen und gesellschaftliche Teilhabe
Voraussetzung dafür sind, dass Menschen ihr Potenzial voll entfalten und alle an
der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft mitwirken können“. Die zur
Finanzierung solcher Systeme notwendige finanzielle Umverteilung würde, so
Erwägungsgrund Z und Nummer 28, zur Bekämpfung sozialer Ungleichheiten
und zur Gewährleistung von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit beitragen.

Auf die Frage, was angemessene, im Sinne von armutsbekämpfende Min-
desteinkommen sind, wird – wie im Beschluss des Europäischen Parlaments

vom 9. Oktober 2008, auf die Armutsgrenze von 60 Prozent des Mediannetto-
einkommens des jeweiligen Mitgliedstaats verwiesen. Das Europäische Parla-

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ment „vertritt die Auffassung, dass ein angemessenes Mindesteinkommen bei
mindestens 60 % des Medianeinkommens des jeweiligen Mitgliedstaats liegen
muss“ (Nummer 15).

In Nummer 29 fordert das Europäische Parlament „den Rat und die Mitglied-
staaten auf, das in der Strategie Europa 2020 verkündete Ziel, bei der Bekämp-
fung der Armut an dem vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Laeken im
Dezember 2001 gebilligten Indikator der relativen Armut (60 % des Median-
einkommens der Haushalte) anzusetzen, weil dieser Indikator die Realität der
Armut in den Zusammenhang des jeweiligen Mitgliedstaats setzt, da er ein Ver-
ständnis von Armut als relativem Zustand widerspiegelt“. Das Europäische Par-
lament kritisiert im Beschluss vom 20. Oktober 2010, wie im Beschluss vom
9. Oktober 2008, „die Mitgliedstaaten, in denen die Mindesteinkommenssys-
teme nicht an die relative Armutsgrenze heranreichen; bekräftigt seine Forde-
rung an die Mitgliedstaaten, dieser Lage möglichst rasch abzuhelfen; fordert die
Kommission dazu auf, in der Beurteilung der nationalen Aktionspläne bewährte
und auch schlechte Praktiken anzusprechen“ (Nummer 40). Außerdem wird
vom Europäischen Parlament ausdrücklich die Prüfung einer Gesetzesinitiative
für eine unionsweite Festsetzung von Mindestlöhnen gefordert (Nummer 21).

Der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales, Hans-Joachim Fuchtel, betonte in der Aussprache des Ausschusses für
Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 13. April 2011 zur Ent-
schließung des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2010 zum Min-
desteinkommen entgegen den beiden Beschlüssen vom 9. Oktober 2008 und
vom 20. Oktober 2010, denen auch ein großer Teil der Fraktion der Europäi-
schen Volkspartei (Christdemokraten) und der ihr zugehörigen Abgeordneten
der CDU und CSU zugestimmt haben, dass die Bundesregierung die Armuts-
risikogrenze als Zielvorgabe für die Ausgestaltung von Mindesteinkommen ab-
lehnt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Länder der Europäischen Union verfolgten vor dem Europäischen
Rat am 17. Juni 2010 mit welcher Begründung die Ausweitung der Indikato-
ren für die Beurteilung der Erreichung des Europa-2020-Ziels der Reduktion
von Armut und sozialer Ausgrenzung über die Armutsrisikoquote hinaus?

2. Welche Positionen bezogen dabei mit welcher Begründung die Vertreter der
Bundesrepublik Deutschland?

3. Wurde in diesen Diskussionen von den betreffenden Ländern, auch von
Deutschland, beachtet, dass mit den Laeken-Indikatoren bereits ein Set von
Indikatoren vorliegt, das die Multidimensionalität von Armut und sozialer
Ausgrenzung umfänglich berücksichtigt?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass komplementär zur Ar-
mutsrisikogrenze auch ein Warenkorb zur Bestimmung des Existenz- und
Teilhabeminimums und der Messung des Erfolgs der Armuts- und Ausgren-
zungsbekämpfung möglich sei?

