BT-Drucksache 17/5474

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung des Ausstiegs aus der Atomenergie)

Vom 12. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5474
17. Wahlperiode 12. 04. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jan Korte, Dorothee Menzner, Dr. Barbara Höll, Harald Koch,
Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Richard Pitterle, Raju Sharma, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung des Ausstiegs aus der Atomenergie)

A. Problem

Kurz vor dem 25. Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl führt die
Havarie des Atomkraftwerkes im japanischen Fukushima auf dramatische
Weise abermals die unbeherrschbaren Gefahren der Hochrisikotechnologie
Atomenergie vor Augen. Infolge eines komplexen Störfalles ist es dort zu einer
Kernschmelze gekommen. Der größte anzunehmende Unfall in Japan beweist
endgültig, dass die von der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elek-
trizität ausgehende abstrakte Gefahr für Leib und Leben einer nicht eingrenz-
baren Zahl von Menschen und Tieren, die natürlichen Lebengrundlagen und
Sachgüter jederzeit in eine Störung mit unabsehbaren Folgen umschlagen kann.
Dies gilt nicht nur unter den natürlichen, insbesondere den geologischen, Be-
dingungen Japans. Ereignisse, die zu einer Havarie dieses Ausmaßes führen
können, sind auch in Deutschland möglich. Die Atomkraftwerke in Deutsch-
land sind teilweise nicht ausreichend gegen den Absturz von Verkehrsflug-
zeugen geschützt. Andere Großschadensereignisse, die einen Ausfall der ge-
samten Stromversorgung zur Folge haben, könnten in den in Deutschland
betriebenen Atomkraftwerken ebenfalls zu einer Kernschmelze führen. Ange-
sichts dessen sind der Betrieb von Atomkraftwerken zur Energieerzeugung und
die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe nicht nur ethisch unverantwort-
bar, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht untragbar.

Das nach dem Erkenntnisstand des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im
Jahr 1978 (Beschluss vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77) vermeintlich lediglich
„theoretisch“ denkbare „Restrisiko“ einer Kernschmelze ist, wie sich nunmehr
nach Tschernobyl zum zweiten Mal gezeigt hat, „nach Maßgaben praktischer
Vernunft“ eben nicht ausgeschlossen und deshalb verfassungsrechtlich nicht
hinnehmbar. Die „Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens“ haben sich seit
1978 soweit verschoben, dass die Unsicherheit kerntechnischer Anlagen zur Er-
zeugung von Elektrizität nach Maßstäben praktischer Rationalität als erwiesen
angesehen werden muss. In Gestalt der regenerativen Energien existieren inzwi-
schen ungefährliche Alternativen zur Atomenergie, die beweisen, dass durch
den endgültigen Verzicht auf die Atomenergie die „staatliche Zulassung der
Nutzung von Technik“ (Beschluss vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77) keineswegs
verbannt wird. Hingegen ist das Problem der Endlagerung des hochradioaktiven
Mülls, der bei der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität an-
fällt und eine weitere schwerwiegende Gefahr für Leben und körperliche Unver-

Drucksache 17/5474 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sehrtheit der gegenwärtigen sowie vieler Folgegenerationen von Mensch und
Tier darstellt, nach wie vor völlig ungelöst. Nicht nur die militärische, sondern
auch die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie (Artikel 73 Absatz 1
Nummer 14 des Grundgesetzes – GG) zur Energieerzeugung stellt damit eine
existentielle Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen und
Tieren dar, die gegen den Grundsatz der Generationengerechtigkeit verstößt und
geeignet ist, den Frieden in der Welt zu gefährden (Artikel 1 Absatz 2 GG). Zum
Schutz von Leib und Leben der Menschen und der Tiere, der natürlichen Le-
bensgrundlagen sowie des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt muss des-
halb sichergestellt werden, dass der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie
in Deutschland nicht nur sicher und geordnet erfolgt, sondern auch unverzüglich
und unumkehrbar. Der in Gestalt der Änderung des Atomgesetzes im Jahr 2002
lediglich einfachgesetzlich geregelte Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie
zur Erzeugung von Elektrizität bietet dafür keine Gewähr. Veränderte Mehrhei-
ten im Bundestag können, wie sich die Ende 2010 beschlossene Verlängerung
der elektrizitätsmengenabhängigen Restlaufzeiten durch neuerliche Änderung
des Atomgesetzes (vgl. das Elfte und Zwölfte Gesetz zur Änderung des Atom-
gesetzes, BGBl. I 2010 S. 1814, 1817) zeigt, den Ausstieg in unverantwortlicher
Weise verzögern oder sogar vollständig rückgängig machen.

