BT-Drucksache 17/5002

Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen

Vom 9. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5002
17. Wahlperiode 09. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Christine Buchholz, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema
Movassat, Wolfgang Neskovic, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen

Nach Angaben der Bundesregierung hat die Bundeswehr am 26. Februar 2011
mit zwei Transall-Transportmaschinen einen Einsatz zur Evakuierung deutscher
und anderer Staatsangehöriger aus Libyen durchgeführt. Die vorherige Zu-
stimmung des Deutschen Bundestages zu diesem Einsatz wurde nach Angaben
der Bundesregierung (Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011;
www.bundesregierung.de) unter Berufung auf § 5 des Parlamentsbeteiligungs-
gesetzes (ParlBG) wegen „Gefahr im Verzug“ nicht eingeholt. Auf den durch die
Bundeswehr auf ihrer Website am 26. Februar 2011 zur Verfügung gestellten
Pressebildern (www.bundeswehr.de) sind u. a. auch vermummte Soldaten mit
Sturmgewehren in unmittelbarer Nähe dieser Flugzeuge sichtbar. Nach Anga-
ben von „SPIEGEL ONLINE“ vom 26. Februar 2011 (www.spiegel.de/politik/
ausland) nahmen an der bewaffneten Aktion auf einem Flughafen in der Nähe
eines Ölfelds bei Nafurah auch Seedorfer Fallschirmjäger teil. Das Fallschirm-
jägerbataillon 373 aus Seedorf ist der Luftlandebrigade 31 in Oldenburg unter-
stellt. Bereits am 22. und 23. Februar 2011 wurden ebenfalls mit Transall-Ma-
schinen der deutschen Luftwaffe Angehörige unterschiedlicher Nationalitäten
aus Libyen ausgeflogen. Zudem wurde am 23. Februar 2011 auch ein Airbus
A310 der Flugbereitschaft Richtung Tripolis entsandt. Ob sich an Bord dieser
Maschinen bewaffnete deutsche Streitkräfte befanden ist bislang ungeklärt.

Nach Angaben der deutschen Luftwaffe wurden die Maschinen zum Zwecke
ihrer Einsätze in Libyen vorab auf Kreta stationiert und führten zumindestens
den Einsatz am 26. Februar 2011 zusammen mit Spezialeinheiten verschiedener
Teilstreitkräfte, die für militärische Evakuierungsoperationen (MilEvakOp) aus-
gebildet wurden, durch. Darüber hinaus wurde zur Unterstützung dieser Maß-
nahmen der Einsatzausbildungsverband der Deutschen Marine im Seegebiet
Große Syrte stationiert. Der Verband besteht aus den Fregatten Brandenburg und
Rheinland-Pfalz sowie dem Einsatzgruppenversorger Berlin.

Zwei weitere Transall-Maschinen aus den Lufttransportgeschwadern 62 und 63
sollen derzeit immer noch auf Malta stationiert sein. Insgesamt sollen nach An-
gaben der „Deutschen Presseagentur“ (dpa) vom 5. März 2011 bei den Evakuie-
rungseinsätzen in Libyen sechs Transall-Maschinen der Bundeswehr mit insge-

samt 156 Soldaten beteiligt gewesen sein.

Drucksache 17/5002 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche bewaffneten Einheiten, die dem Bundesministerium der Verteidigung
(BMVg) und/oder auch dem Bundesministerium des Innern (BMI) unter-
stellt sind, nahmen in welcher Stärke, mit welcher Bewaffnung, unter Ein-
satz welcher Transportmittel und in welcher Anzahl sowie unter Verwen-
dung welcher anderen Fahrzeuge oder Hilfsmittel an Evakuierungsaktionen
auf libyschem Staatsgebiet, in libyschen Hoheitsgewässern oder libyschem
Luftraum seit dem 25. Januar 2011 teil (bitte geben Sie genau an, wann und
welche Transportmittel mit welcher Zielortbestimmung benutzt wurden)?

2. Welche der in der Antwort zu Frage 1 aufgelisteten Einsätze dienten nicht
ausschließlich der Evakuierung von Zivilpersonen?

3. Welche bewaffneten Einheiten des BMVg bzw. auch des BMI nahmen, in
welcher Stärke, mit welcher Bewaffnung, und unter Einsatz welcher Trans-
port- und Hilfsmittel an Evakuierungsaktionen am 22./23. Februar 2011 und
26. Februar 2011 in Libyen teil?

