BT-Drucksache 17/5616

Unvereinbarkeit der Sanierungsklausel nach § 8c Absatz 1a des Körperschaftsteuergesetzes mit EU-Beihilferegelungen

Vom 18. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5616
17. Wahlperiode 18. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Unvereinbarkeit der Sanierungsklausel nach § 8c Absatz 1a des
Körperschaftsteuergesetzes mit EU-Beihilferegeln

Die steuerliche Geltendmachung der Verluste von ausschließlich zu diesem
Zweck gekauften Unternehmen durch das kaufende Unternehmen (so genannter
Mantelkauf) war über Jahre ein beliebtes Gestaltungsmodell zur Steuersenkung.
Aus diesem Grund wurde die Möglichkeit des steuerlichen Mantelkaufs im Un-
ternehmensteuerreformgesetz 2008 erheblich eingeschränkt. Im Zuge der Wirt-
schaftskrise wurde als konjunkturpolitische Maßnahmen diese Einschränkung
befristet für 2008 und 2009 über eine Sanierungsklausel entschärft. Demnach ist
die Verlustnutzung erlaubt, wenn eine Sanierung des gekauften Unternehmens
erfolgt. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz von 2009 wurde die Sanie-
rungsklausel schließlich in eine unbefristete Maßnahme umgewandelt. Aber be-
reits mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. April
2010 wurde ihre Anwendung wegen der Einleitung eines förmlichen Prüfver-
fahrens durch die EU-Kommission ausgesetzt. Die EU-Kommission hat mit
Beschluss vom 26. Januar 2011 festgestellt, dass die Sanierungsklausel mit EU-
Beihilferegeln unvereinbar ist. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Be-
günstigten der Beihilfe sowie das Volumen der bereits gewährten Beihilfe zu
benennen sowie die rechtswidrig gezahlten Beihilfen zurückzufordern. Darauf
hat die Bundesregierung zum einen Klage gegen den Beschluss der EU-Kom-
mission erhoben und zum anderen im Referentenentwurf für ein Beitreibungs-
richtlinie-Umsetzungsgesetz die endgültige Aufhebung der Sanierungsklausel
angekündigt. Auf die Schriftliche Frage 50 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll
(vgl. Bundestagsdrucksache 17/4639) zum Umfang der Inanspruchnahme der
Sanierungsklausel vom Monat Januar verwies die Bundesregierung auf die Frist
von zwei Monaten, die die EU-Kommission zur Beantwortung ihrer Fragen ge-
währt hat. Diese Frist ist mittlerweile abgelaufen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen EU-Mitgliedstaaten existieren Regelungen, die dem deutschen
Verlustabzug bei Körperschaften nach § 8c des Körperschaftsteuergesetzes
(KStG) ähneln (bitte mit Kurzbeschreibung der Regelung)?

2. In welchen EU-Mitgliedstaaten existieren Regelungen, die der deutschen Sa-

nierungsklausel nach § 8c Absatz 1a KStG ähneln (bitte mit Kurzbeschrei-
bung der Regelung)?

3. Auf welchen Erwägungen beruhen die in § 8c Absatz 1 KStG genannten
Werte von fünf Jahren bzw. die kritischen Werte bei Übertragungen von
25 Prozent und 50 Prozent (bitte mit Begründung)?

Drucksache 17/5616 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen über die Wirkung des § 8c
KStG liegen der Bundesregierung vor, und zu welchen Ergebnissen kom-
men diese Untersuchungen (bitte mit Begründung)?

5. Wurde bei Einführung der Sanierungsklausel bzw. bei deren Entfristung
eine Prüfung vorgenommen, inwieweit die Regelung möglicherweise gegen
EU-Beihilferegelungen verstößt, und wenn ja, welche Bundesministerien
waren hierbei beteiligt, und mit welchen einzelnen Ergebnissen wurden die
Prüfungen beendet (bitte mit Begründung)?

6. Wurden zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission vor Ab-
schluss des jeweiligen Gesetzgebungsverfahren Gespräche über die Einfüh-
rung einer Sanierungsklausel bzw. deren Entfristung geführt, und wenn
nein, aus welchem Grund nicht (bitte mit Begründung)?

7. Aus welchem Grund wurde die EU-Kommission nicht über die Neueinfüh-
rung einer Sanierungsklausel in Kenntnis gesetzt, so dass die EU-Kommis-
sion erst über Pressemeldungen Kenntnis über die Sanierungsklausel er-
langt hat?

8. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse und Beispiele darüber, ob in der Zeit
seit Anwendung der Sanierungsklausel das damit verbundene gesetzgebe-
rische Ziel einer Förderung von ökonomisch sinnvollen Unternehmensum-
strukturierungen erreicht wurde (bitte mit Begründung)?

9. Basierend auf der Forderung der EU-Kommission zur Erstellung einer Liste
der Begünstigten, wie viele Begünstigte haben die Sanierungsklausel diffe-
renziert nach Bundesländern und Jahren in Anspruch genommen, und mit
welchem Volumen?

10. Welcher Gesamtbetrag an zurückzufordernder Beihilfe ergibt sich basierend
auf der Forderung der EU-Kommission, und wie teilt sich dieser nach Grö-
ßenklassen auf die Begünstigten auf?

11. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass alle Unternehmen, die die Sanie-
rungsklausel bisher in Anspruch genommen haben, auch identifiziert wer-
den können (bitte mit Begründung)?

