BT-Drucksache 17/5389

Für eine wirkungsvolle interparlamentarische Begleitung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5389
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Günter Gloser, Dietmar Nietan, Johannes Pflug, Axel Schäfer
(Bochum), Dr. Rolf Mützenich, Rainer Arnold, Heinz-Joachim Barchmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Karin Evers-Meyer, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Kerstin Griese, Michael Groschek,
Dr. Eva Högl, Dr. h. c. Susanne Kastner, Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose,
Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf, Ullrich Meßmer, Thomas Oppermann,
Michael Roth (Heringen), Werner Schieder (Weiden), Dr. Martin Schwanholz,
Peer Steinbrück, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für eine wirkungsvolle interparlamentarische Begleitung der Europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik im Geiste des Vertrages von Lissabon

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Vertrag von Lissabon war ein großer Fortschritt, weil er die Rolle des Euro-
päischen Parlaments und der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten
stärkt. Wenn es nun gilt, seit der Arbeitsaufnahme des Europäischen Auswärti-
gen Dienstes (EAD) am 1. Januar 2011 und in der Nachfolge der Westeuropäi-
schen Union (WEU) eine neue Struktur der parlamentarischen Kontrolle der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik/Gemeinsamen Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik (GASP/GSVP) zu entwickeln, muss sich diese ebenfalls an
dem Ziel einer Stärkung der parlamentarischen Beteiligungsrechte orientieren.

Auch wenn die Außenpolitik zu den Bereichen gehört, in denen die Hauptkom-
petenz weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegt, ist mit dem Vertrag von Lissa-
bon, der damit einhergehenden Schaffung des Amtes der Hohen Vertreterin und
der Einrichtung des EAD eindeutig die Selbstverpflichtung aller Mitgliedstaa-
ten und Institutionen der EU verbunden, gemeinsam zu einer konsistenteren
und effektiveren GASP/GSVP zu gelangen. Diese „Europäisierung“ der
Außen- und Sicherheitspolitik – im Sinne eines verstärkten Denkens in einem
gesamteuropäischen Kontext – muss sich auch in den zu etablierenden parla-
mentarischen Kontrollstrukturen wiederfinden, die sich für uns an zwei ent-
scheidenden Punkten manifestieren:

1. Eine neue interparlamentarische Struktur muss auf die formellen und infor-

mellen Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Europäischen Parlaments
gegenüber der EU-Kommission, der Hohen Vertreterin und dem EAD zurück-
greifen können, um wirklich europäisch, d. h. kooperativ und inklusiv gegen-
über den Institutionen der EU und den Mitgliedstaaten agieren zu können.

Drucksache 17/5389 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Deshalb muss die zu erarbeitende, neue interparlamentarische Struktur
sicherstellen, dass sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und
der nationalen Parlamente auf gleicher Augenhöhe begegnen. Dafür ist
keine weitere Veränderung der Europäischen Verträge nötig. Der Parla-
mentsvorbehalt bei Einsätzen der Bundeswehr ist von einer effizienteren, in-
terparlamentarischen Koordinierung der GASP/GSVP nicht berührt.

Eine neue interparlamentarische Kontrollstruktur muss den oben genannten
Kriterien einer „Europäisierung“ gerecht werden. Ziel muss es sein, die Parla-
mentarier, die auf der nationalen Ebene in die Entscheidungsfindung in den Be-
reichen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingebunden sind, mit
denen für diese Bereiche zuständigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments
zusammenzubringen. Aus diesen Gründen scheidet für die Fraktion der SPD
eine alleinige Eingliederung in die bestehende Struktur der Konferenz der
Europaausschüsse der nationalen Parlamente (COSAC) aus. Der in diesem
Zusammenhang von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments Elmar
Brok, MdEP und Roberto Gualtieri, MdEP am 18. November 2010 vorgelegte
„Informelle Entwurf für eine europäische interparlamentarischen Kontrolle der
GASP/GSVP“ sowie der Vorschlag des belgischen Parlaments weisen aus
unserer Sicht in die richtige Richtung und stellen eine gute Diskussionsgrund-
lage für den weiteren Prozess dar.

Die Fraktion der SPD unterstützt beide Ansätze, weil sie nicht nur die Rolle des
Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente stärken, sondern auch
die von uns geforderte Nutzbarmachung der Möglichkeiten des Europäischen
Parlaments für die nationalen Parlamentarier aus den Mitgliedstaaten ermög-
licht. Nicht alle nationalen Abgeordneten haben in den Bereichen der Außen-
und Sicherheitspolitik vergleichbare Kontroll- und Einflussmöglichkeiten wie
die deutschen Bundestagsabgeordneten. Deshalb sollten wir als Parlamentarier
jetzt die Chance nutzen, gemeinsam für eine neue Allianz aus nationalen und
europäischen Abgeordneten einzutreten. Dies eröffnet die Chance, die Rolle
der Parlamente im Prozess der Europäisierung der Außen- und Sicherheitspoli-
tik langfristig zu stärken.

Schließlich hat gerade der Verfassungskonvent in der Zeit vor Lissabon sehr
deutlich gezeigt, dass eine Stärkung der parlamentarischen Ebene innerhalb der
europäischen Politiken viel effizienter und zielgerichteter die europäische Inte-
gration voranbringen kann, als die Regierungen der Mitgliedstaaten alleine.

