BT-Drucksache 17/5277

Förderung der Kernenergie im Ausland durch Hermesbürgschaften der Bundesregierung

Vom 24. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5277
17. Wahlperiode 24. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Dietmar Bartsch, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko,
Stefan Liebich, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Förderung der Kernenergie im Ausland durch Hermesbürgschaften
der Bundesregierung

Ein schnellstmöglicher und endgültiger Ausstieg der viertgrößten Volkswirt-
schaft der Welt aus der Nutzung der Kernkraft hätte großen Vorbildcharakter.
Wenn Deutschland ohne Kernkraft auskommt, verstärkt dies auch den Druck auf
andere Länder, ihre Energiepolitik zu überdenken. Die Bundesregierung vertritt
dagegen die Auffassung, dass ein unverzüglicher Ausstieg Deutschlands aus der
Atomkraft nicht sinnvoll ist, weil weltweit zahlreiche Staaten den Neubau von
Atomreaktoren planen und die Bundesregierung diese Entscheidungen nicht be-
einflussen kann.

Dabei verschweigt die Bundesregierung wohlweißlich, dass sie das seit 2001
geltende Atomausschlusskriterium bei der Vergabe von Hermesbürgschaften im
Jahr 2009 ausgesetzt hat. Seitdem sichert Deutschland die Exportgeschäfte der
deutschen Atomwirtschaft und somit die weltweite Weiterverbreitung der Kern-
energie bis hin zum Neubau von Atomkraftwerken wieder mit deutschen Steuer-
geldern finanziell ab. Dabei fördert die Bundesregierung die deutsche Atom-
industrie auch in Schwellenländern, deren Sicherheitsstandards und institutiona-
lisierten Kontrollmechanismen weit hinter den japanischen zurückliegen. Statt
auf diese Staaten Einfluss zu nehmen, aus der Kernenergie auszusteigen, beteiligt
sich die Bundesregierung also aktiv am weltweiten Ausbau der Kernkraft, der
laut Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) bis 2050 zu einer Verdoppelung der Anzahl von Reaktoren
auf dann bis zu 1 000 führen wird.

Zwar ist die risikomäßige Vertretbarkeit in Bezug auf Umweltauswirkungen ge-
mäß dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) bei der
Antragsprüfung für Hermesbürgschaften ein wichtiges Kriterium. Projekte, die
mit schwerwiegenden negativen ökologischen, sozialen oder entwicklungspoli-
tischen Konsequenzen verbunden sind, sind laut BMWi von der Förderung aus-
geschlossen. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der konsequenten Um-

setzung dieser Vorgaben bei etlichen Großprojekten. Dies gilt z. B. für die Un-
terstützung des Neubaus des veralteten Kernreaktors ANGRA 3 in Brasilien.

Drucksache 17/5277 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hat die Bundesregierung das Atomausschlusskriterium bei der Ver-
gabe von Hermesbürgschaften 2009 ausgesetzt?

2. Wie viele Anträge für die Übernahme von Hermesbürgschaften für welche
Atomtechnologieexporte wurden seit 2009 eingereicht, und wie viele davon
wurden angenommen bzw. abgelehnt oder zurückgezogen (bitte jeweils mit
Begründung sowie Angabe des finanziellen Volumens, der Empfänger-
länder und der Partnerfirmen)?

3. Wie viele Anträge für die Übernahme von Hermesbürgschaften für Exporte
von Gütern, die nur mittelbar für den Neubau von Atomkraftwerken ver-
wendet werden können oder verwendet wurden, wurden seit 2009 ein-
gereicht, und wie viele davon wurden angenommen bzw. abgelehnt oder zu-
rückgezogen (bitte jeweils mit Begründung sowie Angabe des finanziellen
Volumens, der Empfängerländer und der Partnerfirmen)?

4. Ist die im Februar 2010 gemachte Grundsatzzusage über eine Hermesbürg-
schaft in Höhe von 1,3 Mrd. Euro für die wieder aufgenommenen Bauarbei-
ten am brasilianischen Kernreaktor ANGRA 3 bereits rechtskräftig, und
wenn nicht, was ist der aktuelle Stand?

5. Welche Hermesbürgschaften für Atomtechnologieexporte nach China hat
die Bundesrepublik Deutschland bisher übernommen, in welchen Fällen
musste die Bundesregierung diese einlösen (bitte unter Angabe des Wertes
der Bürgschaft, des Exportunternehmens und des ggf. eingetretenen Aus-
falls), und welche diesbezüglichen Anträge liegen der Bundesregierung seit
2009 vor?

6. Welche Hermesbürgschaften für Atomtechnologieexporte nach Südafrika
hat die Bundesrepublik Deutschland bisher übernommen, in welchen Fällen
musste die Bundesregierung diese einlösen (bitte unter Angabe des Wertes
der Bürgschaft, des Exportunternehmens und des ggf. eingetretenen Aus-
falls), und welche diesbezüglichen Anträge liegen der Bundesregierung seit
2009 vor?

7. Gilt das von der Bundesregierung ausgerufene dreimonatige Atom-Mora-
torium auch für die Bürgschaften zur Förderung von Atomtechnologie-
exporten, und wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung in dieser Zeit
diesbezüglich, und wenn nicht, warum nicht?

8. Wie gewährleistet die Bundesregierung bei der Förderung des Neubaus von
Atomkraftwerken in Schwellenländern, dass diese insbesondere aufgrund
der neuen Erkenntnisse, die aus der Atomkatastrophe in Japan gewonnen
wurden, modernsten sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen?

9. Wird die Bundesregierung vor der Zustimmung zu weiteren Bürgschaften
die Überarbeitung des internationalen Rahmenwerks der International
Atomic Energy Agency (IAEA) zur Reaktion auf Notfälle abwarten, das der
IAEA Director General Yukiya Amano am 21. März 2011 angekündigt hat
und dementsprechend handeln, und wenn nein, warum nicht?

10. Welche Rolle nimmt bei der Vergabe von Hermesbürgschaften die Prüfung
der gegenwärtigen und zu erwartenden Stabilität und Zuverlässlichkeit von
Institutionen zur Überwachung und Kontrolle der Kernkraftwerke (Atom-
aufsicht) in den Empfängerländern ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5277

11. Wie erklärt die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen ihrer Vergabe-
praxis von Hermesbürgschaften einerseits und den Sicherheitskriterien im
Falle von Nuklearanlagen, denen sich die osteuropäischen EU-Beitritts-
kandidaten unterziehen mussten andererseits, die dazu geführt hat, dass
identische Reaktortypen, die in Bulgarien, Litauen und der Slowakei aus
Sicherheitsgründen abgeschaltet werden mussten mithilfe deutscher Bürg-
schaften in Russland weiter in Betrieb gehalten werden können (Lenin-
gradskaja 3 und Novovoronezhkaja 4)?

Berlin, den 24. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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