4. Welche bewaffneten Einheiten des BMVg bzw. auch des BMI nahmen, in
welcher Stärke, mit welcher Bewaffnung, an welchen Orten an weiteren
Einsätzen auf libyschem Staatsgebiet bzw. in libyschen Hoheitsgewässern
oder libyschem Luftraum seit dem 25. Januar 2011 teil, die nicht der Eva-
kuierung von Zivilpersonen dienten?

5. Wer hatte das Kommando über die betreffenden Einsatztruppen bei den ein-
zelnen Einsätzen in Libyen (bitte nach Einsätzen getrennt auflisten)?

6. Wer und auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage koordiniert in der
Bundesrepublik Deutschland die Zusammenarbeit der verschiedenen mili-
tärischen Verbände zu Lande, zur See und in der Luft seit dem 25. Januar
2011 im Zusammenhang mit den Ereignissen in Libyen?

7. Aus welchen militärischen Verbänden, an welchem Ort, in welcher Stärke
und mit welchen Waffen ausgerüstet setzen sich die derzeit im Mittelmeer
stationierten deutschen militärischen Kräfte zusammen, und zu welchem
Zweck befinden sie sich dort?

8. Wann genau wurde die Notwendigkeit zur Evakuierung der bei den genann-
ten Einsätzen ausgeflogenen deutschen bzw. ausländischen Staatsangehöri-
gen durch die Bundesregierung erkannt?

9. Wann genau wurden erste Vorbereitungsmaßnahmen vor Ort in Libyen und
in der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung der genannten Eva-
kuierungen eingeleitet?

10. Wann genau und in welcher Form hat die Bundesregierung zu den bei den
genannten Evakuierungen ausgeflogenen Personen, die u. a. von Tripolis,
Nafurah oder anderen Orten evakuiert werden sollten, Kontakt aufgenom-
men?

11. Auf welcher völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlage er-
folgte der bewaffnete Einsatz am 22./23. und 26. Februar 2011 sowie – falls
zutreffend – andere Einsätze auf libyschem Staatsgebiet bzw. in libyschen
Hoheitsgewässern oder libyschem Luftraum seit dem 25. Januar 2011?

12. Wer hat wann, in welcher Funktion und mit welcher Begründung über die
genannten Einsätze in Libyen entschieden?

13. Wann und in welcher Form wurde welche zuständige Stelle des Deutschen
Bundestages und mit welchem Inhalt über die am 22./23. und 26. Februar
2011 bzw. an anderen Tagen stattgefundenen Evakuierungsmissionen der

Bunderegierung auf libyschem Staatgebiet seit dem 25. Januar 2011 unter-
richtet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5002

14. Welchen Inhalt und Charakter hatten eventuell vorangegangene Ab-
stimmungen über den Einsatz deutscher Evakuierungskräfte in Libyen, und
welche Bundesministerien wurden wann und in welcher Form an diesen
beteiligt?

15. Warum hat die Bundesregierung den nach ihrer Auffassung zunächst unter
Berufung auf § 5 des ParlBG wegen „Gefahr im Verzug“ entbehrlichen
Antrag auf Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Einsatz am
26. Februar 2011 nicht unverzüglich nachgeholt, wie es § 5 Absatz 3 Satz 1
ParlBG vorschreibt?

a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Wortlaut des § 5 Ab-
satz 3 Satz 1 ParlBG, wonach der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz
unverzüglich nachzuholen ist, für die zwingende Notwendigkeit einer
nachträglichen Zustimmung des Deutschen Bundestages spricht?
Wenn nein, warum nicht?

b) Ist die Bundesregierung der Meinung, dass Sinn und Zweck der Vor-
schrift des § 5 Absatz 3 Satz 1 ParlBG ebenfalls zwingend für die Erfor-
derlichkeit einer nachträglichen Zustimmung spricht, da nur eine zwin-
gende Nachholung der Beteiligung des Parlaments ein Zurücktreten des
Parlamentsvorbehalts zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einsatz
rechtfertigen kann (vgl. Bundestagsdrucksache 15/2742)?
Wenn nein, warum nicht?

c) Spricht nach Auffassung der Bundesregierung nicht auch der Wille des
historischen Gesetzgebers für die zwingende Notwendigkeit, die Zustim-
mung des Parlaments nachträglich einzuholen, da im Rahmen der nach-
träglichen Zustimmung auch die Gründe der Bundesregierung für das
von ihr gewählte Verfahren überprüft werden sollen (vgl. Bundestags-
drucksache 15/2742)?
Wenn nein, warum nicht?

