BT-Drucksache 17/5387

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5387
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits-
und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Militäreinsätze der Europäischen Union sind grundsätzlich abzulehnen. Mit
dem Vertrag von Lissabon hat die Bedeutung der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik (GSVP) signifikant zugenommen.

2. Im Vertrag von Lissabon wurden den nationalstaatlichen Parlamenten und
dem Europäischen Parlament explizit parlamentarische Kontrollrechte im
Hinblick auf die GASP und die GSVP verweigert. Dieses Demokratiedefizit
im Vertragswerk muss beseitigt werden.

3. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass sich eine Konzeption des Euro-
päischen Auswärtigen Dienstes (EAD) durchgesetzt hat, die eine weitere
Militarisierung der EU befördert und keine wirksame parlamentarische Kon-
trolle dieser neuen Struktur, weder durch die nationalstaatlichen Parlamente
noch durch das Europäische Parlament, vorsieht.

4. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Auflösung der Westeuropäischen Union
(WEU) und ihrer Parlamentarischen Versammlung, die keine wirksame par-
lamentarische Kontrolle der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik strukturell gewährleistet hat, und bekräftigt den Willen zur Einfüh-
rung einer wirksamen und umfassenden parlamentarischen Kontrolle außen-
und sicherheitspolitischer Aktivitäten der Europäischen Union.

5. Die Anzahl von Missionen im Rahmen der GASP und der GSVP ist in den
letzten Jahren stetig gewachsen.

6. Die im EU-Haushalt vorgesehenen Ausgaben für eine global agierende EU
sollen bis 2013 auf jährlich über 8 Mrd. Euro ansteigen, was die Kontrolle

über diese finanziellen Mittel noch dringlicher macht.

7. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen anderer nationalstaat-
licher Parlamente wie auch des Europäischen Parlaments für Schritte zu
einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle der GASP und der GSVP.

Drucksache 17/5387 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rat der Europäischen Union für die Einberufung eines Konvents,
dessen Zusammensetzung die unterschiedlichen politischen Parteien und
Fraktionen in der EU widerspiegelt, und einer Regierungskonferenz zur Än-
derung der Europäischen Verträge einzusetzen, um neben einer Entmilitari-
sierung der GASP und der GSVP zur Schaffung einer zivilen und friedlichen
Europäischen Union, die nationalstaatlichen Parlamente wie auch das Euro-
päische Parlament an einer parlamentarischen Kontrolle der GASP und der
GSVP auf der Grundlage eines neuen europäischen Vertrages wirksam be-
teiligen zu können;

2. übergangsweise eine Kontrolle im Wege regelmäßiger gemeinsamer Bera-
tungen von Vertretern der zuständigen Ausschüsse der europäischen und der
nationalstaatlichen Ebene zu verstetigen;

3. solange eine Vertragsänderung im Hinblick auf eine wirksame Kontrolle der
GASP und der GSVP durch die nationalstaatlichen Parlamente und das Eu-
ropäische Parlament noch nicht in Kraft getreten ist, der Gründung einer in-
terparlamentarischen Versammlung zur Kontrolle der GASP und der GSVP
(IVK) nur dann zuzustimmen, wenn folgende wesentliche Punkte gewähr-
leistet werden und somit eine wirksame und umfassende parlamentarische
Kontrolle möglich ist:

a) Die IVK soll über wirkliche Kontrollrechte im Hinblick auf die GASP und
die GSVP verfügen. Dies beinhaltet auch ein Ablehnungsrecht bzw. Zu-
stimmungsrecht zu allen Maßnahmen der GASP und allen „zivilen“ und
militärischen GASP-Missionen sowie die Verhängung von Zwangsmaß-
nahmen wie Sanktionen, unabhängig von den Rechten der einzelstaat-
lichen Parlamente und des Europäischen Parlaments.

b) Zu den Kontrollrechten der IVK sollen insbesondere ein Frage- und In-
formationsrecht sowie ein Besuchsrecht von in der GASP und der GSVP
involvierten Standorte gehören.

c) Die IVK soll die Funktionen der Parlamentarischen Versammlung der
WEU übernehmen, wie etwa „die Durchführung und Ausarbeitung von
Entscheidungen zur Verteidigungspolitik“.

d) Die IVK soll den gesamten Europäischen Auswärtigen Dienst kontrollie-
ren können. Dies beinhaltet die Möglichkeit der Mitentscheidung und
Vorabanhörung über die Bestellung der Hohen Repräsentantin, der EU-
Beauftragten, der Leiter der EU-Vertretungen, der Abteilungsleiter des
EAD sowie des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK)
und der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA).

e) Die IVK soll Stellungnahmen vom EAD, EU-Kommission und Rat er-
bitten sowie verbindliche Stellungnahmen verabschieden können.

f) Der vom belgischen Parlament vorgeschlagene belgische Parlamentssitz
in Brüssel soll als Tagungsort der IVK und für das Sekretariat der IVK
dienen.

g) Die IVK soll der politischen Zusammensetzung vom Europäischen Parla-
ment und der nationalstaatlichen Parlamente entsprechen. Die Zusam-
mensetzung soll analog der Zusammensetzung der Parlamentarischen
Versammlung des Europarats (PACE) verfasst sein. Das Europäische Par-
lament soll anlog der großen Mitgliedstaaten mit 18 Sitzen vertreten sein,
so dass eine Repräsentanz für kleinere Fraktionen gesichert ist.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5387

h) Die IVK soll wie die PACE vier Mal im Jahr zusammentreffen und über
ein ständiges Sekretariat sowie über Ausschüsse (Politischer Ausschuss,
Verteidigungsausschuss, Abrüstungsausschuss etc.) verfügen, die sich
alle sechs Wochen bis zu zehn Mal im Jahr treffen können. Die parlamen-
tarische Verfahrensweise soll, wie bei der PACE, nach dem Berichterstat-
terprinzip funktionieren. Die zu bildenden Fraktionen in der IVK sollen
über Sach- und Personalmittel materiell abgesichert werden.

i) In der IVK sollen nationale Parlamente von Staaten Beobachterstatus er-
halten, die in Maßnahmen der GASP und der GSVP involviert sind.

j) Die Kompetenzen der IVK können den nationalen Parlamentsvorbehalt
zur Entsendung der Bundeswehr nicht in Frage stellen.

Berlin, den 6. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.