BT-Drucksache 17/4857

Zur Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in der Europäischen Union

Vom 23. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4857
17. Wahlperiode 23. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christian Lange (Backnang), Peer Steinbrück, Michael Roth
(Heringen), Heinz-Joachim Barchmann, Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Dietmar
Nietan, Dr. Martin Schwanholz, Werner Schieder (Weiden), Martin Dörmann,
Siegmund Ehrmann, Lars Klingbeil, Angelika Krüger-Leißner, Petra Merkel (Berlin),
Ulla Schmidt (Aachen), Olaf Scholz, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Brigitte Zypries,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Axel Schäfer
(Bochum), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zur Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in der Europäischen Union

Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen. Die Finanz- und
Wirtschaftskrise kann nicht bewältigt werden, ohne dass sich die einzelnen
Mitgliedstaaten uneingeschränkt den gemeinsamen Grundwerten verpflichtet
fühlen. So ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit ausdrücklich in der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union in Artikel 11 festgeschrieben.

Das neue Mediengesetz, das das ungarische Parlament kurz vor Beginn der
ungarischen EU-Ratspräsidentschaft beschlossen hat, ermöglicht erhebliche
Kontroll- und Sanktionierungsrechte gegenüber den Medien und Journalisten.
Es stellt einen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit und damit gleicher-
maßen einen Angriff auf ein elementares Grundrecht der Europäischen Union
dar. Ungarn ist allerdings kein Einzelfall innerhalb Europas, sondern steht
lediglich aufgrund seiner derzeitig exponierten Position im Rahmen der EU-
Ratspräsidentschaft im Fokus.

Auch wenn die ungarische Regierung auf Druck der EU-Kommission angekün-
digt hat, einige Elemente des Gesetzes zurückzunehmen, bleiben zentrale Pas-
sagen bestehen, die noch immer eine Verletzung der Meinungs- und Pressefrei-
heit darstellen. Insofern wäre es besser, wenn die ungarische Regierung das
Mediengesetz vollständig zurücknähme.

Dass die Einschränkung von Meinungs- und Medienfreiheiten kein isoliertes
Problem Ungarns ist, belegt beispielsweise die Menschenrechtsorganisation
„Reporter ohne Grenzen“, die jedes Jahr eine Rangliste von Staaten hinsichtlich
der Pressefreiheit aufstellt. Auf dieser Rangliste sind regelmäßig EU-Mitglied-
staaten wie Italien, Griechenland oder Frankreich auf unrühmlichen Plätzen zu
finden. Zudem sind Berichte über die Bedrohung und Aushöhlung der Presse-

und Meinungsfreiheit in den neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas
ebenfalls häufig Bestandteil der öffentlichen Berichterstattung.

Die Sicherung und Fortentwicklung der europäischen Einigung ist durch die
Unterwanderung der Presse- und Meinungsfreiheit in europäischen Mitglied-
staaten in Gefahr – dies umso mehr, als die Europäische Union derzeit vor einer
ihrer größten inneren Bewährungsproben steht. Der Bundesregierung kommt

Drucksache 17/4857 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bei der Aufklärung und Wahrung der europäischen Grundrechte, insbesondere
der Meinung- und Pressefreiheit, eine herausragende Stellung innerhalb der
Europäischen Union zu.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Einigung zwischen der ungarischen
Regierung und der EU-Kommission hinsichtlich der Rücknahme einzelner
Elemente des ungarischen Mediengesetzes?

2. Hält die Bundesregierung die Änderungen der ungarischen Regierung für
ausreichend, um in Ungarn die Meinungsfreiheit, eine freie Presse und eine
unabhängige Medienlandschaft zu gewährleisten, die den europäischen
Grundwerten, insbesondere der Medien- und Meinungsfreiheit (Artikel 11
der EU-Grundrechtecharta), Pluralität und Unabhängigkeit vollständig
Rechnung trägt?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung zahlreicher ungarischer
Medienschaffender und Intellektueller, dass eine Rücknahme einzelner
Passagen nicht ausreicht, sondern vielmehr das Gesetz vollständig zurück-
genommen werden sollte?

4. Verfügt die Bundesregierung über eine aktualisierte und standardisierte
Berichterstattung zur Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in den EU-
Mitgliedstaaten?

5. Wie schätzt die Bundesregierung die Lage der Meinungs- und Pressefrei-
heit in den einzelnen 27 EU-Mitgliedstaaten jeweils ein (bitte einzeln auf-
schlüsseln)?

6. Wie schätzt die Bundesregierung die Lage zur Meinungs- und Pressefrei-
heit in den EU-Kandidatenstaaten und potenziellen Kandidatenstaaten
jeweils ein?

7. Wie bewertet die Bundesregierung bekannt gewordene Verletzungen der
Meinungs- und Pressefreiheit in den EU-Mitgliedstaaten?

8. Welche Maßnahmen stehen der Bundesregierung gegenüber bekannt ge-
wordenen Verletzungen von Meinungs- und Pressefreiheit in EU-Mitglied-
staaten zur Verfügung, um diese zukünftig zu vermeiden bzw. zu verhin-
dern?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung auf europäischer Ebene
ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um die Meinungsfreiheit und Medien-
freiheit in den europäischen Mitgliedsstaaten sicherzustellen?

10. Welche möglichen Auswirkungen und Konsequenzen bestehen aus Sicht
der Bunderegierung für die in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässigen
deutschen Unternehmen, insbesondere Medienunternehmen, in Bezug auf
die Bedrohung der Meinungs- und Pressefreiheit in den EU-Mitglied-
staaten?

11. Welche möglichen Auswirkungen und Konsequenzen bestehen aus Sicht
der Bunderegierung für die in Ungarn ansässigen deutschen Unternehmen,
insbesondere Medienunternehmen, infolge des ungarischen Mediengesetzes
in Bezug auf Meinungs-, Presse- und Niederlassungsfreiheit?

12. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen im Falle, dass
deutschen Unternehmen Nachteile infolge des ungarischen Mediengesetzes
erwachsen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4857

13. Welche möglichen Änderungen im Sekundärrecht der Europäischen Union,
insbesondere im Hinblick auf die Richtlinie über audiovisuelle Medien-
dienste (AVMD-Richtlinie), sind möglicherweise erforderlich, um Wider-
sprüche nationaler Regelungen der Mitgliedstaaten bezüglich der Mei-
nungs- und Pressefreiheit gegenüber EU-Grundrechtsbestimmungen zu-
künftig zu vermeiden?

Berlin, den 23. Februar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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