16. Wie hat die Bundesregierung das Risiko beurteilt, dass deutsche Bundes-
wehrsoldaten von libyschen Einheiten angegriffen und festgesetzt werden
könnten?

17. Welche völkerrechtliche Bewertung hat sie für diesen Fall angestellt, um für
einen internationalen Streit um deutsche Bundeswehrsoldaten vorbereitet zu
sein?

18. Wann, durch wen und in welcher Form wurde eine ausdrückliche Zustim-
mung welcher libyschen Behörden zu einer Evakuierungsmission unter Ein-
satz bewaffneter deutscher Kräfte erteilt?

a) Wurden die zuständigen libyschen Behörden über die Art und den Um-
fang der bei diesen Einsätzen getragenen Bewaffnung unterrichtet?
Wenn ja, durch wen?
Wenn nein, warum nicht?

b) Im Falle, dass eine ausdrückliche Zustimmung der libyschen Behörden
nicht eingeholt bzw. nicht erteilt wurde, auf welcher völkerrechtlichen
Rechtsnorm und welcher inhaltlichen Begründung wurde der Einsatz der
bewaffneten Kräfte, nachdem dieser bereits begonnen wurde, dennoch
fortgesetzt?

c) Im Falle, dass eine ausdrückliche Zustimmung der libyschen Behörden
nicht eingeholt bzw. nicht erteilt wurde, in welcher Form, welchen In-
halts und zu welchem Zweck erfolgte die Kommunikation zwischen
deutschen und libyschen Behörden, nachdem der Einsatz bereits begon-

nen wurde?

Drucksache 17/5002 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
19. Auf welcher Rechtsgrundlage hat die Bundesregierung die Durchführung
ihrer militärischen Mission gegen einen Mitgliedstaat der Vereinten Natio-
nen beschlossen, ohne gegebenenfalls die ausdrückliche Zustimmung liby-
scher Behörden einzuholen?

20. Fand nach Ansicht der Bundesregierung durch dieses Kommandounterneh-
men eine Verletzung der Souveränitätsrechte Libyens statt?

Wenn nein, warum nicht?

21. Welche Staaten haben nach Kenntnis der Bundesregierung ihre Staatsbür-
gerinnen und Staatsbürger auf dem Land-, See- oder Luftweg ohne den
Einsatz bewaffneter Kräfte evakuiert?

22. Wie viele deutsche Staatsbürger wurden vor dem 26. Februar 2011 ohne die
Notwendigkeit des Einsatzes bewaffneter Kräfte evakuiert?

Wieso war eine Evakuierung ohne bewaffnete Kräfte am Samstag, den
26. Februar 2011 bzw. falls der Fall, an anderen Tagen, nicht möglich?

23. Wie viele Personen mit welcher Staatsangehörigkeit wurden im Rahmen der
genannten Evakuierungseinsätze und anderen Evakuierungsaktionen auf
libyschem Staatsgebiet seit dem 25. Januar 2011 ausgeflogen?

24. Welcher Art war die Abstimmung mit den anderen Regierungen, deren
Staatsbürger bei den genannten Einsätzen evakuiert wurden?

25. Haben andere Regierungen angeboten, die bei den in Frage stehenden Eva-
kuierungsmissionen am 22./23. und 26. Februar 2011 ausgeflogenen Perso-
nen zu evakuieren, oder hat die Bundesregierung andere Staaten hierum ge-
beten?

Wenn nein, warum nicht?

26. Warum wurden die bei den genannten Evakuierungseinsätzen ausgefloge-
nen Personen nicht früher evakuiert oder aufgefordert, sich an sicherere
Orte zu begeben, an denen eine Evakuierung ohne die Beteiligung bewaff-
neter Kräfte möglich gewesen wäre?

27. Welche Informationen besitzt die Bundesregierung über den Zweck des
Aufenthalts der evakuierten Personen in Libyen, und waren hierunter auch
Personen, die nach dem 25. Januar 2011 mit Kenntnis der Bundesregierung
nach Libyen eingereist sind?

28. Wurden die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder andere private Unter-
nehmen in die genannten Evakuierungsmissionen einbezogen oder hierüber
informiert?

Wenn ja, wer, und in welcher Weise?

Wie beurteilt die Bundesregierung diese Zusammenarbeit?

Berlin, den 9. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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