BT-Drucksache 17/4682

Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4682
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, Petra Pau,
Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion
DIE LINKE.

Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten zum
Zwecke ihrer Identifizierung ist überfällig. Diese Forderung, die von Bür-
ger- und Menschenrechtsorganisationen schon seit langem erhoben wird,
dient der Durchsetzung rechtsstaatlicher Standards.

2. Während sich die meisten Polizistinnen und Polizisten gesetzeskonform ver-
halten, gibt es auch Polizisten, die in rechtsmissbräuchlicher und strafbarer
Weise Gewalt anwenden. Ihre effektive strafrechtliche Verfolgung setzt vor-
aus, dass sie einwandfrei identifizierbar sind. Genau dies ist jedoch kaum
möglich, wenn sie in voller Einsatzmontur und behelmt im Rahmen ge-
schlossener Einheiten agieren.

3. Aus demokratischer Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass Straftaten von Poli-
zisten allein deswegen nicht verfolgt werden können, weil die Tatverdächti-
gen sich hinter anonymisierenden Uniformen und Helmen verbergen. Mit
einer Kennzeichnung, sei sie in Form von Namensschildern oder eines
Nummerncodes, welcher der Dienststelle eine Identifizierung ermöglicht, ist
einfache Abhilfe möglich. Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, diese Ab-
hilfe auch vorzunehmen.

4. Eine Kennzeichnungspflicht stellt keinen Generalverdacht gegen Polizisten
dar, sondern soll lediglich denjenigen Polizisten, die sich Verfehlungen
schuldig machen, den Schutzschild ihrer Anonymität nehmen. Kennzeich-
nung von Polizeibeamten ist eine Maßnahme, welche die Transparenz staat-
lichen Handelns unterstreicht und damit das Vertrauensverhältnis zwischen
Bürgern und Polizei stärkt. Hiervon wird auch die Masse der gesetzeskon-
formen Polizeibeamten profitieren.

5. Bedenken, eine Kennzeichnungspflicht führe zu einer persönlichen Gefähr-
dung von Polizeibeamten oder setze sie der Gefahr unzutreffender Anschul-
digungen aus, lassen sich nicht belegen. Im europäischen und außereuro-

päischen Ausland gibt es keine negativen Erfahrungen mit der Kennzeich-
nungspflicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass alle
Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei während ihrer dienstlichen
Tätigkeit durch das Tragen von Namensschildern oder einer einprägsamen

Drucksache 17/4682 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nummernkombination auf Uniformen und Helmen gekennzeichnet werden.
Die Kennzeichnung muss für Bürger bzw. Dienststellen eine persönliche Iden-
tifizierung zulassen. Sie ist sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite
von Uniformoberteilen und Helmen fest anzubringen.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Polizistinnen und Polizisten müssen sich bei der Wahrnehmung ihres Auftrages
strikt an das Verhältnismäßigkeitsgebot halten. Wenden sie gegen Bürgerinnen
und Bürger unrechtmäßig Gewalt an, sind sie genauso zu belangen wie andere
Straftäter auch.

Die Umsetzung dieses Grundsatzes scheitert jedoch häufig daran, dass Tatver-
dächtigen ihre Schuld individuell nachgewiesen werden muss. Eine individuelle
Identifizierung ist gerade bei solchen Polizisten, die im Rahmen geschlossener
Einheiten etwa bei Demonstrationen oder Fußballspielen eingesetzt werden,
häufig nicht möglich. Dies gilt vor allem dann, wenn sie volle Einsatzmontur
tragen und Helme aufsetzen. Die betroffenen Bürger können in einer Menge
gleichuniformierter, Helme tragender Polizisten keine einzelnen Personen iden-
tifizieren.

Dass manche Polizisten im Schutze ihrer Anonymität ungesühnt Straftaten be-
gehen, ist unzweifelhaft. Im Jahr 2008 hat der Berliner Polizeipräsident ein Gut-
achten an der Freien Universität Berlin in Auftrag gegeben, das 143 Fälle von
Körperverletzung und anderen Straftaten von Polizeibeamten untersucht hat.
Ergebnis: „Die Untersuchung ergab, dass in mindestens zehn Prozent der Fälle
eine Kennzeichnung der Polizeibeamten die Ermittlungen erleichtert und die
Wahrscheinlichkeit der Klärung der Vorwürfe erhöht hätte.“ (zitiert nach Amnesty
International: „Täter unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen
Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland“, Berlin 2010). Die Men-
schenrechtsorganisation Amnesty International zählt mehrere Fälle auf, bei
denen eine Strafverfolgung an der nicht möglichen Identifizierung der Täter
scheiterte.