12. Wird bei Bescheiden, in denen das Begehren auf Wendung der Sanierungs-
klausel abgelehnt wurde und die gemäß dem Schreiben des Bundesministe-
riums der Finanzen vom 30. April 2010 unter dem Vorbehalt der Nachprü-
fung ergangen sind, der Vorbehalt aufgehoben (bitte mit Begründung)?

13. Sind die zurückzufordernden Beihilfen nach § 233a der Abgabenordnung
zu verzinsen, und wann beginnt in diesen Fällen der Zinslauf (bitte mit Be-
gründung)?

14. Über welchen Zeitraum haben die Begünstigten die Beihilfen zurückzuzah-
len (bitte mit Begründung)?

15. Wie ist in Fällen zu verfahren, in denen die Beihilfeempfänger Insolvenz an-
gemeldet haben oder aufgelöst/abgewickelt wurden, und besteht in derarti-
gen Fällen die Gefahr, dass entsprechende Beihilfen nicht mehr eingetrieben
werden können (bitte mit Begründung)?

16. Welchen verfahrensrechtlichen Vorschriften existieren zur Korrektur bereits
abgeschlossener Veranlagungen hinsichtlich der Sanierungsklausel (bitte
mit Begründung)?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, ob durchgeführte Sanierungen lediglich
unter Geltung der Sanierungsklausel durchgeführt wurden, so dass bei
Nichtigkeit dieser Regelung entsprechende Sanierungen rückgängig ge-

macht werden (bitte mit Begründung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5616

18. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf zukünftige Sanie-
rungsvorgänge, und sieht sie diese durch Nichtigkeit bzw. Abschaffung der
Sanierungsklausel gefährdet bzw. behindert (bitte mit Begründung)?

19. Wie sind verbindliche Auskünfte der Finanzverwaltung hinsichtlich Frage-
stellung der Sanierungsklausel rechtlich zu werten, und können Unterneh-
men entsprechende Kosten für verbindliche Auskünfte zurückfordern (bitte
mit Begründung)?

20. Welche bereits im Bundeshaushalt berücksichtigten Positionen ändern sich
in welcher Höhe durch die Nichtanwendung der Sanierungsklausel, und will
die Bundesregierung die hierdurch freiwerdenden Mittel im Rahmen der
bereits aufgestellten Planung für andere Projekte einsetzen, und wenn ja,
welche (bitte mit Angabe der Haushaltsjahre 2011 bis 2014)?

21. Sieht die Bundesregierung auch unter Beachtung der aktuellen wirtschaftli-
chen Situation weiterhin die Notwendigkeit, Erleichterungen zur Abmilde-
rung der allgemeinen Verlustuntergangsregeln nach § 8c KStG in das KStG
aufzunehmen, um Unternehmensübergänge zu fördern, die ohne diese Er-
leichterungen nicht durchgeführt würden (bitte mit Begründung)?

22. Auf welchen Fallzahlen beruhen die finanziellen Auswirkungen zu § 8c Ab-
satz 1a KStG gemäß dem Finanztableau im Referentenentwurf zu einem
Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steu-
erlicher Vorschriften, und anhand welcher Schätzverfahren wurden diese
Werte ermittelt (bitte mit Begründung)?

23. Wodurch erklärt sich die Abweichung hinsichtlich der finanziellen Auswir-
kungen zu § 8c Absatz 1a KStG gemäß dem Finanztableau im Referenten-
entwurf zu einem Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie
zur Änderung steuerlicher Vorschriften in den Jahren 2011 und 2012, und ist
die Differenz derart zu interpretieren, dass diese in der Summe von den Un-
ternehmen zurückgezahlt wird (bitte mit Begründung und Schätzmethode
für die Ermittlung von Anzahl der zurückzahlenden Unternehmen und des
Rückzahlvolumens)?

24. Aus welchen Gründen ist gemäß Artikel 4 Nummer 3 des Referentenent-
wurfs für ein Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur
Änderung steuerlicher Vorschriften eine Zurückforderung der für die Jahre
2008 bis 2010 gewährten Beihilfen nicht vorgesehen, und sieht die Bundes-
regierung bei Umsetzung dieses Artikels eine Ungleichbehandlung gegen-
über den späteren Jahren ab 2011 (bitte mit Begründung)?

25. Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich die Absicht einer Nichtigkeitsklage
vor dem Gericht der Europäischen Union seitens der Bundesregierung ge-
gen den Beschluss der Kommission zu § 8c Absatz 1a KStG, und welche Er-
folgsaussichten räumt die Bundesregierung der Nichtigkeitsklage ein (bitte
mit Begründung und Nennung des möglichen Zeitfensters der Klage und
der finanziellen Auswirkungen bei Obsiegen der Bundesregierung)?

26. Plant die Bundesregierung im Falle des Obsiegens in der genannten Nich-
tigkeitsklage die bisherige Regelung wieder ohne Zeitbeschränkung in der
bisherigen Fassung herzustellen, und besteht dann für Unternehmen, die
zum jetzigen Zeitpunkt die Beihilfe zurückgezahlt haben, erneut ein Rechts-
anspruch auf Anerkennung der nun nicht anerkannten Verluste (bitte mit
Begründung)?

Drucksache 17/5616 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. Gegen welche weiteren nationalen Steuernormen läuft derzeit ein Vertrags-
verletzungsverfahren bzw. ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof
(bitte mit Nennung des Vorgangs)?

Berlin, den 18. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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