BT-Drucksache 17/521

Für eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft - Nachhaltiges Wachstum und mehr Beschäftigung schaffen

Vom 26. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/521
17. Wahlperiode 26. 01. 2010

Antrag
der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, Klaus
Barthel, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Ulla Burchardt, Martin Dörmann, Peter
Friedrich, Iris Gleicke, Rolf Hempelmann, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Manfred
Nink, Thomas Oppermann, Dr. Sascha Raabe, Carsten Schneider (Erfurt),
Dr. Martin Schwanholz, Dr. Carsten Sieling, Wolfgang Tiefensee, Andrea Wicklein,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft – Nachhaltiges Wachstum und
mehr Beschäftigung schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland befindet sich seit gut einem Jahr in einer Wirtschaftskrise – der
schwersten seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Die globale Wirt-
schaftskrise hat das Land und die internationale Staatengemeinschaft vor große
neuartige Herausforderungen gestellt. Dass Deutschland in dieser Krise ent-
schlossen gehandelt hat, ist auch ein Verdienst der großen Koalition aus CDU/
CSU und SPD, die dieses Land erfolgreich durch außergewöhnlich turbulente
Zeiten geführt hat. Es war sozialdemokratische Politik, die entscheidend dazu
beigetragen hat, die Konjunktur zu stabilisieren, Anreize für Investitionen zu ge-
ben und Arbeitsplätze zu sichern. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Ge-
werkschaften, Unternehmer und Arbeitgeber haben durch besonnenes und um-
sichtiges Handeln in der Krise einen erheblichen Anteil daran, dass es in
Deutschland zu einem bisher erfolgreichen, weltweit beachteten Krisenmanage-
ment gekommen ist. Von diesem Kurs haben sich die schwarz-gelbe Bundes-
regierung und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel abgewandt.

Die nächsten Jahre werden schwierig für die Beschäftigten aber auch für die
Unternehmen. Deutschland steht gegenwärtig vor einer historischen Weggabe-
lung: Entweder es wählt den Pfad eines niedrigen Wachstums mit geringen Zu-
kunftsinvestitionen und hoher Arbeitslosigkeit. Oder das Land schlägt den Weg
eines hohen Wachstums mit mehr Innovationen und verstärkten Investitionen
ein. Deutschland braucht eine nachhaltigere Wirtschaftspolitik, den Einstieg in
ein intelligentes Wachstumsmodell, das gleichzeitig und gleichgewichtig nach-
haltige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Sicherheit und ökologische
Verantwortung miteinander verbindet. Im Lichte einer sich wandelnden Welt

und der großen Herausforderung, die Erderwärmung zu bekämpfen sowie eine
nachhaltige Entwicklung zu erreichen, stellt sich die Frage, wie sich Fortschritte
in diese Richtung und von Lebensqualität besser messen lassen. Der Vorschlag
der EU-Kommission, das Bruttoinlandsprodukt durch Indikatoren zu ergänzen,
die die längerfristige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung ab-
bilden, ist zu begrüßen und sollte baldmöglichst realisiert werden. Es braucht

Drucksache 17/521 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

starke Investitionsimpulse, die nicht nur konjunkturell wirken, sondern das
Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft dauerhaft steigern.

Die von der Bundesregierung bislang vorgesehenen Maßnahmen werden diesem
Anspruch nicht gerecht. Die Bundesregierung betreibt eine falsche Politik und
läuft Gefahr – so der Sachverständigenrat in seinem jüngst vorgelegten Jahres-
gutachten –, die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Die Folgen dieser Politik werden
gravierend sein: Die Wirtschaftsweisen prophezeien in ihrem Jahresgutachten,
dass, wenn die Bewältigung dieser Herausforderungen misslingt, „Deutschland
für lange Zeit unter einer Wachstumsschwäche, einer die Generationengerechtig-
keit untragbar verletzenden öffentlichen Verschuldung und einem am staatlichen
Tropf hängenden Bankensystem“ leiden wird (Jahresgutachten 2009/10 Erstes
Kapitel Nummer 1).

Es sind weder von dem bereits beschlossenen Wachstumsbeschleunigungsge-
setz noch von den Ankündigungen der neuen Koalition für eine Steuerreform
2011 nennenswerte wachstumsfördernde Impulse zu erwarten. Im Gegenteil:
Diese Maßnahmen heben die Staatsverschuldung dramatisch an und schwächen
die Finanzkraft des Bundes, der Länder und der Kommunen, die deshalb keine
andere Wahl haben werden, als die Steuerausfälle durch Kürzung der Ausgaben
für Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie soziale Daseinsvorsorge zu
kompensieren. Gerade eine Ausweitung und Verstetigung dieser öffentlichen
Investitionen wäre jedoch Grundlage für eine positive Wirtschaftsentwicklung.
Konsequenz dieser Politik ist, dass die erfolgreichen Bemühungen der Vorgän-
gerregierung im Rahmen des kommunalen Investitionsprogramms konterkariert
werden. Auch das von der neuen Koalition selbst gesetzte Ziel eines „Mehr
Netto vom Brutto“ wird ins Gegenteil verkehrt: steigende kommunale Gebühren
und höhere Abgaben belasten Bürgerinnen und Bürger und schwächen die Kauf-
kraft.

Und das in einer Situation, in der die Krise noch nicht überstanden ist – Deutsch-
land steht ein schwieriges Jahr 2010 bevor. Die überraschend gute Wirtschafts-
entwicklung im dritten Quartal 2009 ist ein positives Zeichen, doch kein Grund
zur Entwarnung, da sie sich in erheblichem Maße auf die in Deutschland und
weltweit auf den Weg gebrachten Konjunkturprogramme stützt. Zu erwarten
sind für 2010 ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Zunahme der
Verschuldung der öffentlichen Haushalte.

