BT-Drucksache 17/4669

Verpflichtender Menschenrechtsschutz bei den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4669
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Ulla Lötzer, Niema Movassat,
Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner und
der Fraktion DIE LINKE.

Verpflichtender Menschenrechtsschutz bei den OECD-Leitsätzen für
multinationale Unternehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Verabschiedung der Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen im
Jahr 1976 wurden Forderungen der entwicklungspolitischen Organisationen
nach einer verstärkten Einbeziehung der Arbeit von transnational arbeitenden
Unternehmen in die Sicherung der Menschenrechte aufgegriffen. Mit der Auf-
nahme von Arbeits- und Sozialstandards, Umweltschutz- und Verbraucher-
schutzkriterien wurden in den Leitsätzen erste Ansätze für eine bessere Unter-
nehmensführung festgeschrieben. Verpflichtende menschenrechtliche Standards
für die Einhaltung der Leitsätze durch die multinationalen Unternehmen in
Niederlassungen oder Zulieferbetrieben in Staaten außerhalb des Territoriums
der unterzeichnenden Staaten fehlen jedoch. Die Leitsätze sind für die betroffe-
nen transnationalen Unternehmen ohne verbindlichen Charakter. Es fehlen mess-
bare Sanktionsmöglichkeiten. Durch die Einrichtung von Nationalen Kontakt-
stellen (NKS) wurden Anlaufstellen für Beschwerden gegen die Missachtung
der Leitsätze geschaffen, die jedoch bei Verstößen keine verpflichtenden Sank-
tionen gegen betroffene Unternehmen verhängen können. Die NKS sind sehr
eng mit Ministerien verbunden, in Deutschland z. B. mit Sitz im Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), so dass ihre Unabhängigkeit in
manchen Staaten nicht ausreichend gesichert erscheint.

Mit der Revision der Leitsätze im Jahr 2000 werden Unternehmen für ihre Hand-
lungen nicht nur innerhalb der Herkunftsländer, sondern auch für extraterritoriale
Aktivitäten, d. h. außerhalb der unterzeichneten Staaten, in die Leitsätze ein-
bezogen. Dadurch können Menschenrechtsverteidiger, Nichtregierungsorganisa-
tionen, Gewerkschaften und Entwicklungshilfeorganisationen bei den NKS

Beschwerden gegen multinationale Unternehmen einreichen, wenn diese die
Leitsätze nicht einhalten und Menschenrechte verletzen.

Die Leitsätze weisen jedoch gravierende Mängel auf. Die freiwilligen Selbstver-
pflichtungen haben sich als völlig unzureichend erwiesen. Mit der Überarbei-
tung der OECD-Leitsätze besteht nun die Möglichkeit, diese zu einem wirksamen
Instrument zur Sicherung von Menschenrechten in multinationalen Unterneh-

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men weiterzuentwickeln. Ziel der Überarbeitung muss sein, die freiwilligen
Selbstverpflichtungen von Unternehmen durch konkrete, verbindliche Regelun-
gen für alle international agierenden Unternehmen zu ersetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich bei der Überarbeitung der OECD-Leitsätze dafür einzusetzen, dass
diese einen verpflichtenden Charakter mit der Möglichkeit von konkreten
Sanktionen gegen Unternehmen erhalten, die Menschenrechte in einem
ihrer Unternehmensbereiche verletzen;

2. sich bei der Überarbeitung der OECD-Leitsätze dafür einzusetzen, dass ver-
bindliche menschenrechtliche Verpflichtungen von Unternehmen in einem
eigenen Kapitel konkretisiert werden;

3. sich dafür einzusetzen, dass in den Leitsätzen ein verpflichtender Sanktions-
mechanismus festgeschrieben wird, der bei Feststellung einer Verletzung
der OECD-Leitsätze durch multinationale Unternehmen, ihre Subunterneh-
men oder ihre Zulieferer zu Sanktionen gegen das jeweilige Unternehmen
führt;

4. sich dafür einzusetzen, dass multinationale Unternehmen auch für die Ver-
stöße ihrer Subunternehmen und Zulieferer gegen die Leitsätze in Haftung
genommen werden können;

5. sich dafür einzusetzen, dass diese Sanktionsmöglichkeiten auch mit indivi-
duell einklagbaren Schadenersatzansprüchen von Betroffenen verbunden
werden;

6. sich dafür einzusetzen, dass die durch EU-Unternehmen geschädigten Bür-
gerinnen und Bürgern in der EU Zugang zu Rechtsschutz erhalten, auch
wenn sie keine EU-Bürger sind;

7. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass in der EU ansässige Unterneh-
men wahrheitsgemäße Informationen über die Auswirkungen ihrer aktuel-
len und geplanten Geschäftstätigkeit auf Menschen und Umwelt veröffent-
lichen müssen;

8. sich dafür einzusetzen, dass einheitliche Mindeststandards und eine deut-
lich verbesserte Personalausstattung der NKS festgeschrieben werden;

9. sich dafür einzusetzen, dass die NKS zu personell und örtlich unabhängi-
gen Institutionen weiterentwickelt werden, die paritätisch mit Vertreterin-
nen und Vertretern aus Ministerien, Gewerkschaften und Menschenrechts-
und Entwicklungsorganisationen besetzt werden;

10. zu prüfen, durch welche konkreten Änderungen und eine verbindliche Ver-
ankerung im deutschen Recht die wirksame Anwendung der OECD-Leit-
sätze für multinationale Unternehmen verbessert werden kann.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Wirtschaftliche Interessen von Unternehmen stehen menschenrechtlichen Ver-

pflichtungen oft konträr gegenüber. Dies führt häufig dazu, dass gerade in ärme-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4669

ren Staaten soziale und menschenrechtliche Standards von Unternehmen nicht
beachtet werden. In solchen Fällen muss es möglich sein, dass Menschenrechts-
verletzungen durch Unternehmen auch in deren Heimatland geahndet werden
können.

Viele europäische Unternehmen sind Teil multinationaler Konzerne und arbei-
ten mit unterschiedlichen Tochterfirmen, Subunternehmen und Zulieferern zu-
sammen. Gegenwärtig kann der Mutterkonzern Gewinne machen, ohne Verant-
wortung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen durch seine
Tochterunternehmen oder Zulieferer übernehmen zu müssen. Zudem sind Un-
ternehmen bisher nicht dazu verpflichtet, Rechenschaft über die Auswirkungen
ihrer laufenden und geplanten Aktivitäten auf Menschen und Umwelt abzule-
gen.

Die OECD-Leitsätze waren ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung.
Durch ihre Unverbindlichkeit und die fehlenden konkreten und vor allem wirk-
samen Sanktionsmechanismen konnten sie jedoch nur eine eingeschränkte
Wirksamkeit entfalten.

Menschenrechte müssen jedoch in allen Bereichen der Gesellschaft und damit
auch in der Praxis von multinationalen Unternehmen uneingeschränkt gelten.
Aus diesem Grund müssen die OECD-Leitsätze dahingehend weiterentwickelt
werden, dass die Feststellung von Verstößen gegen diese Leitsätze auch zu ver-
bindlichen Sanktionen gegen Unternehmen führt.

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