5. Warum wurden die Laeken-Indikatoren nicht als Indikatoren für die Beurtei-
lung der Erreichung des Europa-2020-Ziels bezüglich der Reduktion der An-
zahl der Menschen, die in Armut und sozialer Ausgrenzung leben müssen, für
alle Mitgliedstaaten der EU verbindlich vorgeschrieben?

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6. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass wenn die Laeken-In-
dikatoren zur verbindlichen Grundlage der Bewertung der Erreichung der
Europa-2020-Ziele erklärt worden wären, auch der von Deutschland favori-
sierte Indikator „Anzahl der Erwerbslosenhaushalte“ automatisch, aber in
Verbindung mit weiteren Indikatoren, als Bewertungsmaßstab gegolten
hätte?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass eine Steigerung der
Anzahl der Erwerbstätigenhaushalte, damit eine Senkung der Anzahl der
Erwerbslosenhaushalte, nur sehr begrenzt über die Bekämpfung der Armut
und sozialen Ausgrenzung informiert, weil mit diesem Indikator nichts über
die konkrete Einkommens- und Deprivationssituation (Armutsrisiko, mate-
rielle Entbehrung) der jeweiligen Haushalte und Personen ausgesagt wird?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die o. g. Aussage des Evaluierungsbe-
richts zur Lissabon-Strategie des Wirtschafts- und Sozialausschusses der
EU, dass Erwerbstätigkeit keine Garantie gegen Armut ist?

9. Wie viele Personen in Europa und in Deutschland leben in relativer Einkom-
mensarmut gemäß europäischer Definition (bitte absolute und prozentuale
Angaben der letzt verfügbaren Ermittlungen)?

10. Wie viele Personen in Europa und in Deutschland leben in Erwerbslosen-
haushalten ohne relative Einkommensarmut und auch ohne materielle Ent-
behrungen (bitte absolute und prozentuale Angaben der letzt verfügbaren
Ermittlungen)?

11. Wie viele Personen in Europa und in Deutschland leben unter materiellen
Entbehrungen ohne relative Einkommensarmut und auch nicht in Erwerbs-
losenhaushalten (bitte absolute und prozentuale Angaben der letzt verfügba-
ren Ermittlungen)?

12. Wie viele Haushalte bzw. Personen in Europa und in Deutschland leben in Er-
werbstätigenhaushalten und zugleich in relativer Einkommensarmut gemäß
europäischer Definition, und wie viele Haushalte bzw. Personen in Europa
und in Deutschland leben in Erwerbstätigenhaushalte und sind zugleich von
materieller Entbehrung (Deprivation) betroffen (bitte absolute und prozen-
tuale Angaben der letzt verfügbaren Ermittlungen)?

13. Wie viele Haushalte bzw. Personen in Europa und in Deutschland leben in
Erwerbslosenhaushalten und zugleich in relativer Einkommensarmut ge-
mäß europäischer Definition, und wie viele Haushalte bzw. Personen in Eu-
ropa und in Deutschland leben in Erwerbslosenhaushalte und sind zugleich
von materieller Entbehrung (Deprivation) betroffen (bitte absolute und pro-
zentuale Angaben der letzt verfügbaren Ermittlungen)?

14. Welche Datenquellen liegen der Bestimmung der relativen Einkommens-
armut gemäß europäischer Definition zugrunde?

15. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hinsichtlich dieser
Ergebnisse zur Einkommensarmut (Armutsrisiko) bei Erwerbslosigkeit und
bei Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Europä-
ischen Parlaments vom 9. Oktober 2008 und vom 20. Oktober 2010 (armuts-
feste Mindesteinkommenssysteme bzw. Grundeinkommen, armutsfeste Er-
werbseinkommen – Mindestlöhne)?