Aufgabe der Politik ist es, ein „Weiter so“ oder eine Rückkehr zu einer Politik
wie vor der Krise zu verhindern. Dabei müssen vor allem die Probleme der glo-
balen Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik gelöst werden.
Deutschland wird diese Krise nur meistern, wenn es sie im Einklang mit unseren
Partnern in der EU bekämpft. Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung sind auf
europäischer Ebene auszubauen – wirtschaftliche Integration darf nicht auf Kos-
ten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.

Die Politik in Deutschland muss sich jetzt diesen gewaltigen Aufgaben stellen,
um gestärkt aus der Krise herauszukommen. Die Lasten der Krise müssen ge-
recht verteilt werden – es müssen die Verursacher herangezogen werden.
Deutschland braucht eine Politik des höheren Wachstumspfades mit Investitio-
nen in Bildung und Innovation – hierfür bedarf es einer Strategie für nachhal-
tiges Wachstum und guter Arbeit, auf deren Basis eine Wirtschaftspolitik mög-
lich ist, die unsere Volkswirtschaft krisenfester und dynamischer macht. Die
zentralen Elemente einer solchen Strategie sind die gezielte Regulierung der
Finanzmärkte, wirksame Maßnahmen zur Sicherstellung der Kreditversorgung,
vor allem für den Mittelstand, und eine nachhaltige Wachstums- und Beschäf-
tigungspolitik.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/521

Finanzmarktregulierung

Weltwirtschaftliche Stabilität setzt zwingend eine Stabilisierung der Finanz-
märkte voraus. Die innerhalb der G20 und der EU getroffenen Absprachen müs-
sen nun als erster Schritt in konkrete Regulierungsvorschriften umgesetzt wer-
den. Die Bundesregierung will dies jedoch bis 2012 aussetzen und damit fun-
damentale Probleme in diesem Bereich gerade nicht lösen. Die gegenwärtigen
Anzeichen eines „business as usual“ sind alarmierend – es darf nicht zugelassen
werden, dass Finanzjongleure erneut die Realwirtschaft bedrohen. Die Bundes-
regierung jedoch handelt nicht.

Es geht darum, Instrumente zu finden, um Investitionen in der Realwirtschaft
gegenüber der kurzfristigen Finanzanlage zu stärken – Anreize für Spekulatio-
nen sind zu begrenzen und Anreize für langfristige Investitionen zu erhöhen.
Kein Markt, kein Produkt und kein Akteur darf in Zukunft unreguliert bleiben.
Für die Verbraucher muss ein Finanz-TÜV eingeführt werden. Die auf dem
G20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 auf Betreiben der Sozialdemokra-
ten von der damaligen Bundesregierung eingebrachte internationale Finanz-
transaktionssteuer ist von der neuen Bundesregierung weiter zu verfolgen und
durchzusetzen – wenn nicht international, dann europäisch. Sollte kurzfristig
weder eine internationale noch eine europäische Übereinkunft erzielt werden
können, soll als erster Schritt eine nationale Börsenumsatzsteuer nach briti-
schem Vorbild eingeführt werden.

Verantwortungsvoll handelnde Bankmanager brauchen Anreiz- und Vergütungs-
systeme, die auf mehr Nachhaltigkeit statt auf schnelle Rendite ausgerichtet
sind. Gehaltsexzesse dürfen nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden.
Es bedarf eines strikten Vorgehens gegen exzessive Bankergehälter. Die Be-
grenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit überhöhter Bonuszahlungen als Be-
triebsausgaben ist umgehend umzusetzen. Darüber hinaus muss eine unmittel-
bare Abgabe auf Bonuszahlungen der Banken geprüft werden.

Nachhaltige Zukunftsinvestitionen

Deutschland braucht eine Politik des intelligenten Wachstums. Eine Politik, die
die Wachstumspotenziale der deutschen Volkswirtschaft nachhaltig erhöht.
Maßnahmen, die die Volkswirtschaft modernisieren. Es ist erforderlich, Zu-
kunftsinvestitionen zu fördern und zu tätigen – dies bildet eine der wesentlichen
Grundlagen für ein höheres Wirtschaftswachstum. Dazu müssen sowohl die pri-
vaten als auch die öffentlichen Investitionen gesteigert werden.

Die Investitionsquote in Deutschland liegt heute deutlich unter dem Durch-
schnitt der EU sowie der OECD. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen und
des Staates bestimmt insbesondere den langfristigen Wachstumstrend. Mehr
unternehmerische Investitionen sind daher dringend erforderlich, um Arbeits-
plätze zu schaffen, für zusätzliche Einkommen und die Belebung der Binnen-
nachfrage. Hierfür kommen in Betracht eine möglichst zielgenaue Anhebung
der degressiven AfA (Abschreibung für Abnutzung), Sonderabschreibungen
und Investitionszulagen für ressourcensparende Investitionen und gezielte Exis-
tenzgründungshilfen. Für ökologisch wirksame Investitionen werden zusätz-
liche Anreize geschaffen.

