BT-Drucksache 17/4824

Deutsche Waffenexporte in den Nahen Osten und nach Nordafrika

Vom 18. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4824
17. Wahlperiode 18. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth,
Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Waffenexporte in den Nahen Osten und nach Nordafrika

Fotos und Videos dokumentieren, dass Wasserwerfer aus deutscher Produktion
in Ägypten gegen Demonstranten eingesetzt werden.

Fast alle Länder des Nahen Osten beziehen Waffen aus deutscher Produktion
(vgl. Rüstungsexportbericht 2009 der Bundesregierung). Der Nahe Osten zählt
nicht nur zu den instabilsten, sondern gleichzeitig zu den am stärksten militari-
sierten Regionen der Welt. In die Region genehmigte die Bundesregierung
allein im Jahr 2009 Exporte für Waffen und sonstige Rüstungsgüter im Wert
von rund 1 Mrd. Euro. Dem stehen Ablehnungen mit einem Wert von 24 Mio.
Euro – also 2 Prozent – gegenüber.

Deutsche Rüstungslieferungen stellen nicht nur eine erhebliche Gefahr für die
Stabilität der Gesamtregion dar, sondern auch für die Menschen in den Ländern
selbst. Denn Waffen und sonstige Rüstungsgüter aus deutscher Produktion kön-
nen auch zur inneren Repression und zu schweren Menschenrechtsverletzun-
gen genutzt werden.

Trotzdem genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte in eine Reihe
repressiver Staaten, denen die internationale Menschenrechtsorganisation
Amnesty International regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen nach-
weist. Darunter sind Ägypten, Saudi Arabien, Jemen, die Vereinigten Arabi-
schen Emirate, Jordanien sowie die nordafrikanischen Staaten Tunesien und
Algerien. So sind die jüngsten zivilgesellschaftlichen Proteste in Ägypten eine
Folge der rund 30-jährigen brutalen Mubarak-Diktatur. Zehntausende Ägypter
und Ägypterinnen wurden im Namen der Sicherheit eingesperrt und gefoltert,
viele von ihnen saßen und sitzen jahrelang ohne Anklage im Gefängnis. Die sys-
tematische Folter von Gefangenen ist belegt. Amnesty International bescheinigt
auch Saudi Arabien regelmäßig, dass die Machthabenden alle Formen der
Repression einsetzen, um die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Tausende
von Menschen sind in den letzten Jahren im Namen der Sicherheit in Gefäng-
nisse gesperrt worden, die Gerichtsverfahren entsprechen nicht rechtsstaatlichen
Standards, Menschen werden u. a. von Sondergerichten zum Tode verurteilt,

Auspeitschen ist eine reguläre Strafe, Folter von Gefangenen, z. B. mit Elektro-
schockwaffen sowie die Verletzung ihrer Menschenrechte sind systematisch und
bleiben ungestraft. Frauen sind bis heute schwerwiegenden sozialen und recht-
lichen Diskriminierungen ausgesetzt.

Drucksache 17/4824 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die zum Teil gravierenden menschenrechtlichen Probleme in den Empfänger-
ländern deutscher Waffen- und Rüstungsgüter werfen viele Fragen hinsichtlich
der tatsächlich praktizierten Exportpolitik der Bundesregierung auf. Die Bun-
desregierung legt nicht offen – bisher auch nicht auf Nachfrage – auf welcher
konkreten und qualifizierten Einschätzung der Menschenrechtssituation im
Empfängerland die Entscheidungen der Anträge auf Exportgenehmigungen be-
ruhen. Damit ist die Entscheidungspraxis der Bundesregierung auch an diesem
Punkt intransparent.

Zudem enthalten die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung keine Anga-
ben, ob Polizeiapparate, Geheimdienste oder Militär die Empfänger sind und
mit welchen konkreten Militärprodukten sie ausgestattet werden. Hinzu kommt
der Umstand, dass angesichts zunehmender Digitalisierung von Polizeiarbeit
ansonsten harmlose Software, etwa in polizeilichen Kontrollzentren, durch
„Plug Ins“ datenschutzrechtlich problematische Dienste erfüllt.

Auch gibt es keine offizielle Unterrichtung darüber, wie viele und welche Güter
aus deutscher Produktion, die zu Folter und sonstigen schweren Menschen-
rechtsverletzungen gebraucht werden könnten und deshalb der Genehmigung
bedürfen, aus Deutschland jährlich ausgeführt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welche Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas wurden seit 2005 Ex-
portgenehmigungen für Wasserwerfer, Reizgas, Pfefferspray, Tränengasgra-
naten, Elektroschocktechnologien, Fußfesseln und weitere sogenannte nicht
tödliche Waffen erteilt, und wie viele wurden abgelehnt (bitte aufschlüsseln
nach Land, Jahr und Produkt)?

2. Falls alle oder einige dieser Waffen nicht genehmigungspflichtig sind, hat
die Bundesregierung Informationen darüber – zum Beispiel über den Zoll
oder andere Datenbanken – welche und wie viele dieser Waffen seit 2005 in
Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas geliefert wurden (wenn ja, bitte
aufschlüsseln)?

3. In welche Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas wurden seit 2005 Was-
serwerfer, Reizgas, Pfefferspray, Tränengasgranaten, Elektroschocktechno-
logien, Fußfesseln und weitere sogenannte nicht tödliche Waffen aus deut-
schen Polizeibeständen geliefert (bitte aufschlüsseln nach Land, Jahr und
Produkt)?