Im Jahr 2005 war es bei einer Razzia in einer Berliner Diskothek zu schwer-
wiegenden Misshandlungen unbeteiligter Personen durch ein Sondereinsatz-
kommando (SEK) gekommen. Die Opfer konnten keinen der Beamten identifi-
zieren, gleichwohl erhielten sie vom Land Berlin eine Entschädigung, weil die
Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns eindeutig feststand. Das Land Ber-
lin hat hieraus die Konsequenzen gezogen und SEK-Beamte verpflichtet, Kenn-
zeichnungen zu tragen, ohne dass dies nachteilige Folgen für die Polizisten nach
sich gezogen hätte. Mittlerweile hat das Land Berlin die Ausweitung der Kenn-
zeichnungspflicht auf alle Polizeibeamten beschlossen.

Eine Kennzeichnung von Polizeibeamten trägt auch dem Grundsatz der per-
sönlichen Verantwortlichkeit Rechnung, wie er im Europäischen Kodex der
Polizeiethik niedergelegt ist. Im zugehörigen Kommentar des Ministerrates
heißt es: „Ohne die Möglichkeit, einen Polizisten oder eine Polizistin persönlich
zu identifizieren, wird der Begriff der persönlichen Verantwortung aus der
Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert.“ (CM(2001)131 Add III, Artikel 45).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4682

In einer Kennzeichnungspflicht ein allgemeines Misstrauensvotum gegen Poli-
zeibeamte zu sehen, ist ein gravierendes Missverständnis. Es geht nicht um
Misstrauen, sondern vielmehr um Vertrauen in eine rechtsstaatlich handelnde
Polizei. Wenn eine Identifizierung jener Minderheit von Polizisten, die Straf-
taten an Bürgerinnen und Bürgern begehen, möglich ist, können entsprechende
Vorwürfe auch individuell erhoben werden und treffen nicht pauschal die Poli-
zei als anonyme Verkörperung der Staatsmacht. Polizisten könnten anhand von
Zeugenaussagen nicht nur belastet, sondern auch entlastet werden, auch dann,
wenn sie volle Einsatzmontur getragen haben. Die Einführung einer Kenn-
zeichnungspflicht garantiere die individuelle Zurechenbarkeit staatlichen Han-
delns und trage damit „zur nachhaltigen Vertrauensbildung zwischen Bürgern
und Polizei bei“, so der Deutsche Anwaltverein (DAV) e. V. in einem Positions-
papier vom Juli 2010.

Gegnerische Positionen behaupten, eine Kennzeichnung gefährde die Polizei-
beamten. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
„Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei“ (Bundestagsdruck-
sache 17/3743) geht die Bundesregierung von einem Gegensatz zwischen dem
Anspruch der Öffentlichkeit auf Transparenz und den Interessen der Polizei-
beamten aus. Sie unterstellt, eine Kennzeichnung würde zu körperlichen Über-
griffen und unberechtigten Anschuldigungen führen, kann für diese Behauptun-
gen aber keinerlei Nachweise erbringen.

Erfahrungen aus dem Ausland können solche Befürchtungen ebenfalls nicht
bestätigen. In Spanien sind sowohl Angehörige der Policía Nacional als auch
der Guardia Civil zum Tragen von Nummernschildern verpflichtet, ebenso die
Polizei von Katalonien. Auch in Großbritannien tragen Polizisten individuelle
Nummern. In mehreren US-amerikanischen Großstädten ist das Tragen von
Namensschildern Pflicht. Der DAV fasst zusammen: „Bei Untersuchungen
fand man z. B. in New York keinen Hinweis auf ein Anwachsen von rechtswid-
riger Bedrohung von Polizeibeamten. Gleiches galt für Detroit und Los Ange-
les“ – und dies, obwohl es sich bei den genannten Städten zweifellos um Krimi-
nalitätsschwerpunkte handelt.

Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass Polizeibeamte subjektiv
annehmen, eine namentliche Kennzeichnung erhöhe das Gefährdungspotenzial.
Um solchen Ängsten zu begegnen, kann ihnen die Möglichkeit einer pseudo-
anonymisierten Kennzeichnung durch einen für die Bürgerinnen und Bürger
leicht einprägsamen Nummerncode eingeräumt werden, der von Seiten der
Dienststelle individuell zugeordnet werden kann.

Ein genereller Verzicht auf eine Kennzeichnung wäre jedenfalls ein fatales
Signal: Es würde bedeuten, den wenigen Straftätern in den Reihen der Polizei
weiterhin das Gefühl zu geben, in voller Einsatzmontur und mit herunter-
geklappten Visieren faktisch außerhalb des Gesetzes zu stehen.

Letztlich geht es bei einer Kennzeichnungspflicht darum, rechtsstaatliche Stan-
dards herzustellen. Der DAV hat festgestellt: „Eines der tragenden Prinzipien
des demokratischen Rechtsstaates ist die Kontrollierbarkeit staatlicher Macht.“
Eine moderne Gesellschaft muss von ihrer Polizei erwarten können, dass sie
offen, transparent und bürgernah auftritt.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.