Öffentliche Investitionen

Das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Wachstumsbeschleuni-
gungsgesetz bedient außer in der Besserstellung der Familien reine Klientel-
interessen. Aber es leistet – wie anlässlich der Sachverständigenanhörung im
Deutschen Bundestag einhellig geäußert – keinen Beitrag zu mehr Wachstum,

schon gar nicht zu beschleunigtem Wachstum. Denn das Paket löst weder zu-
sätzliche investive Impulse aus noch stärkt es die Einkommen derer, die das

Drucksache 17/521 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Geld auch ausgeben. So wird durch die Mehrwertsteuersenkung für Übernach-
tungen nicht eine einzige zusätzliche Übernachtung angeregt.

In der modernen Wirtschaftsforschung ist unumstritten, dass öffentliche Inves-
titionen stärkere Wachstumseffekte nach sich ziehen als Steuersenkungen, wie
jüngst auch wieder der Internationale Währungsfonds (IWF) dargelegt hat.
Gerade diese Investitionen werden mit den im Wachstumsbeschleunigungs-
gesetz verabschiedeten Maßnahmen aber aufs Spiel gesetzt. Zwei Drittel aller
öffentlichen Investitionen werden von den Kommunen geleistet. Ihnen werden
in den kommenden Jahren daher wichtige Einnahmen fehlen.

Es bedarf jetzt eines massiven Impulses bei den öffentlichen Investitionen ins-
besondere in das Bildungssystem in Deutschland. Eine Bildungsoffensive für
soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stärke und eine bessere Integration. Zu
Recht wird darauf hingewiesen, dass Deutschland seine Bildungsinvestitionen
dauerhaft um rund 25 Mrd. Euro jährlich anheben müsste, um zumindest den
OECD-Durchschnitt zu erreichen. Es ist enttäuschend, dass die Bundesregie-
rung auf dem zweiten so genannten Bildungsgipfel am 16. Dezember 2009 er-
neut nur Absichtserklärungen abgegeben hat, die sowohl im Mittelvolumen als
auch in der Verbindlichkeit völlig unzureichend sind.

Maßnahmen im Rahmen der Bildungsoffensive sind u. a. der Ausbau der früh-
kindlichen Bildung, ein Ausbau der Ganztagsschulen, die Einführung eines
Rechts auf Berufsausbildung für alle Jugendlichen etwa im Rahmen der Weiter-
entwicklung des Ausbildungspaktes und eine Verbesserung der Qualität von
Studium und Lehre durch einen Studienpakt von Bund und Ländern.

Deutschland wird dauerhaften Wohlstand für alle nur dann erreichen, wenn das
neue Jahrzehnt das Jahrzehnt der Investitionen in Bildung und Forschung wird.
Bildung ist ein Menschenrecht und Voraussetzung für eine selbstbestimmte in-
dividuelle Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Zudem kann Deutsch-
land seine Spitzenstellung auf den Weltmärkten nur behaupten, wenn es in das
Know-how der Menschen investiert, den Forschungsstandort stärkt und den
Wissenstransfer besser organisiert. Das Wissen und die Qualifikation der Men-
schen sind entscheidende Faktoren für eine zukunftsfähige Wirtschaft. Es liegt
gerade auch im Interesse von Unternehmen, dass genügend qualifizierte Fach-
kräfte zur Verfügung stehen. Der Fachkräftebedarf der nächsten Jahre muss
gesichert werden. Gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer sind eine wesentliche Stärke unseres Landes im internationalen
Wettbewerb.

Der Aus- und Weiterbildung kommt eine wichtige Schlüsselrolle zu. Nur mit
ihrem Ausbau wird es gelingen, jeder und jedem Einzelnen die Möglichkeit zu
sichern, Qualifikationen und Kompetenzen durch lebenslanges Lernen konti-
nuierlich zu erhalten, zu erneuern und auszubauen. Davon profitieren vor allem
auch die Unternehmen, die mit differenzierten und maßgeschneiderten Qualifi-
zierungsangeboten flexibel auf Anforderungen von Markt, Betrieb und Technik
reagieren können. Ziel muss es sein, die Beteiligung an der formalisierten Wei-
terbildung bis 2015 auf 60 Prozent zu erhöhen (2007: 43 Prozent).

Forschung und Innovation

Deutschland braucht eine Intensivierung der Forschungsausgaben. Investitionen
in Forschung und Innovationen bilden die Grundlage für wirtschaftliches
Wachstum. Wissen und Erfindungsreichtum sind die Basis für den Wohlstand in
Deutschland. Innovationen sind insbesondere in Krisenzeiten Basis für wirt-
schaftliches Wachstum. Hierzu bedarf es nicht nur einer innovativen Großindus-
trie, sondern vor allem auch der Ausweitung der Forschung im Mittelstand.

Wirtschaftliche Stärke basiert vor allem auch auf der Fähigkeit, aus guten Ideen
innovative Produkte und Dienstleistungen zu erstellen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/521

Die Forschungsausgaben im Mittelstand sind krisenbedingt stark rückläufig und
müssen stimuliert werden. Die bestehende Projektförderung ist und bleibt ein
unverzichtbares Element der deutschen Forschungsförderung und muss weiter
ausgebaut werden. Die Evaluierung staatlicher Forschungs- und Innovationsför-
derung zeigt aber zugleich, dass besonders kleine und mittlere Unternehmen
(KMU) weniger stark von der Projektförderung profitieren als Großunterneh-
men.

Eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung in Form einer Steu-
ergutschrift für kleine und mittlere Unternehmen stellt – additiv zur bestehenden
Projektförderung – eine wichtige Ergänzung der Forschungsfinanzierung dar
und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des 3-Prozent-
Ziels von Lissabon. Die Vorteile einer steuerlichen Förderung liegen vor allem
in ihrer Neutralität und Technologieoffenheit gegenüber Inhalt und Charakter
der FuE-Projekte (FuE = Forschung und Entwicklung). Gleichzeitig sind aber
Mitnahmeeffekte zu begrenzen. Die Einführung von Steuergutschriften für
private Forschungsausgaben ist eine gezielte Wirtschaftsförderung, die rasche
und dauerhafte Verbesserungen verspricht und die Innovationskraft des deut-
schen Mittelstandes stärkt. Gerade auch die stark innovativen mittelständischen
Hersteller grüner Technologien werden so gefördert.

Die Bundesregierung hat keine konkreten Pläne zum Thema Forschungsförde-
rung im Mittelstand; im Koalitionsvertrag wird eine steuerliche Förderung von
Forschung und Entwicklung lediglich angestrebt. Es besteht die Gefahr, dass die
steuerliche Forschungsförderung auf Kosten der Projektförderung geht. Eine
steuerliche Förderung ausschließlich für die Forschungsausgaben von Großun-
ternehmen und Konzernen, wie sie die Bundesregierung offenbar vorbereitet,
wird abgelehnt.

Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Wissens- und Technologietrans-
fers kann der Ausbau der öffentlich finanzierten Validierungsforschung leisten.
Mit dieser können Erkenntnisse der Grundlagenforschung mit dem Ziel weiter-
entwickelt werden, für die klassischen marktorientierten Transferinstrumente
wie u. a. Ausgründungen und Risikokapitalgeber attraktiv zu werden und in die
anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung einzumünden. Die Validie-
rungsforschung kann so einen Beitrag zur Überbrückung der Innovationslücke
leisten.

Nachhaltiges Wachstum/Stärkung der Binnennachfrage

Es geht auch darum, eine bessere Balance der deutschen Volkswirtschaft zu er-
reichen, indem die Binnenwirtschaft gezielt gestärkt wird. Allein weiter auf die
starke Exportwirtschaft zu setzen, wird nicht auf einen neuen nachhaltigen
Wachstumspfad führen, denn wichtige Abnehmerländer Deutschlands, wie die
USA, süd- und osteuropäische Länder, sind hoch verschuldet (Leistungsbilanz-
defizite) und haben einen längeren Weg der Konsolidierung vor sich.

Damit die private Binnennachfrage gestärkt wird, muss Arbeit fair entlohnt
werden. Eine gerechtere Einkommensverteilung kann einen Nachfrageschub
auslösen. Die Reallohnentwicklung soll sich wieder stärker am Produktivitäts-
wachstum orientieren – dazu braucht es starke Sozialpartner. Gerade in der Wirt-
schaftskrise hat sich gezeigt, dass Unternehmen und Beschäftigte eine Gemein-
schaft bilden, die ihre Balance auch in einer gerechten Vergütung und Entloh-
nung finden muss. Eine stark zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen
beeinträchtigt – wie die Krise gezeigt hat – das Wirtschaftswachstum: Steigen
nämlich die Einkommen vor allem der oberen Einkommensschichten, fließen
immer größere Summen in den Finanzsektor und eben nicht über den Konsum
in die Realwirtschaft. Die höheren Ersparnisse gehen damit der Realwirtschaft

verloren und treiben die Kurse im Finanzsektor weiter an (Vermögenspreis-
blasen).

Drucksache 17/521 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen Dumpinglöhne abzusichern,
sind in möglichst vielen Branchen allgemeinverbindliche tarifliche Mindest-
löhne zu unterstützen. Ziel ist ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn als un-
terste Grenze. Dies ist der richtige Kurs gegen Armutslöhne. Die Bundesregie-
rung schlägt auch hier einen falschen Kurs ein: Statt eines Mindestlohns sollen
nach dem Koalitionsvertrag „sittenwidrige Löhne, die ein Drittel unter dem
Durchschnitt liegen“ verboten werden. Wenn in Branchen, in denen Löhne von
vier bis fünf Euro üblich sind, statt tariflicher Lohnuntergrenzen der branchen-
übliche Lohn der Maßstab sein soll, der dann um nicht mehr als ein Drittel
unterschritten werden darf, bleibt es bei Armutslöhnen. Diese gehen unmittelbar
zulasten der Binnennachfrage.

Nachfrageimpulse für neue Technologien in Deutschland können durch eine
umweltbewusste öffentliche Beschaffung entstehen. Wenn Bund, Länder und
Kommunen sich auf neue, abgestimmte Beschaffungsstandards einigen, bilden
sie mit fast 60 Mrd. Euro jährlich (bei einem Gesamtbeschaffungsvolumen von
rund 260 Mrd. Euro jährlich) eine massive Einkaufsmacht für umweltfreund-
liche Produktinnovationen. Im Rahmen der letzten Vergaberechtsreform konnte
durchgesetzt werden, dass Bund, Länder und Kommunen soziale und ökologi-
sche Kriterien bei der Auftragsvergabe berücksichtigen können. Die Aufnahme
der „Kann“-Regelung im Gesetz war ein erster Schritt. Es gilt nun, sich dafür
einzusetzen – insbesondere auch zur Stärkung von Tariftreue –, dass die Berück-
sichtigung sozialer und ökologischer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsver-
gabe zur Pflicht wird. Hierzu bedarf es auch einer entsprechenden europäischen
Initiative.