4. In welche Staaten der Welt dürfen zurzeit keine Wasserwerfer, Reizgas,
Pfefferspray, Tränengasgranaten, Elektroschocktechnologien, Fußfesseln
und weitere sogenannte nicht tödliche Waffen geliefert werden, und falls es
solche Lieferverbote gibt, auf welchen gesetzlichen Grundlagen erfolgen
sie?

5. In welche Staaten des Nahen Ostens (auch West Bank) und Nordafrikas
wurden seit 2005 im Rahmen deutscher sowie EU-Hilfe für Polizeimis-
sionen bzw. Polizeiaufbau Infrastruktur oder Hardware für Lagezentren,
Leitstellen, Kontrollräume, „Crisis Rooms“ oder „Operation Rooms“ gelie-
fert (bitte aufschlüsseln nach Land, Jahr und Produkt)?

6. In welche Staaten des Nahen Ostens (auch West Bank) und Nordafrikas
wurden seit 2005 im Rahmen deutscher sowie EU-Hilfe für Polizeimis-
sionen bzw. Polizeiaufbau Trainings und Know-how-Transfer für oben ge-
nannte Einrichtungen bereitgestellt (bitte aufschlüsseln nach Land, Jahr und
Art der Leistung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4824

7. In welche Staaten des Nahen Ostens (auch West Bank) und Nordafrikas
wurde seit 2005 im Rahmen deutscher sowie EU-Hilfe für Polizeimissionen
bzw. Polizeiaufbau Software zum Einsatz in oben genannten oder ähnlichen
Einrichtungen geliefert (bitte aufschlüsseln nach Land, Jahr, Leistungs-
merkmalen und Produkt)?

8. Welche Quellen und wessen Einschätzungen werden für die Einzelfall-
prüfungen der Exportanträge im Hinblick auf die Konsequenzen der bean-
tragten Ausfuhren für die Achtung der Menschenrechte und des humani-
tären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland (Artikel 2 Absatz 2 des
Gemeinsamen Standpunktes 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember
2008) bei den Ausfuhren nach Ägypten, Saudi Arabien, Jemen, Jordanien,
Tunesien und Algerien verwendet (bitte für 2008 und 2009 nach Land auf-
schlüsseln)?

9. Was hat sich an diesen Quellen und Einschätzungen im Verlauf der letzten
Wochen verändert, so dass vor dem 4. Februar 2011 noch Genehmigungen
für Rüstungsexporte nach Ägypten erteilt wurden, nach dem 4. Februar
2011 jedoch nicht mehr?

10. Wie viele Anträge auf Ausfuhrgenehmigung nach Ägypten, Saudi Arabien,
Jemen, Jordanien, Tunesien und Algerien für Güter, die zur Vollstreckung
der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet werden könnten, Verord-
nung (EG) Nr. 1236/2005, wurden insgesamt seit 2005 genehmigt, und wie
viele wurden abgelehnt (bitte aufschlüsseln nach Land, Jahr und Wert)?

11. Für welche Waren (Feld 10) wurden 2008 und 2009 in die Bestimmungs-
länder Ägypten, Saudi Arabien, Jemen, Jordanien, Tunesien und Algerien
für welche Endverwendung (Feld 7) gemäß des Antrags „AFA-1–V1.0 ©
BAFA 2006 – Europäische Gemeinschaft Antrag auf Ausfuhr / Einfuhr von
Folterausrüstung“ Genehmigungen zur Ausfuhr erteilt (bitte aufschlüs-
seln)?

12. Welche Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas erhielten seit 2005 hin-
sichtlich des Gebrauchs der in den Fragen 1 und 10 genannten Güter Trai-
ning und Know-how-Transfer durch deutsche Unternehmen, Behörden,
Agenturen (bitte aufschlüsseln nach Land und Jahr)?

13. In welche Länder hat die Bundesregierung seit 2005 mit welcher Begrün-
dung die Lieferung von Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu
Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be-
handlung oder Strafe verwendet werden könnten, verboten?

14. Auf welchen rechtlichen Grundlagen kann die Bundesregierung die Liefe-
rung der in Frage 1 genannten Güter sowie von allen weiteren Gütern, die
zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, un-
menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet wer-
den könnten, angesichts der Vorkommnisse, wie in Ägypten und Tunesien,
aussetzen?

15. Hat die Bundesregierung auch bisher erteilte Genehmigungen für den Ex-
port von Rüstungsgütern bzw. von Ersatzteilen nach Ägypten widerrufen
bzw. den tatsächlichen Export der bereits genehmigten Güter anderweitig
unterbunden, und wenn nein, warum nicht?

16. Warum hat die Bundesregierung die Bearbeitung von Anträgen auf den Ex-
port von Rüstungsgütern nach Saudi Arabien, Jemen, Jordanien, Tunesien
und Algerien angesichts der momentanen innenpolitischen Spannungen in
den Ländern nicht ausgesetzt bzw. bereits erteilte Genehmigungen nicht

widerrufen?

Drucksache 17/4824 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
17. Um welche „technischen Hilfsmittel“ handelt es sich, die der damalige
Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier laut „Süd-
deutscher Zeitung“ vom 10. Januar 2009 dem ägyptischen Staatschef
Husni Mubarak zugesagt hat, welche davon wurden wann genehmigt und
wann geliefert?

Berlin, den 18. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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