BT-Drucksache 17/4818

Abschluss eines Rücknahmeabkommens zwischen der Türkei und der Europäischen Union

Vom 17. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4818
17. Wahlperiode 17. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Andrej Hunko, Frank Tempel,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Katrin Werner und
der Fraktion DIE LINKE.

Abschluss eines Rückübernahmeabkommens zwischen der Türkei und
der Europäischen Union

EU-Kommissarin für Inneres Cecilia Malmström verkündete am 27. Januar
dieses Jahres den Abschluss der Verhandlungen der EU mit der Türkei über ein
Rückübernahmeabkommen. Nach Ansicht der Kommissarin wird das Abkom-
men zu einem „effektiven Management der irregulären Migration in der Region“
beitragen (Pressemitteilung vom 27. Januar 2011). Nach Informationen aus
diplomatischen Kreisen, die in unterschiedlichen Medien zitiert wurden (vgl.
AFP – Agence France Presse GmbH, 27. Januar 2011), sollen nach diesem Ab-
kommen von der Türkei nicht nur eigene, in den EU-Staaten ausreisepflichtige
Bürgerinnen und Bürger „zurückgenommen“ werden, sondern auch Personen
aus anderen Staaten, die über ihr Territorium illegal in die EU eingereist sind.
Dabei dürfte es sich regelmäßig um Menschen aus Nachbarstaaten der Türkei,
aus dem Mittleren Osten und Nordostafrika handeln, die in den EU-Staaten Asyl
suchen. Derzeit gelangen mehrere zehntausend Menschen über die Türkei und
Griechenland in die EU, die aufgrund des Dublin-Systems ihr Asylverfahren in
Griechenland betreiben müssen. Dort werden die Anträge entweder nicht be-
arbeitet oder in nahezu allen Fällen negativ beschieden.

Im Gegenzug erhofft sich die Türkei Visaerleichterungen für ihre Staatsangehö-
rigen, wenn diese in die EU reisen wollen. Im Gespräch sind länger gültige Visa
für Geschäftsreisende und Lastwagenfahrer, die häufig nach Westeuropa reisen
(AFP, 28. Januar 2011). Nach Deutschland können türkische Staatsangehörige
im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit allerdings bereits nach geltendem Asso-
ziationsrecht ohne Visum einreisen (vgl. z. B. Antwort der Bundesregierung auf
Bundestagsdrucksache 16/14028).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Verhandlungen über ein Rück-
übernahmeabkommen bekannt, und welche Position wird die Bundesregie-
rung in den EU-Gremien zu dem nun vorliegenden Vertragswerk einnehmen?

2. Wie ist voraussichtlich der weitere Gang der Ratifikation auf beiden Seiten,

und ab wann wird das Abkommen voraussichtlich in Kraft treten?

3. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Türkei die Aufnahme von
Verhandlungen über Visaerleichterungen für eigene Staatsangehörige zur
Bedingung für die eigene Ratifikation des Abkommens gemacht hat (vgl.
www.migrationsrecht.net, „EU-Rückübernahmeabkommen mit der Türkei
und Visa-Erleichterungen“, Rechtsanwalt Ünal Zeran), und wie steht die
Bundesregierung ggf. zu dieser Forderung?

Drucksache 17/4818 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Sieht die Bundesregierung Bedenken gegenüber früheren Entwürfen für ein
Rückübernahmeabkommen mit der Türkei ausgeräumt (vgl. Antwort zu
Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 17/2381), und wenn ja, um welche Be-
denken handelte es sich dabei?

5. Welche Mechanismen zum Schutz von Schutzsuchenden und Flüchtlingen
enthält das Abkommen, und wie sind Agenturmeldungen zu verstehen,
wonach das Abkommen für „Asylbewerber“ nicht gelte (z. B. dpa vom
27. Januar 2011)?

6. Wie soll sichergestellt werden, dass sich unter den im Rahmen des Abkom-
mens in die Türkei zurücküberstellten Personen keine Personen befinden,
die in der Europäischen Union um Schutz nachsuchen wollen?

7. Gibt es in dem Abkommen insbesondere verpflichtende Regelungen für
Grenzschutzbeamte, die sicherstellen, dass sich keine Schutzsuchenden
unter den in die Türkei zurückgestellten Personen befinden, da das Zurück-
weisungsverbot in der Türkei nicht sichergestellt ist, oder ist die Bundes-
regierung der Auffassung, dass die Berücksichtigung des Zurückweisungs-
verbots in der Türkei sichergestellt ist (dann bitte begründen, insbesondere
angesichts der nur begrenzten territorialen Geltung der Genfer Flüchtlings-
konvention in der Türkei)?

