BT-Drucksache 17/4681

Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von Zwangsverheiratungen

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4681
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke,
Cornelia Möhring, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina
Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von
Zwangsverheiratungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum
besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer auf-
enthalts- und asylrechtlicher Vorschriften (Bundestagsdrucksache 17/4401)
schlägt die Bundesregierung ein Wiederkehrrecht für zwangsverheiratete Perso-
nen vor, die von einer Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden. Dies ent-
spricht im Grundsatz langjährigen Forderungen insbesondere von Menschen-
rechtsorganisationen und Fachverbänden. In der vorgeschlagenen Form aber ist
das Rückkehrrecht ungenügend ausgestaltet und wird damit dem Schutzzweck
nicht gerecht.

Die zugleich vorgesehene Verlängerung der Mindestehebestandszeit zur Erlan-
gung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von nachgezogenen Ehegatten
steht im Widerspruch zum vorgegebenen Ziel eines besseren Schutzes der Opfer
von Zwangsheirat. Denn diese, wie auch alle anderen in gewalttätigen Bezie-
hungen lebenden Frauen wären künftig aus Angst vor einem Verlust des Aufent-
haltsrechts und einer Abschiebung gezwungen, ein Jahr länger in der gegebenen
Gewaltsituation auszuharren. Die Verlängerung der im Jahr 2000 von vier auf
zwei Jahre verkürzten Ehebestandszeit würde in Bezug auf türkische Staats-
angehörige auch gegen EU-Recht verstoßen, denn nach dem Urteil des Europä-
ischen Gerichtshofs vom 9. Dezember 2010 (C-300 und 301/09) dürfen im Rah-
men des Assoziierungsabkommens mit der Türkei einmal gewährte Vorteile nicht
wieder zurückgenommen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens für ein wirksames
Rückkehrrecht für zwangsverheiratete und/oder verschleppte Personen ein-
zusetzen, indem
a) zwangsverheirateten oder von Zwangsverheiratungen bedrohten und/oder
gegen ihren Willen ins Ausland verbrachten Personen, die rechtmäßig
ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten und an einer
Rückkehr nach Deutschland gehindert werden, ein unbeschränktes Recht
auf Wiederkehr eingeräumt wird, insbesondere unabhängig vom Nach-
weis eigenen Einkommens (§ 37 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG),

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b) bei den genannten Personen und bei Niederlassungserlaubnissen der Auf-
enthaltstitel grundsätzlich nicht durch einen längeren Auslandsaufenthalt
erlischt und die Frist des Erlöschens vorsorglich auf drei Jahre verlängert
wird (§ 51 Absatz 1 Nummer 7 AufenthG),

c) bei jugendlichen Migrantinnen und Migranten vorsorglich die Prüfung der
Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von Amts wegen (statt nur auf
Antrag) erfolgt (§ 35 AufenthG),

d) auch für zwangsverheiratete und/oder ins Ausland verschleppte Personen
mit gewöhnlichem Aufenthalt, aber ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel in
Deutschland ein Rückkehrrecht und Anspruch auf Erteilung einer Aufent-
haltserlaubnis aus humanitären Gründen geschaffen wird;

2. sich im laufenden Gesetzgebungsverfahren für einen Verzicht der geplanten
Verlängerung der Mindestehebestandszeit einzusetzen und dafür, dass die
Härtefallregelung nach § 31 Absatz 2 AufenthG für ein eigenständiges Auf-
enthaltsrecht von Ehegatten durch entsprechende Klarstellungen so ausge-
staltet wird, dass sie insbesondere von Opfern von Gewalt und Zwangsheirat
ohne Angst vor einer Abschiebung jederzeit effektiv in Anspruch genommen
werden kann.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Es ist unglaubwürdig, wenn die Bundesregierung vorgibt, mit dem „Entwurf
eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der
Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Vorschriften“ (Bundestagsdrucksache 17/4401) vor allem im Inter-
esse der Opfer von Zwangsverheiratungen zu handeln.

Das vorgeschlagene Wiederkehrrecht für Opfer von Zwangsverheiratungen, die
von einer Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, ist unzureichend.
§ 37 Absatz 2a AufenthG ist im Entwurf zunächst nur als eine bloße Ermessens-
regelung ausgestaltet, die zudem eine mit dem Gedanken eines effektiven Opfer-
schutzes unvereinbare Nützlichkeitsprüfung enthält: Bedingung für eine Rück-
kehr ist, dass die Betroffenen sich aufgrund „der bisherigen Ausbildung und
Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
einfügen“ können. Ein Regelanspruch auf Rückkehr ohne eine solche Prüfung
der „Integrationsfähigkeit“ ist nur nach achtjährigem rechtmäßigem Aufenthalt
und sechsjährigem Schulbesuch in Deutschland vorgesehen. Die geplante Rege-
lung wird wegen dieser Restriktionen nach Einschätzung des Deutschen Anwalt-
vereins e. V. nur „ein plakatives Signal gegen Zwangsehe“ setzen und wegen
seiner unzureichenden Ausgestaltung „wenig Praxisrelevanz haben“ (Aus-
schussdrucksache des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, 17(4)155,
S. 4 ff.). Auch die nur dreimonatige Bedenkzeit („nach Wegfall der Zwangs-
lage“) zur Stellung eines Rückkehrantrags kann sich angesichts der besonderen
Ausnahmesituation und Belastungen der Betroffenen als zu kurz erweisen.
Regelungen für verschleppte Personen ohne gefestigten Aufenthaltsstatus in
Deutschland (z. B. Geduldete) fehlen in dem Gesetzentwurf völlig. Vielen
Betroffenen wäre am besten dadurch geholfen, dass die Erteilung einer Nieder-

lassungserlaubnis mit Vollendung des 16. Lebensjahrs von Amts wegen geprüft

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4681

und eine Niederlassungserlaubnis grundsätzlich auch im Falle einer längerfris-
tigen Ausreise nicht erlöschen würde.