Die Existenz von Atomwaffen als solche stellt eine Bedrohung für den Frieden
in der Welt dar. Zwar hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Atomwaffen-
sperrvertrag (Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli
1968, BGBl. 1974 II S. 785) völkerrechtlich verpflichtet, auf nukleare Rüstung
zu verzichten. Die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten stehen jedoch im
Rang unterhalb des Grundgesetzes und der Vertrag kann von der Bundesrepu-
blik Deutschland mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

B. Lösung

Um endgültig und unumkehrbar zu sein, müssen der Ausstieg aus der Nutzung
der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität mit Verfassungsrang ausgestat-
tet werden und ihre künftige Nutzung verfassungsunmittelbar verboten werden.
Dazu ist diese Form der Energieerzeugung wegen ihrer unabsehbaren Gefahren
für Mensch, Tier und Umwelt der gegenwärtig lebenden sowie künftiger Gene-
rationen unmittelbar im Grundgesetz für verfassungswidrig zu erklären. In dem
neu einzufügenden Artikel 20b in das Grundgesetz ist des Weiteren eine Pflicht
zur unverzüglichen, sicheren und geordneten Beendigung des Betriebs be-
stehender kerntechnischer Anlagen zur Erzeugung von Elektrizität vorzusehen
sowie ein Verbot der Planung, Errichtung und des Betriebs neuer kerntech-
nischer Anlagen zu diesem Zwecke. Verstöße sind unter Strafe zu stellen. Um zu
verhindern, dass das Verbot nuklearer Rüstung durch Kündigung des Atomwaf-
fensperrvertrages aufgehoben werden kann, ist ferner ein ausdrückliches Verbot
der Herstellung, Beförderung und des Inverkehrbringens von Atomwaffen so-
wie Technologien und Produkten zur Nutzung der Atomenergie für militärische
Zwecke in das Grundgesetz aufzunehmen.

C. Alternativen

Keine. Die bisherige einfachgesetzliche Regelung elektrizitätsmengenabhängi-
ger Restlaufzeiten für in Betrieb befindliche Atomkraftwerke in § 7 Absatz 1a
des Atomgesetzes und das Verbot der Errichtung und des Betriebs neuer An-
lagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von
Elektrizität sowie neuer Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe
in § 7 Absatz 1 Satz 2 des Atomgesetzes bietet keinen Schutz davor, dass der
einfache Gesetzgeber durch erneute Änderung des Atomgesetzes den Ausstieg

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5474

aus der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität stark hinaus-
zögert oder gänzlich rückgängig macht.

D. Kosten

Unmittelbar keine. Die einfachgesetzliche Umsetzung des verfassungsunmittel-
baren Verbots der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität
könnte im Hinblick auf etwaige Entschädigungsansprüche der Kraftwerks-
betreiber Folgekosten in noch nicht bekannter Höhe auslösen. Im Lichte des
verfassungsunmittelbaren Verbots der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung
von Elektrizität hat der einfache Gesetzgeber insoweit indes einen weiten Ein-
schätzungs- und Gestaltungsspielraum. Durch eine angemessene Überleitungs-
regelung kann er deren Rechtspositionen im Rahmen des Artikels 14 Absatz 1
Satz 2 GG so umgestalten, dass daraus keine Entschädigungsansprüche resul-
tieren.

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Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung des Ausstiegs aus der Atomenergie)

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des
Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949 in der im Bundesgesetzblatt Teil III,
Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten
Fassung, das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie
folgt geändert:

1. Nach Artikel 20a wird folgender Artikel 20b eingefügt:

„Artikel 20b

(1) Die Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von
Elektrizität und die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrenn-
stoffe sind verfassungswidrig.

(2) Der Betrieb bestehender kerntechnischer Anlagen
zur Erzeugung von Elektrizität ist unverzüglich, sicher
und geordnet zu beenden. Das Nähere wird durch Bun-
desgesetz geregelt.