8. Wie soll insbesondere sichergestellt werden, dass keine im Rahmen des
Dublin-Systems nach Griechenland rücküberstellten Schutzsuchenden von
Griechenland in die Türkei im Rahmen dieses Abkommens rücküberstellt
werden, da nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte vom 21. Januar 2011 aber auch nach Einschätzung des Bundesminis-
teriums des Innern nicht davon ausgegangen werden kann, dass Asyl-
suchende in Griechenland einen angemessenen Zugang zu fairen Asylprü-
fungsverfahren haben?

9. Welche eigene Einschätzung hat die Bundesregierung zum Erfolg dieses
Rückübernahmeabkommens, nachdem von griechischer Seite mehrfach
kritisiert worden war, dass von der türkischen Seite ein zwischen beiden
geschlossenes bilaterales Abkommen „nur selten eingehalten“ werde (vgl.
u. a. www.swissinfo.ch, „EU vereinbart mit Türkei Rücknahme von Flücht-
lingen“)?

10. In welchem Umfang scheitern derzeit Abschiebungen von türkischen
Staatsangehörigen an der Weigerung der Türkei, eigene Staatsangehörige
wieder aufzunehmen?

11. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der türkischen Staatsange-
hörigen in Deutschland, deren Abschiebung in die Türkei auf Basis dieses
Abkommens erleichtert werden könnte?

12. Wie hoch war im Jahr 2010 die Zahl illegal eingereister Drittstaatenangehö-
riger in Deutschland, die über die Türkei in die Bundesrepublik Deutsch-
land eingereist sind?

13. Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2010 die Ge-
samtzahl der Personen, die illegal über die Türkei in einen Mitgliedstaat der
EU eingereist sind?

14. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung Verhandlungen über ein Ab-
kommen zu Visaerleichterungen für türkische Staatsangehörige vonseiten
der EU bereits mit dem Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens be-
gonnen, oder erst nach einer Phase der erfolgreichen Umsetzung dieses
Abkommens?

Unter welchen Bedingungen sollten nach Ansicht der Bundesregierung

Verhandlungen über Visaerleichterungen für türkische Staatsangehörige
aufgenommen werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4818

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Funktionsweise des
türkischen Asylsystems (Entscheidungsträger, Widerspruchs- und Ge-
richtsinstanzen, Aufnahmebedingungen während des Asylverfahrens, auf-
enthaltsrechtliche Folgen von Anerkennung oder Ablehnung, möglicher
Schutzstatus, Status von und Umgang mit abgelehnten Schutzsuchenden)?

16. Im Rahmen welcher internationaler Vereinbarungen können Menschen in
der Türkei Schutz erhalten, und welche internationalen Vereinbarungen
gelten in der Türkei nur mit solchen Einschränkungen, dass bestimmte
Gruppen von Schutzsuchenden von vornherein ausgeschlossen sind?

17. Welche Bemühungen der Türkei sind der Bundesregierung bekannt, im
Rahmen des Annäherungsprozesses der Türkei an die Europäische Union
den Flüchtlingsschutz in der Türkei zu verbessern, und an welchen dieser
Bemühungen ist die Bundesregierung selbst beteiligt bzw. werden von ihr
selbst geleistet?

18. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, die Beteiligung an
Resettlement-Verfahren für vom UNHCR (UNHCR: Der Hohe Flüchtlings-
kommissar der Vereinten Nationen) registrierte Flüchtlinge in der Türkei zu
verstetigen und auszubauen, um so einen Beitrag zum Flüchtlingsschutz in
der Türkei zu leisten, und was steht einem solchen Engagement ggf. ent-
gegen?

19. Hat die Bundesregierung mittlerweile Kenntnis erlangt von den konkreten
Inhalten der Kooperationsvereinbarung der EU-Grenzschutzagentur
FRONTEX mit der Türkei, und wenn ja, welche?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die mögliche Einbindung
der Türkei in EU-Projekte und Vorhaben zur Migrationskontrolle, beispiels-
weise zu einer Anbindung an das Meeresüberwachungssystem des Euro-
päischen Grenzkontrollsystems (EUROSUR)?

Berlin, den 17. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.