Binnennachfrage und Europäische Währungsunion

Die Stärkung der Binnennachfrage durch öffentliche Investitionen und Lohnsta-
bilisierung ist auch für die Europäische Währungsunion von großer Bedeutung.
Im Euroraum bestehen große Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzsalden.
Während Deutschland vor der Krise einen Leistungsbilanzüberschuss von sie-
ben Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) hatte, wiesen Spanien, Portugal
und Griechenland Leistungsbilanzdefizite von bis zu zehn Prozent auf. Würde
letzteren von der EU massive Lohnzurückhaltung bzw. -kürzung abgefordert
und würde Deutschland gleichzeitig seine einseitige Exportorientierung auf-
rechterhalten, könnte es zu Stabilitätsproblemen bei der Europäischen Wäh-
rungsunion kommen.

Kreditklemme

Für die binnenwirtschaftliche Entwicklung wird die Kreditversorgung der Wirt-
schaft von besonderer Bedeutung sein. Ein wesentliches Merkmal der deutschen
Wirtschaft ist der hohe Anteil von kleinen und mittleren Unternehmen, die mit
einer relativ geringen Eigenkapitaldecke ausgestattet und kaum am Kapital-
markt engagiert sind. Diese Betriebe sind von einer ausreichenden Kreditversor-
gung der Banken stark abhängig. Banken vergeben Kredite gar nicht oder nur
noch zu deutlich ungünstigeren Konditionen. Bei allgemein zunehmender Nach-
frage erhalten Unternehmen insbesondere nicht ausreichend dringend benötigte
Betriebsmittelkredite.

Die unzureichende Kreditversorgung der Unternehmen durch die Banken kann
sich für viele Mittelständler existenzbedrohend auswirken und gefährdet einen
möglichen Aufschwung, insbesondere auch, weil die Innovationsfähigkeit der
kleinen und mittleren Unternehmen erheblich beeinträchtigt wird.

Die ausreichende und zügige Kreditversorgung für mittelständische Unterneh-

men hat oberste Priorität, da diese für die Entwicklung der Wirtschaft unver-
zichtbar ist. Banken haben mit ihrer Aufgabe, die Realwirtschaft mit Krediten

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/521

zu versorgen, Mitverantwortung für neues Wirtschaftswachstum. Die Banken
müssen verpflichtet werden, sich angemessen an der Stabilisierung des Finanz-
marktes zu beteiligen. Die Änderungen der Vorschriften zur Vorhaltung regula-
torischen Eigenkapitals und die Fähigkeit der Banken zur Kreditvergabe müssen
in Einklang miteinander gebracht werden.

Die Vorgängerregierung hat mit der Einrichtung des Wirtschaftsfonds Deutsch-
land gehandelt – mit den Mitteln aus dem Wirtschaftsfonds soll insbesondere
dem Mittelstand geholfen werden. In vielen Fällen werden die Mittel jedoch
dafür genutzt, bestehende Kredite zu verlängern: Sie werden gerade nicht dazu
genutzt, neues Kreditvolumen auszureichen und zu generieren. Die Banken ver-
spielen hier erneut Vertrauen und werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.

Mitarbeiterkapitalbeteiligung kann zu einem wichtigen Faktor bei der Sanierung
eines Unternehmens werden; freiwillige Beiträge der Beschäftigten können für
Unternehmen im Sanierungsfall ein wichtiges Instrument zur Überwindung der
Krise sein. Neben direkten Beteiligungen kommen als zusätzliche Möglichkeit
einer Mitarbeiterbeteiligung für mittelständische Unternehmen auch Fonds-
lösungen in Betracht, bei denen eine Vielzahl von Unternehmen gemeinsam
einen Fonds für ihre Beschäftigten errichtet.

Zur Umsetzung von Innovationen in Produkte ist geeignetes Wagniskapital ent-
scheidend; vor allem für kleine Unternehmen und Neugründungen. Es bedarf
einer Initiative für Wagniskapital aus erfahrenen Produktionsunternehmen.
Wagniskapital von erfolgreichen Unternehmen muss gekoppelt werden mit
unternehmerischer Unterstützung und schneller Vermarktung über bestehende
Vertriebskanäle. Das Instrument dafür können unternehmenseigene Fonds, aber
auch branchen- oder regionsspezifische unternehmensübergreifende Fonds sein.
Das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz ist im Hinblick auf die Erreichung dieser
Ziele zu überprüfen.

Mittelstand

Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. 99 Prozent aller
Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen, in denen rund die Hälfte
unserer Wirtschaftsleistung erbracht wird. Rund drei Viertel aller Beschäftigten
arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. 80 Prozent aller Jugendlichen
werden in kleinen und mittleren Unternehmen ausgebildet. In der Wirtschaft,
insbesondere im Mittelstand, sind Unternehmerinnen oder Unternehmer die
Regel, die mit hoher gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, mit ausgeprägtem
sozialem Bewusstsein und mit hoher Verantwortung für den Mitarbeiterbereich
ihr Unternehmertum verstehen und tagtäglich praktizieren. Es geht darum,
Branchenstrukturen, Unternehmen und Belegschaften mit ihren Qualifikationen
zu erhalten, so dass sie nach der Krise schnell wieder durchstarten können. Mit-
telständische Unternehmen sind in ihrer Innovationsfähigkeit zu stärken und in-
ternationaler auszurichten, damit sie den Anforderungen der Globalisierung
standhalten.