(3) Die Planung, Errichtung und der Betrieb neuer
kerntechnischer Anlagen zur Erzeugung von Elektrizität
und neuer kerntechnischer Anlagen zur Aufarbeitung be-
strahlter Kernbrennstoffe sind verboten. Verstöße sind
unter Strafe zu stellen.“

2. In Artikel 26 Absatz 2 Satz 1 werden nach dem Wort
„Bundesregierung“ die Wörter „, Kernwaffen sowie
Technologien und Produkte zur Nutzung der Kernener-
gie für militärische Zwecke dürfen nicht“ eingefügt.

3. Artikel 73 Absatz 1 Nummer 14 wird wie folgt gefasst:

„14. den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von
Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen ent-
stehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.“

4. In Artikel 87c werden nach dem Wort „Grund“ die Wör-
ter „des Artikels 20b Absatz 2 Satz 2 und“ eingefügt.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 12. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5474

Begründung

A. Allgemeines

In Erfüllung der Aufgabe des Gesetzgebers, „Schlüsse aus
der Beobachtung vergangener tatsächlicher Geschehnisse“
zu ziehen und in seiner politischen Verantwortung die für
zweckmäßig erachteten Entscheidungen „anhand prakti-
scher Vernunft“ (Beschluss vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77)
zu treffen, wird die Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung
von Elektrizität unmittelbar im Grundgesetz für verfassungs-
widrig erklärt, ein endgültiger und unumkehrbarer Ausstieg
aus ihrer Nutzung grundgesetzlich festgeschrieben, die Pla-
nung, die Errichtung und der Betrieb neuer Atomkraftwerke
verboten und Verstöße gegen dieses Verbot unter Strafe ge-
stellt. Durch eine Kernschmelze werden nicht nur unabseh-
bar viele Menschen in ihrem Grundrecht auf Leben und kör-
perliche Unversehrtheit verletzt. Sie beraubt auch nachfol-
gende Generationen ihrer natürlichen Lebensgrundlagen und
gefährdet aufgrund dessen den Frieden in der Welt. Nach der
Kernschmelze in Tschernobyl im Jahr 1986 hat spätestens
die Kernschmelze in Fukushima gezeigt, dass die Gefahr ei-
nes größten anzunehmenden Unfalls (GAU) beim Betrieb
von Atomkraftwerken zur Stromerzeugung keineswegs ein
„nach Maßgaben praktischer Vernunft“ (BVerfG, Beschluss
vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77) lediglich „theoretisch“
denkbares „Restrisiko“ ist, das verfassungsrechtlich hinzu-
nehmen ist. Die „Grenzen menschlichen Erkenntnisvermö-
gens“ haben sich vielmehr soweit verschoben, dass die
Unsicherheit von Atomkraftwerken zur Erzeugung von
Elektrizität nach „Maßgaben praktischer Vernunft“ inzwi-
schen als erwiesen angesehen werden muss. Wie auch immer
geartete technische Sicherheitsvorkehrungen vermögen die
Gefahr einer Kernschmelze nicht restlos zu bannen, da sie
letztlich in der Natur der bei der Nutzung der Atomenergie
zur Erzeugung von Elektrizität stattfindenden physika-
lischen und chemischen Prozesse begründet liegt.

Um zu gewährleisten, dass das völkerrechtliche Verbot nuk-
learer Rüstung in der Bundesrepublik Deutschland aus dem
Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom
1. Juli 1968 (BGBl. 1974 II S. 785) nicht durch Kündigung
des Vertrages aufgehoben werden kann, wird ferner ein aus-
drückliches Verbot der Herstellung, Beförderung und des In-
verkehrbringens von Atomwaffen, sowie Technologien und
Produkten zur Nutzung der Atomenergie für militärische
Zwecke in das Grundgesetz aufgenommen.

Frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
stehen einer umfassenden und endgültigen Verbannung der
Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität
sowie zu militärischen Zwecken unmittelbar im Grundge-
setz nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich
zwar mehrfach mit der Nutzung der Atomenergie zur Erzeu-
gung von Elektrizität befasst und deren Vereinbarkeit mit
dem Grundgesetz bejaht (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom
20. Dezember 1979, 1 BvR 385/77; BVerfG, Beschluss vom
4. Juli 1996, 1 BvR 1272/91; BVerfG, Beschluss vom
12. November 2008, 1 BvR 2456/06). Die Entscheidungen
ergingen aber jeweils auf der Grundlage des damaligen
„Standes von Wissenschaft und Technik“ am Maßstab der

zum betreffenden Zeitpunkt geltenden grundgesetzlichen
Vorgaben.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Grundgesetzes)

Zu Nummer 1 (Einfügung eines Artikels 20b GG)

Durch die Bestimmung wird die Nutzung der Atomenergie
zur Erzeugung von Elektrizität und die Aufarbeitung be-
strahlter Kernbrennstoffe verfassungsunmittelbar dem Ver-
dikt der Verfassungswidrigkeit unterworfen. Der Inhalt des-
sen, was zukünftig Eigentum sein darf, wird dadurch im Hin-
blick auf die unkalkulierbaren Folgen einer Kernschmelze
sowie das ungelöste Problem der Endlagerung des Atom-
mülls auch für künftige Generationen die in Artikel 20a GG
insofern neu bestimmt, als die Nutzung der Atomenergie zur
Erzeugung von Elektrizität aus der Verfassungs- und Rechts-
ordnung verbannt wird. Zugleich wird mit dem verfassungs-
unmittelbaren Verbot der Nutzung der Atomenergie zur Er-
zeugung von Elektrizität dem Friedensgebot des Grund-
gesetzes für den Bereich der Energieerzeugung Rechnung
getragen. Analysen der Friedensforschung gehen davon aus,
dass kriegerische Auseinandersetzungen künftig immer häu-
figer um für die Energieerzeugung benötigte Rohstoffe
geführt werden. Namentlich der Abbau von Uran gefährdet
nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung in den betroffenen
Staaten, sondern ist auch Ursache für kriegerische Auseinan-
dersetzungen.

Zu Absatz 1

Er enthält ein umfassendes, verfassungsunmittelbares Ver-
bot der Nutzung der Atomenergie zur Erzeugung von Elek-
trizität. Es erstreckt sich nicht nur auf die gewerbliche Nut-
zung der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität durch
private Betreiber von Atomkraftwerken. Erfasst wird auch
deren Nutzung in öffentlicher Trägerschaft. Lediglich die
Nutzung der Atomenergie zu medizinischen und For-
schungszwecken bleibt unberührt.

Zu Absatz 2

Er verpflichtet Hoheitsträger und private Betreiber gleicher-
maßen, den Betrieb bestehender kerntechnischer Anlagen
zur Erzeugung von Elektrizität unverzüglich, sicher und ge-
ordnet zu beenden. Hoheitsträger werden unmittelbar von
Verfassung wegen verpflichtet, geeignete, erforderliche und
angemessene Maßnahmen für einen unverzüglichen Atom-
ausstieg zu treffen. Die Betreiber kerntechnischer Anlagen
zur Erzeugung von Elektrizität wiederum werden unmittel-
bar von Verfassungs wegen verpflichtet, den Maßnahmen
Folge zu leisten. Zur Erfüllung seiner Gesetzgebungspflicht
aus Satz 2 hat der Bundesgesetzgeber das Nähere durch Ge-
setz zu regeln, insbesondere die vorhandenen gesetzlichen
Grundlagen im Atomgesetz zu modifizieren.

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Zu Absatz 3

Er konkretisiert die durch Absatz 1 statuierte Verfassungs-
widrigkeit der Nutzung der Atomenergie zur Energieerzeu-
gung prospektiv. Nach Absatz 3 ist die Planung, Errichtung
und der Betrieb neuer kerntechnischer Anlagen zur Erzeu-
gung von Elektrizität und zur Aufarbeitung bestrahlter
Kernbrennstoffe verboten. Verstöße von Hoheitsträgern,
wie auch von Privaten, begründen eine individuelle straf-
rechtliche Verantwortlichkeit, die der einfache Gesetzgeber
durch Modifikation und Erweiterung der bestehenden Straf-
vorschriften zum Umgang mit Atomenergie in den §§ 307,
309, 310, 311 und § 312 des Strafgesetzbuchs den Be-
stimmtheitsanforderungen des Artikels 103 Absatz 2 GG
entsprechend umzusetzen hat. Die Zuständigkeit des Bun-
des folgt insoweit aus der abschließenden Ausübung der
konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Straf-
recht durch den Bund im Rahmen der konkurrierenden Ge-
setzgebung nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG.