16. Welche Definition

a) von Erwerbslosigkeit und

b) von Erwerbstätigkeit
liegt den o. g. Angaben zugrunde?

Drucksache 17/5640 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

17. Welche Definition

a) von Erwerbslosenhaushalt und

b) Erwerbstätigenhaushalt

liegt den o. g. Angaben zugrunde?

18. Welche Definition materieller Entbehrung (Deprivation) liegt den o. g. An-
gaben zugrunde?

19. Wie viele Haushalte bzw. Personen, die Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB III) und nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), ge-
trennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung) erhalten, fallen unter die Kategorie Erwerbslosen-
haushalte und unter die Kategorie Erwerbstätigenhaushalte (prozentual und
absolut)?

20. Wie viele Haushalte bzw. Personen, die Leistungen nach dem SGB II,
SGB III und SGB XII (getrennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt und Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) erhalten, leben unter mate-
riellen Entbehrungen (Deprivation) (prozentual und absolut)?

21. Wie viele Haushalte bzw. Personen, die Leistungen nach dem SGB II,
SGB III und SGB XII (getrennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt und Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) erhalten, leben in relativer
Einkommensarmut (Armutsrisiko) gemäß europäischer Definition (prozen-
tual und absolut)?

22. Wie viele Personen bzw. Haushalte mit Leistungen nach dem SGB II und
Leistungen nach dem SGB XII (getrennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt und
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und ohne Erwerbsein-
kommen leben in folgenden Bedarfs- bzw. Haushaltsgemeinschaftstypen in
relativer Einkommensarmut (Armutsrisiko) gemäß europäischer Definition:
eine erwachsene Person, eine erwachsene Person mit einem Kind (13 Jahre),
eine erwachsene Person mit zwei Kindern (8 und 13 Jahre), zwei erwachsene
Personen, zwei erwachsene Personen mit einem Kind (17 Jahre), zwei er-
wachsene Personen mit zwei Kindern (8 und 13 Jahre) (prozentual und ab-
solut, mit Angabe der jeweiligen Armutsrisikogrenze und der Einkommens-
höhe dieser Bedarfsgemeinschaften bzw. Haushalte)?

23. Wie viele Personen bzw. Haushalte mit Leistungen nach dem SGB II und
Leistungen nach dem SGB XII (getrennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt
und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und mit Erwerbs-
einkommen leben in folgenden Bedarfs- bzw. Haushaltsgemeinschaftstypen
in relativer Einkommensarmut (Armutsrisiko) gemäß europäischer Defini-
tion: eine erwachsene Person, eine erwachsene Person mit einem Kind
(13 Jahre), eine erwachsene Person mit zwei Kindern (8 und 13 Jahre), zwei
erwachsene Personen, zwei erwachsene Personen mit einem Kind
(17 Jahre), zwei erwachsene Personen mit zwei Kindern (8 und 13 Jahre)
(prozentual und absolut, mit Angabe der jeweiligen Armutsrisikogrenze und
der maximalen Einkommenshöhe dieser Bedarfsgemeinschaften bzw.
Haushalte)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5640

24. Wie viele Personen bzw. Haushalte mit Leistungen nach dem SGB II und
Leistungen nach dem SGB XII (getrennt nach Hilfe zum Lebensunterhalt
und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) mit und ohne Er-
werbseinkommen (also gesamt) leben in folgenden Bedarfs- bzw. Haus-
haltsgemeinschaftstypen in relativer Einkommensarmut (Armutsrisiko) ge-
mäß europäischer Definition: eine erwachsene Person, eine erwachsene
Person mit einem Kind (13 Jahre), eine erwachsene Person mit zwei Kin-
dern (8 und 13 Jahre), zwei erwachsene Personen, zwei erwachsene Perso-
nen mit einem Kind (17 Jahre), zwei erwachsene Personen mit zwei Kindern
(8 und 13 Jahre) (prozentual und absolut, mit Angabe der jeweiligen Ar-
mutsrisikogrenze)?

25. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hinsichtlich dieser
Ergebnisse zur Einkommensarmut (Armutsrisiko) trotz der Mindestein-
kommenssysteme (SGB II, SGB XII) unter Berücksichtigung der Be-
schlüsse des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2008 und vom
20. Oktober 2010 zu armutsfesten Mindesteinkommenssystemen bzw. ar-
mutsfesten Grundeinkommen?

26. Mit welcher Begründung lehnt die Bundesregierung die Armutsrisiko-
grenze entgegen den beiden Beschlüssen vom 9. Oktober 2008 und vom
20. Oktober 2010 im Europäischen Parlament, denen auch ein großer Teil
der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und der ihr
zugehörigen Abgeordneten der CDU und CSU zugestimmt haben, als Ziel-
vorgabe für die Ausgestaltung von Mindesteinkommen ab?

27. Wie bewertet die Bundesregierung die von Irene Becker/Richard Hauser er-
mittelte verdeckte Armut im Bereich des SGB II und des SGB XII (vgl. Be-
cker/Hauser 2010: Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag.
Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge, S. 138) vor dem
Hintergrund der Beschlüsse des Europäischen Parlaments zur Beseitigung
verdeckter Arbeit bei Mindesteinkommenssystemen und zur Prüfung ver-
schiedener Modelle bedingungsloser und der Armut vorbeugender Grund-
einkommen für alle, wobei nach Europäischem Parlament insbesondere die
besondere Qualität von bedingungslosen Grundeinkommen zu berücksich-
tigen ist, dass sie nicht stigmatisierend wirken und daher geeignet sind, Fälle
von verdeckter Armut zu vermeiden?

28. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass die Zahl der Haushalte
und Personen in Europa und in Deutschland die von den genannten Indika-
toren (ohne Überschneidungen) für die Beurteilung der Erreichung des EU-
2020-Ziels erfasst sind (Einkommensarmut, materielle Entbehrung, Leben
im Erwerbslosenhaushalt) höher ist als die der „nur“ von relativer Einkom-
mensarmut Betroffenen und damit die Reduktion von Armut und sozialer
Ausgrenzung um 20 Millionen hinter die ursprünglich anvisierten 25 Pro-
zent zurückfällt?

29. Wie hoch wäre – im Falle der tatsächlichen Reduktion um 20 Millionen EU-
weit bis 2020 – die tatsächliche Reduktion von Armut und sozialer Ausgren-
zung in Europa (prozentual) und in Deutschland (prozentual und absolut)?

30. Wie hoch veranschlagt die EU-Kommission den Beitrag Deutschlands bei
der Reduktion von Armut und sozialer Ausgrenzung, um das Gesamtziel
(Reduktion um 20 Millionen EU-weit) erreichen zu können?

31. Welche Zielvorgabe für die Reduktion von Armut und sozialer Ausgren-
zung hat die Bundesregierung der EU-Kommission in dem Entwurf des
„Nationalen Reformprogramms“ übermittelt, und welche Zielvorgabe hat
sie in dem „Nationalen Reformprogramm“ formuliert?

Drucksache 17/5640 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

32. Wie bewertet die EU-Kommission sowohl den Ansatz als auch die quanti-
tativen Ziele der Bundesregierung im „Nationalen Reformprogramm“ in
Bezug auf die Reduktion von Armut und sozialer Ausgrenzung?

33. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass bereits das ursprünglich
für Europa 2020 anvisierte 25-Prozent-Ziel im großen Maße hinter das frü-
here Ziel der „erheblichen“ Senkung der Armut und sozialen Ausgrenzung
in Europa und in Deutschland bis 2010 zurückfällt?

34. Wie groß war die tatsächliche Senkung der Armut und sozialen Ausgren-
zung nach den Laeken-Indikatoren in Europa und in Deutschland von 2000
bis 2010?