Deutschland braucht eine neue Gründungskultur. Es geht darum, die Bedingun-
gen für Existenzgründer weiter zu verbessern, insbesondere die soziale Absiche-
rung. Genehmigungsverfahren sind weiter zu vereinfachen und zu konzentrie-
ren. Das Modell des High-Tech Gründerfonds soll gestärkt und auf andere
Bereiche ausgedehnt werden. Der Bürokratieabbau ist konsequent weiter fort-
zuführen: Bürokratische Hemmnisse für mittelständische Unternehmen sind
weiter abzubauen, indem u. a. Informations- und Statistikpflichten weiter redu-
ziert und Dokumentationspflichten auch auf elektronischem Wege ermöglicht
werden.
Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) ist von der Großen
Koalition ein wirksames Instrument zur Stärkung der Innovationsfähigkeit des

Drucksache 17/521 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

deutschen Mittelstands geschaffen worden. Kleine und mittlere Unternehmen
erhalten Zuschüsse und günstige Darlehen, um Forschungs- und Innovations-
projekte zu finanzieren. Durch das ZIM ist ein transparentes, zielgenaues und
leicht zugängliches Förderangebot geschaffen worden, das mindestens auf dem
Niveau von 2009 beibehalten werden muss.

Strategische und ökologische Industriepolitik

Wesentlicher Bestandteil einer Wachstumsstrategie sind die Modernisierung
traditioneller industrieller Zweige und der Aufbau neuer, wachstumsstarker
Branchen. Die Bundesregierung hat kein industriepolitisches Konzept.

Deutschland braucht auch in Zukunft eine starke Industrie als Basis einer wis-
sensintensiven und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft. Jeder dritte Arbeits-
platz hängt an der Entwicklung der industriellen Wertschöpfung. Es gilt, den
Produktionsstandort Deutschland dauerhaft zu festigen und zu stärken. Ohne
eine starke Industrie sind Wachstum und Beschäftigung kaum möglich. Die
wirtschaftliche Kernstärke Deutschlands liegt im erfolgreichen Zusammenspiel
aus produzierendem Gewerbe und produktionsnahen Dienstleistungen.

Deutschland braucht eine aktive Industriepolitik, um internationale Wettbe-
werbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. Für eine zukunftsfähige Entwick-
lung der Industriepolitik ist der technologische Fortschritt mitentscheidend.
Deutschland ist in zentralen Technologiefeldern Spitzenreiter. Diese Position
gilt es zu halten und weiter auszubauen; hier hat die Wirtschaft erhebliche
Wachstumschancen.

Die Industriepolitik muss qualitativ neu ausgerichtet werden. Ökologische In-
dustriepolitik muss die industrielle Struktur unserer Ökonomie auf die knapper
werdenden Ressourcen einstellen, Zukunftsindustrien stärken und die deutsche
Wirtschaft auf die Leitmärkte der Zukunft ausrichten. Sie macht die deutsche
Wirtschaft langfristig unabhängiger von den Preisentwicklungen an den Roh-
stoffmärkten. Mit gezielter Industriepolitik wird der Kurs der Wirtschaft ins
Zeitalter der Energie- und Rohstoffeffizienz gesteuert und begleitet: So können
neues Wachstum, neue Wertschöpfung, neue Produkte und neue Beschäftigung
entstehen.

Es bedarf einer strategischen Industriepolitik, die Leitmärkte der Zukunft als
Absatzmärkte erschließt und damit den Standort Deutschland sichert. Es geht
um den Ausbau und die weitere Erschließung von Leitmärkten wie Klima- und
Umwelttechnik. Die bisherigen Leitmärkte wie die Automobilbranche sind ein
Teil dieser Zukunftsoption. Insoweit gilt es, den Bau des Autos der Zukunft zu
unterstützen, indem bei Elektroantrieb und Entwicklung von Wasserstoff- und
Brennstoffzellenantrieben die bestehende Förderung konsequent fortgesetzt wird.
Im Leitmarkt Energie braucht Deutschland einen nationalen Aktionsplan zu
erneuerbaren Energien. Die Erschließung von Leitmärkten entscheidet maßgeb-
lich auch über die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Eine strategische und ökologische Industriepolitik wird zur Erhaltung und
Modernisierung der industriellen Basis führen und damit die Grundlage für
neues nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung in den Märkten der Zukunft
legen.

Innovative Dienstleistungen

Deutschland hat als Dienstleistungsstandort ein hohes Potenzial – innovative
Dienstleistungen sind damit ein weiteres wichtiges Element einer Wachstums-
strategie. Eine starke Industrie und innovative Dienstleistungen bedingen ein-

ander; produktionsnahe Dienstleistungen sind integraler Bestandteil starker in-
dustrieller Produktion.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/521

Insbesondere die Gesundheits- und die Kreativwirtschaft können sich auch in
diesem Jahrzehnt zum Beschäftigungsmotor entwickeln. Anstatt diese Beschäf-
tigungspotenziale gezielt auszubauen, betreibt die Bundesregierung eine Politik
des Stillstandes. Es bedarf jetzt konsequenter Strategien, um die genannten Be-
schäftigungschancen Wirklichkeit werden zu lassen – Chancen sind gezielt zu
identifizieren und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und zu ergreifen.

Modernisierung der Infrastruktur

Eine leistungsfähige Volkswirtschaft braucht leistungsfähige Infrastrukturen.
Als Grundlage für neues Wachstum und für die Arbeit von morgen braucht
Deutschland eine Modernisierung seiner Energie-, Verkehrs- und Kommunika-
tionsinfrastruktur.

Es muss ein intelligentes Energienetz geschaffen werden, dass auf den Ausbau
der erneuerbaren Energien hin angelegt ist. Deutschland braucht eine Strategie,
mit der eine Lösung für ein schnelles Breitbandnetz für alle auf den Weg ge-
bracht wird. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung
für Wachstum. Vor dem Hintergrund weiter steigenden Verkehrsaufkommens
sind erhebliche Investitionen notwendig, um die Verkehrsnetze darauf einzustel-
len. Auch hier wird deutlich: Die schuldenfinanzierte Steuersenkungspolitik der
schwarz-gelben Koalition ist eindeutig der falsche Weg, da sie erforderliche
Investitionen verhindert.