Zu Nummer 2 (Änderung des Artikels 26 Absatz 2 GG)

Durch diese Änderung wird im Hinblick auf die Gefahren
für Leben und Gesundheit einer unabsehbaren Zahl von
Menschen, das Friedensgebot des Grundgesetzes und das
Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen
ein ausdrückliches Verbot der Herstellung, Beförderung und
des Inverkehrbringens von Atomwaffen sowie von Techno-
logien und Produkten zur Nutzung der Atomenergie für mi-
litärische Zwecke in das Grundgesetz aufgenommen.

Zu Nummer 3 (Änderung des Artikels 73 Absatz 1
Nummer 14 GG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Aufnahme des
Artikels 20b in das Grundgesetz (vgl. Nummer 1). Aus der
bisherigen Fassung des Artikels 73 Absatz 1 Nummer 14 GG
sollte laut Rechtsprechung und Schrifttum in Verbindung mit
Artikel 87c GG folgen, dass die Nutzung der Atomenergie
zu „friedlichen Zwecken“ mit dem Grundgesetz vereinbar ist
(BVerfGE 53, 30, 56). Im Hinblick darauf, dass die Nutzung
der Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität durch Arti-
kel 20b GG ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt wird,
dient die Streichung der Kompetenzregelungen für die Nut-
zung der Atomenergie „zu friedlichen Zwecken“ angesichts
dessen der Klarstellung, dass aus Artikel 73 Absatz 1 Num-

mer 14 GG nicht etwa deren fortwährende verfassungsrecht-
liche Zulässigkeit folgt. Die durch diese Änderung entfallene
Festlegung der Gesetzgebungskompetenz für die „fried-
liche“ Nutzung der Atomenergie durch Artikel 73 Absatz 1
Nummer 14 GG übernimmt Artikel 20b Absatz 2 Satz 2 GG
mit der Maßgabe, dass der Gesetzgeber durch Bundesgesetz
für die unverzügliche, sichere und geordnete Beendigung
des Betriebes der Atomkraftwerke zu sorgen hat. Die
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Schutz vor
Gefahren, die bei Freiwerden von Atomenergie oder durch
ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radio-
aktiver Stoffe bleibt im Hinblick auf die Gefahren, die auch
nach einer Beendigung der Nutzung der Atomenergie zur Er-
zeugung von Elektrizität vom Freiwerden von Atomenergie
in anderen Staaten ausgehen, und das Problem der Lagerung
radioaktiver Abfälle unverändert bestehen. Die Kompetenz
umfasst das gesamte, Gefahrenabwehr und vorbeugende Ri-
sikovorsorge verbindende Strahlenschutzrecht und bezieht
auch den Umgang mit radioaktiven Stoffen zu medizini-
schen Zwecken (BVerwGE 97, 266, 271) ebenso wie die
Entfernung bereits eingetretener radioaktiver Verschmutzun-
gen ein. Die „Beseitigung radioaktiver Stoffe“ umfasst die
Lagerung der Abfälle (dazu VerfGH Bayern, NVwZ 1984,
711, 712) sowie vorbereitend die Auswahl eines Entsor-
gungskonzepts und die Standortplanung für Endlagerstätten
(vgl. BVerfGE 104, 238, 247 „Moratorium Gorleben“).

Zu Nummer 4 (Änderung des Artikels 87c GG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zu den Nummern 1
und 3. Bundesgesetze, die die Beendigung der Nutzung der
Atomenergie zur Erzeugung von Elektrizität, den Schutz vor
Gefahren, die bei Freiwerden von Atomenergie oder durch
ionisierende Strahlen entstehen, oder die Beseitigung radio-
aktiver Stoffe regeln, können mit Zustimmung des Bundes-
rates auch weiterhin bestimmen, dass sie von den Ländern
im Auftrag des Bundes ausgeführt werden. Artikel 87c GG
garantiert, dass die Atomaufsicht durch staatliche Verwal-
tungsstellen zu erfolgen hat (vgl. Remmert, BeckOK GG,
Artikel 87c Rn. 9 m. w. N.).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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