35. Welche Ursachen sieht die Bundesregierung für das Scheitern der „erhebli-
chen“ Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Europa und in
Deutschland in den letzten zehn Jahren?

36. Welche Ursachen für die verfehlte Reduktion von Armut und soziale Aus-
grenzungen identifizieren die EU-Kommission, das Europäische Parlament
und der o. g. Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU, und welche Konse-
quenzen leiten diese jeweils daraus ab?

37. Wie und mit welchen konkreten Maßnahmen hat sich die derzeitige Bundes-
regierung für die Umsetzung der Forderung des Europäischen Parlaments,
„eine EU-Vorgabe für Mindesteinkommenssysteme und beitragspflichtige
Einkommenssysteme […] zu vereinbaren, die eine Einkommensstützung in
Höhe von mindestens 60 % des nationalen Medianäquivalenzeinkommens
leisten sollen“, im Europäischen Rat eingesetzt?

38. Wie und mit welchen konkreten Maßnahmen hat sich die derzeitige Bundes-
regierung für die Umsetzung der Forderung des Europäischen Parlaments,
„die armutsbekämpfende Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens
für alle zu prüfen“, gegenüber der EU-Kommission eingesetzt?

39. Wie und mit welchen konkreten Maßnahmen hat sich die derzeitige Bundes-
regierung für die Umsetzung der Forderung des Europäischen Parlaments,
„eine EU-Vorgabe für Mindestlöhne […], die eine Vergütung von mindes-
tens 60 % des maßgeblichen (nationalen, branchenspezifischen usw.)
Durchschnittslohns gewährleistet, […] zu vereinbaren“, im Europäischen
Rat eingesetzt?

40. Wie und mit welchen konkreten Maßnahmen hat sich die derzeitige Bundes-
regierung für die Umsetzung der Forderung des Europäischen Parlaments
gegenüber der EU-Kommission eingesetzt, „eine gemeinsame Methode für
die Berechnung des Existenzminimums und der Lebenshaltungskosten
(Korb von Waren und Dienstleistungen) einzuführen, um vergleichbare
Messgrößen für das Armutsniveau zu gewährleisten, und ein Kriterium für
das unabdingbare sozialpolitische Eingreifen festzulegen“?

41. Stimmt die Bundesregierung der Aussage des Staatssekretärs beim Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales Andreas Storm zu, dass die Armuts-
risikoquote weiterhin Verwendung als Indikator für die Beurteilung von
Armut und sozialer Ausgrenzung im nationalen und internationalen Zusam-
menhang findet?

42. Wie gedenkt die Bundesregierung im Europäischen Rat die Vergleichbar-
keit der Ergebnisse bei der Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgren-
zung im Europa-2020-Prozess sicherzustellen, wenn es den Mitgliedstaaten
frei steht, ihre nationalen Ziele auf der Grundlage der am besten geeigneten
Indikatoren, unter Berücksichtigung ihrer nationalen Gegebenheiten und
Prioritäten, zu bestimmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/5640

43. In welchem Verhältnis stehen zukünftig die Verfahren der EU-2020-Strate-
gie zu den verschiedenen Strängen der offenen Methode der Koordinierung
(OMK) Sozialschutz (Armut und soziale Ausgrenzung, Rente und Gesund-
heit)?

44. Welche konkreten Ziele zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgren-
zung hat die Bundesregierung in dem Nationalen Strategiebericht Sozial-
schutz und soziale Eingliederung 2008–2010 formuliert, und welche Ziele
sind erreicht worden, bzw. wann wird eine Bilanz der Zielerreichung vorge-
legt?

45. Wann legt die Bundesregierung den Folgebericht vor, und welche Vorarbei-
ten sind dafür bereits erledigt worden?

46. Welche konkreten Ziele und Strategien zur Bekämpfung von Armut und so-
zialer Ausgrenzung wird der Folgebericht beinhalten?

Berlin, den 20. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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