Finanzierung

Umfangreiche Stützungsmaßnahmen der Politik im Rahmen der Konjunktur-
pakete haben die wirtschaftliche Entwicklung stabilisiert, gleichzeitig aber auch
die Staatsverschuldung erheblich ausgeweitet. Der weitere Weg aus der Rezes-
sion wird mühsam und stellt die öffentlichen Haushalte vor große Herausforde-
rungen.

Für nachhaltige Zukunftsinvestitionen und höhere Aufwendungen für Bildung
und Forschung müssen neue finanzielle Handlungsspielräume geschaffen wer-
den. Zusätzliche Spielräume für die schon beschlossenen und die weiterhin ge-
planten Steuersenkungen der Bundesregierung gibt es nicht. Vor diesem Hinter-
grund stellen die Pläne der Bundesregierung eine finanzpolitisches Abenteuer
dar – auf die ab 2011 geplanten weitergehenden Einkommensteuersenkungen in
Höhe von rund 20 Mrd. Euro pro Jahr ist zu verzichten.

Neben dem Abbau von Subventionen muss es auch zur Verbesserung der staat-
lichen Einnahmesituation kommen. Ebenfalls zur Gegenfinanzierung muss die
Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer Element eines solida-
rischen Lastenausgleichs sein.

Darüber hinaus muss das Steuerkonzept Vermögende, unter anderem durch die
Wiedereinführung der Vermögensteuer, stärker in die Verantwortung für das
Gemeinwohl nehmen und Normalverdiener sowie Familien steuerlich besser-
stellen. Auf Spitzeneinkommen ist ein „Bildungssoli“ einzuführen, um auch
damit einen Beitrag zur Steigerung der dringend notwendigen Bildungs- und
Forschungsinvestitionen zu leisten.

Drucksache 17/521 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sicherzustellen, dass die innerhalb der G20 und der EU getroffenen Abspra-
chen zur Stabilisierung der Finanzmärkte auch in konkrete Regulierungsvor-
schriften umgesetzt werden. Anreize für Spekulationen sind zu begrenzen
und Anreize für langfristige Investitionen zu erhöhen. Kein Markt, kein Pro-
dukt und kein Akteur, darf in Zukunft unreguliert bleiben. Für die Verbrau-
cher muss ein Finanz-TÜV eingeführt werden. Die auf dem G20-Gipfel in
Pittsburgh im September 2009 eingebrachte internationale Finanztransak-
tionssteuer ist von der neuen Bundesregierung weiter zu verfolgen und
durchzusetzen – wenn nicht international, dann europäisch. Sollte auf inter-
nationaler oder europäischer Ebene keine Einigung erzielt werden können,
ist als erster Schritt eine nationale Börsenumsatzsteuer nach dem Vorbild der
englischen Stempelsteuer einzuführen. Die Begrenzung der steuerlichen
Abzugsfähigkeit überhöhter Bonuszahlungen als Betriebsausgaben ist
umgehend umzusetzen. Darüber hinaus muss eine unmittelbare Abgabe auf
Bonuszahlungen der Banken geprüft werden;

2. Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die gezielt zusätzliche Investitionen
im Unternehmenssektor auslösen und zu nachhaltigem Wachstum und nach-
haltiger Beschäftigung beitragen. Dafür kommen in Betracht eine möglichst
zielgenaue Anhebung der degressiven AfA, Sonderabschreibungen und
Investitionszulagen für ressourcensparende Investitionen und gezielte Exis-
tenzgründungshilfen. Für ökologisch wirksame Investitionen werden zusätz-
liche Anreize geschaffen;

3. eine Bildungsoffensive zu starten und die Investitionen in das Bildungssys-
tem so zu erhöhen, dass sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreicht
werden. Allein der Bund muss für eine Bildungsoffensive 10 Mrd. Euro zu-
sätzlich im Jahr für Bildung und Forschung investieren. Maßnahmen im
Rahmen der Bildungsoffensive sind der Ausbau der frühkindlichen Bildung,
ein Ausbau der Ganztagsschulen, die Einführung eines Rechts auf Berufs-
ausbildung für alle Jugendlichen und eine Verbesserung der Qualität von
Studium und Lehre durch einen Studienpakt;

4. Maßnahmen mit dem Schwerpunkt des Ausbaus von Förderansprüchen im
Hinblick auf die Weiterbildung auf den Weg zu bringen, um das Ziel zu
erreichen, die Beteiligung an der formalisierten Weiterbildung bis 2015 auf
60 Prozent zu erhöhen;

5. die gesamtwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf drei
Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2015 zu steigern. Dazu können die
bestehenden Formen der Projektförderung insbesondere durch den Ausbau
der öffentlichen Validierungsforschung sowie eine steuerliche Förderung
von Forschungsanstrengungen von Unternehmen in Form einer Steuergut-
schrift (tax credit) für kleine und mittlere Unternehmen ergänzt werden;