Der Vorschlag der Fraktion der SPD zur Schaffung einer neuen interparlamen-
tarischen Konferenz bedeutet nicht, dass die Fraktion der SPD eine weitere Ent-
scheidungsebene oder gar eine neue, eigenständige Institution schaffen will. Die
Fraktion der SPD ist davon überzeugt, dass eine nah an den Strukturen und Ar-
beitsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments angegliederte interparlamenta-
rische Struktur sowohl zu effektiveren Kontrollmöglichkeiten der GASP/GSVP
durch die Parlamente in den Mitgliedstaaten führt als auch am besten dazu
geeignet ist, im Geiste des Vertrages von Lissabon zu einer Europäisierung der
Außen- und Sicherheitspolitik beizutragen.

Bereits heute zeichnet sich ab, dass sich in einigen Mitgliedstaaten Parlaments-
fraktionen in einer Art „prophylaktischen Containments“ gegen eine stärkere
Einbeziehung des Europäischen Parlaments bei der parlamentarischen Kon-
trolle der GASP/GSVP aussprechen. Deshalb muss sich der Deutsche Bundes-
tag zügig und deutlich gegen solche Formen einer parlamentarischen „Renati-
onalisierung“ der Außen- und Sicherheitspolitik positionieren. Ganz im Geiste
des Vertrages von Lissabon setzt die Fraktion der SPD sich für eine enge Ab-
stimmung des Deutschen Bundestages und seiner Gremien mit dem Euro-
päischen Parlament ein, um so möglichst zu einer gemeinsamen Position in

allen Fragen der Einrichtung einer interparlamentarischen Konferenz für die
GASP/GSVP zu gelangen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5389

Es liegt an uns Bundestagsabgeordneten, Deutschland zu einem Vorreiter, nicht
zu einem Hemmschuh, auf dem Weg zu einer zukunftsweisenden, gemeinsa-
men europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu machen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass die von den Mitgliedern des Europäischen Par-
laments und den nationalen Parlamenten der EU gemeinsam wahrzuneh-
mende parlamentarische Kontrolle der GASP/GSVP sich – bis auf die Aus-
nahme der Entsendung, Finanzierung und Mandatierung bzw. Strukturie-
rung militärischer Operationen – auf alle Bereiche der EU-Außen- und
Sicherheitspolitik bezieht;

2. die Gründung einer interparlamentarischen Konferenz für die GASP/GSVP
zu unterstützen, die sich aus Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des
Europäischen Parlaments (AFET), seines Unterausschusses für Sicherheit
und Verteidigung (SEDE) sowie des Menschenrechtsausschusses (DROI) auf
der einen und Delegierten der nationalen Parlamente auf der anderen Seite
zusammensetzt. Parlamente der Staaten, die durch die Erweiterungs- oder
Nachbarschaftspolitik mit der EU in einer besonderen Beziehung stehen,
können Beobachter zur interparlamentarischen Konferenz für die GASP/
GSVP entsenden. Die Zahl der Delegierten aus den nationalen Parlamenten
sollte sich an der Größe anderer, bereits vorhandender, interparlamentarischer
Versammlungen orientieren und in einem angemessen Verhältnis zur Anzahl
der Mitglieder aus dem Europäischen Parlament stehen. Die Delegierten aus
den nationalen Parlamenten sollten sich aus den Mitgliedern der Auswärtigen
Ausschüsse, der Verteidigungsausschüsse, der Menschenrechtsausschüsse,
der Ausschüsse für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie
der Ausschüsse für die Angelegenheiten der Europäischen Union beziehungs-
weise deren Äquivalente zusammensetzen;

3. sich dafür einzusetzen, dass die interparlamentarische Konferenz für die
GASP/GSVP zwei Mal im Jahr tagt. Der ständige Tagungsort soll der Sitz
des Europäischen Parlaments in Brüssel sein. Bei entsprechenden dring-
lichen Anlässen kann die interparlamentarische Konferenz für die GASP/
GSVP auch ad hoc einberufen werden. Die Federführung sollte beim AFET
des Europäischen Parlaments und beim Auswärtigen Ausschuss des natio-
nalen Parlaments der aktuellen Ratspräsidentschaft liegen. Angegliedert an
den AFET soll ein eigenständiges, ständiges Sekretariat der interparlamenta-
rischen Konferenz für die GASP/GSVP in Brüssel eingerichtet werden. Auf
der Arbeitsebene soll es einen ständigen Austausch mit den Sekretariaten
der Auswärtigen Ausschüsse der Mitgliedstaaten geben, die als federführen-
des Sekretariat die Kommunikation mit den Sekretariaten der anderen einbe-
zogenen Fachausschüsse der nationalen Parlamente sicherstellen;

4. den Deutschen Bundestag dabei zu unterstützen, dass die interparlamenta-
rische Konferenz für die GASP/GSVP das Recht erhält, von der Hohen Ver-
treterin und dem EAD jederzeit Berichte zu allen Themen- und Arbeitsberei-
chen der GASP/GSVP einfordern zu können.

Berlin, den 6. April 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.