Ginge es tatsächlich um die Opfer von Zwangsverheiratungen, hätte bereits vor
Jahren – wie von Beratungsstellen, Menschenrechtsorganisationen und Fachver-
bänden gefordert – ein effektives Rückkehrrecht im Aufenthaltsgesetz geschaf-
fen werden müssen. Entsprechende Vorschläge der Fraktion DIE LINKE. aus
dem Jahr 2006 wurden in der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
jedoch von der großen Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD ab-
gelehnt, obwohl sich im Rahmen einer Anhörung des Ausschusses für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages alle Sachverständigen
mit einer Ausnahme hierfür ausgesprochen hatten (vgl. Ausschussprotokoll
16/13 und z. B. Ausschussdrucksache 16(13)91g). Handlungsbedarf zur Stär-
kung der Opfer von Zwangsheiraten besteht natürlich noch in weiteren Feldern,
etwa in Bezug auf flächendeckende, niedrigschwellige Beratungsangebote und
Notfallunterbringungen oder in Bezug auf verfahrensrechtliche Änderungen zur
Gewährleistung der Sicherheit und Anonymität der Opfer im Gerichtsverfahren
(vgl. die umfassenden Forderungen der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestags-
drucksache 16/1564).

Ein wesentlicher Grund für die langjährige Versagung eines Rückkehrrechts für
Opfer von Zwangsverheiratungen war die sachfremde Bedingung der Fraktion
der CDU/CSU, im Gegenzug die Mindestdauer der Ehebestandszeit für ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhöhen. Die Fraktion der FDP ist diesem
langjährigen Ansinnen auch des Bundesministeriums des Innern (vgl. bereits
den Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz vom Juli 2006, S. 110 f.)
nun nachgekommen. Das vorgebliche Schutzziel des Gesetzentwurfs wird durch
diese Regelung jedoch vollends unglaubwürdig, denn sie bedeutet „eine massive
Verschlechterung der Situation für von Gewalt betroffene Frauen“, wie das
Forum Menschenrechte e. V. bereits in einer Stellungnahme vom Oktober 2010
eindringlich warnte. Auch der Deutsche Caritasverband e. V. spricht in Bezug
auf die Verlängerung der Mindestehebestandszeit von einer „unzumutbaren
Härte“ und verweist darauf, dass die Härtefallregelung nach § 31 Absatz 2
AufenthG, auf die zur Rechtfertigung der Neuregelung verwiesen wird, in der
Praxis unzureichend ist (Stellungnahme vom 16. Dezember 2010, S. 5 f., so
auch der Deutsche Anwaltverein e. V., Ausschussdrucksache 17(4)155, S. 3 f.).

Der Deutsche Caritasverband e. V. und der Deutsche Anwaltverein e. V. gehen
zudem davon aus, dass die geplante Verschärfung bei türkischen Staatsangehö-
rigen gegen das Verschlechterungsverbot im Rahmen des EU-Assoziations-
abkommens mit der Türkei und gegen die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs verstoßen würde (vgl. hierzu die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/4317).

Schließlich ist die Gesetzesbegründung, wonach „Wahrnehmungen aus der aus-
länderbehördlichen Praxis“ darauf hindeuteten, „dass die Verkürzung der Min-
destehebestandszeit [im Jahr 2000] auf zwei Jahre zu einer Erhöhung der
Scheineheverdachtsfälle geführt“ habe (Bundestagsdrucksache 17/4401, zu
Nummer 3 – § 31 – Buchstabe a), rein spekulativ und empirisch nicht belegt
(vgl. die Stellungnahme des Deutschen Caritasverbands e. V., S. 5). „Wir sind
entsetzt, dass vage Vermutungen zu weiteren Restriktionen führen sollen und
damit Frauen zwingen, länger in unerträglichen familiären Gewaltsituationen
auszuharren“, kritisiert auch Hiltrud Stöcker-Zafari, Bundesgeschäftsführerin des
Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e. V. in einer Presse-
mitteilung vom 27. Oktober 2010. Die Behauptung eines angeblich gestiegenen
Missbrauchs widerspricht auch eklatant den vorliegenden Daten zur Zahl poli-
zeilich erfasster Scheineheverdachtsfälle, die im Jahr 2009 mit 1 698 nicht ein-

mal ein Drittel des Werts aus dem Jahr 2000 erreichte. Die Ausführungen der
Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten Sevim Dag ˘delen

Drucksache 17/4681 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
hierzu (vgl. Bundestagsdrucksache 17/4108, S. 6 f.) ändern nichts an dem ein-
deutigen, der Gesetzesbegründung klar widersprechenden Trend gesunkener
Verdachtsfälle trotz Verkürzung der Mindestehebestandszeit. Die Ausschüsse
des Bundesrates für Frauen und Jugend sowie Familie und Senioren haben dar-
gelegt, dass die Bundesregierung auch nicht nachweisen oder glaubhaft machen
konnte, warum durch eine Verlängerung der Mindestehebestandszeit um ein
Jahr Scheinehen angeblich wirksamer bekämpft werden könnten, während real
die Gefahr bestünde, dass die Betroffenen „noch ein weiteres Jahr in einer unzu-
mutbaren Ehe ausharren müssen“ (vgl. Bundesratsdrucksache 704/1/10, zu
Nummer 3).

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