6. die Binnennachfrage durch Nachfrageimpulse für neue Technologien in
Deutschland im Rahmen einer umweltbewussten öffentlichen Beschaffung zu
stärken. Zur Stärkung von Tariftreue ist sicherzustellen, dass die Berücksich-
tigung sozialer und ökologischer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsver-
gabe zur Pflicht wird. Hierzu bedarf es insbesondere auch einer entsprechen-
den europäischen Initiative. Für mehr Nachfrage und um Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer gegen Dumpinglöhne abzusichern, sind in möglichst vie-
len Branchen allgemeinverbindliche tarifliche Mindestlöhne zu unterstützen.
Ziel ist ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn als unterste Grenze;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/521

7. eine zuverlässige Kreditversorgung der Realwirtschaft sicherzustellen.
Dazu muss es eine verbindliche Selbstverpflichtung der Banken geben, das
Kreditvolumen vor allem für den Mittelstand deutlich zu erhöhen, ohne die
es keine weiteren staatlichen Hilfsmaßnahmen geben darf. Förderinstru-
mente der KfW Bankengruppe sind in geeigneter Weise unter der kontrol-
lierbaren Auflage zu erweitern, dass neues Kreditvolumen generiert wird.
Es ist auch zu prüfen, ob die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf-
sicht bis Ende 2011 eine vorübergehende Erhöhung der regulatorischen
Eigenkapitalquote verbindlich vorschreiben sollte. Für den Fall, dass diese
Maßnahmen nicht ausreichend wirken, ist nach Ende des ersten Quartals
2010 zu prüfen, ob eine direkte staatliche Intervention erforderlich ist.
Die Bereitstellung von Wagniskapital für Unternehmensgründungen oder
-erweiterungen ist zu verbessern;

8. ein Konzept zur Förderung des Mittelstandes vorzulegen, um den Mittel-
stand in seiner Bedeutung für die Volkswirtschaft sowie für Wachstum und
Beschäftigung zu stärken. Neben der Sicherstellung der Unternehmens-
finanzierung und der steuerlichen Förderung von Forschungsanstrengungen
von Unternehmen über Steuergutschriften (tax credits) sind die Rahmen-
bedingungen für eine neue Gründungskultur zu schaffen und weitere Maß-
nahmen zur Entbürokratisierung auf den Weg zu bringen, indem u. a. Infor-
mations- und Statistikpflichten weiter reduziert und Dokumentationspflich-
ten auch auf elektronischem Weg ermöglicht werden. Das Förderangebot
des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) ist mindestens auf
dem Niveau von 2009 beizubehalten;

9. zur Stärkung des Produktionsstandortes Deutschland die Modernisierung
traditioneller industrieller Zweige auf der Grundlage einer strategischen
und ökologischen Industriepolitik voranzutreiben und Leitmärkte der Zu-
kunft – und damit neue wachstumsstarke Branchen – auszubauen und neue
Absatzmärkte zu erschließen. Die Politik zur Förderung der erneuerbaren
Energien ist weiter voranzutreiben. Zur Steigerung von Energie- und Roh-
stoffeffizienz müssen für die Entwicklung effizienterer Technologien vor
allem die Ausgaben für die Energieforschung deutlich gesteigert werden;

10. zur Stärkung des Dienstleistungsstandortes Deutschland unverzüglich ein
Konzept zu entwickeln und auf den Weg zu bringen, mit dem Wachstums-
und Beschäftigungspotenziale der Gesundheits- und Kreativwirtschaft
mobilisiert werden;

11. die Modernisierung der Energie-, Verkehrs- und Kommunikationsinfra-
struktur als Grundlage für Wachstum und Beschäftigung sicherzustellen.
Dazu ist für die Stromnetze der Zukunft die Gründung einer Netzgesell-
schaft auf den Weg zu bringen, die durch die Eigentumsverhältnisse die
Steuerungsfähigkeit des Staates gewährleistet. Für den Ausbau der Ver-
kehrsinfrastruktur ist ein Konzept – in einer gemeinsamen Aktion von
Bund, Ländern und Kommunen sowie der Verkehrswirtschaft – zu erstellen.
Der Ausbau eines hochleistungsfähigen Breitbandes erfordert Investitionen
von bis zu 50 Mrd. Euro und kann nicht allein von einem Unternehmen
bewältigt werden, so dass es entsprechender Kooperationen bedarf – die
Bundesnetzagentur muss in Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt
und den Betreibern die Rahmenbedingungen für solche Kooperationen
klären und entsprechende regulatorische Rahmenbedingungen schaffen;

12. sich weiter für eine gemeinsame europäische bzw. international koordi-
nierte Wirtschafts- und Sozialpolitik einzusetzen. Anzustreben ist, wie bei
den auf europäischer Ebene im Jahr 2009 abgestimmten Konjunkturpro-
grammen, eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung zur Förderung

von Innovation und Nachhaltigkeit;

Drucksache 17/521 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. dafür zu sorgen, dass für nachhaltige Zukunftsinvestitionen neue finanzielle
Handlungsspielräume geschaffen werden. Dazu bedarf es neben dem Ab-
bau von Subventionen einer Verbesserung der staatlichen Einnahmesitua-
tion: Es muss eine internationale Finanztransaktionssteuer auf alle Finanz-
transaktionen eingeführt werden. Darüber hinaus müssen die gesetzlichen
Voraussetzungen für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer geschaf-
fen werden. Auch um einen Beitrag zur Steigerung der dringend notwendi-
gen Bildungs- und Forschungsinvestitionen zu leisten, ist ein Aufschlag auf
den Spitzensteuersatz einzuführen;

14. den dringend erforderlichen Abbau volkswirtschaftlich kontraproduktiver
Subventionen voranzutreiben und die freiwerdenden Mittel für die Förde-
rung von Investitionen bereitzustellen.

Berlin, den 26. Januar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.